Sie saßen jetzt schon
eine kleine Ewigkeit schweigend in Lenes Auto. Bjarne drehte und wendete unablässig ein kleines Stück Plastik in seinen Händen. Dann hob er seufzend den Blick.
»Ich habe übrigens über etwas nachgedacht …«
»Was, Bjarne?«
»Na ja, der GPS-Tracker, den du für Michaels Auto haben wolltest … Funktioniert der?«
Sie sah ihn an und drehte den Zündschlüssel mit einer hektischen Bewegung um.
»Ich bin so eine Idiotin, und du bist ein verfluchtes Genie!«
Der Wagen schoss nach vorne, und sie warf das iPad auf seinen Schoß.
»Finde ihn!«
Sie setzte das Blaulicht aufs Dach und schaltete die Sirene ein.
Der Verkehr wich zu den Seiten aus, als wären die Straßenränder magnetisch. Bjarne klammerte sich am Armaturenbrett fest. Lene scherte vor einem langsamen Lastwagen ein. Fußgänger rannten um ihr Leben.
»Wo ist er?«, blaffte sie ihren Assistenten mit einer glimmenden Zigarette im Mundwinkel von der Seite an. »
Es wäre echt hilfreich, wenn du die Augen aufmachst, Bjarne.«
»Auf dem Weg zur Østersundbrücke. Er fährt wie ein Formel-1-Rennfahrer.«
»Michael ist fantastisch hinter einem Lenkrad«, sagte sie stolz. »Besser als Ayrton Senna.«
»Wer?«
»Vergiss es.«
Michael grinste breit, als er den grünen Kastenwagen am Kleeblattverteiler sah, wo die Malmöer Ringstraße sich mit der nach Norden führenden E6 vereinte.
Er ging vom Gas.
»Jetzt hab ich dich, du Satan.«
Sie fuhren unter den ersten himmelwärts strebenden Pylonen hindurch.
»Er fährt langsamer«, murmelte Bjarne. »Richtung Norden auf der E6.«
»Das bedeutet, dass Michael sie gefunden hat«, sagte Lene. »Gott sei Dank.«
Sie nahm das Blaulicht vom Dach und schmiss es auf die Rückbank. Danach schaltete sie die Sirenen aus.
Bjarne lehnte sich zurück, tupfte sich mit einem schneeweißen Stofftaschentuch mit seinen Initialen den Schweiß von der Stirn und fischte eine rote Brotdose aus dem Rucksack. Auf dem verkratzten Deckel war noch ein in geschwungener Handschrift aufgemaltes »Guten Appetit« zu erkennen. Wahrscheinlich hatte Bjarnes stolze Mutter sie ihrem Sohnemann zum ersten Schultag gekauft
.
Der Duft von Salami und Leberpastete machte sich in der Kabine breit. Jeder einzelne Doppeldecker war ordentlich in Pergamentpapier eingepackt.
Er hielt ihr die Brotdose hin.
»Magst du auch eins? Es ist auch eins mit Dorschrogen und Remoulade dabei und eins mit … Trockenfeigenaufstrich.«
»Feigenaufstrich? Bist du fünf Jahre alt?«
Bjarne machte eine Schmolllippe.
»Das ist gut für die Verdauung. Meine Mutter …«
Lene wedelte mit der unangezündeten Zigarette.
»Mexikanisches Frühstück. Mexikanisches Abendessen. Ich habe alles, was ich brauche, danke.«
Bjarne mümmelte sein Roggenbrot mit Leberpastete, liebevoll dekoriert mit knackigen Gurkenscheiben.
»Was ist ein mexikanisches Frühstück?«
»Man steht auf, pinkelt und raucht erst mal eine. Das stammt aus Michaels Zeit beim Militär. Im Einsatz hatten sie oft nichts anderes.«
»Ah … ja. Klar.«
»Wohnst du eigentlich immer noch bei deiner Mutter?«
Seine Kiefer bewegten sich langsamer.
»Ähm, ja … doch, tu ich. Und ich weiß genau, was du darüber denkst … Was alle denken. Aber ich kann da nicht einfach weg. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste.«
»Wenn es für euch beide funktioniert, hör auf, dich darum zu scheren, was andere darüber denken. Versprich mir nur, dass du weiter deine jährlichen Ausflüge nach Pattaya mit deinem Cousin machst. Unbefriedigte Triebe sind auf Dauer ungesund. Das hat selbst der heilige Paulus gesagt, und der war ansonsten echt ein steifer Knochen.
«
»Bist du in die Sonntagsschule gegangen, Lene?«
»Nein, aber ich hab die Bibel vier Mal von Anfang bis Ende gelesen.«
Bjarne lächelte beeindruckt.
Dann sah er auf das iPad, und sein Lächeln fror ein.
»Er bewegt sich nicht mehr.«
Lene beugte sich zur Seite.
»Wo?«
Bjarnes Finger zeigte Michaels Position an.
»Ein Fernfahrer-Rastplatz vor einem Ort namens Gårdstänga.«