D ie meisten Anwesenden hatten nur einen großen Schritt über die Kindergartenmöbel machen müssen, um in die Mitte des Mehrzweckraumes zu gelangen, der seinem Namen nun sehr schnell schon alle Ehre machte. Jetzt lächelten sie angemessen geniert, als der zweite Song mit der Atmosphäre eines Livekonzerts begann, bei dem der Sänger sein euphorisch jubelndes Publikum aufforderte, einige Buchstaben in die Menge zu rufen.
Mit Ausnahme von Chernizky [Jule], der immerhin aufgestanden war, aber nicht mal die herabhängenden Mundwinkel bewegte, wackelten alle wenigstens mit den Beinen oder machten etwas anderes, das im weitesten Sinne als Verlegenheitstanz-Vorbereitung durchgehen mochte. Lediglich Herr und Frau Schlabbeck, auch hier Vorreiter, waren voll in ihrem Element und hatten sich in eine Discofox-Ausgangsposition begeben. Jetzt setzte eine stampfende Bassdrum ein. Mareks Kopf begann wieder zu kreisen, als wäre er ein Walzerbahnwaggon auf dem Rummel, der mit jeder Rotation weiter an Fahrt aufnahm. Frau Kloppke hüpfte derweil vergnügt wie ein junges Mädchen durch die Menge und versuchte sich als Animateurin: »Los, alle durcheinander, bewegen Sie sich. Das macht Spaß.«
Ich zuckte mit dem rechten Mundwinkel zu dem stampfenden Takt.
»Wieso lächelst du so bescheuert?«, fragte mich Wilma misstrauisch, die neben mir aufgetaucht war. Sie schwang tatsächlich ihre Hüfte. Für etwas, was bei mir wie der Vorbote eines Schlaganfalls ausgesehen hätte, kam mir bei ihr das lang nicht mehr benutzte Wort »anmutig« in den Sinn.
Außer mir schien niemand das zweite Stück auf der Playlist zu kennen. Auch Arne nicht, der erst irritiert, dann zunehmend nervöser, schließlich sogar hektisch wurde, als er schließlich doch bemerkte, was sein Handy da von sich gab.
Ich verstand den Grund seiner wachsenden Panik. Die Klassenlehrerin hatte während ihrer Vorführung mit Marek ihr Handy auf dem nächstgelegenen Platz deponiert, und das war zufällig meiner gewesen. Was mir die Möglichkeit eröffnet hatte, einen unbeobachteten Blick auf die Folgelieder von Arnes flotter Playlist zu werfen. Spontan hatte ich beschlossen, das musikalische Niveau des Abends geringfügig zu erhöhen. Mit der Folge, dass Arne sich jetzt wie ein Wahnsinniger benahm, kaum dass das Intro vorbei war, in dem der Sänger »Was heißt das?« gerufen und die begeisterte Menge ihm die Buchstabenabfolge G M B H zurückgeschrien hatte.
Arne rastete aus. Noch vor wenigen Minuten hatte er ja verkündet, dass Brehmers Beste Beats ausschließlich von ihm handverlesene Lieblingsstücke enthielten. Jetzt schien es, als wollte er zu ebenjenen flotten Rhythmen Pogo tanzen, so heftig, wie er die Eltern auf der improvisierten Tanzfläche aus dem Weg stemmte. Dabei wollte er nur das Handy wieder in seinen Besitz bringen, um es schnellstmöglich zum Schweigen zu bringen. Was ihm nicht gelang, obwohl Henrietta Kloppke, die Arnes Telefon in den Händen hielt, schon in Reichweite gewesen war. Doch zu spät: Die Klassenlehrerin wandte sich ekstatisch drehend, ganz dem Rhythmus des von mir ausgesuchten Liedes hingegeben, im letzten Moment von ihm ab. Arne griff ins Leere, stolperte über die Füße eines der beiden Witzlebens und landete bäuchlings auf dem Linoleum, just in dem Moment, in dem der Refrain begann und Mickie Krause seinen Ballermann-Hit grölte: »Geh mal Bier holen. Du wirst schon wieder hässlich.«