Kapitel 26

G ut gemacht, Lutz«, lachte Matze seine Ziegenmeckerlache, als ich mit Wilma zurück ins Klassenzimmer kam. Einige stimmten ein. Unnötig zu erwähnen, dass mir selbst nicht zum Lachen war. Nicht nur, weil ich ausgelacht wurde, sondern hauptsächlich, weil ich nicht zu dem gekommen war, worüber die anderen sich jetzt lustig machten.

»Super, großes Geschäft, ganz große Leistung!«

Mein Kopf war also aus mehreren Gründen knallrot, und es sah auch nicht danach aus, als könnte sich meine Gesichtsfarbe in allzu naher Zukunft ändern.

»Bitte Ruhe«, ermahnte Frau Kloppke die Eltern und erklärte mir dann, welche Abstimmung Wilma gerade gemeint hatte.

»Wir haben die Einholung eines Mehrheitsbildes, wie nach Empfehlung der Elterngemeinschaft mit Ihrem Sohn zu verfahren sei, kurz zurückgestellt und stimmen über die Aussetzung der Schulnoten im nächsten Schuljahr ab. Eine Option, die der Senat uns angeboten hat.«

»So ein Blödsinn«, murrte Frau Tsui, von der ich (wie von Wilma übrigens auch) den Vornamen nicht kannte.

»Das ist kein Blödsinn«, widersprach Herr Schlabbeck. »Wie heißt es doch? Wer vergleicht, wird unglücklich. Und was sind Noten anderes als Unglück bringende Vergleichsmaßstäbe?«

»Ich bitte um Ruhe«, mischte sich nun auch Marek ein, doch weder Frau Tsui noch Herr Schlabbeck beachteten ihn, und auch nicht der Typ namens Chernizky, der sich jetzt zu Wort meldete: »Sie wollen also keinen Wettbewerb zwischen den Kleinen. Alle sind gleich, ja? Das ist Bullshit. Und das wissen Sie. Es sind nicht alle gleich. Einige sind schlauer, andere sportlicher, wieder andere haben einfach bessere Startvoraussetzungen, mehr Geld oder gesündere Gene. Meine Jule zum Beispiel hat von Geburt an ein schwaches Herz und wird nie so schnell laufen können wie Ihr Henry. Aber was bringt ihr das, wenn wir für ein Jahr die Noten aussetzen und stattdessen zu schriftlichen Bewertungen wie in der ersten Klasse zurückgehen?«

»Sie hat wenigstens ein Jahr keinen unnötigen Leistungsdruck«, meinte Frau Schlabbeck.

»Aber der kommt zurück. Selbst wenn wir die Noten bis zum Abi abschaffen. Denn ich verrate Ihnen mal was: Die Welt da draußen …«, er zeigte zur Fensterfront, hinter der außer Bäumen, einem entfernt stehenden Bungalow und dem verstaubten Pfad, der zu ihm führte, relativ wenig Welt zu sehen war, »… diese Welt ist eine knallharte Leistungsgesellschaft, die sich einen Dreck darum schert, ob unsere Kids für eine Weile in einer rosaroten, notenfreien Blase gelebt haben. Denn die zerplatzt bei der ersten Jobbewerbung, wenn – Überraschung – der- oder diejenige mit den besseren Noten genommen wird.«

Die meisten im Raum nickten. Frau Tsui und Frosti spendeten sogar Applaus, indem sie mit den Fingerknöcheln auf den Tisch klopften wie Studenten am Ende einer guten Vorlesung. Die Abstimmung verlief mit überwältigender Mehrheit für die Beibehaltung des Notensystems auf der Sokrates-Schule, vielleicht auch, weil ich mich nicht gemeldet und meinen Senf dazugegeben hatte.

»Du stimmst gegen Noten?«, hatte Wilma mich verwundert gefragt, als ich die Hand bei der Abstimmung hob. »Wieso?«

Ich musste an meine Tochter und ihre Seepferdchenprüfung denken und dass das eine lange Geschichte war, weshalb ich ihre Frage jetzt nicht beantwortete. Denn die nächste Abstimmung stand an.

Die über Hector.

»Also, Herr Schmolke, wie ist es? Wollen Sie noch etwas zu der Diskussion hinzufügen?«, fragte Frau Kloppke und blickte abwechselnd zu mir und zu Wilma.

»Ja«, sagte ich, und zum zweiten Mal in Folge traf mich der entsetzt-verblüffte Blick meiner Sitznachbarin, als ich aufstand.

»In der Tat, das will ich.«