7. Kapitel

Niemals hätte Eva mit dem Anruf gerechnet, den sie am vergangenen Abend von Angela erhalten hatte. Ihre Schwägerin machte mit.

Und Eva konnte es kaum erwarten, mit den Vorbereitungen zu beginnen.

Aber zuerst – Kaffee.

Sie betrachtete die Starbucks-Karte und bestellte einen Pumpkin Spice Latte, da das Wetter diese Woche zum Glück unter die Zwanzig-Grad-Marke gefallen war. Nachdem sie ihr Getränk geholt hatte, ging Eva zu dem Tisch in der hinteren Ecke des kleinen Cafés, an dem ihre Schwägerin und Marc bereits saßen und sich unterhielten.

Die Stimme von Norah Jones drang aus unsichtbaren Lautsprechern über ihren Köpfen und wetteiferte mit dem Geräusch von Kaffeemühlen und Mixern hinter dem Tresen. Der Duft von gemahlenen Kaffeebohnen beruhigte sie ein wenig. Wenn Eva aufgeregt war, konnte sie sich bei anstehenden Aufgaben nur schwer auf die Details konzentrieren. Zum Glück hatten Marc und Angela beide Organisationstalent, was man an den Notizbüchern und Stiften sehen konnte, die beide an diesem Morgen mitgebracht hatten.

Sie setzte sich neben Marc, der bereits eifrig Notizen machte. Obwohl es ein Samstag war, trug er ein schwarzes Polohemd und eine dunkelblaue Jeans – nicht Jogginghose und T-Shirt, wie Brent es getan hätte, wenn er nicht im Büro war.

»Seid ihr so weit?« Er trank einen Schluck aus seinem Becher.

»Lass mich raten. Heiße Schokolade?« Der Mann war besessen von diesem Zeug, egal zu welcher Jahreszeit.

»Hundert Punkte.«

Sie lachte. »Ich bin so weit, aber bist du sicher, dass ich dir nicht erst noch was Richtiges zu trinken holen soll?« Marc aufzuziehen, fühlte sich gut an. Ihre Zeit auf dem Bauernmarkt am letzten Wochenende hatte Wunder gewirkt, um das Gefühl der Verlegenheit zu mindern, das sich immer eingestellt hatte, wenn sie ohne Brent zusammen waren.

»Nur, wenn es so toll schmeckt wie das hier.«

»Die meisten Erwachsenen finden, dass das auf Kaffee zutrifft.« Eva war selbst keine große Kaffeetrinkerin gewesen, bis Brent sie ermutigt hatte, seine kubanische Lieblingsröstung zu probieren – und da war es um sie geschehen gewesen. Gemeinsam waren sie zu Kaffeekennern geworden, hatten die neueste und beste Espressomaschine und eine French Press gekauft und eine Vielzahl lokaler Röstungen ausprobiert, bis sie ihre Lieblingssorten gefunden hatten.

Angela räusperte sich. »Ich habe Kylee gesagt, dass ich in etwa einer Stunde wieder da bin, damit sie mit ihrer Mannschaft laufen gehen kann.«

»Dann legen wir am besten los.« Marc tippte mit dem Stift auf sein Notizbuch und wandte sich an Eva. »Womit willst du anfangen?« Er war sofort bereit gewesen, allem zuzustimmen und ihre Vision zu übernehmen.

Sie trank einen Schluck von ihrem süßen Getränk und genoss den Geschmack der Gewürze auf ihrer Zunge. »Ich hatte gehofft, jemand mit Organisationstalent könnte die Besprechung leiten.«

Marc musterte sie einen Moment und nickte dann. »Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Ziele für diese Veranstaltung von vornherein festlegen. Was will jede und jeder von uns und wie können wir einander helfen, es zu erreichen? Außerdem sollten wir über mögliche Befürchtungen sprechen, die wir haben, oder Schwierigkeiten, die wir vorhersehen. Und zu guter Letzt müssen wir über Ausrüstung, Trainingsstrategien und unseren Zeitplan reden.«

Sie hatte es doch gleich gewusst, dass er die Sache in die Hand nehmen sollte.

»Fang du an, Eva.«

»Ich weiß nur, dass ich in den Flieger nach Neuseeland steigen und mir für Brent das Herz aus dem Leib rennen werde.« Sie zupfte an der braunen Papphülle um ihren Becher. »Der Rest ist mir egal.«

Angela schnaubte. Als Eva ihr einen giftigen Blick zuwarf, riss ihre Schwägerin die Augen auf. »Oh, du meinst das ernst.«

»Na ja, schon. Ich weiß, dass es bestimmt viel zu planen gibt, aber ich habe nur meine Ziele genannt. So wie Marc es wollte.« Sie betonte diese letzten Worte. Angela hielt sie vielleicht für eine dumme Gans, aber sie betrachtete einfach das große Ganze. Brent und sie waren beide so gewesen, hatten einander immer zu neuen Höhenflügen angestachelt. »Größer, höher, weiter.« Das war ihr Motto gewesen. »Jedenfalls bin ich flexibel, was die Einzelheiten betrifft.«

»Sieht so aus.« Angela schob sich die schulterlangen blonden Haare aus dem Gesicht und umklammerte ihr Notizbuch mit beiden Händen, während sie überflog, was sie aufgeschrieben hatte. »Mein Ziel ist es, einfach nur durchzuhalten. Ich schlage vor, dass wir gehen, weil ich nicht glaube, dass es realistisch ist, die ganze Strecke zu laufen. Und ich will nicht, dass wir hinterher enttäuscht sind.«

»Aber meinst du nicht, die Jungs wären gelaufen?«

Angela quittierte Evas Frage damit, dass sie die Lippen spitzte, bevor sie alle Emotionen aus ihrem Gesicht verbannte. »Vielleicht, aber sie sind ja auch schon einige Marathons gelaufen – na ja, für Wes wäre es der erste gewesen, aber Brent hat mit dir zusammen doch schon an einigen teilgenommen, oder, Marc?« Als Marc nickte, fuhr sie fort. »Ich konnte noch nicht ausführlich recherchieren, wie viel Zeit wir jede Woche für das Training einplanen müssen, aber ich will nicht, dass diese Sache mein ganzes Leben bestimmt.«

»Aber –«

»Tut mir leid, Eva. Hast du nicht gesagt, dass man die Strecke auch gehen kann?«

Das stimmte, aber sie hatte versucht, Angela dazu zu bringen, dass sie überhaupt mitmachte. Sie war sich sicher gewesen, dass Angela es richtig machen wollte, sobald sie sich erst einmal dafür entschieden hatte. Trotzdem war es nicht fair von Eva, das Gehen als Möglichkeit vorzuschlagen und dann später darüber zu meckern. »Du hast recht. Wenn wir die ganze Strecke gehen müssen, okay. Aber vielleicht können wir dennoch versuchen, einen Teil davon zu laufen.«

»Was auch immer wir machen, wir müssen zusammenbleiben, Mädels. Und das meine ich durchaus wörtlich. Da wir ein Team sind, dürfen wir während des ganzen Rennens nicht mehr als dreißig Meter auseinander sein. Wie wäre es, wenn wir abwarten, wie das Training läuft? Klingt das nach einer fairen Lösung?« Der arme Marc spielte Schiedsrichter. Das sollte eigentlich nicht seine Rolle sein.

»Natürlich.« Eva zwang sich, heiter zu klingen. Gute Miene zu bösem Spiel. Sie musste positiv bleiben – sonst würden sie die nächsten sechs Monate nicht überleben. Sie wollte Angela keinen Grund geben, vorher auszusteigen.

Jetzt ergriff Marc wieder das Wort. »Ich kann mich um unsere Ausrüstung kümmern, wenn ihr wollt. Ich habe mal nachgesehen, was wir brauchen, und die oberste Priorität sind unsere Rucksäcke. Ohne Rucksack zu laufen, ist natürlich einfacher, vor allem im Vergleich zu einem vollgepackten, deshalb sollten wir so viel wie möglich mit Gepäck trainieren.«

Eva und Angela nickten und er sah wieder in seine Notizen. »Bevor wir über die Einzelheiten unseres Trainingsplans reden, sollten wir besprechen, wie wir das mit den Spenden machen. Streng genommen müssen wir keine Sponsoren haben – das ist keine Voraussetzung –, aber ich fände es toll, wenn wir wenigstens ein paar Tausend Dollar für die Herzstiftung in Manhattan sammeln könnten.«

»Brent wollte eine Million sammeln.« Eva beugte sich vor und hätte in ihrem Eifer beinahe ihr Getränk umgestoßen. »Ich würde sagen, dann machen wir das auch.«

Angela biss in ihren Muffin und spülte den Bissen mit einem Schluck Kaffee hinunter. »Und wie sollen wir das deiner Meinung nach bewerkstelligen?«

Aha! Das war das einzige Detail, über das Eva sich an diesem Morgen erfolgreich Gedanken gemacht hatte. »Nachdem ich Tina Landry angerufen und die restliche Gebühr bezahlt habe, haben Kimberly und ich über eine Benefizveranstaltung geredet. Mit Brents Kontakten in Sachen Herzforschung und Kims Kontakten in der Eventbranche glaubt sie, dass wir so was in etwa sechs Wochen auf die Beine stellen können.«

»Im Ernst?« Angelas Tonfall machte ihre Zweifel deutlich.

»Ja, offenbar gibt es in Brooklyn einen richtig guten Veranstaltungsort, der plötzlich am 24. Oktober frei geworden ist – eine ihrer Bräute hat ihren Verlobten dabei ertappt, wie er sie betrogen hat –, und Kim glaubt, dass sie den Besitzer und die meisten oder sogar alle Lieferanten davon überzeugen kann, ihre Dienste an dem Abend kostenlos zur Verfügung zu stellen.«

»Warum sollten sie das tun?«

Marc schaltete sich ein. »Erstens ist das gut fürs Image. Und zweitens vermute ich, dass Kim in diesen Kreisen durchaus Einfluss hat.«

»Oh ja. Sie ist derzeit eine der begehrtesten Hochzeitsplanerinnen in der Stadt. Wenn Dienstleister sich bei ihr beliebt machen können, indem sie ihr einen Gefallen tun, und gleichzeitig in der Öffentlichkeit gut dastehen, weil sie etwas für einen guten Zweck spenden, dann wäre es dumm, es nicht zu tun.« Eva warf Marc einen Blick zu und sah so etwas wie Bewunderung in seinen Augen.

Sie spürte eine plötzliche Wärme in der Magengegend.

Was war das denn?

»Klingt so, als wäre das geregelt.« Angelas Stift trommelte auf das Notizbuch, das vor ihr auf dem Tisch lag. »Gibt es sonst noch was oder können wir jetzt über das Training reden? Wie stellt ihr euch das vor? Das ist wegen der kurzen Zeit und meines Trainingszustands meine größte Sorge. Ich hatte in den letzten Jahren nicht gerade Zeit und Muße, besonders in Form zu bleiben.« Sie zupfte an ihrer Bluse, als säße sie nicht richtig.

Ganz offensichtlich war Angela ein sehr fähiger Mensch und sie machte auf Eva meist einen sehr selbstbewussten Eindruck. Sie war hochgewachsen und stark, mit umwerfenden braunen Augen und Haaren, die im Sommer golden glänzten – kein Grund also für Komplexe. Warum versteckte sie ihren Körper dann in Kleidung, die mindestens eine Größe zu groß für sie war?

Marc notierte etwas in seinem Heft und sah dann zu Angela auf. »Du läufst doch regelmäßig auf dem Laufband, oder?«

»Ja, aber nur zum Stressabbauen. Dabei sehe ich fern und reagiere mich ab, weil ich bei der Arbeit die ganze Zeit sitze.«

»Was würdest du sagen, wie viele Kilometer du im Moment läufst?«

Angela zuckte mit den Schultern. »Normalerweise laufe ich anderthalb Stunden – das sind zwei Folgen im Fernsehen. Vielleicht acht Kilometer?«

»Wenn du das jeden Tag machst, heißt das, du läufst fünfzig bis fünfundfünfzig Kilometer die Woche, was eine gute Ausgangsposition ist, vor allem, wenn wir vorhaben, den größten Teil der Strecke zu gehen. Jetzt kannst du anfangen, Cross-Training zu ergänzen – Wandern, Radfahren, Gewichttraining usw. –, ein paarmal die Woche.«

»Es wird nicht leicht, die Zeit dafür zu finden.« Angela biss sich auf die Unterlippe und schrieb etwas in ihr Notizbuch. »Aber ich werde es schon irgendwie unterbringen.«

Eva war sicher, dass es noch eine Menge Arbeit für sie sein würde. Konnte sie sich allein genügend motivieren? »Ich kann gerne nach der Arbeit rüberkommen und zusammen mit dir trainieren. Mein Terminplan ist ziemlich flexibel.« Sie konnte weniger Stunden in der Herzstiftung arbeiten. Ihre Kolleginnen würden wahrscheinlich eine Party feiern.

»Ja, vielleicht.« Angela sah Marc an. »Also, was ist unser Ziel?«

»Im Idealfall habt ihr zweimal die Woche ergänzendes Training: Zwei Tage, an denen ihr zehn bis zwanzig Kilometer wandert oder joggt, und einen großen Tag, an dem ihr irgendwann dreißig bis sechzig Kilometer lauft oder wandert.«

Angela verschluckte sich an ihrem Kaffee und prustete, sodass das Getränk über den Tisch spritzte.

»Alles in Ordnung?« Eva reichte ihr eine Serviette.

»Ja. Klar.« Die Antwort ihrer Schwägerin war ebenso geprustet wie der Kaffee. Sie sah Eva und Marc nicht an, während sie den Tisch abwischte.

»Ich weiß, dass es beängstigend klingt, aber wir sind sowieso schon im Hintertreffen. Normalerweise wird ein Training über sieben bis acht Monate empfohlen. Wir müssen unsere Ausdauer aufbauen, um uns Tag für Tag, Kilometer für Kilometer zu steigern. Natürlich können wir an dem langen Trainingstag mit kürzeren Entfernungen anfangen und das ausbauen. Fünfzehn Kilometer wären dabei ein guter Anfang und dann erhöhen wir jede Woche um vier oder fünf Kilometer, damit unser Körper Zeit hat, sich daran zu gewöhnen und Kraft aufzubauen.« Er wandte sich an Eva. »Wenn ihr wollt, kann ich einen Kumpel fragen, der auf persönliche Trainings spezialisiert ist. Er kann für jeden von uns einen detaillierten Plan erstellen und vielleicht einmal die Woche mit uns trainieren.«

»Super Idee.«

»Ich kann mir keinen persönlichen Trainer leisten«, sagte Angela.

»Mach dir darüber keine Gedanken, das übernehme ich.« Eva lächelte.

»Ich finde, wir sollten keine unnötigen Kosten verursachen.« Die Stimme ihrer Schwägerin klang angespannt.

Eva wollte keinen Streit, deshalb hielt sie einen frustrierten Seufzer zurück. »Aber wenn er einen Trainingsplan erstellen könnte, wäre das auch schon hilfreich.«

Marcs Blick wanderte zwischen den beiden Frauen hin und her. »Das sehe ich auch so. Ich glaube, das ist ein einfacher Schritt, der dabei helfen wird, unsere Nachteile ein wenig auszugleichen. Schade, dass wir nicht früher nach Neuseeland fliegen können. Das Gelände dort wird nicht komplett flach sein wie hier, deshalb wäre Übung vor Ort ein echter Vorteil.« Dann schnipste er mit den Fingern, als hätte er gerade eine Idee gehabt. »Oh, und noch ein Vorteil … Vielleicht können wir ein paar Wochen vor dem Lauf bei einem Marathon mitmachen. Dann haben wir ein Zwischenziel, für das wir trainieren, und wir können besser einschätzen, wie gut wir schon sind, sodass wir gegebenenfalls das Training noch anpassen können.«

»Super.« Eva klatschte in die Hände.

»Wahrscheinlich keine schlechte Idee …« Mit zusammengepressten Lippen starrte Angela auf ihr Notizbuch.

Ein einziges Wort stand auf der Seite: Wie?

Es war so oft umkringelt, dass es aussah, als hätte ein Edding den Kreis darum gezogen und kein normaler Stift.

Zweifel überkamen Eva, aber sie verdrängte sie. Impulsiv oder nicht, diese Entscheidung fühlte sich tief in ihrem Innern richtig an. Ja, es würde eine Herausforderung sein, aber was war für sie im Moment keine Herausforderung?

Die nächsten Monate würden eine Prüfung in Sachen Geduld und Ausdauer sein. Eva musste zuversichtlich bleiben, damit Angela es auch war.

Aber letzten Endes würde die ganze Angst sich lohnen. Das wusste Eva einfach.