7. Kapitel
Ein klein wenig gemein?
 
B ernadetta schlenderte mit stolzgeschwellter Brust durch den Druckraum. Es war unmöglich früh am Morgen, aber das war sie gewöhnt. Der feine Herr Rossi jedoch nicht. Sie kicherte verächtlich, als sie Andrea einen Wink gab, die Dampfkessel anzuheizen. Sie liebte diesen Auftrag, schließlich machte er es notwendig, die Presse kontinuierlich laufen zu lassen. Zudem mochte sie Poesie, und Handzettel für das Teatro La Fenice zu drucken, war eine einträgliche Sache, schließlich änderten sie ihr Programm des Öfteren, und neben dem Werbematerial druckten sie ebenfalls die Programme.
»Ich überbringe Signor Rossi die Nachricht, dass die Druckplatten zur Freigabe bereit liegen«, frohlockte sie. Dieses Prozedere bereitete ihr besonders viel Vergnügen, schließlich unterbrach sie den werten Herrn damit in hübscher Regelmäßigkeit bei was immer er im oberen Druckzimmer anstellte. Besonders die Beanspruchung seiner Geduld reizte sie dabei.
»Si, Bernardo!« Andrea gab dem Kessel bereits Zunder, wodurch er zu abgelenkt war, um sie zurückzuhalten. Andrea fürchtete sich vor seinem Arbeitgeber, schließlich hatte er sechs Mäuler zu stopfen und war auf seinen Arbeitsplatz in der Stamperia angewiesen.
Bernadetta hüpfte die Stufen hinauf, ließ das Büro und den kleinen Druckraum hinter sich, um zu der Treppe in das höhere Stockwerk zu gelangen. Der feine Herr konnte sich kein Stadthaus leisten und nächtigte in der Kammer unter dem Dach!
Verächtlich schürzte sie die Lippen. Rossi hatte sich übernommen. Einige Fehlaufträge sollten das Vertrauen seiner Kundschaft zunichtemachen und ihn ebenso ruinieren, wie er ihren Vater vernichtet hatte.
Die Vorstellung ließ sie beschwingt auch die letzte Stiege emporkraxeln und gegen die Tür schlagen.
»Signor Rossi!«, rief sie dabei laut, um ihn auch ganz sicher zu wecken. »Signore!« Die fröhliche Stimmung verging ihr schließlich, da er sich einfach nicht regte. Also nahm sie all ihre Kraft zusammen, holte tief Luft und schrie aus Leibeskräften: »Signor Rossi, es brennt!«
Das Fluchen, das nun zu ihr durchdrang, kam nicht von hinter der Tür, sondern von unten. Verblüfft folgte sie den Verunglimpfungen, die in undeutlichem Akzent der Römer ausgestoßen wurden. Einige der Begriffe sagten ihr nichts und dabei war sie bisher der Auffassung gewesen, die italienischen Dialekte hervorragend zu beherrschen. Neugierig lief sie dem Toben entgegen und verharrte erst im Torbogen zum kleinen Druckraum, der auf gleicher Ebene wie das Büro ihres Vaters lag und in dem der unerwünschte Usurpator wütete. Zunächst schien es, als hüpfe er dabei wild herum. Bernadetta erinnerte es an ein Volksmärchen, das vor einiger Zeit bei ihnen für den afrikanischen Markt gedruckt worden war. Rumpelstilzchen. So musste der Zwerg gesprungen sein, kurz bevor er sich entzweigerissen hatte, da die Königin seinen Namen nannte und er deren Kind nicht beanspruchen konnte. Dann jedoch fiel ihr auf, dass er einen Lappen schwang. Neugierig trat sie näher, aber selbst einen Schritt hinter ihm konnte sie kein Ungemach erblicken, das das wundersame Verhalten des Druckereiinhabers rechtfertigte. Es war keine Tinte verschütt gegangen, wie sie vermutet hatte, und das Papier wellte sich auch nicht durch eine andere Flüssigkeit, obwohl sie ein Fläschchen am Rand des Arbeitstisches ausmachen konnte.
»Signore …«
»Was in Junos Namen …«, spie er sie an, als er herumschoss und seinen brennenden Blick auf sie richtete, als wäre es an ihr allein, die Schuld der gesamten Menschheit zu tragen.
Entrüstet straffte sie sich, reckte die Schultern und hob kämpferisch das Kinn.
»Die Druckplatte bedarf der Prüfung.«
Nun erst fiel ihr auf, wie derangiert Rossi wirkte. Sein dunkles Haar hing ihm wirr in die Stirn, der Kragen seines Hemdes stand offen, das Tuch war gelöst worden. Er trug kein Jackett, wie sie es bei ihm gewohnt war, und wenn sie richtig lag, zog sich ein schmaler Streifen Speichel aus seinem Mundwinkel hinunter zu seiner Wange.
Bernadetta trat zurück, um den Blick durch das Zimmer schweifen lassen zu können. Ein Stuhl lag umgeworfen neben dem Drucktisch, Buchstaben waren geschwärzt, Karten bedruckt worden …
All dies ließ nur einen Schluss zu: Der feine Signor Rossi war bei der Arbeit eingenickt!
Sie prustete, schlug sich die Hand vor den Mund und konnte ihr Lachen doch nicht unterdrücken. Zwar wusste sie nicht, warum er herumwedelte, als müsste er ein Malheur biblischen Ausmaßes beseitigen, aber allein diese Aussicht war schlicht zu köstlich.
»Verschwinden Sie«, blaffte er sie an. »Hinunter mit Ihnen, ich bezahle Sie nicht, damit Sie Maulaffen feilhalten!«
»Vielleicht benötigen Sie ein frisches Tuch, Signore? Dieses scheint mir vollgesogen.«
Rossi ließ sich tatsächlich zu einem Blick auf das Tuch in seinen starren Fingern bewegen. Dann kehrten seine kohlenschwarzen Augen zu ihr zurück und bohrten sich mit sichtbaren Mordgelüsten in sie.
»Was herrscht hier für ein Krach?«, maulte er sie an, wobei er sie grob zur Seite stieß, um an ihr vorbeizukommen. Wenn er nun erst den Krach der großen Presse bemerkte, war Bernadettas hämisches Vorhaben, ihm den Schlaf zu rauben, dahin.
Bedauernd seufzend folgte sie ihm auf die Empore.
»Heda!«, schrie er, obwohl er den Krach des Dampfkessels und das Anrollen der Winde sicherlich nicht übertönen konnte. »Was machen Sie da?«
»Der Auftrag für das Teatro La Fenice ist fällig, Signor Rossi. Wir werden in der Lage sein, die Pamphlete und Programmhefte vertragskonform zu übergeben, wenn die Presse beständig in Arbeit ist.« Bernadetta hatte sich zu ihm beugen müssen, damit ihr die Worte nicht direkt von den Lippen gerissen wurden und niemals den Gehörgang des Unholdes vor ihr erreichten. Als sie sich nun zurückziehen wollte, überrumpelte Rossi sie. Er preschte an ihr vorbei, wodurch er sie zur Seite stieß, und trampelte die Stufen hinab, um Andrea anzubrüllen.
Bernadetta rappelte sich auf, um ihm zu folgen, konnte aber nicht verhindern, dass Andrea den Kessel entlüftete und damit das Anlaufen der Presse unterbrach.
»Bei allen Göttern, Sie werden diese Orkusmaschine nicht in Gang setzen, solange ich Ihnen den Auftrag nicht erteile!«
Andrea zog sich sogleich seine Kappe vom Kopf, buckelte und versicherte, dass er die Order vernommen hatte.
Bernadetta knirschte mit den Zähnen. Die Riemen, die die maschinelle Druckereinheit antrieb, verloren bereits an Geschwindigkeit und das Knatschen ließ nach.
»Signor Rossi …«
Der wandte sich erneut mit mörderischem Blick zu ihr um. »Was erlauben Sie sich eigentlich, Bernardo? Ich habe Sie eingestellt, damit Sie die Druckprozesse optimieren und die Maschinen in einwandfreien Zustand setzen!« Bernadetta machte schnell einen Schritt zurück, befürchtete sie doch, dass ihm Geifer aus dem Mund spritzen und in ihrem Gesicht landen könnte.
»Signor Rossi, zudem bin ich für die Abfertigung Ihrer Aufträge verantwortlich.« Und für jeden anderen Handschlag, für den sich der feine Herr zu schade war. Nur die Verantwortung hatte Bernadetta resolut abgelehnt, denn wenn ihr Plan aufgehen sollte, musste Rossi allein die Schuld am Niedergang der Stamperia tragen.
Rossi fletschte die Zähne. Seine Augäpfel waren von roten Adern durchzogen und er muffelte gehörig aus dem Mund. Bernadetta presste die Lippen aufeinander, um den Vorwurf, er habe getrunken, zurückzuhalten. Es passte ihr durchaus in den Kram, wenn er sie bei ihrem Vorhaben unwissentlich unterstützte, indem er sich an den Alkoholika bediente, die dem Inhaber einer Druckerei des Öfteren zugingen, um sich für erfolgreiche Geschäfte zu bedanken.
»Es wäre sträflich, wiese ich Sie nicht darauf hin, dass die Abfertigung des Auftrags für das Teatro La Fenice absolute Priorität haben muss.«
Rossi stierte sie noch immer an. Ein dunkler Schatten lag auf seinen Wangen, was ihn empörend unzureichend gekleidet sein ließ. Ein Mann in seiner Position hatte stets ordentlich zu erscheinen, sprich knitterfrei und sauber rasiert. Dieser Mann war eine Schande für die gesamte Druckereizunft!
»Ist das so?«, stellte er infrage. Seine Augen verengten sich, fokussierten sich und gaben ihm damit etwas seines sonstigen Selbst zurück. Er richtete sich mit geübten Griffen Hemd und Kragen und strich das Haar zurück.
Bernadetta siedete vor Zorn. Nur wenige Sekunden hatten aus einem völlig derangierten Arturo Rossi einen lediglich informal gekleideten Geschäftsmann gemacht. Bernadetta selbst brauchte jeden Morgen eine volle Stunde, um sich herzurichten, wobei sie durch die Hosen bereits einiges an Zeit sparte, und die Pflege von kurzem Haar war ebenfalls weniger zeitaufreibend als ihr vorheriger bodenlang wallender Schopf. Fast hätte sie sich in das nicht mehr vorhandene Arrangement am Hinterkopf gefasst, daraus machte sie einen Wink zur Maschine.
»Dem ist so!«, beschied sie. »Schließlich ist die Stamperia …« Beinahe wäre ihr Bianco herausgerutscht und sie nuschelte an dessen Stelle ein Rossi . »… die einzige Druckerei in der Stadt, die eine solch fortschrittliche Presse ihr Eigen nennt! Sollte der Auftrag – so Gott bewahre – misslingen, wird das Teatro sicherlich auf die zeitaufwendige Druckeinrichtung zurückgreifen müssen, die sie bisher beanspruchten. Bei der Stamperia Canossi!«
Was die größte Konkurrenz zu diesem Geschäft war.
Bernadetta biss die Zähne aufeinander, denn keine Erkenntnis breitete sich in dem dunklen Gesicht ihres verfluchten Arbeitgebers aus. Er verstand nicht, worauf sie hinauswollte.
»Wir werden den Auftrag verlieren und selbstredend auch die Folgeaufträge! Es sind tausend Stück Pamphlete und ebenfalls tausend Exemplare des Theaterprogramms mit fünfzehn Seiten!«
Nun musste Rossi verstehen, was der Fehlschlag ihn kosten würde, dennoch zuckte er die Achseln, als spräche sie nicht von seiner Existenz.
Bernadetta nahm sich zurück. Der Gedanke, dass er sich womöglich von selbst in den Ruin triebe, ohne dass sie auch nur ein Fingerchen rührte, setzte sie matt. Zum ersten Mal, seit sie ihren Vater von den Dachsparren ihres Stadthauses hatte hängen sehen, legte sich so etwas wie absolute innerliche Ruhe auf sie.
War das göttliche Gerechtigkeit?
»Ich sehe keinen Grund, der diesen Lärm mitten in der Nacht rechtfertigt!«, hob Rossi beherrschter hervor, als sie ihn an diesem Morgen erlebt hatte. »Setzen Sie die Maschine zu einer angemessenen Zeit in Bewegung und machen Sie dabei nicht so einen Lärm!« Rossi straffte die Schultern. Er war nur ein kleines Stück größer als Bernadetta, aber wesentlich breiter gebaut. Natürlich kam er nicht an Andrea heran, der Oberarme besaß, die ihrem Leibesumfang entsprachen, aber auch Rossis Körperbau sprach von Stärke.
Er drängte sich erneut an ihr vorbei, wodurch es wieder zu einem unangemessenen Körperkontakt kam. Wie zuvor blieb ihr im ersten Augenblick die Luft weg und sie musste erneut hinter ihrem verhassten Arbeitgeber herhasten.
»Signor Rossi, um die Anzahl der Drucke rechtzeitig abzuschließen, ist eine ununterbrochene Laufzeit der Presse unabdingbar«, rief sie ihm nach. Rossi stockte, auch wenn er sich nicht zu ihr umdrehte.
»Ununterbrochen?«
»So ist es.« Da in seiner Stimme Bernadettas Meinung nach Panik mitschwang, gelangte sie zu ungeahnter Macht. Breit grinsend stemmte sie die Arme in die Hüften. »Es ist ein Sicherungsfenster von drei Stunden vorgesehen für eventuelle Fehldrucke.« Sie zuckte die Achseln, wobei sie sich erneut so leicht fühlte wie zuvor, als sie ihn um die Abnahme der Druckplatte bitten wollte.
Rossi fluchte.
»Ich werde Ihre Berechnungen prüfen«, knurrte er, wobei er einen bissigen Blick zurück warf. Die Fäuste waren geballt und er zog bei ihrem Anblick zusätzlich die Brauen über der Nasenwurzel zusammen. Ein wundervolles Bild, wenn man Bernadetta fragte, schließlich sagte ihr sein Blick, dass sie ihm ein Dorn im Fleische war!
»Selbstredend, Signore. Sollen die Maschinen derweilen stillstehen?«
Sein Kiefer mahlte und ein leichtes Quietschen ließ auf die Kraft schließen, mit der er die Zähne aufeinanderbiss.
»Nein.« Sein Blick wurde noch schneidender. »Beginnen Sie unverzüglich mit dem Druck.«
»Wird gemacht, Chef.« Bernadetta zählte bis zehn. In der Zeit hatte sich Rossi wieder abgewandt und war bis zur Treppe vorgedrungen, dann hielt sie ihn mit dem lauten Ruf seines Namens auf.
Sein Körper erstarrte, sie meinte gar, ein Hochziehen der Schultern ausmachen zu können.
»Was noch?«
»Die Druckplatten, Signore. Sie wurden gesetzt und warten auf Ihre Freigabe.« Bernadetta wippte auf ihren Fußballen hin und her. Dieser Morgen war einer der schönsten seit Wochen und sie wünschte, ihn ins kleinste bisschen auskosten zu können.
»Machen Sie das.« Er setzte sich direkt wieder in Bewegung.
»So leid es mir tut, Signore, aber diese Verantwortung kann ich nicht tragen. Niemand kann das, außer der Inhaber selbst. Bedenken Sie, welch unglaubliche Schädigung der Stamperia widerführe, käme es zu einem Fehler!«
Rossi krümmte sich noch mehr. Einen kostbaren Moment wand er sich in seinem Ungemach, dann schickte er sich in das Unvermeidliche. Er machte kehrt, trat an den Tisch, um die gelegten Seiten zu überfliegen, wobei sich immer tiefere Falten in seine Stirn gruben und er sich mehrfach über die Augen reiben musste.
»Ist die Vorlage korrekt?«, erkundigte sie sich arglos, schließlich wusste Bernadetta es besser. Es gab einige Fehler, die einem ungeübten Auge aber nicht auffallen sollten, denn die Setzung war engbedruckt, mit ausladenden großen Buchstaben und verschnörkelten kleinen, die einen schnell ablenkten und Buchstabendreher übersehen ließ. Zudem hatte sie aus Stamperia Rossi Stümperia Rossi gemacht, da das Logo der Druckerei jedoch in die unterste Ecke gesetzt war und selbst bei ihrem Vater nie Beachtung bekommen hatte, befürchtete sie nicht, aufzufliegen.
»Ja. Drucken Sie.« Dieses Mal war er es, der nach einigen Schritten Bernadetta ansprach. »Signor Bernardo, ich wünsche Ihre Berechnungen und die Vertragskonditionen auf meinem Schreibtisch zu sehen, sobald die Presse läuft. Und schicken Sie jemanden, der mir Frühstück besorgt.«
»Wie Sie wünschen, Signor Rossi!«, flötete sie glücklich, wobei sie die Reihenfolge genau einzuhalten gedachte. Druckpresse anlaufen lassen mit fehlerhafter Vorlage, die sie noch unter Rossis Augen einspannte, dann Vertrag und Berechnungen vorlegen, und wenn sie damit durch waren – Bernadetta rechnete mit der Mittagszeit –, schickte sie jemanden los, um Rossis Frühstück zu besorgen.
Signor Rossi rieb sich die Stirn. Seit drei Tagen lief die maschinelle Presse rund um die Uhr, der Krach war ohrenbetäubend, auch wenn es Bernadetta wie Musik erschien. Jeden Morgen betrat sie frohgelaunt die Halle, kontrollierte die Winde, um ihre Ausrichtung nötigenfalls zu korrigieren. Jeden Tag wurde der Kessel für einige Stunden entlüftet. Sie hatte es so eingerichtet, dass diese Pausen so lagen, dass Rossi sie nicht mitbekam. Der feine Herr verließ jeden Tag das Geschäft zur selben Zeit, kehrte zur Mittagsstunde in ein Gasthaus ein und zum Abendmahl in ein anderes. Wenn er zurückkam, legte Bernadetta ihm die frisch gesetzten Druckplatten vor.
»Im Namen …« Er brach ab, presste die Lippen aufeinander und durchbohrte sie mit seinen dunklen Augen. »Bernardo, es ist unhaltbar, dass Sie mir jeden Abend auflauern.«
»Signor Rossi, um den Auftrag fristgerecht abzuschließen, ist es erforderlich, den Zeitplan strikt einzuhalten«, referierte sie innerlich tanzend.
Er seufzte, rieb sich die Augen und richtete seinen Blick erneut auf die Tafel. »Hier ist ein Fehler.« Er tippte auf die Platte. Bernadetta beugte sich vor, inhalierte einmal mehr den Mix aus Tabak, Schweiß und etwas anderem, das entfernt an Blumen erinnerte.
»Der Kerl muss von Sinnen gewesen sein, diesen Auftrag anzunehmen«, murrte er. »Hier fehlt ein c.«
Bernadetta prüfte die Stelle. »In der Tat.« Sie brauchte lediglich die Schublade aufzuziehen, um den fehlenden Buchstaben blind herauszuziehen. Ihn einzusetzen war bedeutend kniffliger, schließlich war die Seite so gesetzt worden, dass nicht zu viele Lücken die Reihe abschlossen. Nach einigem Rücken von Leerzeilen und Buchstaben passte es wieder.
»Wenn Sie mich fragen, war der Mann ein Genie, der diesen Auftrag an Land zog. Er ist prestigeträchtig, lukrativ und …«
»Ja, ja!«, unterbrach er sie. Rossi rieb sich wieder die kleinen, geröteten Augen. Seine Haut war wächsern, als habe er sich etwas zugezogen, allerdings kannte sie auch die Zeichen der Übernächtigung und des übermäßigen Alkoholkonsums. Denn ihr Vater war ein eifriger, fleißiger Mann gewesen, aber dem Weine zugeneigt.
»Dieser Lärm treibt mich noch in den Wahnsinn!«
Bernadetta grinste zufrieden. »Zwei Tage, Signore. Wir sollten die Reliefs endlich drucken.«
»Ja, machen Sie das.« Rossi nickte Bernadetta zu, bevor er sich abwandte.
Sie versteckte das Schmunzeln, schließlich spielte er ihr erneut die Asse zu. Die Bildpresse lag oberhalb seines Büros und unterhalb seiner Kammer und ihm war nicht bewusst, welche Kraft die Presse benötigte, um das Bild zu pressen. Da kam es unweigerlich zu Krach.
Rossi ließ sie stehen, weshalb ihre Worte lediglich pro forma ausgesprochen wurden.
»Wie Sie befehlen.« Bernadetta spannte die fehlerhafte Platte ein. Dieses Mal hatte sie die Verse des Stücks verändert, sodass sie eine anzügliche Note bekamen.
»Bernardo«, rief Rossi von der Empore herab, wofür er aus vollem Hals brüllen musste. Bernadetta sah auf, bemerkte sein Winken und seufzte gedehnt.
»Andrea, feuere den Kessel an«, gab sie noch die Order, die den Druck in Gang setzte, bevor sie sich auf den Weg ins Obergeschoss machte. Rossi hatte sich bereits in sein Büro zurückgezogen.
»Schließen Sie die Tür«, forderte Rossi. Er ließ sich auf seinem Stuhl hinter dem penibel aufgeräumten Tisch nieder. »Ich habe noch einen Auftrag für Sie.«
Bernadetta verschränkte die Hände im Rücken, wobei sie darauf achtete, die Brust nicht zu deutlich vorzustrecken. Zwar war ihre Weiblichkeit eher schwach ausgeprägt, aber sie wollte ihr Glück auch nicht überstrapazieren.
Rossi schob einige Tabellen von einer Seite zur anderen, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Er hob einen Umschlag an, versicherte sich mit einem Blick, dass der Absender stimmte, bevor er den Arm ausstreckte.
»Nebenan liegt ein Packen an Einladungen für den Maskenball des Signor Cicarese. Die Karten habe ich bereits vorbereitet. Es müssen lediglich noch die Umschläge adressiert und die Karten hineingesteckt werden. Ich habe eine genaue Reihenfolge dafür festgelegt, auch die Liste liegt nebenan. Es ist unabdingbar, sich an diese Reihenfolge zu halten. Verschicken Sie die Karten umgehend. Ich werde …« Rossi schüttelte den Kopf, bevor er das Gesicht in den Handflächen barg. »Bei allen Parzen, mein Schädel wird noch platzen!«
Bernadetta verdrängte schnell den Anflug von Schuld. Er hatte es nicht besser verdient und sie beschloss, statt mitleidig glücklich zu sein, dass ihr Plan aufging.
»Schmerzt der Kopf?«, fragte sie ungerührt. »Wein soll helfen. Womöglich verbringen Sie die Nacht lieber im Locanda Isolde?«
Damit wäre er Bernadetta nicht im Weg, wenn sie ihren Schabernack auf die Spitze trieb. Der Auftrag war prädestiniert, durcheinandergebracht zu werden, wenn der Signore eine genaue Reihenfolge festgelegt hatte.
Rossi drückte sich zu beiden Seiten zwei Finger gegen die Schläfen. Die Lider waren zusammengepresst, während er schnaufte.
Bernadetta haderte, schließlich war offensichtlich, dass er litt, dann jedoch kam es ihr zu gelegen.
»Aesculapius steh mir bei.« Zwar murmelte er es, aber sie konnte ihn dennoch verstehen. Es war nicht das erste Mal, dass er Unsinniges vor sich her murmelte. Zunächst hatte Bernadetta es noch abgetan, dann hatte sie recherchiert und herausgefunden, dass er die alten Götter beschwor. Aesculapius war der altrömische Gott der Heilkunst und wurde – wenn man es streng betrachtete – auch heute noch von Ärzten und Heilkundigen angebetet. Dennoch nahm sie es ihm besonders übel, auch noch ein Häretiker zu sein.
»Sie sollten …« Sie klappte eilig den Mund zu, hatte sie ihm doch raten wollen, Dottor Bonifacio aufzusuchen und sich ein Pülverchen geben zu lassen.
»Wie auch immer«, fasste er sich. »Achten Sie peinlich genau auf die Einhaltung der Reihenfolge!« Sein stechender Blick durchbohrte sie. »Haben Sie mich verstanden?«
»Ich achte gezielt darauf, die Reihenfolge, die Sie auf dem Papier nebenan notiert haben, einzuhalten«, wiederholte Bernadetta treudoof, wobei sie nickte.
»Es ist tatsächlich von ungeheurer Bedeutung!«, wiederholte er. Bernadetta fand es überaus merkwürdig, wie inniglich er darauf beharrte.
»Signor Rossi, seien Sie versichert, dass ich größte Sorgfalt walten lasse!« Bei der Mischung der Einladungskarten. Zufrieden tänzelte sie zur Tür, und in ihrer unendlichen Großzügigkeit, seinen Untergang besiegelte er schließlich ganz von selbst, riet sie ihm, sich ein Schmerzmittel von Dottor Bonifacio zu besorgen.
Leise singend begab sie sich im Anschluss in das Nebenzimmer. Dort faltete sie den Brief auseinander, den sie von Rossi bekommen hatte, und verglich ihn mit der Gästeaufstellung. Signor Cicarese hatte die edelsten Herrschaften Venedigs geladen, zu denen die Familie Bianco gerade nicht mehr gehörte, denn sie galten als Homines novi , eine venezianische Entsprechung der Neureichen, obwohl sie seit dem 15. Jahrhundert eine der bedeutendsten Druckereien betrieben.
Bernadettas Finger fuhr über die wohlbekannten Namen. Aus dem Stand konnte sie zudem aufzählen, wer ausgelassen worden war. Es gab einige Häuser, deren Ansehen gelitten hatte und die daher – ähnlich wie die Biancos nun – nicht mehr zu Festivitäten der versnobten Oberschicht geladen wurden. Dort wollte sie ansetzen. Nachträge waren an der Tagesordnung in ihrem Geschäft, daher fiele es nicht auf, wenn sie die Gästeliste etwas ausweitete und dem Ball des Comte Cicarese etwas Würze verlieh.
Bernadetta schmunzelte. Die zusätzlichen Umschläge musste sie natürlich erst aus dem Lager holen und die Karten nachdrucken, aber dafür opferte sie gern ihren Schlaf. Gedankenverloren begann sie die Adressen zu legen und kombinierte jede zehnte Karte mit einer unerwünschten Zugabe. Signora Valente hatte nicht nur zwei hübsche Töchter im heiratsfähigen Alter, nein, sie beschäftigte auch eine fleißige Näherin, die einer verarmten Schneiderdynastie entstammte. Ihr Name war bedeutend, auch wenn es ihr nicht half, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Signor Turino war ein Tuchhändler mit einem Sohn, der kein Händchen im Geschäft besaß, stattdessen war er ein Dandy der alten Schule. Er tändelte mit Jung und Alt, was im erzkatholischen Italien nicht gern gesehen war. Er sollte unbedingt ebenfalls an diesem Ball teilnehmen und …
Bernadetta lachte auf, da ihr ein weiterer sehr unpassender Gedanke kam. Venedig beherbergte einen wahrlich Geächteten, den sie unbedingt bedenken sollte!
Lord Simon de Vrer, Earl of Wexford, der gebürtig in England beheimatet war und dort vor der Verfolgung seiner Vorlieben geflohen war. Auch in Venedig war er nicht mit offenen Armen aufgenommen worden, aber er hatte einen prominenten Fürsprecher: den Nachkommen des ehemaligen Dogen von Venedig. Auch wenn sie nun nicht mehr als souveräner Staat angesehen wurden, sahen sich Venezianer nicht als Italiener, Staatsunion hin oder her.
Des Lords Verfehlungen waren im Hause Bianco wild diskutiert worden. Vornehmlich, weil sich Signora Bianco dagegen ausgesprochen hatte, dergleichen am Dinnertisch aufzugreifen. Lord Wexford sollte ein Liebhaber des falschen Geschlechtes sein!
Wieder kicherte Bernadetta, versteckte den verräterischen Laut aber hinter der vorgehaltenen Hand.
Zu gern wäre sie selbst an diesem Abend anwesend, leider konnte sie sich mit ihren kurzen Haaren nicht als Signorina Bianco sehen lassen. Seufzend vertiefte sie sich in den Schabernack.