Donnerstag
Um sieben Uhr brachte Lene ihm die erste Tasse Kaffee.
»Du bist nicht mehr ins Bett gekommen, oder?«
»Nein.«
Michael zeigte ihr einen Zusammenschnitt der Drohnenaufnahmen. Sie setzte sich auf die Ottomane, auf der Michael hin und wieder übernachtete.
»Mein Gott … das ist viel schlimmer und zugleich viel besser als erwartet, oder?«, fragte sie.
Er nippte an dem brühend heißen Kaffee, zündete sich eine Zigarette an.
»Das ist das beste Erpressungsmaterial, das ich je in Händen hatte«, gab er zu. »Pinkie Pixie sei Dank.«
»Wem?«
»Vergiss es.«
»Okay, auch wenn ich mir meinen Teil denke. Wie geht es deinem Bein?«
»Beschissen. Aber es muss halten. Ich muss sie finden.«
»Ehe sie dich findet? Ein weiteres Mal.«
»So was in der Art. «
Lene musterte ihn eingehend und mit einem Ausdruck tiefster Besorgnis. Dann schaute sie in ihren Kaffeebecher.
»Hast du eine Vorstellung, wo du nach ihr suchen musst? Könnte ja sein, dass sie längst das Land verlassen hat.«
»Ich habe eine Idee, ja.«
»Eine Idee?«
»Es kommt durchaus vor, dass ich Ideen habe.«
Sie stand auf und schaute aus dem schmalen Kellerfenster.
»Ich muss mit meinem Fall weitermachen, Michael. Jetzt ist noch die Leiche einer jungen Frau in Schweden dazugekommen. Die schwedischen Kollegen müssen natürlich über die näheren Umstände informiert werden. Und ich muss Charlotte in Kenntnis setzen. Es wäre Selbstmord, das nicht zu tun.«
Michael zeigte an die Decke.
»Auch über Thomas Schmidt?«
»Ja«, sagte sie fest. »Natürlich.«
Er stellte sich neben sie und sah ihr in die Augen.
»Kannst du ihn noch ein oder zwei Tage da raushalten? Er hat nur uns. Und seinen Jungen. Und noch ist er in einem kritischen Zustand.«
Sie zog unglücklich die Schultern hoch.
»Das weiß ich doch auch! Aber … Mein Gott, Michael, bist du sicher, dass du weißt, was du tust?«
»Nein. Du weißt doch, wie das ist, Schatz. An dem Punkt haben wir schon so oft gestanden, alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen.«
»Meistens«, murmelte sie.
»Gib mir eine Alternative, und ich folge ihr gerne. «
Sie hielt einen Finger hoch.
»Einen Tag, Michael, dann war’s das mit meiner Karriere.«
Er nahm sie in den Arm. Sie duftete nach Shampoo und Kaffee.
»Du wirst es nicht bereuen«, sagte er mit dem Gesicht in ihrem Haar.
»Ich bereue es bereits.«
»Wie geht es unserer Prinzessin?«
»Glänzend. Ich fahre sie in fünf Minuten in den Kindergarten. Basim feiert übrigens in seinem Wagen vor unserem Haus ein paar Überstunden ab. Sicherheitshalber.«
Basim Yenni war Lenes Sparringspartner im Boxring, ein hundert Kilo schwerer Schrank von Mann. Die Loyalität des Kriminalkommissars Lene gegenüber war unerschütterlich. Michael fiel spontan niemand anders ein, der besser geeignet war, Ida und Thomas Schmidt zu beschützen. Der Mann war unverwüstlich und gerissen wie ein armenischer Taschendieb.