Vormittag, Wildpark nördlich von Kopenhagen
Marias Kindergartengruppe war im Wildpark Jægersborg. In ein paar Stunden würde der Bus die Kinder wieder nach Hause fahren. In diesem Augenblick waren sie zwischen Bäumen, Büschen, feuchten Moosmulden und Wirtschaftsgebäuden verstreut. Wortfetzen, Gekreische und Lachen flirrten durch die Luft wie Pusteblumenschirme. Die drei Lehrkräfte hatten alle Hände voll zu tun, die zwanzig Kinder nicht aus den Augen zu verlieren.
Maria befand sich mit vier anderen Kindern und einem Fußball auf einer Lichtung. Sie stand im Tor und beschwerte sich lauthals, als Valdemar den Ball am Tor vorbei ins Unterholz verschoss.
»Den finden wir nie wieder, Valde!«
»Gefunden!«
Eine schlanke, dunkelhaarige Frau tauchte mit dem Fußball unterm Arm zwischen den Büschen auf.
Sie lächelte den Kindern freundlich zu. Maria fand die Fremde sehr schön. Die Frau machte ein paar Balltricks, jonglierte den Ball mit roboterartiger Sicherheit zwischen Fuß und Knie hin und her, balancierte ihn auf dem Kopf und sah sie an. Die Kinder schauten ehrfürchtig schweigend zu. Sie tat, als würde sie den Ball fallen lassen, um ihn in allerletzter Sekunde mit der Fußspitze aufzufangen und hoch in die Luft zu schießen. Richtung Sonne und blauem Himmel. Um ihn virtuos wieder aufzufangen, ehe sie ihn mit einem trägen Kick über die Lichtung zurück ins Unterholz schoss. Die Kinder stürmten hinterher.
Maria wollte auch loslaufen, als die Frau neben ihr in die Hocke ging und nach ihrer Hand griff.
Die fremde Frau sah ihr tief in die Augen.
»Du bist Maria, oder?«
Maria erstarrte und sah sie ob dieser Entlarvung mit großen Augen an.
»Bist du doch?«
»Ja.«
»Ich arbeite zusammen mit deiner Mutter bei der Polizei.«
»Echt?«
»Ja, und sie ist eine meiner besten Kolleginnen. Sie hat mir erzählt, wo ich dich finde. Ich soll dich holen, damit wir zu ihr fahren können. Deine Mama hat nämlich einen Unfall gehabt.«
Marias Mundwinkel begannen zu zittern.
»Mama?«
»Ja, es ist nichts wirklich Schlimmes, aber sie musste ins Krankenhaus, und ich finde, wir sollten zu ihr fahren und sie trösten, meinst du nicht?«
Maria nickte stumm. Die Nachricht lähmte sie.
Dann kamen die anderen Kinder auf die Lichtung zurück.
Die Frau lächelte und nahm Marias Hand.
»Komm, wir gehen. «
Sie kamen an einem unbeweglich im hohen Gras liegenden Menschen vorbei. Maria erkannte die Hose und die Schuhe, die ihr Erzieher Sune angehabt hatte.
Die fremde Frau hielt Marias Hand etwas fester.
»Das ist Sune«, flüsterte Maria. »Was ist mit ihm?«
»Bestimmt macht er bei der Wärme nur ein kleines Nickerchen. Lassen wir ihn schlafen, was meinst du? Katzen rollen sich auch zwischendurch zum Schlafen zusammen.«
Maria drehte sich zu Sune um.
»Ich hab einen Hund«, sagte sie. »Der kann Katzen nicht ausstehen. Aber er ist sehr schlau. Ich glaube, er wäre ein sehr guter Astronaut oder so was, aber das findet Papa gar nicht.«
Es fiel ihr schwer, mit den langen Schritten der Frau mitzuhalten. Die Stimmen der anderen Kinder waren nicht mehr zu hören. Sie kamen auf einen Weg, den Maria nicht kannte.
»Ach, das findet er nicht?«
»Nein! Er sagt, dass Skipper noch nicht mal rückwärtsgehen kann, aber das kann er!«
Sara sah sich um. Das Auto parkte hundert Meter entfernt.
»Natürlich kann er das«, sagte sie. »Väter wissen nicht immer alles. Komm, lass uns etwas schneller gehen. Deine Mutter wartet auf dich.«