M ama.
Deswegen also.
Nur ein einziges Wort, und alles fügte sich. Alles wurde mir klar.
Wilma, diese Schlange. Sie hatte mich die ganze Zeit hinters Licht geführt. Und ich Trottel hatte gedacht, sie wäre einfach nur eine Verrückte, von denen es in Berlin ja nicht gerade wenige gibt.
Eine Verrückte mit einem Motiv, zugegeben. Dass ihr Mann ein Fremdgeher war, hatte ich ihr spätestens geglaubt, als sie neben dem ausgekippten Rucksack inmitten seiner dreckigen Unterwäsche stand, die sie Katharinas Mutter (wie ich jetzt wusste) in den Briefkasten hatte werfen wollen.
Aber eben dennoch eine Verrückte, die sich dort zu amüsieren begann, wo andere um den Gnadenschuss bettelten. Mann, wer geht denn bitte freiwillig auf einen Elternabend, wenn er noch nicht einmal ein Kind hat?
Als sie sagte, die Veranstaltung hier könnte »lustig« werden, dann hatte sie nicht den Abend als solchen gemeint, sondern die Möglichkeit, mich bei meinen Verrenkungen zu beobachten, wie ich mich als ihr Mann und Hectors Vater ausgab. Und um sich den Spaß mit mir nicht zu verderben, hatte sie mich so lange wie möglich im Unklaren gelassen, bis sich dann zugegebenermaßen die Ereignisse etwas überschlugen. Mann!
Ich dachte, sie hätte wie ich nur eine Rolle gespielt, dabei war sie es wirklich. Eine Mutter. Und nicht von irgendwem, sondern von Hector.
Da hätte ich allerdings auch selbst drauf kommen können, fiel mir nun auf. Allein die räumliche Nähe zur Schule!!! Was hatte Arne gesagt? Nach dem Rausschmiss wohnte er jetzt mit Katharina eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt. Statt fünf Minuten zu Fuß. Fünf Minuten, die ich und Wilma, halt, ich und Christin durch den Wald abgekürzt etwas schneller zurückgelegt hatten. (Ja, ja, der Esel nennt sich immer zuerst und zeigt anderen, die ihn darauf hinweisen, auch gerne mal den Mittelfinger.)
Logisch, dass Christin in der Nähe des Hauses wohnte, in dem Lutz sie mit Arnes Frau betrog. Zumal sie erkennbar gerade vom Sport gekommen war. Die Wahrscheinlichkeit sprach doch sehr dagegen, dass sie zum Joggen erst stundenlang mit der U-Bahn in einen anderen Bezirk gefahren war, um dort zufällig das Auto ihres betrügerischen Partners vor einer fremden Wohnung zu entdecken.
Ich hätte mich selbst ohrfeigen mögen.
Wie hatte ich all die Anzeichen übersehen können? Ich, Mister »Ich durchschau sie alle«! Von wegen.
Christins Wutausbruch, als Arne ihren Sohn mit einem Aquarelle malenden Serienkiller verglich. Ihre verzweifelte Bitte, ich möge ihr helfen, ihren Sohn zu finden, als er verschwunden war. Kein Wunder, dass sie mich eben nur widerstrebend mit ihm hatte reden lassen. Vermutlich hatte sie nur eingewilligt, auf den Turm zu steigen, da sie dort näher an ihm dran war und im Zweifel selbst eingegriffen hätte.
»Es tut mir so leid, Mama.«
Der Satz war erst vor wenigen Sekunden gefallen, doch ich fühlte mich um Jahre gealtert. Ich sah nach oben. Das Sprungbrett wackelte noch, war jedoch leer.
Christin hatte mit Hector die sichere Plattform des Turms erreicht (vorausgesetzt, das Ding war nicht von Termiten zerfressen oder völlig durchgerostet).
Ich meinte, Christin noch so etwas sagen zu hören wie: »Alles wird gut, Liebling. Ich lass dich nie wieder im Stich.«
Sicher war ich mir aber nicht, weil es mir in diesem Moment die Beine wegriss. Nicht im übertragenen Sinne, sondern wahrhaftig.