Jannis
Die weitläufige Hotelanlage sieht genau so aus, wie es die Bilder im Internet versprochen haben.
Schlanke Kokospalmen wiegen sich sanft im Wind, überall blühen exotische Pflanzen. Ihre Vielfalt und Farbenpracht wirkt schier überwältigend, sodass man kaum bemerkt, dass diese Blumenbeete von Menschenhand angelegt worden sind.
Das eingeschossige Gebäude, das von einer überdachten Veranda umgeben ist, beherbergt wohl die Rezeption des Hotels, sonst hätte der Fahrer unserer Limousine nicht direkt davor gehalten. Dienstbeflissen springt dieser aus dem Auto und öffnet mir die hintere Tür.
Ich danke ihm mit einem kurzen Kopfnicken, steige aus und atme die tropisch warme, etwas feuchte und eindeutig nach Meer riechende Luft befreit ein. Als Fuchswandler mag ich den typisch erdigen, harzigen Geruch der deutschen Wälder zwar lieber, aber natürlich kann ich auch die Natur dieser tropischen Insel genießen. Meine Schwester Ronja stößt ein mädchenhaftes Quietschen aus und hüpft geradezu aus dem Auto, ohne darauf zu warten, dass der Fahrer auch ihr die Tür öffnet.
Ich tausche mit Benedikt, ihrem zukünftigen Mann, einen amüsierten Blick. Das ist heute bestimmt schon das hundertste Mal, dass Ronja einen Freudenschrei ausstößt. Sie kann sich über so viele Dinge wie ein kleines Kind freuen. Ob es jetzt die verstellbaren Ledersessel in der ersten Klasse waren, die sie beim Hinflug begeisterten, oder der erste Blick aus dem Fenster des Fliegers auf das Urlaubsparadies, das uns hier erwartet.
Es war keine lange Diskussion darüber nötig, wo Ronja und Benedikt ihre Hochzeit feiern wollen. Wir haben uns fachmännisch beraten lassen und letztendlich die Auswahl auf zwei Orte eingeschränkt: Bali oder Hawaii. Die Hochzeit steht, wie das heutzutage so üblich ist, unter einem Motto: Tropical
Dreams
. Das hat Ronja ausgesucht, die stundenlang mit dem engagierten Hochzeitsplaner zugange war und Einzelheiten festlegte, die sie jedoch sowohl Benedikt als auch mir vorenthalten hat.
»Du sollst auch etwas von dem schönsten Tag in meinem Leben haben, Jannis«, hat sie gesagt und mir dabei verschwörerisch zugezwinkert. »Wenn du schon alles bezahlst, will ich dich wenigstens mit solchen Details verschonen und dir damit eine Freude machen.«
Ziemlich schnell ist die Wahl dann auf Bali gefallen. Ronja ist dabei ihrem Bauchgefühl gefolgt, aber uns Männern war der Ort auch relativ egal. Benedikt will lediglich so rasch wie möglich seine Liebste heiraten und ich ... ja ich bin sowieso nur Trauzeuge und gleichzeitig auch Geldgeber.
Seit unsere Eltern vor knapp sechs Jahren bei dem Autounfall ums Leben kamen, fühle ich mich für Ronja verantwortlich. Wir beide hatten damals eben erst ein Studium begonnen und steckten im ersten Semester. Der Unfall hatte uns zuerst fürchterlich aus der Bahn geworfen, dann jedoch noch fester zusammengeschweißt.
Ich liebe meine kleine Zwillingsschwester genauso abgöttisch wie Benedikt, der seines Zeichens ein Braunbärenwandler ist. Er ist eher von der gutmütigen, gemütlichen Art, die jedoch mit Ronjas sprunghaftem Wesen perfekt zu harmonieren scheint.
Nun ja, ich mag ihn auch sehr gerne, wir Männer haben uns auf Anhieb supergut verstanden. Ich könnte mir auch keinen besseren Ehemann für Ronja wünschen, da er den Boden anzubeten scheint, auf dem sie in ihrer unnachahmlichen, unbeschwerten Art herumzuhüpfen pflegt. Auch jetzt ist sie kaum zu bremsen, mit einem glückseligen Lächeln auf dem Gesicht eilt sie voraus und strebt auf das Gebäude zu, während ich noch dem Fahrer ein kleines Trinkgeld in die Hand drücke und warte, bis sich das herbeieilende Hotelpersonal um unsere
vielen Koffer kümmert.
»Kommt schon!«, ruft Ronja übermütig und hält mitten auf dem Weg an, um die knallroten Blüten irgendeiner Pflanze zu bewundern. »Oh, guck mal, Jannis, sind die schön!«, juchzt sie begeistert.
Benedikt schlägt mir freundschaftlich auf die Schulter, wobei ich fast in die Knie gehe, und eilt seiner Braut hinterher.
Ich atme nochmals tief durch und folge den beiden. So einfach es ist, Ronja glücklich zu machen, so befriedigend ist das auch für mich.
Nie wieder möchte ich sie derart verzweifelt und traurig sehen wie nach dem Tod unserer Eltern. Dafür ist mir jedes Mittel recht und alles Geld der Welt egal.
Nicht, dass das Geld hierbei wirklich eine Rolle spielen würde. Davon habe ich genug, um sorgenfrei bis ans Ende meiner Tage im Luxus schwelgen zu können. Ich hatte das verdammte Glück, eine Erfindung zu machen, die unser Leben veränderte.
Noch während meines Studiums der Biochemie war es mir gelungen, ein plastikfreies Material zu entwickeln, das nicht nur enorm kratzfest und fast unzerstörbar ist, sondern auch die Eigenschaften aufweist, die ein Handydisplay heute haben muss. Das Material reagiert als Touchscreen einwandfrei auf alle Berührungen.
Mein Patent hatte ich zunächst den großen Firmen angeboten, die jedoch erwartungsgemäß wenig Interesse daran zeigten, etwas in Handys einzubauen, das nicht kaputtgehen kann. Das würde schließlich die Anzahl der Verkäufe senken. Dagegen haben sie mir etliche Millionen angeboten, um die Erfindung in irgendeiner Schublade verschwinden zu lassen.
Ich wollte allerdings schon immer meinen Teil zu einer besseren Welt und zur Schonung der Umwelt beitragen, weshalb ich kurzerhand meine eigene Firma gegründet habe, die JoRoMatrix
GmbH
. Mittlerweile ist es eine AG, an der Ronja
und ich nach wie vor die Mehrheit der Aktien halten.
Mit nur knapp 25 Jahren war ich plötzlich Jungunternehmer und Chef eines sehr erfolgreichen, aufstrebenden Fertigungsbetriebes. Und damit begannen die Schwierigkeiten.
Die Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit entwickelte sich zu einem unerwarteten Problem. Plötzlich unfassbar reich zu sein ist schön, aber diese Berühmtheit, die ich quasi über Nacht erlangte, zusammen mit den unzähligen Speichelleckern und Bittstellern vor der eigenen Haustür – das hat sowohl mich als auch Ronja dazu bewegt, uns vor allen anderen zu verstecken.
Mittlerweile führt Wilhelm Kanzler, ein kompetenter und seriöser Freund unseres verstorbenen Vaters, die Firma. Ronja und ich haben uns, so gut es geht, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Selbst unsere Namen habe ich ändern lassen. Aus Johannes Berger wurde daher Jannis Hiller.
Meine Freunde haben mich sowieso immer Jannis gerufen, aber selbst heute muss ich noch aufpassen, nicht aus Versehen mit meinem richtigen Namen zu unterschreiben.
Nun, es hat funktioniert – seitdem führe ich in München ein ruhiges, beschauliches Leben und kann wieder ganz normal ins Kino oder zum Einkaufen in einen Supermarkt gehen, ohne verfolgt zu werden. Außerdem kann ich mich ungestört meinem neuesten Hobby widmen: dem Schreiben. Irgendetwas muss ich schließlich mit meinem Leben anfangen, sonst würde mir langweilig werden.
Meine kleine Aktentasche mit dem Laptop trage ich daher selbst, und betrete nun zusammen mit Ronja und Benedikt den Empfangsbereich des Hotels. Überall wuseln Angestellte in bunten Gewändern geschäftig umher, alle haben ein freundliches Lächeln auf ihren typisch indonesischen, breiten Gesichtern mit den flachen Nasen.
Während ich unsere Anmeldung erledige, verabschieden sich Ronja und Ben von mir, um ihren Bungalow zu beziehen, bevor wir später zum Abendessen wieder zusammentreffen wollen. Bis dahin müsste auch die restliche Verwandtschaft sowie ein paar wenige, ausgesuchte Freunde von uns eintreffen, die an der Hochzeit teilnehmen.
»Lass dich nicht klauen, großer Bruder!«, ruft Ronja mir noch zu und lacht fröhlich.
Ich schnaube abwertend. Warum meint ausgerechnet meine kleine Schwester immer, auf mich achtgeben zu müssen?
Felix
»Ja doch ... ja, ich bin auf Bali gelandet ... nein, ich habe noch keine Fotos von ihm machen können ... ja, ich melde mich, sobald ich was habe. Auf Wiederhören!«
Ich bin froh, dass mein Boss mein genervtes Augenrollen nicht sehen kann.
Mann, ich bin eben erst hier angekommen.
Was erwartet der denn?
Keinem Reporter ist es gelungen, in den letzten Jahren ein Bild von Johannes Berger zu machen, geschweige denn, ein Interview zu bekommen. Tatsächlich existiert nur ein offizielles Foto von ihm, das aus seinem Abiturjahrbuch stammt und einen unscheinbaren, pickeligen Jungen mit Streberfrisur und Pollunder zeigt.
Und jetzt soll ich, so mir nix, dir nix, eine Reportage abliefern? Nein, das geht nicht ohne gründliche Vorbereitung. Und ich bin gründlich.
Als Luchswandler wurde mir Sorgfalt und Genauigkeit nicht nur quasi in die Wiege gelegt, ich bin auch von einer einmal aufgenommenen Spur nicht abzubringen, bis ich mein Ziel erreicht habe.
Wochenlang habe ich recherchiert, bin jedem Hinweis nachgegangen und habe etliche Informationen über den Mann ausgegraben, der vor drei Jahren einfach von der Bildfläche verschwunden ist. Eine Tatsache, die mein Reporterherz höher schlagen lässt. Es wäre die Sensation des Jahres, der Welt den Mann zu präsentieren, der sich hinter JoRoMatrix
verbirgt. Einer Firma, die den Weltmarkt in Windeseile erobert hat und zu den führenden Herstellern dieser Branche zählt.
In Gedanken nehme ich schon den Pulitzer-Preis für meine Story entgegen – und muss augenblicklich über mich schmunzeln.
Nein, preisverdächtig sind solche Artikel in der Boulevardpresse nicht, aber enorm einträglich. Mit nur einem einzigen, halbwegs anständigen Foto kann ich Unsummen verdienen.
Es war nicht leicht, irgendetwas über den Mann auszugraben, und nur meiner verdammten Hartnäckigkeit und einer gehörigen Portion Glück habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt hier auf dieser tropischen Insel stehe und meinem Triumph schon zum Greifen nahe bin.
Schnell winke ich mir ein Taxi heran und gebe dem Fahrer die Adresse des Hotels, die ich mühsam herausgefunden habe.
Eine Freundin, die wiederum eine alte Bekannte der verstorbenen Mutter von Berger kennt, hat mir den entscheidenden Tipp gegeben, dass eine Hochzeit bevorsteht.
Relativ problemlos war es, den Münchner Hochzeitsplaner zu finden, der die Feierlichkeiten organisiert.
In München gibt es nur eine Topadresse für solche Events und das ist Kai Koschwitz. Unmöglich war es jedoch, von dem verschwiegenen Mann irgendwelche Informationen zu bekommen, selbst meine Bestechungsversuche gingen ins Leere.
Okay, das hat mich nicht gewundert, garantiert war er vertraglich verpflichtet worden, Stillschweigen zu bewahren.
Ich kam also diesmal nicht drum herum, mir durch einen Einbruch in sein Büro unerlaubt Zugriff auf die Kundenliste zu verschaffen.
Das ist illegal und höchst verwerflich, das weiß ich auch. Aber manchmal heiligt der Zweck die Mittel und ich war noch nie besonders zimperlich. Der Erfolg kommt schließlich nicht von allein, man muss hart dafür arbeiten und manchmal auch die Grenzen des Legalen überschreiten. So lange keine Personen dabei verletzt werden, ist mir das auch ziemlich egal.
Das Taxi hält nun vor dem Haupthaus einer Hotelanlage, die unaufdringlich, aber dennoch unübersehbar den Luxus der gehobenen Preisklasse zur Schau trägt. Aufmerksam sehe ich mich um. Hm, gefällt mir. Edel, aber nicht übermäßig protzig. Berger scheint Geschmack zu haben. Oder seine Schwester, wer weiß das schon.
An der Rezeption versuche ich, den jungen Angestellten in ein Gespräch zu verwickeln, während ich unendlich langsam die Anmeldeformulare studiere.
»Es ist so schön, endlich hier zu sein, das Hotel ist ja bezaubernd! Und so gepflegt! Sind denn meine Bekannten hier schon eingetroffen? Die Hochzeitsgesellschaft aus Deutschland?«
Der Rezeptionist sieht mich jedoch nur an, hebt bedauernd die Schultern und lächelt still vor sich hin. Hat er mich nicht verstanden? Spricht er kein Englisch? Oder weiß er wirklich nicht, von wem ich rede?
Der Zufall kommt mir jedoch erneut zu Hilfe. Das Telefon klingelt, der Angestellte geht ran und ich spitze meine Ohren, während ich so tue, als würde ich mich noch immer mit den Anmeldeformularen beschäftigen.
Aus dem Hörer quäkt eine aufgeregte, nicht unbedingt leise Stimme und informiert den Hotelangestellten darüber, dass Pfarrer Johnson nicht kommen kann.
Der arme Mann hat einen Schlaganfall erlitten. Ich kann sehen, wie der indonesische Rezeptionist die Farbe wechselt und trotz seiner braunen Hautfarbe blass wird.
»Oh, das ist eine Katastrophe!«, stöhnt er auf Englisch in den Hörer. Ich muss ein zufriedenes Grinsen unterdrücken. Also kann der Gute mich doch verstehen.
»Gibt es Probleme?«, frage ich freundlich, nachdem er aufgelegt hat.
Der Mann hebt jedoch erneut lediglich die Schultern.
»Vielleicht kann ich behilflich sein?«, schlage ich ihm spontan vor.
»Ich glaube nicht. Mein Chef wird rasen vor Wut. Ausgerechnet jetzt fällt der Pfarrer aus, der hier immer die Trauungen durchführt.« Hastig schlägt sich der Rezeptionist die Hand vor den Mund, offenbar ist ihm eben aufgefallen, dass er in seiner Verzweiflung etwas ausgeplaudert hat.
»Na, so ein Zufall! Ich bin zugelassener Friedensrichter und darf überall auf der Welt Eheschließungen vollziehen«, lüge ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich kann förmlich sehen, wie sich ein Hoffnungsfunke auf dem Gesicht des jungen Mannes ausbreitet. »Haben Sie Ihre Akkreditierung dabei? Und wären Sie eventuell bereit, für Pfarrer Johnson einzuspringen?«
»Ja, das mache ich gerne«, sage ich zu. Irgendwelche Papiere zu fälschen, die mich in den Stand eines Friedensrichters heben, ist für mich eine Kleinigkeit. »Ich bringe Ihnen gleich eine Kopie meiner Akkreditierung«, verspreche ich und schiebe dem Mann die ausgefüllten Formulare entgegen. »Aber sagen Sie mir: Wo finde ich das Brautpaar? Ich muss mich vorher natürlich noch mit ihnen bekannt machen.«
Wenige Minuten später betrete ich zufrieden den luxuriösen Bungalow, der eigentlich für Pfarrer Johnson vorgesehen war und den mir der Hotelangestellte in seinem freudigen Übereifer,
eine Lösung für sein Problem gefunden zu haben, förmlich aufgedrängt hat.
Das ist doch viel besser gelaufen als erwartet.
Jannis
Die Terrassentüren meines Bungalows führen direkt zu einem breiten, menschenleeren Sandstrand, der die malerische Bucht säumt. Ringsum sind hohe, bewaldete Bergflanken zu sehen, die einem das Gefühl vermitteln, von der Außenwelt völlig abgeschottet zu sein.
Ich schiebe die Glastüren weit auf und lasse den frischen Wind herein, obwohl dadurch die schwüle, feuchte Luft die angenehme Kühle der Klimaanlage verdrängt. Mit einem leisen Ächzen lasse ich mich auf der kleinen Veranda in einen gepolsterten Korbsessel fallen, den überdimensionalen Begrüßungscocktail halte ich dabei noch immer in der Hand.
Die Aussicht ist grandios, ich könnte stundenlang hier sitzen und den kleinen Wellen zusehen, die stetig gegen den Strand rollen und dort sanft auslaufen. Bestimmt ist dieser Ausblick noch viel schöner, wenn die Sonne untergeht und der Himmel sich rot verfärbt.
Ungewollt seufze ich.
Oh ja, im Herzen bin ich ein fürchterlicher Romantiker.
Ein Sonnenuntergang auf einer tropischen Insel, einen fruchtigen Cocktail in der Hand – da fehlt mir eigentlich nur der Mann in meinem Leben, mit dem ich das genießen kann. Egal ob Mensch oder Wandler, Hauptsache jemand, der das hier mit mir teilt.
Mein Rückzug aus der Öffentlichkeit hat mich in ein selbstgewähltes, einsames Exil gesperrt, das ist mir durchaus klar. Dadurch ist es mir kaum möglich, Bekanntschaften zu schließen, seit meiner Teenagerzeit war ich nicht mehr richtig verliebt. Meine vorsichtige, misstrauische Art schreckt darüber
hinaus viele ab.
Ein wenig fehlt mir das schon, dieses Flattern der Schmetterlingsflügel im Magen, die Aufgeregtheit des ersten Verliebtseins, die überkochenden Gefühle ...
Das ist wohl der Preis, den ich für meine Anonymität zahlen muss. Mehr als schnellen, unpersönlichen Sex in irgendwelchen einschlägigen Clubs habe ich bislang nicht erlebt.
Umso schöner war es für mich, meine kleine Schwester förmlich aufblühen zu sehen, als sie sich in Ben verliebt hat.
Sie war schon immer ein fröhliches, aufgeschlossenes Fuchsmädchen und ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, ihr einen Teil dieser Unbeschwertheit nehmen und sie andauernd bremsen zu müssen. Aber wir müssen einfach vorsichtig sein, mit wem wir uns einlassen. Und so habe ich auch Ben einem diskreten Sicherheitscheck unterzogen, den er aber glücklicherweise mit Bravour bestanden hat.
Ben kommt aus einer angesehenen Familie, hat vor Kurzem sein Jurastudium beendet und angefangen, als Rechtsanwalt in der Kanzlei seines Vaters zu arbeiten. Verschwiegenheit gehört zu seinem Beruf und ich vertraue ihm mittlerweile bedingungslos.
Eine bunte Broschüre fällt mir ins Auge, die auf dem Beistelltisch neben meinem Sessel bereitliegt. Ich stelle den Cocktail weg und blättere sie flüchtig durch. Es ist eine Beschreibung der Hotelanlage und eine Information, wo hier alles zu finden ist.
Einiges davon ist mir schon aus dem Internetauftritt des Hotels bekannt, aber jetzt entdecke ich sogar einen großzügigen Saunabereich.
Echt jetzt – bei dieser schwülen Hitze gehen Menschen auch noch in die Sauna?
Ich lache belustigt.
Na ja, warum eigentlich nicht? Die haben hier sogar
ein türkisches Dampfbad, eine finnische Trockensauna, ein Floating-Becken und ein römisches Bad. Was auch immer die letzten beiden Alternativen bedeuten mögen, davon habe ich nie zuvor gehört. Zusätzlich werden Massagen aller Art angeboten.
Das klingt wiederum verlockend. Durch den langen Flug sind meine Schultern und der Nacken ziemlich verspannt, eine Massage wäre jetzt also genau das Richtige.
Kurzentschlossen präge ich mir den Weg zu diesem Wellnessbereich ein, erhebe mich von meinem Korbsessel und mache mich auf den Weg.
Bis zum Abendessen mit Ronja und Benedikt habe ich schließlich noch jede Menge Zeit.
Felix
Der Eingangsbereich der türkischen Dampfsauna ist wirklich sehenswert, da hat das Prospekt, das ich im Bungalow gefunden habe, wirklich nicht zu viel versprochen.
Die verschiedenfarbigen, vorwiegend blauen, grünen und goldenen Fliesen sind in wunderschönen Ornamenten und Mosaiken angeordnet und geben dem Raum den passenden orientalischen Look. Erwartungsgemäß ist kein Mensch hier.
Wer ist auch schon so bekloppt, bei diesem Wetter ein Dampfbad aufzusuchen? Außer man steht darauf, so wie ich. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mich in einer solchen Umgebung zu entspannen. Ich genieße den angenehmen Nebeneffekt meines Jobs, der mich hin und wieder auch in solche Luxus-Herbergen führt. Schließlich kann man nur hier die Reichen und Schönen antreffen und ein paar Fotos von ihnen ergattern.
Ich lasse meine Klamotten in einer der dafür vorgesehenen Nischen zurück und schlinge mir ein Handtuch um die Hüften. Die nächste Tür führt in den eigentlichen Saunabereich,
einen recht großen, bunt gekachelten Raum, der von dicken Nebelschwaden durchzogen ist.
Oh, ich bin doch nicht allein.
Ein junger Mann ist bereits hier, der sich mit geschlossenen Augen auf einer der gekachelten Bänke niedergelassen hat. Auch er trägt lediglich ein weißes Hotelhandtuch um die Hüften.
Gewohnheitsmäßig checke ich ihn ab.
Gutaussehender Typ, gefällt mir. Sein kastanienbraunes, dichtes Haar ist feucht und steht in alle Richtungen ab, als hätte er es beim Zurückstreichen total verwuschelt.
Ansehnliche Arm- und Schultermuskeln, ein flacher Bauch und lange, schlanke Beine, die nicht so recht zum muskulösen Oberkörper passen wollen.
Als mein Blick an seinen wohlgeformten Schenkeln hängen bleibt, regt sich unvermittelt etwas bei mir. Mein Mund ist trotz der nebelfeuchten Luft plötzlich staubtrocken, mein Schwanz zuckt und füllt sich beständig.
Scheiße, ich stehe hier und schmachte den Kerl an.
So nötig habe ich es schon. Gut, das letzte Mal, dass ich Sex hatte, ist auch verdammt lange her. Etwa drei Wochen. Ein schneller Quickie auf dem Herrenklo in irgendeiner Kneipe. Ich kann mich weder an den Namen des Lokals noch an das Gesicht des Mannes erinnern, den ich gefickt habe. Das ist auch nicht wichtig.
Aber irgendetwas sagt mir, dass ich ein gewaltiges Problem habe, wenn dieser Kerl hier die Augen aufmacht.
In diesem Moment öffnet der Schönling tatsächlich seine Augen – und ich halte perplex die Luft an. Sie sind hellbraun, viel heller, als ich je zuvor welche gesehen habe. Ein seltsamer Farbton, der mich an Bernstein erinnert und mich reflexartig nach meiner Kamera greifen lassen will, um diesen Moment einzufangen. Um den Augenblick für immer festzuhalten und ihn in Pixel, Bits und Bytes zu bannen. Natürlich habe ich meine
Kamera nicht bei mir, was ich sofort aufrichtig bedauere.
Der Mann hebt langsam den Kopf und sieht mich fragend an. Kein Wunder, wahrscheinlich überlegt er, ob ihm ein Irrer oder ein Triebtäter gegenübersteht, so, wie ich ihn anstarre.
»Sorry? Ich denke, hier ist genug Platz. Oder soll ich rücken?«, fragt er mich dann tatsächlich auf Englisch.
»Uhm ... nein, geht schon«, entwischt es mir unbedacht auf Deutsch.
»Ach, Sie sind auch aus Deutschland?«, stellt er sichtlich erfreut fest und lächelt mir offen zu.
Oh ... wow. Dieses Lächeln. Es fährt mir direkt in den Magen, breitet sich warm in mir aus.
Himmel Herrgott noch mal!
Schnell bedecke ich mit einer Hand meine Körpermitte, da ich plötzlich Bedenken habe, dass das Zelt, das sich dort aufbaut, mein kleines Handtuch sprengen könnte.
Ich kann als Antwort lediglich nicken. Echt klasse, mir hat’s noch nie derart die Sprache verschlagen. Und das ausgerechnet mir, einem Journalisten. Jetzt rutscht der Typ auch noch einladend zur Seite und deutet auf die Bank.
»Sie können. Ich wollte sowieso unter die Dusche gehen.«
Schlimmer als das, was seine tiefe, warme Stimme bei mir anrichtet, ist das neckische Grinsen, das jetzt sein Gesicht erhellt.
Und warum habe ich plötzlich vor Augen, wie er unter der Dusche seinen Körper einschäumt und dabei mit den Händen langsam über seine Brust fährt, tiefer gleitet, und ...?
»Da wollte ich auch hin«, höre ich mich herausquetschen.
Wie bitte? Auf der Stelle würde ich mir am liebsten selbst eine reinhauen. Subtiler geht’s ja wohl mal wieder nicht.
»Na dann – auch dort ist bestimmt genug Platz für uns beide«, entgegnet der Typ lässig und zwinkert mir auffordernd zu.
Ich trete unwillkürlich einen Schritt zurück, als er plötzlich
aufsteht. Wie gebannt verfolge ich seine flüssige Bewegung, bevor mein Blick von seinen unfassbar schönen Beinen in Richtung seiner Körpermitte wandert.
Täusche ich mich oder beult sich dort ebenfalls etwas aus?
Bevor ich das in dem nebeligen Raum eindeutig erkennen kann, ist der Kerl schon an mir vorbei, löst dabei das Handtuch und wirft es sich einfach über die Schulter. Gibt mir damit den ungehinderten Blick auf seinen wirklich tollen Arsch frei.
Schlagartig werden meine Knie so weich, dass ich befürchte, keinen Schritt mehr geradeaus laufen, geschweige denn, ihm folgen zu können.
Jannis
Was tue ich da bloß?
Niemals zuvor bin ich derart forsch gewesen und habe einen Kerl so offensiv angebaggert. Aber hallo – der Mann ist wirklich eine Augenweide. Ein Stück größer als ich, kurze, dunkelblonde Haare, ein männliches, etwas kantig und streng wirkendes Gesicht. Klasse Körperbau, viele Muskeln an den richtigen Stellen, ein flacher Bauch und eine behaarte Brust. Ich habe diesem Schönheitswahn, jedem Härchen hinterherzujagen und es zu eliminieren, nie etwas abgewinnen können.
Seine wachen Augen haben jede meiner Bewegungen verfolgt, was mir einen heftigen Schauer verpasste, der mir den Rücken hinabgerieselt ist.
Vielleicht fühle ich mich hier, in einem fremden Land, wo mich keiner kennt, derart sicher, dass ich meine eigenen, goldenen Regeln breche. Ohne Vorbehalte, ohne irgendeinen dämlichen Sicherheitscheck grabe ich ganz bewusst diesen Mann an – und sehe erregt, wie er sofort darauf anspringt.
Klar, es schmeichelt meinem Ego, dass ich es noch immer drauf habe, einen Mann zum Sabbern zu bringen. Wobei, ich fürchte,
bei uns Männern gehört nicht viel dazu. Man(n) muss nur das gegenseitige Einverständnis signalisieren, der Rest ergibt sich von selbst. Ist halt nur Sex. Nichts, was das Herz berührt.
Mit diesem Wissen gehe ich in die angrenzenden Duschen voraus, in denen gottlob um diese Uhrzeit ebenfalls nichts los ist. Ohne mich umzudrehen, stelle ich das Wasser an und prüfe kurz die Temperatur, bevor ich unter den weichen Wasserstrahl trete. Ich muss mich nicht umdrehen, um nachzusehen, ob der Typ mir gefolgt ist – das erwartungsfrohe Kribbeln in meinem Nacken gibt mir diese Gewissheit.
Trotzdem stöhne ich überrascht auf, als seine großen Hände sich von hinten auf meine Brust legen und unerwartet sanft und zärtlich darüberstreichen. Ich schließe die Augen, gebe mich ganz dem sinnlichen Gefühl dieser streichelnden Hände hin, die meinen Oberkörper liebkosen und die Haut zum Prickeln bringen.
Allerdings erstarre ich schlagartig, als mir trotz des laufenden Wassers der Hauch eines Duftes in die Nase steigt.
Der Kerl ist ein Wandler!
Der herbe Bestandteil seines Geruchs verrät mir, dass er ein Luchs sein muss. Keine Frage, er muss mich als Fuchs erkannt haben, was allerdings kein Hindernis für ihn zu sein scheint.
Seine Lippen hauchen zarte, kaum spürbare Küsse auf meine Schulter, er drängt sich an meinen Hintern. Mein Hirn fühlt sich an, als wäre es in Watte gebettet, ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Nun gut, dann ist er halt ein Luchs. Warum auch nicht? Ob Mensch oder Wandler, das ist in dieser Situation wohl vollkommen egal.
Wir atmen beide abgehackt, der gekachelte Raum begleitet unser unterdrücktes Stöhnen mit einem deutlichen Nachhall.
Seine Hand wandert tiefer, findet meinen Schwanz, streicht fast andächtig darüber, bevor er ihn härter umfasst und langsam reibt. Ich schmiege meinen Steifen fest in diese Hand, begleite
ihr Tun mit sanften Stößen, halte die Augen geschlossen und stütze mich mit beiden Armen an der Wand vor mir ab. Wie von selbst schiebt sich mein Hintern ihm dabei entgegen und ich fühle, wie er sich stärker an mich presst.
Der Druck wird unvermittelt weniger und ich merke, wie der Kerl von mir abrückt. Erstaunt drehe ich mich zu ihm um.
Hat er nun doch plötzlich irgendwelche Skrupel wegen eines kleinen Quickies?
Unsere Blicke treffen sich, für ein paar Sekunden bin ich wie gebannt von diesem Ausdruck in seinen Augen. Von dem sinnlichen Begehren, von dem Verlangen, das sie ausstrahlen und das allein mir gilt.
Wie von einem unsichtbaren Magnet angezogen treten wir aufeinander zu, nähern uns, bis wir uns zunächst zögerlich, dann immer gieriger küssen.
Felix
Sein Geschmack, der anregende Geruch, der von seiner feuchten Haut aufsteigt, vernebeln meine Sinne.
Trotz dieses Rauschs, in dem mich der junge Fuchswandler vom ersten Augenblick an versetzt hat, zögere ich plötzlich.
Ich verstehe mich selbst nicht. Was zur Hölle hält mich davon ab, ihm jetzt und hier, auf der Stelle, das zu geben, wonach er so offensichtlich verlangt?
Wieder küssen wir uns, ich kann gar nicht genug davon bekommen. Seltsam, bislang habe ich immer auf Küsse verzichtet, mochte das gegenseitige Ansabbern nicht wirklich. Aber jetzt will mein Mund ständig mit seinem verschmelzen, ihn erkunden und ihm so nahe sein, wie nur irgend möglich. Etwas derart Aufregendes, Intimes habe ich bislang niemals mit einem anderen Mann geteilt – und jetzt passiert das ausgerechnet mit einem mir völlig Fremden. Einem kleinen Rotfuchs.
Aber er ist echt heiß, er geht auf alle meine Berührungen ein, gibt sich mir vollkommen unbefangen und ohne Vorbehalte hin. Das erregt mich wie nichts anderes jemals zuvor.
Begehrlich tasten meine Hände über seinen hammergeilen Körper, ich will ihn studieren, ihn kennenlernen. Er windet sich und zuckt unter meinen Fingern spürbar zusammen, wenn ich empfindliche Bereiche erkunde. Dabei kann ich so etwas wie Überraschung in seinen Augen sehen, was mir sagt, dass er das keinesfalls von mir erwartet hat. Aber ich reagiere auf ihn anders, als je bei einem anderen Mann zuvor, ich kann es mir nicht erklären. Außer, dass dieser Typ viel zu schade für eine schnelle Nummer ist. Ich möchte ihn genießen wie einen exquisiten Wein, den man kostet, mit Bedacht konsumiert und bei dem man jeden einzelnen Tropfen über die Zunge perlen lässt.
Sein Erstaunen, seine Lust, seine unverfälschte Begierde.
Sein Erschauern, sein Beben, sein tiefes Stöhnen – das alles zeigt mir, dass ich es richtig mache.
Himmel, ich könnte diesen Kerl sicherlich stundenlang ficken. Ihm den Verstand aus dem Hirn vögeln, bis zum Verlust der Muttersprache.
Ein reizvoller Gedanke. Dennoch weiß ich genau, dass das lediglich Wunschdenken ist. Leider.
Denn in dem Moment, in dem ich ihn mit einem Griff an seine Schultern dazu bringe, sich wieder umzudrehen, merke ich, dass ich nicht lange durchhalten werde. Ein paar Stöße in seinen herrlichen Knackarsch und es wird vorbei sein. Was allerdings nicht heißt, dass ich es nicht genießen und die Erinnerung daran bewahren werde.
Für immer.
Mit einem sinnlichen Lächeln auf dem Gesicht dreht er mir den Kopf zu und streckt mir seinen prachtvollen Hintern entgegen. Ich seufze frustriert auf und schließe kurz die Augen, um mich
zu sammeln.
Wie zur Hölle soll ich das nur aushalten?
Denn wichtiger als meine eigene Erfüllung ist es mir, ihm so viel Lust wie nur irgendwie möglich zu verschaffen.
Das Duschgel aus dem Spender neben uns muss leider das Gleitgel ersetzen, auch wenn es ein wenig brennen mag. Aber es ist nichts anderes greifbar und besser als nichts.
Ich nehme mir viel Zeit, ihn vorzubereiten, ihn mit den Fingern zu dehnen, bevor ich ihn erobere. Das scheint auch dringend nötig zu sein, denn es dauert etliche Minuten, bis seine verkrampfte Haltung nachlässt und sich sein eher schmerzerfülltes Keuchen wieder in lustvolles Stöhnen verwandelt.
Nein, eine Jungfrau scheine ich mir nicht geangelt zu haben, aber offenbar ist der kleine Fuchs ganz schön außer Übung. Höchstwahrscheinlich hat er momentan keinen festen Freund. Doch das gibt der Sache erst recht einen Kick, denn irgendwie habe ich das Gefühl, mir wenigstens für heute die Exklusivrechte an diesem Prachthintern gesichert zu haben.
So vorsichtig und umsichtig, wie es mir meine Gier noch gestattet, versenke ich mich Zentimeter für Zentimeter in seinem heißen Inneren.
Unter meinen Händen, die an seinem Oberkörper liegen und ihn stützen, fühle ich, wie er zittert und am ganzen Körper bebt. Die heiße Enge um meinen Schwanz bringt mich fast um. Schon ballt sich das Lustgefühl in mir zusammen, kriecht kribbelnd und elektrisierend meine Wirbelsäule hinab, sammelt sich brennend in meinen Lenden.
Ich atme tief durch, versuche verzweifelt, das hochkochende Gefühl zu unterdrücken. Dabei sinkt mein Kopf auf seine Schulter, ich presse meine Stirn an seine feuchte Haut.
»Ogottogottogott«, ist alles, was ich stammelnd hervorbringen kann.
Jannis
Wahnsinn. Das ist einfach ... Wahnsinn.
Zunächst war der Druck fast übermächtig, jetzt merke ich, wie ich mich langsam an seine Größe gewöhne.
Alles in mir schreit danach, dass der Typ sich endlich bewegt, mich hart nimmt und dem drängenden Gefühl in mir Erlösung verschafft. Niemals hätte ich erwartet, dass er so einfühlsam und vorsichtig vorgeht, aber jetzt hält er noch immer inne und brabbelt ein wiederholtes oh Gott
in mein Ohr.
Ja, stimmt, ich kann auch schon fast die Englein singen hören. Aber ich brauche es – und zwar jetzt, auf der Stelle!
Ich verlagere noch einmal mein Gewicht nach vorne, suche einen festen Stand und bewege mich ihm ruckartig entgegen.
Sein Stöhnen klingt fast verzweifelt, dann aber gibt er meinem Drängen nach und ... Halleluja.
Wir scheinen beide ausgehungert zu sein, denn nur wenige Augenblicke, wenige Stöße später merke ich, wie er sich hinter mir verkrampft und offensichtlich kommt. Umgehend greife ich nach meinem Schwanz und helfe mit ein paar pumpenden Bewegungen nach, bis ich ihm über die Klippe folge. Vor meinen Augen tanzen Lichtblitze, als ich mich schubweise auf die Kacheln zu meinen Füßen ergieße.
Noch ein paar Sekunden genieße ich das Hochgefühl, dann gleitet sein Schwanz aus mir heraus. Die matte Trägheit breitet sich auch in meinen Beinen aus und ich muss mich zusammennehmen, nicht kraftlos in die Knie zu gehen und auf die Fliesen zu sinken. Befriedigt schließe ich die Augen, atme tief durch und versuche, mich wieder zu sammeln.
Das Wasser rauscht noch immer auf mich herab, vollkommen erledigt hebe ich die Lider einen Spalt und beobachte, wie die weißen Schlieren meines Spermas im Abfluss verschwinden.
Scheiße, das war echt heftig.
Eigentlich zu kurz, um ein richtiges Vergnügen zu bedeuten, aber für den ersten Druckabbau völlig ausreichend. Also, einer ausgiebigen Wiederholung bin ich ehrlich nicht abgeneigt. Am besten in einem weichen Bett, er über mir oder ich auf ihm ...
Doch als ich mich umdrehe, ist er weg.
Wie vom Erdboden verschluckt.
Nur die Tür, die in den Vorraum führt, schwingt noch leicht in den Angeln.
Die Enttäuschung darüber frisst sich in mein Herz, das sich schmerzhaft zu einem Klumpen zu verformen scheint. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ganz sicher nicht das.
Hey, so schlecht war der Sex nun auch nicht, dass der Typ sich klammheimlich absetzen muss! Das sieht fast aus, als wäre er vor mir geflüchtet.
Ich schnaube ungehalten. Mensch, Jannis, sei nicht so blöd
, schelte ich mich sofort. Das war nur Sex. Sonst nichts. Vollkommen unbedeutend. Zack, bums, rein, raus – fertig. Aber warum fühle ich mich jetzt wie ... sitzengelassen? Als hätte ich einen Korb bekommen.
Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit, den Luchswandler nochmals zu treffen? Diese Hotelanlage ist ja nicht so groß, als dass man sich nicht über den Weg laufen könnte. Sofort breitet sich wieder so etwas wie Hoffnung in mir aus, denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich den Mann nicht zum letzten Mal getroffen habe.
Schnell beende ich meine Dusche, ziehe mich wieder an und schlendere zurück zu meinem Bungalow. Die Stille dort ist jedoch alles andere als wohltuend, da meine Gedanken ständig um das Erlebte kreisen und ich anfange, ernsthaft darüber nachzugrübeln, was ich falsch gemacht haben könnte.
Fast erleichtert bemerke ich bei einem Blick auf die Uhr, dass es Zeit ist, mich für das Abendessen mit Ronja und Benedikt umzuziehen. Bestimmt ist es besser, mich durch meine kleine
Schwester auf andere Gedanken bringen zu lassen.
Felix
Es ist alles für meinen großen Coup vorbereitet.
Nachdem ich gestern Abend recht überstürzt aus dem Wellnessbereich geflüchtet bin und den süßen, heißen Fuchs schweren Herzens zurückgelassen habe, ließ ich mir von einem Angestellten den Weg zu dem kleinen Pavillon am Strand zeigen, in dem die Trauungen abgehalten werden.
Es fällt mir echt schwer, mich wieder auf meinen Job zu konzentrieren, aber es muss sein. So geil das erotische Zwischenspiel auch war, so gerne ich es wiederholen würde, ich darf nicht vergessen, warum ich überhaupt hier bin.
Vielleicht ergibt sich nach der Erledigung meines Auftrags eine Gelegenheit, den Kleinen nochmal zu treffen und näher kennenzulernen.
Grundgütiger, ich bin hin und weg von dem Fuchswandler.
Es ist, als würde die Chemie zwischen uns stimmen, als wären wir schon ewig miteinander bekannt. Jedenfalls haben sich fürchterlich viele Details unseres Zusammenseins in mein Gedächtnis gebrannt, wie auf eine Festplatte gespeichert, und rücken immer wieder in mein Bewusstsein, sobald ich nur die Augen schließe.
Seine warme, feuchte Haut unter meinen Fingern, sein leises, erotisches Stöhnen, seine festen Lippen ... fuck, ich fange schon wieder an, vor mich hinzuträumen. Und das am helllichten Tag.
Schnell richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den vorbereiteten Ort des Geschehens und lasse nochmals kontrollierend meinen Blick schweifen.
Der Strand bietet wirklich eine tolle Kulisse für eine Heirat, das muss ich zugeben. Der weiße Sand betont das Grün und Braun des Urwalds, der die Berghänge der Bucht säumt. Das Wasser ist türkisblau, zum Strand hin kristallklar und sieht
einfach traumhaft aus. Die vorwiegend weißen und roten Blüten der perfekt platzierten exotischen Sträucher und Blumen setzen dezente Farbtupfer in die Landschaft.
Der schlichte, aus rotlackierten Hölzern zusammengefügte Pavillon, der an einen indonesischen Tempel erinnert, bildet das I-Tüpfelchen. Das werden bestimmt hervorragende Fotos.
Vor meinem geistigen Auge erscheinen auch schon die großen Lettern der Schlagzeile, die meinen reißerischen Artikel an den Mann, beziehungsweise an die Leserschaft der Klatschblätter bringen soll: »Like a Dream – vom Münchener Studenten zum Multimillionär
«. Der erste Teil ähnelt sogar dem Motto dieser Hochzeit, das sich die Braut ausgesucht hat.
Die letzte Nacht habe ich damit verbracht, mehrere kleine Kameras um diesen Pavillon herum anzubringen, so dass sie selbst einem aufmerksamen Betrachter nicht auffallen werden, und die die Hochzeit aus verschiedenen Blickwinkeln aufnehmen.
Per Fernbedienung kann ich sie auslösen oder auch so einstellen, dass sie automatisch alle fünf Sekunden ein Bild schießen.
Ich habe schnell herausgefunden, dass Berger seine Schwester zum Altar führen wird, wo ich ihn schon erwarten werde. Daher liegt der Fokus der meisten Kameras auf dem Gang zwischen den Stühlen für die Gäste, den er dabei entlang gehen wird, und auf dem Pavillon, wo sich das Brautpaar in seiner Anwesenheit meinen Segen abholen will.
Am heutigen Vormittag habe ich Braut und Bräutigam an der Bar getroffen, mich mit ihnen bekannt gemacht und die kleine Berger vorsichtig über ihren Bruder ausgequetscht. Zu meiner Überraschung ist sie ebenfalls eine Füchsin, ihr Zukünftiger ist dagegen ein stattlicher, aber eher ruhiger und zurückhaltender Braunbär. Gehört mein süßer Quickie etwa zur Hochzeitsgesellschaft?
Leider hat sich Ronja Berger ziemlich bedeckt gehalten. Letztendlich hat sie mir nur Dinge aus ihrem Leben erzählt, die sowieso allgemein bekannt sind. Sie und ihr zukünftiger Ehemann sind mir äußerst sympathisch, was mir jedoch keine Sekunde lang ein schlechtes Gewissen beschert, die beiden so zu hintergehen.
Wahrscheinlich bin ich dafür einfach zu abgebrüht. Dennoch war ich erleichtert, als die Kleine mir erzählte, dass die eigentliche, standesamtliche Trauung demnächst in Deutschland stattfinden wird.
Daher brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dass dieses Schauspiel hier, mit mir als angeblichen Friedensrichter, den beiden die rechtliche Anerkennung ihrer Ehe versauen würde.
Mensch, ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, wie der geniale Erfinder der MuTs
, der stoßfesten und kratzsicheren Multifunctional-Touchscreens, heute aussieht. Denn obwohl ich den ganzen Tag die Umgebung und auch das Brautpaar unauffällig im Auge behalten habe, konnte ich Johannes Berger nirgends entdecken.
Langsam strömen nun die Hochzeitsgäste herbei und suchen, aufgeregt plappernd, ihren Platz in den beiden Stuhlreihen. Viele von ihnen lächeln mir unvoreingenommen und offen zu, während ich mit gespielt feierlicher Miene vor dem Blumenarrangement stehe, das wohl einen Altar andeuten oder ersetzen soll, den Bräutigam bereits an meiner Seite.
Entgegen seiner zuvor gezeigten Ruhe und Besonnenheit zappelt dieser ziemlich nervös herum und wartet spürbar aufgeregt auf seine Braut.
Unauffällig greife ich in die Hosentasche und löse die Fernbedienung der Kameras ein paarmal aus, um die ersten Bilder von der Hochzeitsgesellschaft aufzunehmen.
Es sind überraschend wenig Gäste, genau 14 Leute. Keiner davon ist mir bekannt, niemand von ihnen gehört direkt
zum illustren Kreis der Münchener Schickeria. Ein paar ältere Leutchen scheinen irgendwelche Onkel, Tanten oder auch die Eltern des Bräutigams zu sein, nur ein junges Paar ist dabei, bei dem es sich um Freunde des Brautpaares handeln könnte.
Alle Männer tragen einheitlich weiße, der landestypischen Tracht nachempfundene Leinenhosen und locker darüber fallende, ebenfalls weiße Hemden. Auch ich habe eine solche Kluft gestellt bekommen und bin dankbar, bei dieser Affenhitze nicht in Schlips und Kragen hier stehen zu müssen.
Die Frauen sind in bunte, luftige indonesische Gewänder gekleidet, was die ganze Sache abrundet, die Damen gleichzeitig aber auch wie Glanzpunkte an der Seite ihrer Männer erscheinen lassen.
Insgesamt wirkt alles sehr stimmig, und wäre ich ein romantisch veranlagter Mensch, würde ich bestimmt noch Jahre später mit einem tiefen, versonnenen Seufzer an diese Hochzeit zurückdenken.
Ein dicker, älterer Mann mit Halbglatze macht von dem ganzen Tamtam ein paar Fotos, die hinterher wohl im Familienalbum landen sollen. Ich rümpfe abfällig die Nase. Haben die Bergers nicht einmal einen professionellen Fotografen engagiert? Mit der kleinen Digi-Cam, die aus einem Baumarkt stammen könnte, werden das sicherlich keine guten Bilder, die einem solchen Event gerecht werden.
Das Streich-Quartett, das seitlich Platz genommen hat, setzt nun zu einem langsamen, gefühlvollen Stück an. Ich straffe mich augenblicklich und sehe gespannt den beiden Personen entgegen, die aus dem nahe gelegenen Bungalow treten und gemessenen Schrittes auf uns zukommen.
Für die Braut habe ich nur einen flüchtigen Blick übrig, auch wenn sie in ihrem weißen, perlenbestickten Kleid und den hochgesteckten Haaren bezaubernd aussieht ... aber mir fällt vor Überraschung fast alles aus dem Gesicht, als ich
Johannes Berger erblicke. Den Mann, den ich gestern Abend ohne Klamotten und unter ganz anderen Bedingungen bereits kennengelernt habe.
Er
ist es!
Es besteht kaum noch Ähnlichkeit mit dem pickeligen Jungen auf dem Abi-Foto, kein Wunder, dass ich ihn gestern nicht sofort erkannt habe. Mechanisch greife ich erneut in die Hosentasche und drücke den Knopf der Fernbedienung, der die Kameras ab jetzt automatisch alle paar Sekunden ein Foto schießen lässt.
Im gleichen Moment zuckt Berger zusammen, bleibt dann abrupt stehen. Unsere Blicke treffen sich und ich kann sehen, wie er blass wird. Wie in Zeitrafferaufnahme spiegelt sein Gesicht innerhalb von Sekunden die unterschiedlichsten Emotionen wider: Erkennen, Erstaunen, Verwirrung, Schock, Wut.
Letzteres verstehe ich zwar nicht, aber er beißt eindeutig die Zähne zusammen und funkelt mich zornig an.
Ahnt er etwas? Weiß er vielleicht sogar, wer ich bin? Wird er jetzt die Trauung sofort abbrechen?
Doch da zupft seine Schwester an seinem Hemdsärmel, er fährt erneut zusammen und erwacht scheinbar aus seiner Starre. Gemeinsam setzen die beiden ihren Weg zum Altar fort. Dabei lässt Berger mich keine Sekunde aus den Augen.
Seinen Gesichtsausdruck, mit dem er die Hand seiner Schwester an den Bräutigam übergibt, ohne den Blick von mir zu nehmen, kann ich nicht wirklich deuten. Dann erst küsst er die Braut liebevoll auf die Wange und tritt zwei Schritte zur Seite.
Mit einem Mal fühle ich mich nicht mehr wohl in meiner Haut. Ich schlucke krampfhaft, gleichzeitig wird mir bewusst, dass die Musik verstummt ist und mich die ganze Hochzeitsgesellschaft abwartend ansieht.
Hinterher weiß ich nicht, wie es mir gelungen ist, nach außen hin den Schein zu wahren und die Nummer durchzuziehen.
Ich atme tief ein, bevor ich die letzten, so berühmten Worte ausspreche: »Und hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
Den Ablauf einer solchen Trauung hatte ich zuvor im Internet nachgelesen, auswendig gelernt und sicherheitshalber einen Ausdruck in dem großen Buch versteckt, das ich nun in den Händen halte. Trotzdem fällt es mir unglaublich schwer, dieses Theater aufzuführen. Hoffentlich ist es niemandem aufgefallen, dass ich mehrfach stockte, nach einigen Minuten immer schneller wurde und plötzlich nur noch den Wunsch hatte, so rasch wie möglich von der Bildfläche zu verschwinden.
Die prüfenden Blicke, die mich aus Bergers dunklen Augen treffen, verunsichern mich bis ins Mark. Ich weiß nicht einmal, warum das so ist. Vollkommen untypisch plagen mich plötzlich Gewissensbisse, den Mann so zu hintergehen und der Öffentlichkeit ans Messer zu liefern. Seine Privatsphäre mit Füßen zu treten. Sein Recht auf Schutz seiner Familie vor solchen Aasgeiern, wie ich einer bin, vorsätzlich und mit voller Absicht zu missachten.
Gleichzeitig macht sich tiefes Bedauern in mir breit, dass ich wohl kaum mehr die Chance haben dürfte, diesen jungen Mann richtig kennenzulernen.
Dass ich mich damit zufriedengeben muss, ihm ein einziges Mal so nahe gekommen zu sein, wie zwei Wandler – zumindest rein körperlich – überhaupt zusammenkommen können.
Mühsam reiße ich mich am Riemen, denn ich muss diese Farce unbeschadet überstehen, um in der kommenden Nacht die versteckten Kameras wieder abzubauen.
»Danke für diese wunderschöne Zeremonie«, flüstert die Braut jedenfalls sichtlich ergriffen, als ich mir das Recht herausnehme, ihr als Erster gratulieren zu dürfen. Sie haucht mir einen Kuss
auf die Wange. »Sie sind natürlich herzlich eingeladen, mit uns zu feiern!«
»Uhm ... nein danke«, gebe ich verhalten zurück, wobei sich meine und Bergers Blicke erneut kreuzen. »Ich ... ich bin irgendwie ... müde ... Sie verstehen schon ... die Hitze«, würge ich krampfhaft hervor.
Der grimmige Zug um Bergers Mund, sein deutliches, erleichtert wirkendes Durchatmen, verpassen mir einen erneuten Stich.
Hastig verlasse ich die Hochzeitsgesellschaft und eile zu meinem Bungalow hinüber, um meine Koffer zu packen.
Verdammt, ich will einfach nur noch hier weg!
Jannis
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Der Kerl ist der Pfarrer?
Nachdem ich die erste Überraschung verdaut habe, komme ich mir ziemlich blöd vor. Wie ein Messdiener, an dem sich Hochwürden vergriffen hat. Ich fühle mich jedenfalls verraten, besudelt und in meiner Ehre gekränkt.
Sein Gesichtsausdruck wirkt betroffen. Oh ja, du Penner, genau wegen solcher Pfaffen, wie du einer bist, bin ich schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten. Von der hohen Kanzel herab Liebe und Toleranz predigen, dabei aber allen Homosexuellen jegliche Akzeptanz der Kirche verweigern, als wäre die Liebe zwischen zwei Männern nichts wert? Als würde Gott uns Menschen, die er angeblich geschaffen hat, deshalb weniger lieben?
Diese Priester sind doch alle gleich.
Tun immer so, als wären sie unfehlbar und leben genau die Bedürfnisse, die sie bei anderen anprangern, versteckt und hinter geschlossenen Türen aus.
Wut steigt in mir hoch und ich muss mich schwer
zusammenreißen, um den Kerl nicht vor aller Augen bloßzustellen. Die Einzige, die mich davon abhält, ist Ronja. Ich will ihre Hochzeit nicht versauen, indem ich dem Pfarrer genau hier, vor dem Altar, eine reinhaue. Die größte Lust dazu hätte ich, aber ich beiße die Zähne zusammen und halte irgendwie meine Wut im Zaum.
Zum Glück verabschiedet sich Hochwürden direkt nach der Zeremonie und flüchtet quasi in Richtung der Hotelanlage. Augenblicklich kommt der Wunsch in mir auf, ihm nachzulaufen und ihm heftig meine Meinung zu geigen. Aber nein, das wäre ja noch schöner. Das würde ja so aussehen, als ob mir der kurze Fick etwas bedeutet hätte.
Hat er zu meinem Leidwesen auch. Aber das muss ja niemand wissen.
***
»Du bist so still. Ist alles in Ordnung?«, flüstert mir Ronja während des Banketts ein paar Stunden später zu.
Ich nicke lediglich, zwinge mich dann aber zu einem Lächeln, von dem ich hoffe, dass es nicht ganz so gequält rüberkommt, wie es in mir drin aussieht.
»Jannis, was ist los? Ich kenne dich doch! Seit der Trauung bist du so komisch«, hakt Ronja jedoch unerbittlich nach.
Ich seufze ungehalten. War ja klar. Sie kennt mich einfach zu gut und meint immer, sie müsse mich bemuttern, obwohl ich fünf Minuten älter bin als sie.
»Es ist nichts«, versuche ich, sie zu besänftigen.
Ohne Erfolg, das erkenne ich an dem kritischen Blick und dem leicht spöttischen Zug um ihren Mund.
»Jannis! Jetzt spuck’s schon aus. Oder ich erzähle Tante Mathilde, dass du nur deshalb nicht zu ihrem Geburtstag gekommen bist, weil du ihren Dackel nicht leiden kannst!«
»Das wirst du nicht tun!«, zische ich ungehalten.
Oh Mann, sie weiß nur zu genau, wie Tantchen mich dann in die Mangel nehmen würde! Vorhin schon musste ich mir die neuesten Bilder von dieser kleinen Töle ansehen und Bewunderung heucheln, wobei dieses Mistvieh nichts Besseres zu tun hat, als mir bei jedem Besuch in die Waden zu zwicken.
»Das glaubst auch nur du! Ich mach das jetzt!«, fährt sie mich leise an und macht Anstalten, von ihrem Stuhl aufzustehen.
»Wage es ja nicht!«
Ich greife nach ihrem Arm und halte sie so unauffällig wie möglich zurück. Verdammte Hacke, mit dieser Art von Erpressung hat sie mich schon immer weichgekocht.
»Ich ... ich hatte was mit dem Pfarrer. Gestern, in der Dampfsauna«, murmele ich ergeben und hoffentlich auch so leise, dass es niemand mitbekommt.
Irgendwann hätte ich Ronja sowieso alles anvertraut, denn ich fürchte bereits jetzt, dass das Erlebte nicht spurlos an mir vorüber gegangen ist und ich einfach jemanden zum Reden brauche.
Scheiße, ich bin so ein Weichei, mich von so etwas fertig machen und runterziehen zu lassen.
»Na und?« Ronja zieht fragend die Augenbrauen hoch. »Das ist doch toll! Der sieht ja auch total heiß aus.«
»Ronja – er ist ein Pfarrer!«, versuche ich ihr in Erinnerung zu rufen.
Doch zu meiner Überraschung schüttelt sie den Kopf.
»Nein, ist er nicht. Er sagte, er sei Friedensrichter, um genau zu sein. Also, kein katholischer Priester oder so etwas.«
Augenblicklich fahre ich von meinem Stuhl hoch.
»Ist er nicht? Aber Pfarrer Johnson ...«
»... war kurzfristig ausgefallen. Er hatte einen Schlaganfall«, vollendet Ronja mein Gestammel. »Herr Förster war so freundlich, einzuspringen. Er ist zufällig Friedensrichter, also hat das wunderbar gepasst.«
Ich drehe mich auf der Stelle um und verlasse die Feier.
Wie kann Ronja nur so unvorsichtig sein und von dem geplanten Ablauf der Hochzeit abweichen!
Als wüsste sie nicht genau, in welche Schwierigkeiten uns das bringen kann. Ich muss sofort mit dem Kerl reden! Doch als ich mich an der Rezeption nach der Nummer des Bungalows erkundige, teilt mir der Angestellte dort mit, dass Mr. Förster
bereits ausgecheckt und das Hotel verlassen habe. Diese überstürzte Abreise lässt mich sofort noch misstrauischer werden.
»Wer hat ihn als Friedensrichter für die Hochzeit meiner Schwester engagiert?«, frage ich den Hotelangestellten eisig.
Der junge Mann läuft augenblicklich rot an.
»Sir ... das hat sich so ergeben ... es schien eine perfekte Notlösung zu sein, nachdem Pfarrer Johnson ...«
»Zeigen Sie mir seine Akkreditierung! Sofort!«, blaffe ich den Mann wütend an.
Sichtlich schuldbewusst und zerknirscht sucht mir der Mann das Schriftstück heraus, dabei stammelt er immer wieder irgendwelche Entschuldigungen vor sich hin.
Ich werfe nur einen kurzen Blick darauf. Ob diese Zulassung zum Friedensrichter echt und wer der Kerl tatsächlich ist, muss ich prüfen lassen.
Hastig fotografiere ich das Dokument ab und schicke es umgehend mit einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse über mein Smartphone an Markus Ploch. Den Bärenwandler habe ich als Privatdetektiv schon häufiger mit brisanten Aufträgen betraut. Wenige Sekunden später erreicht mich seine Antwort, obwohl es in München mitten in der Nacht sein muss.
Jannis, in was bist du da hineingeschlittert? Felix Förster ist ein Klatschreporter allererster Güte. Den brauchst du nur googeln, dann weißt du, mit wem du es zu tun hast. Soll ich ihn am Flughafen abpassen?
Ich starre geschockt auf das Display meines Handys. Das darf nicht wahr sein!
Meine Gefühlsachterbahn katapultiert mich umgehend in das nächste tiefe Tal. Ich schließe kurz die Augen, mein Magen scheint sich umzudrehen. Hatte ich eben noch Erleichterung verspürt, dass der Luchswandler tatsächlich kein Priester ist, werde ich per freien Fall in das nächste Höllenloch befördert.
Ein Klatschreporter? Das ist das übelste Pack, das ich kennengelernt habe.
Dass Förster irgendwie Fotos von mir und Ronja gemacht hat, um sie zu verkaufen und einen Artikel über uns zu bringen, steht außer Frage. Mein persönlicher Alptraum scheint Realität geworden zu sein. Wenn es ganz schlimm kommt, bleibt mir nur ein Umzug. Am besten in ein anderes Land. Das wollte ich immer vermeiden, weil ich an München und meiner bayerischen Heimat hänge. Dort sind die wenigen Freunde, die mir überhaupt noch geblieben sind, meine Familie ...
Ich weiß allerdings nur zu genau, was Markus mit am Flughafen abpassen
meint. In eine dunkle Ecke zerren, zusammenschlagen und drohen, Förster irgendwas zu brechen, wenn er mir oder Ronja noch ein einziges Mal zu nahe kommen sollte, geschweige denn, Fotos von uns beiden veröffentlicht. Ich zögere kurz.
Will ich das? Eigentlich nicht. Aber andererseits: Hat es der Kerl denn besser verdient?
Entschlossen schreibe ich ihm ein knappes Ja
als Antwort zurück.
Das genügt.
Damit habe ich Felix Förster, den Luchs, der mich eiskalt betrogen und schamlos hintergangen hat, ans Messer geliefert. Bedrückt stecke ich mein Handy wieder ein.
Ich fühle mich nicht wohl dabei – aber eine andere Lösung fällt mir nicht ein.
Felix
Den ganzen Flug über habe ich kein Auge zugemacht.
Die Speicherkarten der Kameras, auf denen die Bilder der Hochzeit sind, habe ich sicher in meiner Hosentasche verwahrt. Diese kleinen Dinger sind Gold wert, ich würde sie niemals ins Handgepäck oder gar in den Koffer stecken, wo sie verloren gehen könnten. Ihre Kanten und Ecken graben sich durch den Stoff meiner Jeans in mein Bein, sobald ich mich bewege.
Dennoch fahre ich immer wieder mit den Fingerspitzen über meine Hosentasche, um mich zu vergewissern, dass sie noch da sind.
Am Flughafen angekommen trete ich aus dem langen Gang heraus, durch den man die Ankunftshalle erreicht, als mich ein ungutes Gefühl überkommt. Vielleicht ist es meine jahrelange Erfahrung, vielleicht auch mein angeborener Instinkt, aber ich spüre sofort, dass mich jemand beobachtet. Verstohlen sehe ich mich in der Menschenmenge der Urlauber, die mit mir geflogen sind und ihre Freunde oder Familie begrüßen, um. Zwar kann ich nichts Verdächtiges entdecken, aber das merkwürdige Kribbeln in meiner Magengegend will einfach nicht nachlassen.
Kurzentschlossen gehe ich nicht zum Gepäckband hinüber, auf dem schon die Koffer meines Fluges in die Halle rollen, sondern wende mich so unauffällig wie möglich einem kleinen Seitengang zu, der direkt hinaus zum Taxistand führt.
Scheiß auf meinen Koffer oder auf meinen Wagen, den ich im teuren Flughafen-Parkhaus abgestellt habe – meinem Instinkt, der mir zuschreit, dass hier irgendetwas faul ist, konnte ich schon immer vertrauen. Meine Sachen kann ich auch später noch abholen.
Im Laufschritt erreiche ich die Schlange der wartenden Taxis, nehme jedoch nicht das Erste in der Reihe, sondern eines in der Mitte, das von einem jungen Mann gefahren wird.
»In die Wielandstraße. Und bitte schnell und ohne irgendwelche Umwege, ich hab es eilig«, weise ich den Fahrer an, der auch unverzüglich losfährt.
Keine Sekunde zu früh, denn ein breitschultriger Hüne in Jeans und dunklem Mantel stürmt in diesem Moment aus dem Flughafengebäude – und schaut mir direkt in die Augen, bevor er aus meinem Blickfeld verschwindet.
Verdammt, hab ich’s doch gewusst!
Durch den dichten Münchener Verkehr ist es mir kaum möglich, festzustellen, ob ich verfolgt werde, aber ich habe dem Taxifahrer nicht grundlos die Wielandstraße als Ziel genannt.
In der belebten Geschäftsstraße wird es mir leichter fallen, unbemerkt unterzutauchen.
Außerdem wohnt dort in der Nähe, nur zwei Blocks weiter, Pelle Blomqvist, mein bester Kumpel, bei dem ich unterkommen kann. Zu meiner Wohnung traue ich mich nicht zurück.
In der Wielandstraße lasse ich das Taxi direkt vor einem Elektronikfachgeschäft halten, dessen Inhaber mir ebenfalls gut bekannt ist. Schnell drücke ich den Taxifahrer einen Fünfziger in die Hand, stürme in den Laden, winke dem Chef nur kurz zu und verlasse das Gebäude direkt durch den Notausgang, der in einen Hinterhof führt. Nur eine niedrige Mauer trennt diesen vom dahinterliegenden Nachbargebäude, über das ich wiederum in die nächste Querstraße gelange.
Hektisch sehe ich mich um, aber mir scheint niemand zu folgen. Trotzdem beeile ich mich und lege die letzten Meter zu Pelles Wohnung joggend zurück. Ich schwitze wie ein Schwein, der kurze Sprint hat mich aus der Puste kommen lassen. Verdammt, ich werde alt. Dabei bin ich gerade erst 35 geworden, aber in diesem Augenblick verfluche ich jede Zigarette, die ich in meinem Leben geraucht habe und schwöre, demnächst mal wieder ein Fitnessstudio von innen zu bewundern.
Zum Glück ist Pelle da und öffnet mir, in Unterhosen und etwas
verschlafen, die Tür. Es ist zwar fast Mittagszeit, aber da er als Barkeeper in einem Club arbeitet, wird er wieder mal nicht vor fünf Uhr in der Frühe ins Bett gekommen sein.
»Hey, Pelle!«, begrüße ich ihn atemlos. »Kann ich ...?«
Wortlos gibt mir mein Freund, der aus Schweden stammt und Wolfswandler ist, den Weg frei und lässt mich eintreten. Das schätze ich so an ihm. Er würde nie nachfragen, warum ich ihn vollkommen durchgeschwitzt und außer Atem aus dem Bett werfe.
Pelle fährt sich lediglich durch seine von Natur aus grauen, verstrubbelten Haare und gähnt herzhaft. »Aber nur, wenn du Kaffee kochst«, murmelt er undeutlich und verschwindet in Richtung Badezimmer.
Ich schmunzele verhalten, begebe mich aber sofort wie befohlen in die Küche und setze eine Kanne Kaffee auf. Die Unordnung und das dreckige Geschirr in der Spüle ignoriere ich dabei geflissentlich.
Aus dem Bad höre ich Wasser rauschen und gerade als der Kaffee fertig ist, kommt Pelle angezogen und etwas wacher aussehend in die Küche.
Trotzdem drücke ich ihm stumm eine Tasse in die Hand und warte ab, bis er die ersten Schlucke zu sich genommen hat. Wir sind schon viele Jahre befreundet, haben Höhen und Tiefen des anderen hautnah miterlebt und ich weiß genau, dass ich ihn vor der ersten Tasse nicht zulabern sollte.
Es sei denn, ich hege irgendwelche Selbstmordgedanken.
»Sollte ich darüber Bescheid wissen, was du um diese Zeit hier bei mir willst?«, fragt er jedoch, sobald das starke Gebräu seine Wirkung zu entfalten scheint.
Ich habe diese Frage nicht erwartet, daher brumme ich ein abwehrendes »nicht wirklich« in meinen reisebedingten Zwei-Tage-Bart und lasse mich mit einem tiefen Seufzer auf den nächsten Küchenstuhl plumpsen.
»Kotz dich ruhig aus«, erwidert Pelle lässig. »Was ist es dieses Mal? Ein anhänglicher Lover? Ein wütender Mob, der dich verfolgt und kreuzigen will?«
»Fast«, gebe ich zu und seufze erneut. Vorsichtig hole ich die Speicherkarten aus meiner Hosentasche und lege sie auf den Tisch. »Ich hab die Fotos.«
»Von Johannes Berger?« Pelle stößt einen überraschten Pfiff aus. »Wobei – wen wundert’s. Wenn einer das schafft, an so jemanden heranzukommen, dann ja wohl du. Felix Förster, der Schrecken der Münchener High Society«, spottet er gutmütig.
Ich weiß nicht, ob mir das schmeicheln soll. »Hast du deinen Laptop da? Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mir die Bilder anzusehen.«
Umständlich holt Pelle seinen Laptop hervor, stellt ihn auf den Küchentisch und ich warte ungeduldig, bis das Gerät hochgefahren ist, bevor ich die erste Speicherkarte in den seitlichen Schlitz schiebe.
»Wow. Das sind ja granatenstarke Fotos«, meint Pelle, der mir dabei über die Schulter schaut.
Ich klicke die Bilder rasch durch.
Ja, sie sind wirklich brillant geworden, die Einstellung und der Winkel haben genau gepasst. Plötzlich bleibe ich an einem Foto hängen, meine Hand schwebt wie eingefroren über der Tastatur. Es zeigt Johannes Berger, anscheinend in dem Moment, in dem er mich erblickt hat. Seine Gesichtszüge sind ... ich weiß nicht ... so weich. Gleichzeitig wirkt er so verletzlich. Seine wundervollen, bernsteinfarbenen Augen scheinen genau auf mich gerichtet zu sein.
Mit einem Mal spüre ich eine merkwürdige Sehnsucht, die tief in meinem Inneren wütet, sich brennend in mich hineingräbt und versucht, irgendwelche Gefühle an die Oberfläche zu zerren.
»Nochmal wow. Das ist er?« Pelles Stimme reißt mich aus meinem inneren Chaos heraus und ich zucke zusammen.
»Ja.«
Verflucht, ich klinge total seltsam und räuspere mich verhalten.
»Hm, wenn ich schwul wäre, so wie du, würd ich sagen: verdammt gut aussehender Mann.« Vergnügt haut mir Pelle auf die Schulter. »Dafür wirst du ordentlich abkassieren, Alter!«
Mir entkommt ein abwehrendes Brummen, bevor ich es zurückhalten kann. Augenblicklich hält Pelle inne, dann legt er seine Hand erneut auf meine Schulter und dreht mich ein Stück zu sich herum, mustert mich eindringlich.
»Oh, oh. Diesen Gesichtsausdruck, den du im Moment hast, kenn ich, Felix. Nicht unbedingt von dir, aber von anderen Leuten, mit denen ich zu tun hatte. Also: Was ist passiert?«
Ich antworte nur mit einem leichten Schulterzucken, aber Pelle wäre nicht er, wenn er nicht sofort seine über die Jahre erarbeitete Barkeeper-Psychologie an mir auslassen würde.
»Hm, nach nichts sieht das aber nicht aus. Der Kerl scheint dir eindeutig unter die Haut gegangen zu sein.« Plötzlich kann ich an seinem Gesichtsausdruck förmlich sehen, wie er eins und eins zusammenzählt und zu begreifen beginnt. »Du hast ... ich meine, ihr habt ...?«, fragt er ungewohnt behutsam nach.
»Ja, verdammt!«, gebe ich zähneknirschend zu.
»Und das ist jetzt ein Problem für dich? Den Mann zu vergessen und ihn ins Haifischbecken zu werfen, nachdem er sich jahrelang vor der Presse versteckt hat?«
»Nein!«, wehre ich sofort ab. »Doch, ja. Ist ein Problem«, gebe ich eine Sekunde später zu und vergrabe mein Gesicht in den Händen. »Pelle, ich weiß nicht, was ich machen soll«, nuschele ich ungehalten. »Diese Fotos sind wahrscheinlich um die hunderttausend Euro wert, aber der Schaden, den sie anrichten ... den sie ihm zufügen ...«
Ich breche mitten im Satz ab. Scheiße, ich war noch nie so zimperlich. Aber genau jetzt durchfluten mich Gewissensbisse,
graben sich in mich hinein, schnüren mir die Kehle zu und legen sich wie eine eiserne Fessel um mein Herz.
Pelle legt beide Hände auf meine Schultern und schüttelt mich, als würde sich der Knoten in meinem Hirn dadurch auflösen können.
»Felix, ich weiß nicht, was du tun sollst. Aber folge deinem Herzen, vertrau auf dein Gefühl. Dann wirst du schon die richtige Entscheidung treffen.«
Ich lache rau auf.
»Du bist ein lausiger Gossen-Philosoph, Blomqvist«, versuche ich instinktiv, diese aufkommende, gefühlsduselige Stimmung zu zerstören.
Und damit auch die Idee, die in mir heranreift, im Keim zu ersticken.
»Aber dein bester Freund«, meint Pelle selbstbewusst und grinst mir zu.
»Das stimmt. Ich weiß, wenn ich von einer Brücke springe, springst du hinterher«, versuche ich ziemlich lahm zu scherzen.
»Nein, mein Lieber. Wenn du von einer Brücke springst, stehe ich bereits unten, um dich aufzufangen«, entgegnet Pelle ungewohnt ernst.
Ich schaue verwundert zu ihm hoch. So gefühlsbetont habe ich ihn selten erlebt.
»Ist bei dir alles okay?«, hake ich behutsam nach, doch mein Freund winkt rasch ab, beschäftigt sich intensiv mit seinem verwaschenen T-Shirt und zupft umständlich daran herum, obwohl es wie angegossen sitzt.
»Alles bestens«, weicht er mir aus.
Zwar glaube ich ihm kein Wort, doch ich weiß, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, darüber zu sprechen.
Zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag seufze ich und verpasse Pelle einen harschen Klaps auf seinen Hintern.
»Los, mach, dass du wieder ins Bett kommst. Oder auf die
Couch«, schlage ich ihm vor. »Schließlich musst du heute Abend wieder arbeiten.«
»Und du? Was machst du jetzt?«, fragt er gespannt nach.
Okay, das ist wieder der Pelle, wie ich ihn kenne. Neugierig wie ein altes Waschweib.
»Ich muss noch ein paar Telefonate führen«, sage ich, mehr zu mir selbst, und ziehe mein Handy heraus.
Mal sehen, wer von meinen alten Kontakten Zeit hat, mir zu helfen.
Jannis
Felix Förster ist wie vom Erdboden verschluckt.
Mal wieder.
Nachdem er aus der türkischen Dampfsauna und auch aus dem Hotel verschwunden ist, als hätte er sich in Luft aufgelöst, kann selbst Markus ihn in Deutschland nicht wiederfinden.
Ich befürchte das Schlimmste.
Während Ronja und Ben in die wohlverdienten Flitterwochen aufbrechen, habe ich bereits alles Notwendige vorbereitet. Unter anderem habe ich Unterlassungserklärungen durch meine Anwälte aufsetzen lassen, obwohl sie mir geraten haben, das nicht zu tun. Damit würde man wegen der Pressefreiheit wenig erreichen, sondern die hungrige Meute der Journalisten nur weiter anstacheln.
Ich verstehe das nicht. Was zum Teufel ist mit meinen Rechten? Mit meinem Recht am eigenen Bild? Aber gut, ich bin kein Rechtsexperte, daher muss ich auf die vertrauen, die etwas davon verstehen.
Selbst Bens Vater, den ich über das Schlamassel informiert habe, bevor er es durch die Presse erfährt und unvorbereitet mit den Bildern der Hochzeit seines Sohnes konfrontiert wird, hat nur mit den Schultern gezuckt.
»Junge, du hättest dich doch nicht ewig verstecken können. Okay, es ist unschön, dass dadurch auch Ronja und Ben in den Klatschspalten auftauchen – aber das wird ihnen nicht schaden. Ich denke, die beiden können damit besser umgehen, als du es vermutest.«
Seine lässige Art geht mir mittlerweile gehörig auf den Keks. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er gar nicht mal so unglücklich über mein persönliches Amargeddon ist. Warum auch immer. Vielleicht, weil dadurch auch seine Kanzlei mehr Publicity bekommt.
So bin ich vollkommen fertig heute Morgen wieder in München gelandet. Während ich sonst immer ein anheimelndes Gefühl verspürte, sobald ich die vertrauten Straßen mit den alten Stadtvillen entlanggelaufen bin, drehe ich mich jetzt immer wieder um, um festzustellen, ob mir jemand folgt.
Himmel, so weit ist es schon gekommen!
Am liebsten würde ich mich in meiner Wohnung vergraben, meinem persönlichen Zufluchtsort – aber ich muss schließlich auch etwas essen. Mein Kühlschrank ist leer, also bleibt mir nichts anderes übrig, als im Supermarkt um die Ecke etwas einzukaufen.
Das Haus, in dem ich wohne, habe ich vor etlichen Jahren gekauft, es kernsaniert und die unteren Wohnungen vermietet. Die oberste Etage der Stadtvilla mit den hohen, stuckverzierten Decken habe ich dabei für mich hergerichtet, ganz nach meinem Geschmack.
Hell, freundlich, aber ohne großen Schnickschnack. An der Haustür gibt es nicht einmal eine Klingel mit meinem Namen darauf. Wenn ich Besuch erwarte, kündigt sich dieser vorher bei mir an und Ronja hat sowieso einen Schlüssel.
Selbst die Hausbewohner, meine Mieter, wissen nicht, wer ich bin. Für sie bin ich einfach der junge Typ, der oben wohnt. Die alte Frau Fischer aus dem Erdgeschoss lächelt mir daher
auch völlig unvoreingenommen zu, als wir uns an der Haustüre begegnen.
Ich bedanke mich höflich, dass sie mir die Tür aufhält, bis ich mit meiner schweren Einkaufstasche hindurch bin, würge aber ihren Versuch, mich mit irgendeinem Gespräch über das Wetter festzunageln, sofort ab.
Soll sie mich doch für unfreundlich halten, das ist mir egal. In Gedanken versunken steige ich die Stufen zum Dachgeschoss hinauf, als ich plötzlich Schritte hinter mir höre.
Ich drehe mich um, den Schlüssel für meine Wohnungstür schon in der Hand – und sehe mich unvermittelt Felix Förster gegenüber.
Blitzschnell überschlagen sich meine Gedanken.
Fliehen?
Die Polizei rufen?
Ihm meine Einkaufstasche um die Ohren hauen, damit ich einen Vorsprung habe?
Doch nichts von alldem mache ich wirklich. Ich verharre nur wie festgenagelt auf dem Treppenabsatz und starre den Mann an, der ein paar Treppenstufen unter mir stehengeblieben ist und mich irgendwie merkwürdig betrachtet.
»Jannis, bitte, können wir reden?«
Seine Stimme klingt weich, fast flehend. Ich schlucke krampfhaft. Die Art, wie er meinen Namen ausgesprochen hat, wie er mich nun ansieht, fährt mir mitten in mein geschundenes Herz.
Der Kerl hat dich verraten und verkauft
, flüstert mir meine innere Stimme dennoch eindringlich zu.
»Warum? Was willst du hier? Hast du nicht schon alles, was du wolltest? Oder brauchst du noch ein Interview? Damit sich die Fotos noch besser verkaufen lassen?«, schleudere ich ihm daher trotzig entgegen.
Dabei zittert meine Stimme genau so, wie es in mir drin
aussieht. Verdammte Scheiße, der Kerl bringt mich schon wieder heillos durcheinander.
»Nein. Ich bin hier, um dir das hier zu geben.«
Er greift langsam in die Tasche, die über seiner Schulter hängt, und zieht einen dicken Bildband daraus hervor. Mit dem Cover nach oben hält er ihn mir entgegen und wartet ruhig ab, bis ich meinen Blick von seinen Augen lösen kann, um den Titel zu lesen.
Tropical Dream
, steht dort als Titel in einer wundervoll geschwungenen Schrift. Über einem Foto mit einem malerischen Sandstrand. An einer Bucht. Der
Bucht. Auf Bali. Wo die Hochzeit stattfand.
Wo ...
Mein Gehirn ist plötzlich nicht in der Lage, das alles zu verarbeiten. Ich kann ihn lediglich stumm anstarren, mir aber keinen Reim darauf machen, was das bedeuten soll.
Felix atmet sichtbar tief durch, greift in seine Hosentasche und legt einige kleine schwarze Plastikdinger auf den Bildband. Speicherchips. Auffordernd hält er ihn mir über die drei Treppenstufen hinweg entgegen.
»Das sind alle. Alle Bilder. Ich habe aus den schönsten diesen Bildband machen lassen, damit deine Schwester wenigstens ein paar anständige Fotos von ihrer Traumhochzeit hat.«
Er lacht rau, wirkt plötzlich seltsam verwirrt, geradezu unbeholfen. Da ich noch immer nicht reagiere, legt er das Buch einfach auf die Treppenstufe zu meinen Füßen, nickt mir kurz zu und wendet sich ab.
Endlich schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen.
»Felix!« Mein Ruf lässt ihn innehalten, langsam dreht er sich zu mir um.
»Sind das wirklich alle Fotos?«, bringe ich dünn heraus.
Ich kann sehen, wie er schuldbewusst das Gesicht verzieht. Dann schüttelt er resigniert den Kopf.
»Ich hab eines davon behalten. Aber nur für mich, ich schwöre es«, gibt er leise zu.
»Welches?«
Ich stelle die Einkaufstasche ab und gehe ihm eine Stufe entgegen. Er ringt abwehrend die Hände.
»Ich ... ich würde es niemals veröffentlichen, ich schwöre es«, wiederholt er und sieht mich dabei unglücklich an.
Bei allem, was mir heilig ist: Ich glaube ihm sogar, dabei habe ich keine Ahnung, woher ich diese Gewissheit plötzlich nehme.
»Zeig es mir«, fordere ich dennoch geradeheraus.
Mit eckigen Bewegungen greift er in die Gesäßtasche seiner Jeans, zieht etwas daraus hervor und hält es mir entgegen. Ich greife vorsichtig danach, betrachte es erstaunt.
Es ist ein Foto von mir, wie ich es vermutet habe. Tränen steigen mir in die Augen, meine Knie geben unter mir nach und ich sinke kraftlos auf die Treppenstufe.
Es zeigt mich in dem Moment, in dem ich mit Ronja zum Pavillon gelaufen bin. Mein Gesicht spiegelt einwandfrei erkennbar meine erste Reaktion auf Felix wider, als ich ihn plötzlich dort an Bens Seite stehen sah. Ich erinnere mich nur zu deutlich, was ich in diesem Augenblick gefühlt habe, gibt doch auch meine Miene dies schonungslos und offen preis.
Grenzenlose Enttäuschung. Ich sehe aus, als wäre meine Welt in diesem Moment zerbrochen, nein, eher in tausend Stücke zersprungen.
»Warum ausgerechnet dieses Bild?«, höre ich mich tonlos sagen.
Ich begreife es nicht, aber ich will es unbedingt verstehen.
Am Rande bemerke ich, dass Felix eine weitere Stufe zu mir hinaufsteigt. Plötzlich legen sich seine Hände warm um mein Gesicht, heben es zu ihm an.
»So wollte ich dich in Erinnerung behalten«, stößt er hervor. »So und nicht anders. Von mir enttäuscht. Damit ich nicht
vergesse ...«
Er bricht mitten im Satz ab, lässt mich abrupt los und hastet die Treppe hinunter.
»Felix«, rufe ich erneut, eher verzweifelt.
Durch die eisernen Stäbe des Treppengeländers hindurch sehe ich, dass er anhält, aber er dreht sich nicht zu mir um.
Ich nehme all meinen Mut zusammen.
»Hast du ... Lust auf eine Tasse Kaffee? Ich meine ... ich denke, wir sollten reden«, stammele ich hilflos.
Mensch, ich war noch nie so durcheinander. Einerseits wie vor den Kopf geschlagen, andererseits schreit etwas in mir auf, diesen Mann nicht einfach so gehen zu lassen. Wer weiß, ob ich jetzt völlig unzurechnungsfähig bin – aber ich vertraue ihm. Ich möchte es jedenfalls. Irgendwie muss ich herausfinden, ob er mein auch Vertrauen verdient.
Der Blick, den er mir nun von unten zuwirft, zeigt deutlich seine Überraschung. Dann lächelt er. Ein Lächeln, das mich völlig unvorbereitet trifft und sich warm in mir ausbreitet. Unbewusst erwidere ich es.
Langsam steigt Felix die Treppenstufen wieder hinauf, bis er genau vor mir stehen bleibt und mir seine Hand entgegenstreckt.
»Es wäre schön, einfach von vorne anfangen zu können«, sagt er leise. »Hallo, ich bin Felix Förster. Selbständiger Journalist, aber derzeit privat unterwegs. Also, richtig privat. Privater geht’s nicht. Ohne Kamera, ohne Diktiergerät.«
Ich grinse unwillkürlich. Sein Humor, der gerade durchblitzt, gefällt mir.
Hey, wir hatten schon Sex, aber vielleicht ist es wirklich angebracht, unser richtiges Kennenlernen so zu gestalten, wie es allgemein üblich und gesellschaftlich korrekt ist.
Lässig schlage ich in seine Hand ein und lasse ich mich von ihm auf die Füße ziehen.
»Jannis Berger. Anteilseigner der JoRoMatrix
, aber das ist unwichtig. Tatsächlich bin ich Schriftsteller, auch wenn ich noch nichts veröffentlicht habe. Wie trinkst du deinen Kaffee? Schwarz, wie deine Reporterseele?«
Ich zwinkere ihm fröhlich zu und stelle erleichtert fest, dass er ebenfalls grinst.
»Nein, mit Milch und Zucker. Ich mag’s gerne süß und klebrig«, raunt er mir ins Ohr, was mir eine heftige Gänsehaut beschert.
So viel zu dem Thema, wir lernen uns erst einmal kennen.
Ich fürchte, das wird ziemlich schnell gehen.
ENDE