Die Operatorin trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tank ihres Motorrads. Die Chance eines kurzen chirurgischen Eingriffs in das Treffen der beiden Männer hatte sich rasch erledigt. Das rote T-Shirt des Ghostwriters verschwand zwischen den Bäumen und mit ihm die wertvollen Informationen in seinem Rucksack. Frank Linden schien das Bewusstsein verloren zu haben, und die verfluchten Surfer, die zweifellos auf dem Weg nach Cold Hawaii bei Thyborøn waren, torkelten noch immer über den sonnenheißen Asphalt.
Sie kaute energisch auf ihrem Kaugummi.
Undiszipliniertes, primitives Pack.
Irgendwann bequemten sich die Surfer in ihr Wohnmobil. Die abgenudelten pneumatischen Bremsen heulten auf, aus den offenen Fenstern dröhnte 2 Chainz.
Die Operatorin hasste Rap.
Der Wagen fuhr auf den Strandvejen und würde sicher noch eine geraume Zeit die Anwohner mit dem hämmernden Puls aus South Central, L. A., beschallen.
Sie startete ihr Motorrad und rollte gemächlich über den Parkplatz. Neben Lindens nachtblauem Mercedes blieb sie stehen, klappte den Seitenständer herunter und schwang das Bein über den Sattel .
Trotz des lähmenden Schmerzes nahm Frank Linden ihre Anwesenheit aus dem Augenwinkel wahr und zwang sich, tief und ruhig einzuatmen. Die heranschlendernde, elegante Erscheinung strahlte eine Bösartigkeit aus, der nicht zu entrinnen war.
Sie war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet und die Personifizierung von Schönheit und Gesundheit. Linden erkannte sie sofort wieder, trotz Helm und runtergeklapptem Visier. Frauen wie sie waren selten wie Einhörner.
Er umfasste den Griff seiner Pistole.
Wie aus dem Nichts tauchte eine Glock 9 mm mit langem Schalldämpfer in ihrer Hand auf. Sie klappte das Visier hoch und sah Frank Linden mit ihren freundlichen nussbraunen Augen an.
Die Mündung der Pistole war auf sein Gesicht gerichtet.
»Sara … Ich kann nicht behaupten, dass ich überrascht bin. Ich hätte Sie allerdings früher erwartet. Sie oder einen anderen durchgeknallten, mörderischen Soziopathen.«
Sie antwortete nicht. Der Blick der braunen Augen mit den schwarzen, dichten Wimpern blieb unverändert.
Frank Linden drückte sich seine Pistole in die Mulde unter dem Kinn. Er hätte es mit einem schnellen Fluchtschuss durchs Seitenfenster probieren können, ging aber davon aus, dass sie unter ihrer Ledermontur eine schusssichere Weste und einen kevlarverstärkten Helm trug und damit praktisch unverwundbar war.
»Sie kommen zu spät«, sagte er. »Es ist alles in die Wege geleitet, und weder Sie noch Ihre Auftraggeber werden die Aktion stoppen können. Alles kommt irgendwann ans Licht. «
»Das werden wir ja sehen«, sagte sie. »Außerdem sind Sie der Letzte, der sich moralisch überlegen fühlen dürfte.«
Er spannte den Hahn.
»Sie gestatten?«
Sie betrachtete ihn einen Augenblick und nickte leicht.
»Auf Wiedersehen, Frank.«
Linden drückte ab, und sein Hinterkopf explodierte in einer bordeauxfarbenen Wolke.
Die Operatorin durchsuchte Frank Lindens Mercedes. Sie fand ein Notizbuch und ein Handy, das mit Sicherheit von hier bis zur Hölle und zurück verschlüsselt war. Da entdeckte sie Simon Hallbergs Aufnahmegerät auf der Mittelkonsole, dessen grünes Lämpchen unverdrossen blinkte.
Sie schüttelte den Kopf in stiller Verwunderung, schaltete das Gerät aus und schob es in eine der vielen Taschen ihrer Lederjacke.
Auf der ersten steilen Steigung hinter dem Parkplatz stand Simon kurz vorm Umkippen in den Pedalen und fluchte lange und laut. Er hatte sein Diktafon im Wagen liegen lassen.
Also machte er kehrt und wollte gerade zurückfahren, als etwas unten auf dem Parkplatz ihn voll in die Bremse treten ließ. Das Wohnmobil mit den Surfern war nicht mehr da. Stattdessen spazierte eine schlanke Gestalt in schwarzer Ledermontur und mit einer Pistole in der Hand auf ein Motorrad zu.
Die Scheiben des Mercedes sahen wie mit roter Lackfarbe besprayt aus. Frank Linden lag reglos über dem Lenkrad.
»Jesus … «
Simon hielt die Luft an, fischte das Handy aus der Tasche, aktivierte die Kamera und schoss mit zitternden Fingern ein paar Bilder von der Szenerie unter sich. Die schwarz gekleidete Gestalt erstarrte mitten in der Bewegung. Sie konnte unmöglich das leise Klicken der digitalen Kamera gehört haben, schien aber mit einem sensiblen sechsten Sinn ausgestattet zu sein.
Simon konnte das Gesicht der Person nicht sehen, spürte aber die Intensität des suchenden Blickes.
»Fuck, fuck, fuck …«, murmelte er.
Die Gestalt sprintete das letzte Stück zum Motorrad, und Simon wusste, dass er soeben zur Zielscheibe geworden war.