Kapitel 25

E s ist ja bekanntlich ein Anzeichen von Wahnsinn, wieder und wieder das Gleiche zu tun in der Hoffnung, dass das Ergebnis irgendwann mal ein anderes ist. So gesehen hatte ich die Grenze zur Unzurechnungsfähigkeit wohl überschritten, als ich durch die Tür ging und mir dahinter eine Erwachsenentoilette erhoffte.

Natürlich war dem nicht so. Ich stand noch immer in einem Raum, der an eine etwas zu groß geratene Modellbaukastenarbeit erinnerte. Eine von der Art, mit der Architekten sich bei Ausschreibungen bewerben nach dem Motto: »Und wenn das gefällt, dann bauen wir euch das in Originalgröße.« Nur, dass man diesen Arbeitsschritt hier vergessen hatte. Toiletten und Waschbecken waren noch immer im Maßstab eins zu zehntausend.

»Das kann ja wohl nicht deren Ernst sein!«, murmelte ich und suchte die gefliesten Wände nach versteckten Türen ab. Nichts, außer einem Putzmittelschrank direkt gegenüber der Klokabine für die U-50 -Generation (= unter 50 Zentimeter Körpergröße).

»Nicht euer Ernst«, wiederholte ich etwas lauter und gab mir einen Ruck. Ich öffnete die Tür zum Mehrzweckraum und steckte den Kopf durch.

»… ich meine, was will man auch erwarten. Hector ist immer auf sich alleine gestellt, nie begleitet ihn jemand zu Schulaufführungen …«, sagte Frau Schlabbeck gerade mit weinerlicher Stimme. Sie stoppte abrupt im Satz, als sie mich in der Tür bemerkte.

»Herr Schmolke?«, fragte Frau Kloppke. »Ist das Papier alle?«

Das wäre mein kleinstes Problem.

»Nein, ich frage mich nur …«

»Was?«

»Also, mit Toiletten, da meinten Sie wirklich diese hier?«

»Welche denn sonst?«, fragte Marek süffisant nach.

»Die sind Ihnen wohl nicht luxuriös genug«, zählte Arne mich von der Seite an.

»Nichts gegen Luxusklos mit beheizten Klobrillen.« Valentina lachte. »Wir wollen zu Hause nicht mehr drauf verzichten, nicht wahr, Theo-Mausi?«

»Solange Idioten diesen Rabattcode-Mist aus Ihrer Internet-Werbung kaufen, müssen Sie das ja auch nicht«, fauchte Frau Tsui.

Ich schloss die Badezimmertür wieder, um die gute Stimmung unter den Eltern nicht zu stören, und wischte mir die Schweißperlen von der Stirn. Einzelheiten erspare ich Ihnen, aber meine Hitzewallungen waren mittlerweile nicht mehr nur den Temperaturen geschuldet.

»Also gut, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, sagte ich und bahnte mir denselben zur Toilette.

Um in die unter dem Mikroskop gewiss gut sichtbare Kabine zu gelangen, musste man eine brusthohe Pressholztür öffnen. Für Dreijährige war das bestimmt ein lustiges Unterfangen. Für einen Erwachsenen stellte sich einzig die Frage, wie man es schaffte, nicht bewusstlos zu werden, während man gezwungen war, beim Betreten die Luft anzuhalten, wollte man nicht mit seinem Bauch beim Ausatmen die Kabinenwände sprengen.

Und jetzt?

Ich sah zu Boden und suchte die Schüssel. Trickpinkler, die aus fünfzehn Meter Entfernung eine Fliege treffen, würden die Herausforderung annehmen. Ich aber zähle mich zu den Menschen, denen Hygiene auch in öffentlichen Einrichtungen kein Fremdwort ist, weswegen ich mich grundsätzlich setzte, wenn kein Urinal vorhanden war. Und hier lag das Problem. Würde ich versuchen, mich zu setzen, hatte ich Angst, dass es Stunden dauern würde, bis man alle winzigen Emaille-Splitter der Schüssel aus meinem Hintern gezogen hätte.

Nun, was blieb mir übrig, also zog ich die Hose samt Unterwäsche über den Po, ließ die Klamotten bis zu den Knöcheln fallen und versuchte, in die Knie zu gehen. Ein in dieser Enge hoffnungsloses Unterfangen.

Ich stand in diesem Telefonzellenklo, das Kinn auf die Türkante abgelegt (die Spülwasserleitung an der Hinterwand klemmte mir zwischen den Pobacken) und hielt den Allerwertesten etwa einen Meter über dem Ziel.

»Das hat doch keinen Sinn«, gestand ich mir ein. So groß meine Not auch war, ich musste meine Grenzen anerkennen, und die hatte mir der Innendesigner der Kita »Stöpsel-Storch« aufgezeigt.

Was zu viel war, war zu viel. Und was zu klein war, zu klein.

Ich öffnete die Tür, zog meine Hose wieder hoch und tat danach etwas, was wohl so ziemlich zum Dümmsten zählt, was ich in meinem Leben je getan habe.

Ich spülte.

Eigentlich logisch. Immerhin war ich jetzt so lange hier im Waschraum gewesen, da wäre es für die Eltern im Nachbarzimmer wohl etwas seltsam, wenn sie keine Sanitärgeräusche hören würden. Dachte ich. Und zog an der Kette für die Spülung.

Nein, ich riss sie nicht ab. Ich zerrte auch nicht den Spülkasten aus dem Putz und überflutete den Mehrzweckraum.

Ich erhielt Applaus. Tosenden!

Aus einem Lautsprecher. Direkt über meinem Kopf, in der Toilettendecke.

»Super, das hast du ganz, ganz toll gemacht!«, lachte eine übertrieben fröhliche Männerstimme über das fröhliche Geklatsche einer mittelgroßen Menschenmenge hinweg.

Ich weiß, Kinder brauchen Lob und Bestätigung. Da war ich mir mit Laras Mutter immer einig gewesen. Negative Sprache führt zu negativem Denken. Positive Kommentare motivieren. Und auch ich habe mich über das erste volle Töpfchen statt der gefüllten Windel wie Bolle gefreut. Nur habe ich damals meine Anerkennung darüber nicht in megafongleicher Lautstärke über Boxen in die ganze Nachbarschaft hinein verteilt.

So wie das eben geschehen war.

Ich betete, dass die Wände schallgedämmt waren oder zumindest die Gemüter im Mehrzweckraum so überhitzt, dass die Elternabendschaft vor gegenseitiger Anbrüllerei die Ansage nicht gehört hatte. Mein Gebet war ebenso kurz wie erfolglos und wurde rasch durch Wilma unterbrochen. Sie riss energisch die Tür auf, kam herein und sah mich an wie etwas, das man am liebsten in eine Zwangsjacke stecken würde.

»Hast du sie noch alle?«

»Äh, wieso?«, fragte ich scheinheilig.

»Warst du das?«

»Was?«

»Bist du eben aufs Kinderklo gegangen?«

Ich schüttelte den Kopf und wusste jetzt, wie ein Kind sich fühlt, das auf die wütende Frage seiner Eltern »Hast du auf unserem schneeweißen Flokati eine Nutellastulle gegessen?« sich mit verneinender Geste die Schokolade aus dem Gesicht wischt.

»Nein, ich, äh …«

Wilma stemmte die Hände in die Hüfte. »Frau Kloppke hat doch alle ermahnt, dass das nur für die Kleinen ist.«

»Wann?«

»Vorhin, beim Buffet.«

Zu dem Zeitpunkt, als Polysusi 69 im Klassenzimmer versucht hatte, mit mir Rollenspiele zu spielen.

»Ich hab wirklich nichts gemacht«, sagte ich die Wahrheit. »Nur die Spülung getestet, die klingt lustig, oder?«

Wilma sah an mir nach unten.

»Und was macht das da an deiner Hose?«

Ich machte eine ähnliche Bewegung wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz fangen will.

»Das ist … öhm … Toilettenpapier?«

Mit Dino-Muster. Ich musste es beim Hochziehen meiner Unterhose abgerissen haben. Nun hing es mir neckisch aus dem Bund bis zu den Knien.

»Was stimmt denn nicht mit dir?«, fragte sie und öffnete den Putzmittelschrank.

Ich dachte nur: Ah. Sieh mal einer an . Und dann: Ist ja gar kein Schrank . Sondern der Zugang zum Erwachsenenklo.

Ich versuchte erst gar nicht, den Sinn dahinter zu suchen, weshalb der Schreiner oder die Tischlerin oder wer auch immer sich so viel Mühe gegeben hatte, den Zugang zu den eigentlichen Waschräumen besser zu verstecken als den Panikraum in der Hochsicherheitsvilla eines paranoiden Milliardärs.

»Wasch dir wenigstens die Hände«, raunte sie mir zu. »Und dann komm. Wir sind kurz vor der Abstimmung.«