H ab ich Sie endlich gefunden!«
Stechender Blick, zusammengekniffene und an den Innenseiten hochgezogene Augenbrauen. In der Mimikresonanz-Forschung ist dieser Gesichtsausdruck als »Hinckley-Face« bekannt, benannt nach John Hinckley, der am 30 . März 1981 versucht hat, den US -Präsidenten Ronald Reagan vor einem Hotel in Washington zu erschießen. Seine Mimik gilt seither als Zeichen eines unmittelbar bevorstehenden körperlichen Angriffs. Funfact zur Abendstunde: Arne Brehmer konnte das Hinckley-Face extrem gut imitieren.
»Du hast mein Leben zerstört!«, schrie er.
Natürlich wusste ich, er meinte nicht mich, sondern Lutz Schmolke, aber irgendwie war ich neugierig. Bislang war ich davon ausgegangen, es ginge um die Auseinandersetzung zwischen den Kindern. Dass Hector Katharina ein blaues Auge geschlagen hatte, war weit mehr als ein ernster Zwischenfall und sicher auch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht der erziehungsunfähigen Eltern. Aber dass dadurch Arnes Leben zerstört worden sein sollte, schien mir dann doch übertrieben.
»Reicht es dir nicht, deine eigene Ehe zu ruinieren? Musstest du auch mit meiner Frau schlafen, du männliches Flittchen?«
»Äh, wie jetzt?«
Es brauchte eine Weile, bis die Bedeutung der mir gerade übermittelten Informationen in den Teil meines Gehirns vorgedrungen war, der für das Verständnis von Sachzusammenhängen zuständig war.
»Moment mal, das war ich nicht«, sagte ich, und dabei klang ich vermutlich so wie Arne selbst, als er gegenüber Marek beteuert hatte, nicht zu wissen, wie es der »Geh mal Bier holen«-Song in seine Playlist geschafft hatte.
»Dreckiger Lügner. Ich hab eure Chats gelesen. Immer wenn deine Frau auf Langstrecke war, bist du mit meiner Julia in die Kiste. Und jetzt … jetzt bin ich alleine. Sie hat mich aus dem Haus geschmissen, ich musste mit Katharina in eine Zweizimmerwohnung ziehen, dreißig Minuten mit dem Schulbus statt fünf Minuten zu Fuß, und das ist alles deine Schuld …«
Er kam näher. Ich hüpfte von ihm weg, so gut es eben mit an den Knöcheln zusammengeschnürten Beinen ging. Außenstehende mussten denken, ich wurde gerade von einem aggressiven Drill-Instructor in Extrem-Sackhüpfing trainiert.
»Hören Sie, das ist eine Verwechslung …«
Kein Wunder, dass Arne sich so für Hectors Schulverweis einsetzte. Und logisch, dass er mich als alleinigen Schuldigen auf dem Kieker hatte und Wilma außen vor ließ.
»Verwechslung? Und deine Nachricht an mich?«
Ich hoppelte noch etwas weiter von ihm weg, doch der Steg näherte sich seinem Ende.
»Per WhatsApp!«
Er zog sein Handy aus den Shorts und las vor: »Hey Arne, gib es auf. Wir spielen in einer anderen Liga. Sozial, körperlich und finanziell. Räum das Feld und sieh ein, dein Weibchen hat was Besseres verdient. Mich, Dr. Lutz Schmolke. Ist das auch eine Verwechslung, DOKTOR ?«
Das letzte Wort hörte ich eigenartig gedämpft und von gurgelnden Zischlauten überlagert, was daran liegen mochte, dass mein Kopf nicht mehr von der frischen Stegluft, sondern von Wasser umgeben war. Brehmer hatte den Hector gemacht.
Einmal voll aufs Auge. Das Letzte, was ich gesehen hatte, war der aufblitzende Ehering, der am Ringfinger seiner geschlossenen Faust auf mein Auge zuraste. Der Schlag hatte mein ohnehin wackliges Gleichgewicht vollends zum Kentern gebracht. Ich stürzte ins Wasser und ging unter wie ein Stein.