Kapitel 7

H ammergeschichte, was?«, fragte Theo. Wieder sehr laut, diesmal aber tatsächlich mir zugewandt. Ich nickte ihm zustimmend zu in der Hoffnung, damit mein Kommunikationssoll erfüllt zu haben, hatte ich doch wahrlich gerade über andere Dinge nachzudenken.

Vergeblich.

»Apropos, was macht eigentlich Hector?«, fragte mich das Modeopfer. »Könnt ihr den überhaupt mal für eine Sekunde aus den Augen lassen? Ich hab mich schon oft gefragt: Wer kümmert sich um ihn, wenn ihr beide unterwegs seid?«

Terry = Terrier, Schneeflöckchen = Hase. Hector = ???

Weniger begabte Genies mit geringerer Kombinationsgabe wären jetzt aufgeschmissen gewesen, und ihre Tarnidentität wäre aufgeflogen. Ich aber gab Theo, der über die Haustierverhältnisse der Schmolkes anscheinend bestens informiert war, ohne mit der Wimper zu zucken eine unverdächtige Antwort:

»Hector hat’s gut. Er ist in einer Hundepension in Dallgow.«

»Wo?«

»Dallgow, das ist hinter Spandau. Christin«, ich deutete mit dem Daumen auf meine schlafende Sitznachbarin, »hat sie im Internet gefunden. Volle Fünf-Pfoten-Bewertung. Wär sicher auch was für Terry. Da kann er sich mal richtig austoben.«

»Ach ja?«

»Die haben sogar einen Hundepool«, fabulierte ich. Wenn ich eines konnte, dann aus dem Stegreif Geschichten erfinden. »Hector badet doch so gerne.«

»Im Hundepool?«, fragte Theo.

»Ja. Und es gibt nur Bio-Essen. Er hat dort sogar einen Fressnapf mit seinem Namen.«

»Dein Sohn?«

Zugegeben, Theos letzte Nachfrage irritierte mich.

»Mein was? «

Die Sprechgeschwindigkeit meines modebewussten Gesprächspartners schaltete zwei Gänge runter. Langsam, laut und mit deutlichen Mundbewegungen, als wäre ich taub und auf Lippenlesen angewiesen, sagte er: »Hector. Elf Jahre alt. Geht mit unserer Selma in die fünfte Klasse.«

»Nicht Ihr Ernst«, entfuhr es mir.

»Was für Eltern tun ihrem Kind denn so etwas an und nennen den eigenen Sohn wie eine Dogge?«

Es dauerte eine Weile, bis ich den Grund für Theos entsetztes Schweigen realisierte. Nämlich den, dass ich meinen letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Meine ehrlich erstaunte Frage führte dazu, dass er mich ansah, als hätte ich mir kommentarlos während unseres Gesprächs einen Topf nasser Blumenerde über den Kopf gekippt. Sein Blick war erstarrt. Ich rechnete damit, dass er gleich sein Handy zog, um den psychiatrischen Notdienst zu rufen. Dann dachte ich, er wolle mich bewusstlos schlagen, denn er hob die Hand, vermutlich, weil er eine Gefahr in mir sah.

Konnte ich es ihm verübeln? Immerhin litt ich in seinen Augen unter Wahnvorstellungen, in denen mein Sohn Hector Schmolke zu einer Dogge mutiert war, die im Dallgower Hundehotel aus einem Napf mit seinem Namen Frolic futtern musste.

Eine Sekunde später schlug er mich wirklich, wenn auch freundschaftlich. Er lachte dröhnend los, lauter als eben noch bei der Pointe der Hasen-Geschichte, während er mir die Hand auf die Schulter krachen ließ. »Junge, Junge, also, eines muss man dir lassen, Schmolke. Den Humor hast du trotz allem nicht verloren.«

Ach ja?

Der Bus wankte ein wenig. Ich sah nach vorne zu Hilde und reihte Was meint dieser Theo mit »trotz allem«? in die Liste der Fragen ein, die in meinem Kopf umherschwirrten, allen voran: Was sind das hier für Leute? Und: Wohin zum Teufel fahren wir?

Wobei, im Moment fuhren wir gar nicht mehr.

Wenn ich wirklich Humor hatte, wie Theo eben meinte, dann wurde er gerade mächtig auf die Probe gestellt. Der Bus hatte nämlich angehalten. Aber nicht auf einem Rast- oder Parkplatz oder an einer anderen Stelle, die es mir ermöglicht hätte, sofort das Weite zu suchen. Sondern auf einer Fähre, auf die er von mir unbemerkt in den letzten Sekunden meiner absurden Unterhaltung gerollt war.

Passend dazu schnarrte die Busfahrerin durch die Bordlautsprecher: »Wehe, jemand macht hier nen Stehaufmännchen. Dann klatscht es, allerdings keinen Applaus. Wir sind gleich auf Schilfwerder, da könnt ihr meinetwegen nackig übern Strand tanzen, bis um acht Uhr früh die erste Fähre wieder fährt. Aber jetzt erst mal locker durch die Hose atmen, bis wir für die Nacht uff der Insel sind. Bis Denver, Ende Gelände, die Hilde.«