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Mode reformieren

Schließ dich uns an und wehre dich gegen die ermüdende Vorstellung, Shopping könne eine vernünftige Antwort auf menschliches Leid sein.1

Buy (Less) Crap

Unter all den tragischen und verstörenden Themen dieses Buches hat sich die Frage, die ich in diesem Kapitel behandle, als die provokativste herausgestellt: den Kapitalismus reformieren oder stürzen? Diese beiden Positionen werden manchmal falsch umschrieben: Pflaster auf klaffende Wunden kleben und versuchen, ein paar Seelen zu retten, während Millionen zur Knechtschaft verdammt sind, oder hoffnungslos auf eine große Veränderung warten, die vielleicht nie kommt.

Der Schauplatz für dieses Kapitel ist keine chinesische Fabrik und auch kein New Yorker Einkaufszentrum, sondern eine Familienküche im Norden Englands. Als ich den Katalog einer indischen Textilkooperative auf dem Küchentisch entdeckte, bot ich (wenig hilfreich) an, meiner gestressten, überarbeiteten Bekannten alle Punkte zu erklären, die daran falsch waren, und zwar sowohl in Bezug auf das Unternehmen als auch auf den Begriff »faire Mode«. Sie hatte bereits Kleidung für ihre Kinder bei dieser Kooperative bestellt, und so war es keine Überraschung, dass eine hitzige Diskussion entbrannte. Sie brüllte, es sei unmoralisch, auf eine Revolution zu warten und bis dahin einfach nichts zu tun, und ich brüllte zurück, den Kapitalismus reformieren zu wollen, sei naiv und lenke vom eigentlichen Problem ab.

Am Ende einigten wir uns darauf, dass wir beide eigentlich das Gleiche meinten, aber verschiedene Wege einschlagen wollten, um dieses Ziel zu erreichen. Diskussionen über politische Ansichten zu Kleidung werden schnell heftig, genauso wie ähnliche Diskussionen zu unserem Essverhalten, denn sie treffen uns an einer sehr persönlichen Stelle. Kleidung, so sagt man uns, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Auf der Oberfläche sieht es einfach aus: »gute« Kleidung versus »böse« Kleidung. Entscheidest du dich für die »gute«, bist du ein guter Mensch, entscheidest du dich für die »böse«, bist auch du böse. Natürlich ist es wirklich sinnvoll, die am wenigsten schädliche Option auszuwählen, und zwar bei jeder Art von Produkten. Aber was ist mit den unendlich vielen Faktoren, die unsere Entscheidungen beeinflussen? In diesem Fall lautet der entscheidende Faktor »Klasse«: Man kauft, was man sich leisten kann. Hat man keine 20 Euro für einen Slip, ist es egal, ob dieser in Deutschland genäht wurde und aus Biobaumwolle ist; man muss sich wohl oder übel ein Viererpack für 6 Euro bei Primark kaufen – und wird sich vielleicht noch dafür schämen.

Es ist kein Zufall, dass wir uns in dieser Einbahnstraße befinden. Der Neoliberalismus hat uns dorthin gebracht, indem er suggeriert, dass Emanzipation auf individuellen (nicht kollektiven) Handlungen beruht, dass Freiheit Konsumauswahl bedeutet, und dass wir dem System vertrauen und uns den Weg in eine neue Welt freikaufen (nicht freikämpfen) sollen. Die Handlungen jedes und jeder Einzelnen sind etwas wert, und die Entscheidung, mit der Erde so behutsam so möglich umzugehen, ist wichtig, aber es reicht nicht aus, um uns von diesem schrecklichen Kurs abzubringen.

Der Individualismus ist kein Weg, um Sweatshops und Umweltzerstörung zu beenden. Shopping kann keine chinesischen Arbeiter:innen freikaufen und den Aralsee nicht wieder mit Wasser füllen. Die neoliberale Geisteshaltung in der Modeindustrie muss verschwinden, denn sie ist gefährlicher Unsinn. Die Probleme, um die es in diesem Buch geht, müssen kritisch und mit einer kollektiven, antikapitalistischen Einstellung angegangen werden. Auf individueller Ebene gibt es sehr wohl Handlungsmöglichkeiten, und hohe persönliche CO2-Emissionen müssen verringert werden. Aber um die vor uns liegenden Herausforderungen anzugehen, braucht es Gemeinschaftssinn und eine realistische Einschätzung der Barrieren, auf die wir stoßen werden. Marx beschrieb diesen Widerspruch mit den Worten: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.«2

Genau deshalb sind konstruktive Diskussionen über die in diesem Kapitel behandelten Themen so wichtig. Wir müssen erkennen, wer die wirklichen Feinde sind, und alle, die bereit zur Veränderung sind, müssen lernen, zusammenzuarbeiten und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, die wir uns für Veränderungen einsetzen, sind winzig, wenn wir uns den Abgrund anschauen, der uns, sagen wir mal, von Ölbaronen wie den US-amerikanischen Koch-Brüdern trennt. Die Aktivistin Angela Davis zitierte in diesem Sinn ein Lied von Betsy Rose, in dem es heißt: »Wir kamen vielleicht in verschiedenen Schiffen, aber jetzt sitzen wir im gleichen Boot.«3

Der Mode widerstehen, die Mode reformieren, die Mode revolutionieren – über diese Fragen gerät man leicht in Streitigkeiten, und zwar genau deshalb, weil sie ein Ausgangspunkt sind, von dem aus man handeln kann. Hat man einmal beschlossen, dass man die Welt verändern will, muss man entscheiden, wie vorzugehen ist, und dabei sind Meinungsverschiedenheiten ganz normal. Um vorwärts zu kommen, brauchen wir realistische Einschätzungen und Debatten darüber, was funktionieren kann und was nicht. In diesem Kapitel widme ich mich verschiedenen Methoden, durch die organisierte Reformen der Modebranche bereits zustande gekommen sind: Zusammenschlüsse von Konsument:innen, die ihr Einkaufsverhalten veränderten, um so die Welt zu verändern; staatliche Reformen; der wachsende Trend unter multinationalen Konzernen, selbst »Reformen« durchzuführen; und schließlich die internationale Arbeiter:innenbewegung.4

Frühe Aktivistinnen

Es ist an sich nichts Neues, dass die Mode eine abscheuliche Branche ist. Schon 1889 veranlassten die katastrophalen Zustände im erst kurz zuvor industrialisierten Nordamerika die Sozialreformerinnen Jane Addams und Ellen Starr in Chicago zur Gründung des Hull House, einer wegweisenden Einrichtung für Bildungs- und Gesundheitsprojekte. Eine der Bewohnerinnen des Hull House war Florence Kelley, ebenfalls Sozialreformerin und Freundin von Friedrich Engels.5 Sie führte Feldforschungen in der Gegend durch, die das Hull House umgab, und fand heraus, dass sogar dreijährige Kinder in den Sweatshops der Mietshäuser arbeiteten.6 Später berief man sie auf den neu geschaffenen Posten der obersten Fabrikinspektorin im Bundesstaat Illinois. Ihre Forschungsergebnisse bewogen die zuständigen Behörden des Bundesstaates dazu, ein fortschrittliches Gesetz zu verabschieden, das die Beschäftigung von Kindern unter vierzehn Jahren verbot und die Arbeit von Kindern und Frauen auf acht Stunden pro Tag beschränkte. Es wurde jedoch bereits drei Jahre später, auf Druck des Branchenverbands der Fabrikbesitzer in Illinois, für verfassungswidrig erklärt.

Alice Woodbridge, ebenfalls Aktivistin und Sekretärin der Working Women’s Society, betrieb wiederum detaillierte Forschungen zu den Arbeitsbedingungen von Frauen im New Yorker Einzelhandel. Ihre Studien veranlassten die Sozialreformerin Josephine Shaw Lowell 1890 zur Gründung der Consumers’ League of New York. Das Bündnis führte Untersuchungen zu der Notlage durch, in der sich ausgebeutete Frauen und Kinder befanden, und machte diese publik. Zudem wurde versucht, die Konsument:innen vor überteuerten und qualitativ schlechten Produkten zu schützen. Bei einer der ersten Studien handelte es sich um die Arbeitsbedingungen in der Produktion von Baumwollunterwäsche.7 Die Consumers’ League betonte immer wieder, dass Konsument:innen Veränderungen erreichen könnten, indem sie nur bei Unternehmen kauften, die ihre Angestellten anständig behandelten.8 Unter anderem veröffentlichten sie eine »Weiße Liste« der Unternehmen, die angemessene Löhne zahlten sowie vernünftige Arbeitszeiten und Hygienebedingungen garantierten. Als sich in immer mehr Städten Konsumentenschutzgruppierungen formierten, starteten Josephine Shaw Lowell und Jane Addams den bundesweiten, bis heute existierenden Verbraucherschutzbund National Consumers League und luden Florence Kelley nach New York ein, damit sie dessen Generalsekretärin werden konnte.

Unter den bahnbrechenden Programmen von Kelley war ein »White Label«, das Unternehmen zertifizierte, die unter fairen Arbeitsbedingungen und ohne Kinderarbeit produzierten. »Zu leben, bedeutet zu kaufen. Zu kaufen bedeutet, Macht zu haben. Und Macht zu haben, heißt auch Verantwortung zu übernehmen«, sagte Kelley und brachte so Konsument:innen dazu, Kleidung zu boykottieren, die in Sweatshops hergestellt wurde.9 Als überzeugte Sozialistin war sie der Meinung, dass es keine wirklichen Veränderungen geben würde, solange man nur die Symptome, nicht aber die Wurzeln sozialer Missstände anginge.

Moralisches Kalkül

Unsere Kleiderschränke sind heute ein Ort, an dem zwei weit verbreitete Meinungen zusammentreffen: erstens, dass die Modebranche an sich für unglaublich viel Zerstörung und Leid verantwortlich ist, und zweitens, dass unser Konsumverhalten daran schuld ist. Als ich die erste Version dieses Buches schrieb, machte »ethische Mode« mit nur einem Prozent einen unheimlich kleinen Anteil des Bekleidungsmarktes aus.10 Heute bieten nicht mehr nur kleine Unternehmen »faire Mode« an. So gut wie jede Marke – sogar Boohoo – hat auch eine »nachhaltige« Linie. Da stellt sich doch die Frage: Wenn ein Konzern eine Schuh- oder Jeanskollektion auf verantwortungsvollere Weise herstellen kann, warum produziert er dann die anderen weiterhin auf so unheimlich zerstörerische Art? Datenanalysen von 2023 des Marktforschungsunternehmens Business Research Company zufolge erreichte der globale Markt für faire Mode im Jahr 2022 einen Wert von etwa 7,5 Milliarden Dollar. Die Schätzungen gehen davon aus, dass dieser Markt bis 2027 auf 11,1 Milliarden Dollar und bis 2032 auf 16,8 Milliarden Dollar wachsen wird.11 Wenn wir für die Modeindustrie einen Gesamtwert von 2,5 Billionen Dollar annehmen, macht »ethische Mode« aktuell noch immer nur einen Marktanteil von 0,3 Prozent aus. Lösungen, die sich darauf verlassen, den Konsum in diesem Bereich zu fördern, lassen also die restlichen 99,7 Prozent der Modeproduktion außer Acht.

Und vor allem: Was zum Teufel soll ethische Mode überhaupt sein? Die Modeindustrie ist ein dereguliertes System, in dem Unterauftragsvergabe gang und gäbe ist und die Marken ihre eigenen Regeln und Labels erfinden und auf Etiketten drucken können: ökologisch, ökoinnovativ, recycelt, upgecycelt, vegan, bewusst, Fair Trade, fair entlohnt, lokal produziert, CO2-neutral, bio, mit erneuerbaren Energien hergestellt, mit Liebe gemacht, zirkulär, biologisch abbaubar, Zero Waste. Kein Wunder also, dass selbst Stella McCartney sagt: »Ich weiß kaum noch, was das Wort nachhaltig bedeutet.« Man sollte diese willkürlichen Bezeichnungen eher als etwas sehen, das die Menschen dazu bringt, noch mehr kaufen zu wollen, anstatt ihre Einkäufe zu hinterfragen. In einem Artikel der Financial Times hieß es so schön: »Es ist ein Haufen verschlüsselter Begriffe, die uns denken lassen, damit fühle ich mich wohl, das kann ich kaufen.«12

Laut der britischen Modeforscherin Kate Harper macht die begriffliche Unschärfe des Wortes »nachhaltig« das Konzept nahezu bedeutungslos; Firmen verwendeten es so, wie es ihnen passe. »Es ist fast wie ein Grammatikproblem oder ein Missverständnis, wie das Wort zu verwenden ist«, so Harper. Nachhaltig ist etwas nur, wenn es die Eigenschaft hat, dass man es für immer tun kann. Nachhaltigkeit ist ein Prozess, kein bestimmter Moment und definitiv kein individuelles Objekt. »Es gibt keine nachhaltigen Jeans, denn ›jeansen‹ ist nichts, was man tun kann, kein Verb, man kann nicht ›jeansen‹«. Anstatt den Begriff »nachhaltig« auf ein unbewegliches Objekt anzuwenden, müsste man Kate Harper zufolge vielmehr die Hunderten von Prozessen auf ihre Nachhaltigkeit prüfen, die eine Jeans entstehen lassen.

»Die Frage, was nachhaltiges Verhalten ist, wird auf die Entscheidung ›ich kaufe lieber das hier, und nicht das hier‹ reduziert«. Doch Kleidung mit dem Wort »nachhaltig« zu attribuieren, ist nicht nur ein linguistisches Problem, sondern schützt auch große Firmen vor der Kontrolle ihrer Herstellungsprozesse und Unternehmensführung. »Es ist wirklich irreführend und wenig hilfreich, Menschen dazu zu verleiten, Dinge als etwas mit grundlegend positiven oder negativen Eigenschaften anzusehen«, so Harper weiter. »Es geht nicht um die Eigenschaften der Dinge, sondern darum, wie sie entstanden sind und was mit ihnen weiter passiert.« Daher spielt es keine Rolle, ob ein Artikel aus recyceltem Polyester oder Bio-Baumwolle hergestellt ist, wenn Millionen davon produziert und um die Welt geflogen werden und dann auf Mülldeponien landen. Dazu passen auch die Gedanken des zur Indigenen Mode forschenden Riley Kucheran (siehe fünftes Kapitel): »In einigen Nachhaltigkeitsdebatten taucht immer wieder die Frage auf: Was genau wollen wir eigentlich erhalten?«13 Die Frage erinnert uns daran, dass es bei tatsächlich nachhaltiger Mode nicht darum geht, das Modesystem zu schützen.

Außer den unzähligen Labels gibt es auch noch eine Flut an Ratgebern zu ethischer Mode. Da sie meist über die gleichen Themen sprechen, liefern sie keine befriedigenden Antworten auf die Frage nach den Problemzonen der Modebranche. Mit am schwierigsten ist es hinsichtlich der fairen Mode, aus all den Problemfeldern, die die Modeindustrie aufwirft, die dringendsten herauszufiltern. Es gibt keine einfache Liste, anhand derer man durch ein Ja oder Nein entscheiden könnte, was nun am wichtigsten ist, heißt es in einem Ratgeber zum ethischen Shopping.14 Ist es besser, ein Kleid zu kaufen, das in einer indischen Kooperative genäht, aber Tausende Kilometer geflogen wurde, oder eines, das in der eigenen Stadt produziert wurde, aber von einer Firma stammt, die mit Pelz arbeitet? Ist es besser, eine Jeans aus Biobaumwolle von einer Firma zu kaufen, der Arbeitssicherheit ziemlich egal ist, oder eine Jeans von einem regulierten Einzelhändler, dessen Denim aber voller Pestizide ist? Was soll man über einen Pullover aus recyceltem Polyester-Fleece denken, der synthetische Fasern freisetzt und Ozeane, Strände und Meereslebewesen mit Mikroplastik verseucht?15 Ist es besser, lederfreie Schuhe zu kaufen, die in einem chinesischen Sweatshop produziert wurden, oder Designerschuhe aus Leder, die von einem Menschen kreiert wurden, der über Dicke schimpft?

Die nicht wirklich hilfreiche Lösung der Bücher über faire Mode lautet, mit »moralischem Kalkül« zu überlegen, welche Themen am wichtigsten sind.16 Dass all diese Ratgeber eine effektive Antwort schuldig bleiben, liegt daran, dass sie den Kapitalismus nicht als den Schuldigen benennen wollen. Das überlässt den Verbraucher:innen die knifflige Frage, welche ethischen Standards am wichtigsten sind.17 Da die meisten Bücher nicht erkennen, dass das kapitalistische System hinter den Übeln der Branche steht, zeigen sie mit dem Finger auf andere Schuldige: ignorante und apathische Konsument:innen, die menschliche Gier oder Küchenpsychologie.

Die entsprechenden Ratschläge sind wenig zielführend. Sie wollen Menschen dazu überreden, weniger zu kaufen – und geben ihnen Einkaufslisten an die Hand. Die meisten Bücher über ethische Mode nennen auf jeder Seite Marken und bestimmte Produkte, einschließlich großer Geschäfte, die als »Helden der Shoppingmeilen« gelistet sind. Um eventueller Verwunderung über diese widersprüchliche Tatsache zuvorzukommen, heißt es in Green is the New Black: »Solltest du ein Problem mit Großkonzernen haben, dann denk daran, dass sie die Fäden in der Hand halten. Wenn sie sich verändern, wird das Wellen schlagen, die wirklich Veränderung auslösen werden. Selbst wenn es am Ende nur eine riesige PR-Aktion sein sollte, was macht das eigentlich aus?«18

Nun ja, es macht etwas aus. Und zwar sowohl, weil es sich dabei um neoliberale Denkmuster handelt, als auch, weil PR oft dazu da ist, die eigentlichen Praktiken von Unternehmen zu verschleiern. Unternehmen lassen sich zu den wildesten Behauptungen hinreißen. »Durch unsere Größe und unseren Einfluss stärken wir die Rolle von Frauen in der ganzen Welt«, behauptet zum Beispiel Walmart. Die Bekleidungsmarke Hanes bringt den Slogan: »Wir sind entschlossen, unseren Teil dazu beizutragen, dass die Welt ein gesunder, sicherer und lebenswerter Ort bleibt.« Textil-Discounter Primark schreibt auf seiner Website: »Wir arbeiten an Veränderungen für alle«, und Bekleidungshersteller Gap verspricht »Wir engagieren uns für die Communities, in denen wir tätig sind.« Die kanadische Journalistin Naomi Klein erklärt: »Jedes Unternehmen mit einer starken Marke versucht ganz einfach, ein Verhältnis zu seinen Kunden aufzubauen, das bei ihnen so großen Widerhall findet, dass sie danach streben oder zumindest damit einverstanden sind, Sklaven der feudalen Markenherren zu sein.«19 Dass Sprache, Bilder, Symbole und Rhetorik all dieser Markenkampagnen so einfühlsam und überzeugend wirken, liegt daran, dass sie direkt von sozialen Bewegungen übernommen wurden. Die Werbekampagnen von Gap, Levi’s und Konsorten verkaufen uns die ganze Zeit unsere eigenen Ideen zurück, allerdings völlig sinnentleert als Feigenblatt für Menschenrechts- und Umweltverstöße. Sie mögen sich zwar einer neuen Sprache bedienen, ihre Praktiken haben sich aber nicht geändert, eher noch verschlimmert. Untersuchungen der gemeinnützigen Organisation Global Fashion Agenda in Kopenhagen haben ergeben, dass die Fortschritte überall – von der Kohlenstoffreduzierung bis hin zur Wahrung existenzsichernder Löhne – im Jahr 2019 um 30 Prozent langsamer vonstattengingen als im Vorjahr. Doch das Produktionsvolumen steigt rasant. Im Bericht der Global Fashion Agenda ist bis 2030 bei Bekleidung und Schuhen von einem Anstieg um 81 Prozent auf 102 Millionen Tonnen die Rede.20 Der unternehmerische »Causumismus« (eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen cause, die Sache, und consumerism, Konsumismus; gemeint ist die Verbreitung der Idee, durch strategischen Konsum eine bessere Welt »ershoppen« zu können) steht daher den progressiven sozialen Bewegungen direkt entgegen.

Internationale Konzerne nutzen die moralische Ansprache, weil sich die Öffentlichkeit immer mehr für ethischen Konsum interessiert.21 Wie im zweiten Kapitel dieses Buches beschrieben, gibt es zum ersten Mal eine weltweite Bewegung gegen unternehmerische Klimakiller wie die fossile Brennstoffindustrie, die Agrarindustrie und die Modeindustrie. Das führt dazu, dass sich die Unternehmen überschlagen, um als Teil der Lösung und nicht als das Problem zu gelten. Man darf hier nicht vergessen, dass Modefirmen keine Menschen sind. Sie haben keine Persönlichkeiten, Hoffnungen oder Träume. Es handelt sich um Unternehmen, die nur ein Ziel haben: mehr Geld zu verdienen als die Konkurrenz. Sie versuchen, fortschrittlich zu wirken, weil sie eine klare Tendenz der öffentlichen Meinung nicht länger ignorieren können. Das gleiche haben wir beim Feminismus, beim Kampf gegen den Klimawandel und bei Black Lives Matter erlebt. Hinter den Aktionen der Unternehmen steckt jedoch nichts weiter als der Versuch, sich den Schwung einer gesellschaftlichen Dynamik anzueignen; den Menschen vorzugaukeln, sie könnten sich in einer Marke wiederfinden; und vor allem, wie schon erwähnt, so zu tun, als seien sie an der Lösung beteiligt und nicht das Problem an sich. Gesellschaftliche Veränderungen werden niemals von den Modeunternehmen ausgehen. Das Gegenteil zu glauben, ist einfach falsch. Marx stellte in den Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation fest, dass »die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss […]«.22 Die Konzerne wollen uns nicht befreien und können es auch nicht. Freiheit kann nur von innen heraus kommen.

Nicht nur den Schrank, sondern die Welt aufräumen

Die Idee des strategischen Konsums birgt noch grundlegendere Probleme. Geld als Stimmzettel einsetzen und mit dem Konsumverhalten scheinbar mitbestimmen zu können, was wie produziert wird, hängt erst einmal davon ab, wie viel Geld man überhaupt hat.23 Wie soll man die Arbeitsbedingungen in Kerings endlosen Lieferketten beeinflussen, wenn man sich kein Parfum für 100 Euro leisten kann, geschweige denn eine Handtasche für 2500? Die Vorstellung, über Konsum Einfluss zu nehmen, verfestigt die Position, dass in unserer Gesellschaft nur die Macht haben, die über Geld verfügen. Ein bezeichnendes Beispiel für diese Denkweise habe ich bei einer Universitätsveranstaltung miterlebt: Ein Diskussionsteilnehmer sagte vor einem studentischen Publikum, eine gute Form des Protests wäre, keinen Diamantenschmuck mehr zu kaufen. Wenn ihnen die Abbaupraktiken von Unternehmen wie De Beers nicht gefielen, sollten sie sie doch einfach boykottieren! Also das, so viel kann ich Ihnen sagen, kriegen wir auf jeden Fall besser hin.

Durch die Idee des »Causumismus« wälzt man die Verantwortung für alles Übel auf der Welt vom Kapitalismus auf die Konsument:innen ab. »Faire« Produkte gehören oft zu den teuersten, weswegen ethischer Konsum leider sehr stark von der sozialen Schicht abhängt, zu der man gehört. Es ist falsch, diejenigen für die Zerstörung unseres Planeten oder die Existenz von Sweatshops verantwortlich zu machen, die in der Gesellschaft sowieso am wenigsten zu sagen haben, und gleichzeitig den riesigen CO2-Fußabruck der reichen Konsument:innen zu ignorieren. Gerade jetzt, wo wir auf eine weitere Wirtschaftskrise zusteuern, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir das System Mode nicht isoliert verändern können. Vielmehr müssen wir einen gesellschaftlichen Wandel anstreben, bei dem der Wohlstand gleichmäßig verteilt wird. Dabei gilt es, die Unterdrückungsstrukturen anzugehen, nicht die Unterdrückten. Viele Schritte gehen dem eigentlichen Kauf eines Gegenstandes voraus, wie Design, Materialauswahl, Herstellung und Transport. Indem wir die Verantwortung vollends den Konsument:innen aufbürden, machen wir die unzähligen vorgelagerten Entscheidungen und die dahinter stehenden Gewinnabsichten unsichtbar. Vor allem aber droht die Gefahr, dass ethischer Konsum die Identität der Menschen als passive Verbraucher:innen festigt, anstatt sie als aktive Bürger:innen zu betrachten.

Wer schon sensibilisiert genug ist, um ein Buch über den Kapitalismus zu lesen, darf sich nicht auf individuelles Agieren beschränken, sondern muss kollektiv und politisch handeln und andere motivieren. Das Leben ist mehr als Shopping, und wir dürfen nicht zulassen, dass alle großen gesellschaftlichen Themen diesem Zweck untergeordnet werden. Denn das käme einer Vergeudung unseres Lebens und unserer Macht gleich.24

Zurücklehnen und warten?

Man wirft den Menschen, die gegen Reformen und für einen Systemwandel argumentieren, oft vor, sie seien unwillig, im Hier und Jetzt etwas zu verändern. Das ist jedoch ein Missverständnis ihrer politischen Haltung. Wieso sollten ausgerechnet diejenigen, die am meisten nach Veränderung streben, damit zufrieden sein, sich einfach zurückzulehnen und abzuwarten? Sie können nicht, wie es Rosa Luxemburg ausdrückte, »mit verschränkten Armen fatalistisch auf den Eintritt der ›revolutionären Situation‹ warten, darauf warten, dass jene spontane Volksbewegung vom Himmel fällt«.25 Es ist nicht einfach die Entscheidung zwischen Reform oder Revolution. Beide Positionen bedingen und ergänzen sich gegenseitig.26

Die Geschichte derer, die als politische Konsument:innen für sich und andere Rechte erkämpften, ist lang und radikal. Die Russische Revolution begann mit Frauen, die gegen zu hohe Brotpreise demonstrierten. Der Busboykott von Montgomery aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (»Walk in dignity not ride in humiliation«) dehnte sich so weit aus, dass nach dreizehn Monaten, im Dezember 1956, die Rassentrennung in Bussen aufgehoben wurde. Ganz ähnlich organisierte die Harlem Housewives League eine Kampagne mit dem Namen »Don’t buy where you can’t work«, um Geschäfte zu zwingen, auch Schwarze Angestellte zu beschäftigen. Gandhi organisierte in den 1930er Jahren Proteste gegen importierte britische Textilien in Indien; in den 1980er Jahren gab es einen weltweiten Boykott südafrikanischer Agrarprodukte, die im Apartheidregime produziert wurden; und kollektive Mietstreiks gibt es bis heute.

Was all diese Aktionen verbindet, ist, dass der Konsum das Mittel war, um bestimmte Ziele zu erreichen – und nicht nur Mittel zum Zweck. Die Russische Revolution begann zwar mit Protesten gegen hohe Brotpreise, endete aber nicht mit billigem Brot. Im Unterschied zum »Causumismus« arbeitet politischer Konsum mit dem Wissen, dass es unmöglich ist, den Kapitalismus zu reformieren. Der Konsum wird genutzt, um spezifische Veränderungen zu bewirken, aber das eigentliche Ziel ist nicht ein veränderter Konsum.

Folgende Fragen können helfen, bloße Konsumkampagnen von politischen Konsumkampagnen zu unterscheiden: Wird die Kampagne von einem Konzern organisiert? Verdient ein Konzern Geld damit? Sieht sich die Kampagne als Selbstzweck oder als eine Herausforderung der politischen Macht und des Kapitalismus? Ermutigt sie Menschen, mehr zu tun als nur zu shoppen? Wen oder was macht sie für Ausbeutung verantwortlich? Ich bin nicht der Meinung, dass man sich an Konsumkampagnen nie beteiligen sollte, ganz im Gegenteil. Es ist sinnvoll, das zu kaufen, was am wenigsten Schaden anrichtet, und es hat viele Konsumkampagnen gegeben, die erfolgreich das Bewusstsein gegenüber dem Klimawandel oder Sweatshops steigern konnten. Was ich meine, ist, dass der Wille, etwas zu verändern, nicht an der Kasse enden sollte.

Für mein zweites Buch, Foot Work, habe ich ein Konzept entwickelt, das ich »Dreieck des Wandels« nenne. Die Idee dazu kam mir im Rahmen der Schulungsreihe FairCademy in Sachsen, als ich merkte, dass die Aktivist:innen in einer Diskussion immer wieder dieselben Argumente für ein anderes Einkaufsverhalten nannten. Die eine Seite führte an, dass Shoppen das Wichtigste sei, was die Menschen tun könnten, um die Modeindustrie zu verändern. Also sollten die Kampagnen sich hauptsächlich auf Aufklärung konzentrieren und darauf, die Menschen dazu zu motivieren, ethisch einzukaufen oder Kleidung zu tauschen, selbst herzustellen und gebraucht zu kaufen. Die andere Seite argumentierte, dies sei zu passiv, zu individualisiert und eigentlich nur innerhalb bestimmter Klassen möglich. Diese Argumentationslinien mit den beiden gegensätzlichen Positionen auf einem Kontinuum zogen sich durch. Hier setzt das Dreieck des Wandels an, indem es individuelle Veränderung, politische Veränderung sowie eine Veränderung des Systems zusammenbringt und uns dabei hilft, die Welt neu zu gestalten.

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An der Spitze des Dreiecks steht die individuelle Veränderung, der Ausgangspunkt für die meisten, um darüber nachzudenken, wie man die Welt verändern könnte. Und da Kleidung und Schuhe etwas so Persönliches sind, ist es nur natürlich, dass man hier beginnt, mit dem eigenen Kleiderschrank. Individuelle Veränderung ist schön und gut, aber – wie das Dreieck zeigt – eben nur die Spitze des Eisbergs. Es besteht also die Gefahr, von dieser Ebene aus nicht weiterzugehen und zu glauben, dass alles gut wird, wenn man das eigene Leben an seine Überzeugungen anpasst.

Im nächsten Schritt gilt es, sich zum zweiten Teil des Dreiecks hinzubewegen: Politischer Wandel. Auf dieser Ebene tritt man aktiv mit Gruppen von Menschen in Kontakt und setzt sich mit den mächtigen Elementen des Systems auseinander, die dem Wandel im Wege stehen. Wir beschäftigen uns mit Freihandelsabkommen, fehlender Gesetzgebung und Gesetzgebung zur Lohnzahlung, Unternehmensrecht, Landrechten, dem Kampf für gewerkschaftliche Freiheit, Steuerfragen sowie Transparenz, und arbeiten solidarisch mit Arbeitnehmer:innen, Umweltschützer:innen und Menschenrechtsaktivist:innen auf der ganzen Welt zusammen. Wir setzen uns dafür ein, dass Regierungen und Unternehmen gezwungen werden, anders zu handeln und die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus zu regulieren. Hier arbeiten wir bereichsübergreifend und in engmaschiger Abstimmung mit denjenigen, die am stärksten von der Modeindustrie betroffen sind, nämlich den Arbeiter:innengruppen im Globalen Süden.

Die dritte Ebene ist im wahrsten Sinn des Wortes die Basis des Problems, und darum geht es in diesem Buch: die Konfrontation mit dem Kapitalismus und das Herbeiführen eines Systemwandels. Hier stellen wir uns der Tatsache, dass die Modeindustrie ohne die systematische Ausbeutung von Frauen und des Globalen Südens, ohne Kolonialismus, ohne Rassismus und dessen Aufrechterhaltung, ohne die weitläufige Umweltzerstörung und die Zementierung von Klasse und Armut nicht existieren würde.27 Auf diesen Aktivismus, der den Kapitalismus durch eine neue gerechte Lebensweise ersetzen will, kommt es an. Denn wir müssen uns klarmachen, wer wirklich die Macht hat. Auf dieser Ebene verabschieden wir uns von der Vorstellung, dass man den Kapitalismus zum Besseren verändern kann. Hier wird zum Großteil ähnlich gearbeitet wie für politische Veränderungen, doch zusätzlich geht es darum, den Kapitalismus zu verstehen, indem wir über intersektionale revolutionäre Ansätze lesen, von ihnen lernen und sie als ein Werkzeug für sozialen Wandel weitergeben. Auf diesem Level geht es um die Gründung von und Teilnahme an revolutionären Gruppen, die Bewegungen etablieren wollen (Basisaufbau), sowie um die Umstrukturierung von Institutionen der Arbeiterklasse wie Gewerkschaften, Mietverbände, antirassistische Kampagnen, Selbsthilfegruppen und Umweltschutzorganisationen.28 Letztlich sollen fortschrittliche gesellschaftliche Kräfte zu einem internationalen Machtblock organisiert werden, der es mit den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus aufnehmen kann.

Regulierung?

In den letzten Jahrzehnten haben Unternehmen ihre Macht erheblich ausgeweitet, ohne dass Kontrollmechanismen wie Gesetze und Regulierungen mitgezogen hätten. Das löbliche Ziel einiger Konsumkampagnen ist es, Regierungen dazu zu bringen, Gesetze für besseren Arbeits- oder Umweltschutz zu verabschieden. Staatliche Konzernkontrolle geschieht jedoch nur selten, weil sie, wie Rosa Luxemburg bereits vor hundert Jahren schrieb, »immer mehr von ausschließlichen Klasseninteressen durchdrungen«29 ist.

Derzeit ist die internationale Rechtslage so, dass sich die Länder aussuchen dürfen, welche Abkommen sie unterzeichnen und welche sie ablehnen. Wenn es um den Schutz von Textilarbeiter:innen und der Umwelt geht, verlassen sich europäische Regierungen auf Corporate-Social-Responsibility-Programme, die sich Konzerne selbst auferlegen. Die Konzerne bevorzugen diesen Weg, da gesetzliche Vorschriften auf diese Weise vermieden werden können. Zum Beispiel im englischen Leicester. Das Motto der stolzen Textilstadt lautete früher: »Leicester kleidet die Welt.« Zwar sind die riesigen Spinnereien aus rotem Backstein heute außer Betrieb, doch an ihre Stelle sind Tausende von Nähmaschinen getreten, deren Surren überall in der Stadt zu vernehmen ist. In diesen neugegründeten kleinen Fabriken, von denen manche kaum mehr als Bretterverschläge sind, arbeiten etwa 11’000 Menschen für einen Stundenlohn von mageren 3,50 Pfund. Es sind in der Regel Frauen mit südasiatischem oder osteuropäischem Hintergrund, die nur sehr begrenzte Beschäftigungsalternativen haben. Für die Arbeiterinnen in diesen »Schattenfabriken«, die Kleider für sechs Pfund produzieren, gibt es oftmals keinen Arbeitsvertrag, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auch keinen Arbeitsschutz.

Im Sommer 2020 gerieten die Fabriken erneut in die Schlagzeilen: Die Organisation für Arbeitnehmerrechte Labour Behind the Label deckte auf, dass Arbeiterinnen in den Fabriken, die hauptsächlich für Boohoo produzieren, dem Risiko einer Ansteckung mit Corona, mit möglicherweise tödlichem Ausgang, ausgesetzt waren.30 Leicester ist deswegen so interessant, weil hier britische Firmen auf britischem Grund unter britischem Gesetz produzieren und britische Bürger:innen beschäftigen. Der Fall zeigt eine Kultur, in der die Unternehmen straffrei bleiben, das Versagen von Vorschriften zum Schutz der Menschen und die fehlende Haftung in den Lieferkette der Modeindustrie. Es fließt noch von anderer Seite Geld in Leicesters Industrie, und zwar aus der Staatskasse: Sozialleistungen als Unternehmenssubventionen. Der Mindestlohn für über 25-Jährige beträgt 8,72 Pfund. Ihnen 3,50 Pfund pro Stunde zu zahlen, ist möglich, weil die Löhne durch Wohngeld und Arbeitslosenunterstützung aufgestockt werden. Der Staat muss handeln, um Arbeitnehmende in Großbritannien vor Ausbeutung zu schützen. Er muss verbindliche Gesetze für die Lieferkette schaffen, darf die Gewerbeaufsicht nicht abbauen, hat Steuerschlupflöcher zu schließen und muss verhindern, dass Angestellte, die Missstände melden, Gefahr laufen, von den Einwanderungsbehörden verfolgt zu werden. Anstelle der Abschiebungsandrohung, die die Arbeitgebenden noch mächtiger macht, sollte den Arbeitnehmenden ein garantierter Aufenthaltsstatus von mindestens drei Jahren angeboten werden, wenn sie illegale Arbeitspraktiken melden, wie es in Argentinien bereits praktiziert wird. Angestellte, die von den Unternehmen ausgebeutet werden, sollten zudem Zugang zu Rechtshilfe und -dienstleistungen haben, um Löhne und Entschädigungen einzufordern.

Oft wird mehr Transparenz in der Modeindustrie gefordert. In einem ersten Schritt sollten die Unternehmen verpflichtet werden, jährlich eine vollständige, durchsuchbare Liste der Zulieferbetriebe zu veröffentlichen. Diese sollte die Namen der autorisierten Zulieferer aller Produktionsstufen (einschließlich Heimarbeiter:innen) enthalten wie auch die Standortadressen, Muttergesellschaften, die Art der hergestellten Produkte, die Anzahl der Beschäftigten und die Lohnhöhe. Darüber hinaus sollte gefordert werden, dass die im Vereinigten Königreich verkauften Produkte mit einem datenbankgestützten Produktcode gekennzeichnet werden, der Informationen über die Produktionsstätten und eine überprüfbare Aufzeichnung der während des gesamten Produktionsprozesses verwendeten Rohstoffe enthält. Außerdem würde sich eine standardisierte, öffentlich zugängliche Lieferdatenbank auf EU-Ebene empfehlen, die alle Exporte und Importe von Gütern über europäische Häfen enthält. All diese Informationen wären zwar nützlich, doch darf Transparenz nicht zum Regulierungsmechanismus werden, der an die Stelle von Gesetzen tritt. Wie es in anderen Bereichen bereits der Fall war, beispielsweise in der Chemie- und Lebensmittelindustrie, besteht die Gefahr, dass »Politiker:innen zustimmen, dass Menschen ein Recht auf diese Informationen haben, deshalb für Warnhinweise und noch mehr Daten plädieren, und so schwierige oder unpopuläre Entscheidungen vermeiden. Möglicherweise halten sich die Unternehmen dann an die Bestimmungen, finden aber Wege, die Berichte für eine Verbesserung ihrer Marktposition zu nutzen.«31

Das (RED)-Manifest

Während des Weltwirtschaftsforums in Davos 2006 gründete Bono, der Frontsänger von U2, die Initiative (RED). Ihre Funktionsweise scheint auf den ersten Blick sehr simpel: Kauft man besonders gekennzeichnete (RED)-Produkte von Unternehmen wie Giorgio Armani, Gap, Converse oder American Express, geht ein (nicht näher definierter) Prozentteil der Einnahmen dieses Produkts an den Global Fund, der in 140 Ländern der Welt im Bereich HIV/Aids tätig ist. Auf der Website von (RED) hieß es: »Gab es jemals einen besseren Grund zu shoppen?«32 Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Initiative findet sich unter anderem in Lisa Ann Richeys und Stefano Pontes Buch Brand Aid: Shopping Well to Save the World. Sie schreiben, dass Großkonzerne durch (RED)-Produkte ihr Corporate-Social-Responsibility-Profil aufbessern können, ohne ihr sonstiges Geschäftsmodell auch nur ein kleines bisschen ändern zu müssen. (RED) konzentriert sich darauf, Symptome zu lindern, anstatt die wirklichen Ursachen anzugehen.

Die Initiative hat sogar ein eigenes »Manifest«. Dort steht jedoch nichts über die sozialen Umstände von Armut, Ungleichheit und Krankheit. Mit keinem Wort werden die ausgebeutete Arbeiterschaft erwähnt, die (RED)-Produkte herstellt, oder die Auswirkungen der Produkte auf die Umwelt. Stattdessen werden HIV und Aids als Notfall dargestellt, dessen Dringlichkeit es rechtfertigt, über rassistische und geschlechtsspezifische Benachteiligungen und die globale Ungleichheit hinwegzusehen.33 Als man Bono öffentlich damit konfrontierte, stellte er sein eigenes »moralisches Kalkül« an und antwortete: »Wir müssen arbeitsrechtliche Fragen sehr, sehr ernst nehmen, aber noch ernster ist es, wenn 650’000 Menschen in Afrika sterben.«34 (RED) ruft gar nicht erst dazu auf, weniger oder anders zu konsumieren, sondern gab folgenden Tipp: »Mit Armani bist du schick, mit Converse hip, mit American Express bezahlst du deine Einkäufe – und du kannst dich moralisch gut dabei fühlen.« Die unreflektierten, »mitfühlenden Konsumenten«35 ersetzen die bewussten Käufer:innen. Sie glauben daran, dass multinationale Konzerne Gutes tun und ein Heilmittel gegen AIDS finden werden. Es ist dies ein bewusster Versuch, die Fortschritte der Kampagnen für ethischen Konsum und der sozialen Bewegungen auszuhöhlen, welche Menschen dazu ermutigten, bewusst und kritisch zu sein. Außerdem wird hier von den eigentlichen Gründen für Krisen wie der Aids-Epidemie abgelenkt.36

Kritiker:innen wiesen immer wieder darauf hin, dass es bei der gegen HIV in Afrika gerichteten (RED)-Initiative keine afrikanische Beteiligung gab. Bezeichnend dafür ist, dass die besondere (RED)-Edition der britischen Zeitung The Independent eine Kate Moss auf dem Cover zeigte, die schwarz angemalt worden war. Viele (RED)-Produkte sind in Afrika gar nicht erhältlich.37 Stattdessen wird das Leid der Menschen in Afrika genutzt, um Designerprodukte zu vermarkten.38 Brand Aid erzählt die Anekdote der Talkshowmoderatorin Oprah Winfrey, die in ihrer Sendung ein Gap-T-Shirt mit dem Aufdruck »INSPI(RED)« trug und sagte, es sei »das wichtigste T-Shirt, das [sie] in ihrem ganzen Leben getragen habe«. Oprah Winfrey schenkte allen im Publikum ein T-Shirt und erklärte, mit der Hälfte der damit eingenommenen Gewinne würden Medikamente für 14’000 schwangere Frauen gekauft. Klingt verlockend, aber was Oprah nicht erwähnte, ist, dass man mit dem Kauf eines Gap-T-Shirts gerade einmal Medikamente für zwei Wochen bezahlen kann. Man bräuchte 27 Shirts, um eine Person während eines ganzen Jahres versorgen zu können, und unzählige, wollte man eine lebenslange Behandlung ermöglichen.39

Es sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein, dass überall auf der Welt diejenigen Menschen Medikamente zur Behandlung von AIDS bekommen, die sie brauchen – das sollte kein Nebenjob für Großkonzerne sein. Kein Gesundheitswesen sollte auf den freien Markt angewiesen sein. Die letzte Wirtschaftskrise und die darauffolgende Flaute in den Konsumausgaben machen die Schwachstellen derartiger Projekte nämlich mehr als sichtbar. Was wird geschehen, wenn Medikamente gegen HIV den Konzernen nicht länger Profite einbringen? Es reicht nicht aus, einfach nur Medikamente an die Armen zu verteilen. Wir müssen uns in erster Linie auch fragen, wieso die Medikamente nicht einfach schon zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht werden.

Die Summe, die (RED) in den ersten fünf Jahren seit ihrer Gründung spendete, war winzig. Sie machte 1 Prozent des Gesamtbetrags der Spenden aus, die der Global Fund insgesamt einnahm.40 Doch das Hauptanliegen von (RED) ist ja ohnehin, den globalen Handel als Kraft des Guten zu rehabilitieren. In einer Zeit, in der globale Modekonzerne mehr im Kreuzfeuer stehen als je zuvor, sind Aktionen wie (RED) eine willkommene Möglichkeit für sie, ihr Image aufzupolieren und Diskussionen über Sweatshops mit Diskussionen über AIDS-Hilfe zu übertünchen. Das Bild der wohltätigen, lebensspendenden Firmen täuscht über die Ausbeutungsbetriebe, die Umweltzerstörung und die zunehmende Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen der Reichen hinweg. Giorgio Armani sagte über seine Teilnahme bei (RED): »Wirtschaft wird nicht länger negativ konnotiert sein.«41

(RED) gibt es auch heute noch. 2021 hieß es auf der Website, die »Kavallerie« der Initiative kämpfe »stolz gegen die akute Bedrohung durch Corona«. Ich habe die Buchautorin und Politikprofessorin Lisa Ann Richey gefragt, ob sie überrascht sei, dass (RED) nun nicht nur HIV, sondern auch Corona »bekämpft«. Das sei sie nicht im Geringsten:

Wo doch alle möglichen Unternehmen dem »Covid-Branding« nicht widerstehen konnten und (RED) bereits über eine feste Infrastruktur verfügte, um ihre Brand-Aid-Kooperationen erfolgreich zu bewerben. Zudem war AIDS in der humanitären Kommunikation nicht mehr so präsent, als Corona zum globalen Virus schlechthin wurde, und so dürfte es sich für (RED) gelohnt haben, diesen Raum ebenfalls zu beanspruchen.

Auf dem Twitter-Account von (RED) wurden Präzisionskocher (»Jeder Kauf hilft, weltweite Gesundheitsnotstände wie AIDS und COVID zu bekämpfen«) und Pickups (die »zur Finanzierung lebensrettender Programme beitragen«) angeboten. Außerdem twitterte die Kampagne noch Vorschläge für »Last-Minute-Halloween-Kostüme, die Leben retten«, bestehend aus (RED)-Produkten, die man ja vielleicht schon gekauft hat.

Sweatshop Warriors

Wie wir in den vorherigen Kapiteln gesehen haben, ist die internationale Arbeiter:innenbewegung noch immer die dynamischste und wirksamste Kraft, um die Modewelt zu verändern. Die folgende Auflistung ist keineswegs vollständig, doch kann man beispielsweise die Gewerkschaft Free Trade Zones and General Service Employees Union (FTZ & GSEU) nennen, die Tausende Textilarbeiter:innen in Sri Lanka repräsentiert, oder die TTCU in Indien. Außerdem gehören Graswurzelorganisationen für Arbeitnehmerrechte dazu wie das Bangladesh Center for Workers’ Solidarity oder der nordmazedonische Verband Glasen Tekstilec (»Laute Textilarbeiter:innen«) sowie große länderübergreifende Gewerkschaften und Organisationen wie UNI Global Union und IndustriALL. Auch »Guerillagruppen« von migrantischen Arbeiter:innen sind Teil der internationalen Bewegung, genauso wie Arbeitnehmerrechtsorganisationen wie die Asia Floor Wage Alliance, das Garment Worker Center in Los Angeles, das Solidarity Centre und das Workers Rights Consortium. Kampagnengruppen wie die Clean Clothes Campaign, Labour Behind the Label, United Students Against Sweatshops (USAS), War on Want und viele andere sind ebenfalls beteiligt. Außerdem sind Kampagnen gegen Konzerne zu nennen sowie politische Bewegungen, die gegen Probleme wie Kriege und Klimawandel eintreten. Hier tun sich immer neue Möglichkeiten für den Aufbau klassen-, sektor- und race-übergreifender Fronten auf, an denen radikale Arbeiter:innenbewegungen, Jugendliche, Intellektuelle und Fachkräfte beteiligt sind.42

Miriam Ching Yoon Louies Anthologie Sweatshop Warriors ist unter anderem eine gute Zusammenstellung der Arbeitskämpfe, die es in den USA gegen neoliberale Maßnahmen gegeben hat. Eine Fallstudie erzählt das Beispiel der Graswurzelorganisation Asian Immigrant Women’s Advocates (AIWA), die sich sehr früh gegen die Ungerechtigkeiten in der Modebranche einsetzte und dafür kämpfte, dass Hersteller Verantwortung für ihre Zulieferbetriebe übernehmen. Die Organisation war in den 1980er Jahren aus dem Versuch heraus entstanden, Lohnrückzahlungen für zwölf chinesische Arbeiterinnen zu erwirken, nachdem das Label Jessica McClintock einen Vertrag zurückgezogen hatte und der Betrieb, in dem sie beschäftigt waren, seine Sweatshops schließen musste. Jessica McClintock, die gleichnamige Besitzerin des Labels, das für seine Hochzeitskleider bekannt ist, lehnte jegliche Verantwortung für die chinesischen Arbeiterinnen ab. Sie sah sich aber zu Gesprächen mit AIWA genötigt, nachdem eine Kampagne aus Konsumboykotts, Streiks, Medienberichten und politischem Druck große Erfolge zeigte.

1996, nach vier Jahren, hatten die eingewanderten Arbeiterinnen eine Abfindung in ungenannter Höhe erreicht und konnten darüber hinaus folgende Erfolge für sich verbuchen: Sie hatten zwei Fonds eingerichtet, die Aufklärungsarbeit über die Rechte von Textilarbeiter:innen und Stipendien für deren Kinder finanzierten, eine zweisprachige Telefonhotline initiiert, über die Rechtsverstöße der Betriebe gemeldet werden konnten, mit denen McClintock zusammenarbeitete und außerdem eine beidseitige Vereinbarung erreicht, dass an weiteren Verbesserungen innerhalb der Industrie gearbeitet werden würde.43 Der Fall McClintock ließ die Vorstellung, dass Herstellerfirmen nicht für die schlechten Arbeitsbedingungen in Sweatshops verantwortlich seien, auf einmal sehr unglaubwürdig erscheinen.

Derartige soziale Bewegungen basieren vor allem auf einem: Solidarität. Große Erfolge wurden beispielsweise erreicht, als honduranische Gewerkschaftsangehörige mit der College- und Universitätskampagne USAS zusammenarbeiteten, um den größten Hochschulboykott der Geschichte durchzusetzen, der je gegen eine einzelne Firma geführt wurde. Es ging um die US-amerikanische Firma Fruit of the Loom, den größten privaten Arbeitgeber in Honduras. Im Zuge der Kampagne kappten über hundert Universitäten ihre Beziehungen zu Fruit of the Loom, bis sich die Firma schließlich dazu gezwungen sah, sich mit der honduranischen Gewerkschaft zu einigen. Infolge der Erkenntnis, dass die Arbeiter:innen in Sweatshops nicht nur Opfer sind, wurde folgendes Zitat einer Aborigines-Aktivistin zu dem Motto von United Students Against Sweatshops: »Wenn du gekommen bist, um mir zu helfen, verschwendest du deine Zeit. Aber wenn du gekommen bist, weil deine eigene Freiheit mit meiner Freiheit verbunden ist, dann lass uns zusammenarbeiten.«44

Im März 2015 zog eine Gruppe von Menschen, darunter Kalpona Akter, Geschäftsführerin des Bangladesh Center for Workers’ Solidarity, und Mahinur Begum, eine achtzehnjährige Überlebende der Rana-Plaza-Katastrophe, zum Hauptsitz von The Children’s Place in New Jersey. Sie wollten die CEO der Kinderbekleidungsmarke auffordern, die Entschädigung für die Opfer des Einsturzes zu erhöhen. Doch als sie das Gebäude betraten, rief man die Polizei, und die Aktivist:innen, auch Akter und Begum, wurden in Handschellen abgeführt und wegen Hausfriedensbruchs belangt. Die Nachricht von dieser Ungerechtigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Netzwerken. Aktivist:innen riefen die Website »OrphansPlace.com« ins Leben und planten eine Besetzung der Filialen von The Children’s Place in den USA. Aus Sorge vor einem PR-Skandal zahlte das Unternehmen über zwei Millionen Dollar in den Entschädigungsfonds.45

Zwar sind Teile der internationalen Arbeiter:innenbewegung antikapitalistisch. Trotzdem habe ich sie in dieses Kapitel zum Thema Reformierung der Mode aufgenommen. Denn wie uns die Coronapandemie gezeigt hat, können im Kapitalismus alle Errungenschaften aus dem Arbeitskampf auch einfach wieder rückgängig gemacht werden. Im Kapitalismus ist keine Veränderung der Arbeitnehmerrechte in Stein gemeißelt, weder die Erhöhung des Mindestlohns oder Gewerkschaftsabkommen noch Sicherheitsvorschriften für Fabriken und so weiter. Die Geschichte verläuft nicht linear in Richtung Fortschritt. Vielmehr ist sie ein Kampf zwischen zwei Seiten, der Arbeiterklasse und der herrschenden Klasse. Gewinne für die eine bedeuten Verluste für die andere. Nicht umsonst verglich Rosa Luxemburg den Kampf um Reformen mit Sisyphusarbeit. Besonders in Zeiten wirtschaftlicher Krisen wird es schwer für Gewerkschaften, da hohe Arbeitslosenquoten und sinkende Löhne manchmal dazu führen, dass die Arbeiterschaft sich spaltet oder das Vertrauen verliert. In diesen Fällen werden gewerkschaftliche Aktivitäten unter Umständen so stark eingeschränkt, dass sie bestenfalls die wenigen noch vorhandenen Rechte zu verteidigen versuchen können.46 Dabei ist diese Arbeit unheimlich wichtig, da sie bisher echte Fortschritte für die Bekleidungsarbeiter:innen bewirken konnte. Die Bewegung zeigt uns, dass wir die Welt als Menschen, als Bürger:innen, als Arbeiter:innen verändern können. Das ist die Macht, die wir über Regierungen und Unternehmen haben. Sie brauchen uns mehr, als wir sie brauchen.

Gibt es einen gerechten Kapitalismus?

Argumente für Reformen stellen sich oft (ob bewusst oder unbewusst) als prokapitalistische Argumente heraus. Seit der Wirtschaftskrise von 2008 ist die These vom »Kasino-Kapitalismus«, der ganz schön ins Wanken geraten kann, weithin anerkannt. Die Coronapandemie tat das ihrige, um die Fehler im System offenzulegen. Dennoch hält sich hartnäckig der Mythos vom »gerechten Kapitalismus«47, der auch sein Gutes haben könne. Man solle auf die neoliberalen Werte des freien Markts vertrauen. Die Vorstellung eines gerechten Kapitalismus ist eine Illusion, die grundlegende Veränderungen verspricht, ohne dass Machtverhältnisse angegangen werden müssen.48 Noch schlimmer ist, dass auf diese Weise das System als Lösung für die verheerenden Probleme angepriesen wird, die es zuvor selbst angerichtet hat.49

In einem von Ausbeutung und Umweltzerstörung geplagten System sind kosmetische Oberflächenveränderungen allerdings nicht ausreichend. »Wir müssen uns von der naiven Suche nach einer moralischen und gerechten Form des Kapitalismus verabschieden«, so der Sozialtheoretiker David Harvey. »Am Ende des Tages zählt es kein bisschen, ob wir gute Absichten haben und zu ethischem Handeln tendieren oder maßlos gierig und mit zerstörerischem Konkurrenzverhalten unterwegs sind. Die Logik der endlosen Akkumulation von Kapital und des nie endenden Wachstums begleitet uns immer.«50 Das Problem ist nicht, dass ich nicht an einen »gerechten Kapitalismus« glaube, sondern, dass er nicht existiert.

Einige der Methoden für organisierte Reformen, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden, sind kleine Entwürfe davon, wie ideale Gesellschaften aussehen könnten. Die internationale Arbeiter:innenbewegung und Solidaritätskampagnen sind essenzielle Faktoren, um die Welt zu verändern und an einer neuen Welt zu arbeiten. Kollektive Kampagnen können verbinden, animieren, bilden und inspirieren, aber keine Kleidung produzieren, die komplett frei von Ausbeutung und Umweltverschmutzung ist. Im Kapitalismus ist das schlicht unmöglich. Faire Kleider gibt es nicht, egal wie enttäuschend es auch sein mag, das zu hören. Doch eine kurzzeitige Enttäuschung ist ein geringer Preis, wenn es darum geht, bei dem größten Projekt dabei zu sein, mit dem sich die Menschheit je konfrontiert sah: dem Sturz des Kapitalismus.