Kapitel 37

GROSNY-MARIO

K önnen Sie mir erklären, was Sie da für einen erbärmlichen Schwachkopf engagiert haben, um mein Auto zu klauen?«

Grosny-Mario, der nur sehr selten gesiezt wurde, fühlte sich trotz der anklagenden Brüllstimme in der Leitung gleich viel besser. Respektierter. Wie es sich für ein Gespräch mit einer Unterweltsgröße wie ihm ziemte.

»Auch nicht verrrstehen, was in Sascha gefahrrren«, antwortete er mit einem – wie er sich heute wirklich mal selbst loben musste – besonders gelungenen Akzent. Nicht immer schaffte er es, das R so authentisch zu rollen. Kein Wunder, dass alle am Telefon vor Ehrfurcht erblassten. Erst dieser völlig debile Jungpolizist, den er so eingeschüchtert hatte, dass der doch tatsächlich alle Ermittlungsinterna im Fall Sascha Nebel direkt an ihn weiterleitete. Und nun sein Auftraggeber, der sich der Höflichkeitsanrede bediente.

»Bin auch enttäuscht. Bisher Sascha immer gute Arbeit.«

Grosny-Mario streifte sich die Schlangenledercowboystiefel von den Füßen und ließ sie vor der Laube stehen. Wie jeden Freitag goss er Mamas Blumen in der Schrebergartenkolonie Lichterfelde, und wenn es etwas gab, was Mama nicht leiden konnte, dann waren es schmutzige Schuhabdrücke auf ihrem handgeklöppelten Sisal-Läufer.

»Gute Arbeit?«, bellte der Mann, dessen Deckname »Professor« war. »Vielleicht auf einem Schlachthof oder wo auch immer Sie sonst Ihre Grobmotoriker hinschicken. Bei einer so simplen Sache wie ›Klau das Auto. Fahr es in eine Werkstatt außer Landes und lass die Karre da so lange stehen, bis die Versicherung gezahlt hat und du es mir frisch lackiert und mit neuen Papieren wieder zurückbringst‹ hat er schon beim ersten Punkt ›Klau das Auto‹ auf ganzer Linie versagt.«

Grosny-Mario wollte seinen Kunden darauf hinweisen, dass es vielleicht nicht die beste Idee war, die Details des gemeinschaftlichen Versicherungsbetrugs in aller Breite am Telefon zu besprechen, aber der »Professor« hatte sich so in Rage geredet, dass er ihm keine Möglichkeit ließ, auch nur mit einem »Ähm« dazwischenzugrätschen.

»Ich wollte die Prämie kassieren und danach meinen Wagen zurück. Jetzt hab ich einen Schrottklumpen vor der Haustür stehen und die Bullen am Hals.«

»Tut mir leid, Sascha sonst nie Gewalt.«

»Herrgott, das war doch nicht dieser Sascha. Das war meine Frau!«

»Frau?«

»Ja.«

Grosny-Mario setzte sich auf eine Eckbank unter dem Laubenfenster zum Vordergarten und schaltete auf laut. So konnte er beim Sprechen in den Chatverlauf mit dem Polizisten-Trottel schauen, der ihm ein Bild des SUV geschickt hatte. Er sah echt übel aus. Das Auto war allenfalls noch als Requisite für einen Katastrophenfilm zu benutzen.

»Wieso Weib so brrrutal?«

Statt einer Antwort des »Professors« hörte er eine gurrende Frauenstimme im Hintergrund.

»Mein Häschen, komm, ich massier dir die Sorgen weg. Komm doch zurück ins Bettchen.«

»Himmelarsch, jetzt lass mich doch wenigstens mal für eine Minute in Ruhe. Halt deine Finger bei dir«, schimpfte sein Auftraggeber, dann raschelte und rauschte es in der Leitung, schließlich war der »Professor« wieder dran: »Meine Frau kann Ihnen egal sein, die knöpf ich mir vor, sobald ich weiß, wo ich sie finde.«

Grosny-Mario kombinierte messerscharf, dass die gurrende Täubchenstimme dann wohl eher nicht die Professorengattin war, es sei denn, sie war just in diesem Moment aus dem Schlafzimmer gerannt, um mit dem »Professor« Verstecken zu spielen.

»Wieso haben Bullen am Hals?«, fragte er und ärgerte sich, dass er es geschafft hatte, einen Satz komplett ohne R zu formulieren, gerade heute, wo er das authentische Russenmafia-Flattern im Rachen doch so gut draufhatte.

»Die haben den Halter und damit meine Handynummer recherchiert. Dann haben sie mich angerufen, und ich war so dumm, dranzugehen. Jetzt bin ich aktenkundig.«

»Warrr Vollidiot?«

»Ja, das hab ich doch gesagt. Ihr Sascha hat sie nicht mehr alle. Ich hab mir die Videos meiner Dashcam angesehen. Erst mal: Wieso hat Ihr Mann eine Blume zum Klau mitgenommen? Und wieso hat er sich nach dem Einsteigen so viel Zeit gelassen? Statt rein und weg hat der erst mal zehn Minuten nur vergeistigt durch die Windschutzscheibe gestarrt und angefangen, einen Brief zu schreiben. Und zuvor, ist das zu fassen, wickelt er sich einen Gürtel um den Hals. Kacke, wär der sofort losgefahren, wär meine Frau zu spät gekommen und das alles nicht passiert.«

Der »Professor« hatte wieder im Maschinengewehr-Modus gesprochen. Keine Chance, ihn zu unterbrechen, um ihm klarzumachen, dass Grosny-Mario nicht nach Sascha gefragt hatte.

»Ich frrrage, ob Bulle bekloppt.«

Der Auftraggeber lachte kehlig. »Ja, der auch. Kann man wohl sagen. Einer der beiden ist eine faule Sau, der hat nur doof in der Landschaft rumgestanden und den Grünschnabel alles machen lassen. Der wiederum ist nicht ganz dicht. Hat auf mich den Eindruck gemacht, dass man ihm besser einen Korken auf die Gabel steckt, damit er sich beim Essen nicht die Augen aussticht, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Ja, gut, sehr gut.«

»Was ist daran gut?«

»Sind im Sack. Torsten Tratto und anderrre.« Grosny-Mario wusste zwar, dass der zweite Polizist Helmut Koschnick hieß, aber da war kein R im Namen drin, insoweit war »andere« besserrrrrrrr.

»Wie sind Sie denn so schnell an die Namen der Polizisten gekommen?«, fragte der »Professor« mit hörbar gewachsenem Respekt.

»Kontakte«, antwortete Grosny-Mario kryptisch. Dass er mehr Glück als die beiden Bullen Verstand hatte, konnte er im Grunde selbst kaum fassen. »Haben Angst vor meiner Familie.«

»Ah, gut, sehr gut. Haben Sie weitere Informationen von Ihren, äh, Quellen?«

»Sascha und Ihre Frau sind mit Bus abgehauen.«

»Mit den Öffis?«

»Nein, mit Reisebus.«

»Das ist jetzt ein Witz.«

»Nein. Sagen Bullen. Sie haben Charterbus ausfindig gemacht.«

»Wer hat den gechartert?«

»Sokrates-Gymnasium. Für Elternabend.«

»Nicht Ihr Ernst.«

Grosny-Mario stand auf und schüttelte das bestickte Kissen, das er platt gesessen hatte, wieder in Form, damit seine Mama keinen Herzinfarkt bekam, weil es so zerknautscht aussah.

»Doch. Fuhr zu Havelchaussee.«

»An den Wannsee?«, fragte sein Auftraggeber.

»So sieht aus.«

»Wo genau?«

»Parkplatz für Fähre nach Schilfwerder, sagte dieser Trrratto.«

Der »Professor« hustete vor Aufregung. »Sie wollen mir weismachen, meine Frau und Ihr, äh, Mitarbeiter Sascha sind mit einem Schulbus zu einem Elternabend auf eine Wannsee-Insel gefahren?«

»So sieht aus. Polizei schon unterwegs.«

Grosny-Mario hörte, wie der »Professor« mit der Zunge schnalzte. »Na, dann Beeilung. Wir müssen schneller sein.«

»Wofür?«

»Um die Versicherungsprämie meines SUV entweder aus Ihrem Sascha oder meiner Frau herauszuprügeln.«