H alt«, rief ich und rannte los. »Moment!«
Glücklicherweise ließ sich die Fahrerin von meinen hektischen Schlägen gegen die Einstiegstür beirren und hielt noch mal an.
»Oh, das wär aber nicht nötig«, sagte Hilde, nachdem sie die Tür geöffnet hatte.
»Wie?«
Sie deutete auf die Hortensie in meiner Hand, die ich völlig vergessen hatte. Ich schleppte sie nun schon so lange mit mir herum, dass sie mir wohl erst wieder aufgefallen wäre, wenn sie nicht mehr da gewesen wäre.
»Können Sie mich bitte mit aufs Festland zurücknehmen?« Ich schenkte ihr etwas, das ich für einen sehr traurigen Dackelblick hielt. Sie wohl eher für lächerlich.
»Hab ich ein Taxi-Schild uffm Kopp?«
»Nein, aber genug freie Plätze.«
»Hättest du dir vorher überlegen müssen.«
Sie machte eine »Husch, husch, raus hier«-Handbewegung. Ich musste also härtere Überredungsgeschütze auffahren.
»Ich leide unter Insula-Phobie«, erklärte ich. Keine Ahnung, ob es so etwas wirklich gab. »Ich wusste nicht, dass die Fähren nicht über Nacht gehen. Deswegen muss ich dringend zurück aufs Festland.«
Hilde schüttelte den Kopf. »Ich meine nicht die Rückfahrt. Ich hab gemeint, du hättest dir das mit dem Nachwuchs vorher überlegen sollen. Nun haste den Salat, der dich dazu bringt, mir mit Insula-Phobie-Quatsch ein Ohr abzukauen, also wirklich.« Sie lachte. »Mann, Mann, Mann, Elternabend. Die Hölle. Und das alles für zwei Sekunden Spaß mit der Mutter.«
Den ich nicht mal gehabt hatte. Weswegen ich nicht Hectors Vater und daher hier komplett falsch war. Ich überlegte, wie ich Hilde das in der Kürze der Zeit erklären sollte, aber sie ließ mich ohnehin nicht zu Wort kommen.
»Erst Hau-Reinhardt im Bett, aber dann Ciao-Miau, wenn’s Balg uff der Welt ist. Nee, nee. Da gibt’s von mir keine Schützenhilfe. Du bleibst schön hier mit den anderen Hirselköppen und langweilst dich zu Tode.«
»Bitte!« Ich versuchte es noch einmal. »Ich teile mir das mit meiner Frau auf. Sie bleibt hier. Ich fahre zu unserer Tochter aus erster Ehe. Lara. Sie wird heute sechzehn.«
»Hm.« Sie pustete sich eine Locke aus der Stirn. »Selbst wenn ich es wollte. Es geht nicht. Meine Schicht ist rum. Mein Boss steigt mir aufs Dach, wenn ich in einer Leerfahrt jemanden mitnehme. Versicherung und so.«
»Gut, dann rede ich mit dem Fährmann.«
Der Bus war nicht so groß, dass man nicht neben ihm auf dem Boot hätte stehen können.
»Geht auch nicht.« Hilde schüttelte ihre Tigermähne.
»Wieso nicht?«
»Das ist mein bester Kumpel. Gleiches Versicherungsproblem.«
»Verstehe.« Daher also wehte der Wind.
»Und, äh, wie wäre es, wenn ich eine kleine, sagen wir, Versicherungsprämie einzahle?«
Mit der Unbestechlichkeit eines deutschen Politikers sagte Hilde nach einer Hundertstelsekunde Bedenkzeit: »Macht nen Syltfuffi.«
»Fünfzig Euro?«
»Ich hab Sylter Währung gesagt. Also zweihundert glatt.«
»Wucher«, schimpfte ich, tastete aber nach meinem Portemonnaie. Das war mir der sechzehnte Geburtstag meiner Tochter wert. Wobei …
»Wat’n nu schon wieder los?«, fragte mich Hilde, wohl weil ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn gehämmert hatte.
Verdammt. Das durfte jetzt nicht wahr sein.
»Meine Brieftasche!«
Ich konnte sie in der Tasche meines Sakkos nicht finden. Ganz einfach, weil es keine Sakkotasche mehr gab.