Kapitel 47

I ch hatte ihn in der Anspannung nicht kommen sehen.

Den Unbekannten mit der Glatze, der sich auf mich stürzte und mich auf dem Boden des Schwimmbeckens zu Fall brachte. Und zum Schreien, hockte er doch auf meinen von Frau Tsui angeknacksten Rippen. Meine aktuellen Schmerzen schienen ihm nicht auszureichen, denn er holte mit der Faust aus. An der ich einen Ehering sah, mit einem kantigen Stein in der Fassung, perfekt geeignet, um Verletzungen herbeizuführen, die ich in Katharinas Gesicht gesehen hatte.

Und da wusste ich, wer mir gerade brüllend ins Gesicht spuckte: »Ich hab alles mit angehört. Wer bist du, dass du dich in mein Leben schleichst? Du solltest nur mein Auto klauen. Nicht meine Identität. Was willst du? Wieso versteckst du dich hier mit meiner Frau? Und erzählst meinem Sohn Lügen über mich?«

Lutz Schmolke also.

So lernt man sich kennen.

Hectors Vater machte das Hinckley-Face. Wollte also zuschlagen. Mit voller Wucht.

Nun, ich würde Ihnen jetzt gerne die Geschichte des straßenkampferfahrenen Sascha Nebel erzählen, der erst einen coolen Spruch absondert à la »Nicht so hastig, Herr Kollege«. (Immerhin hatte ich Dr. Dödel ja würdig bei einer Penisuntersuchung vertreten.) Der daraufhin den Arzt mit einem gezielten Trickschlag gegen den Kehlkopf zum Schweigen bringt, bevor er ihm den beringten Finger bricht und ihn an den Ohren zu seiner Bestimmt-bald-Ex-Frau schleppt, wo er sich bei Hector winselnd für sein jämmerliches Versagen als Vater entschuldigt.

Tja, die Abfolge der wahren Ereignisse stellte sich geringfügig anders dar: Ich sagte nur wenig und tat noch weniger. Im Grunde tat und sagte ich gar nichts.

Dafür wurde Lutz von einem Flipflop halb ohnmächtig geschlagen.

Genauer gesagt: getreten . Denn der Flipflop hing an einem Fuß, und der an einem Bein, und das gehörte Arne Brehmer.

Arne wiederum hielt es auch nicht lange in der aufrechten Position. Kaum hatte ich mich aus der Schlagweite des jetzt benommen neben mir liegenden Lutz Schmolke begeben, krachte auch er zu Boden. Attackiert von einem Mann mit einem mir nicht ganz unbekannten Gesicht. War das nicht einer der Polizisten, die mich durch den Wald verfolgt hatten? Der jüngere, der beim Bus aufgetaucht war, als ich gerade einstieg, um mit Holiday-Charter in diesen Elternabend-Albtraum zu fahren.

Wie kommt der denn jetzt hierher?

Und war da oben etwa auch der andere? Der untersetzte Glatzkopf, der mich zwischen den Bäumen nicht eingeholt hatte und jetzt mit einer gewissen Trägheit vom Beckenrand auf mich herabstarrte.

Mir war klar, dass es für die Anwesenheit all dieser Leute eine logische Erklärung geben musste, wobei es mir schwerfiel, den Sinn hinter dem Ausruf des jüngeren Polizisten zu erkennen, der, wenn ich es richtig hörte, brüllte: »Die Neonazi-Versammlung ist aufgelöst, ihr Ku-Klux-Klan-Schweine!«

Als nun auch noch Christin ins Becken hinabstieg, zu Arne, dem Polizisten, mir und ihrem Mann, angetrieben vom rhythmischen Klatschen der anwesenden Eltern, Erzieher und Lehrer, und als ich außerdem sah, wie der Glatzkopf-Bulle daraufhin in Wallung geriet und sich bemühte, Wilma (sorry, Christin) davon abzuhalten, einen Stock, der einer Baseballkeule sehr ähnlich sah, ihrem langsam wieder zu sich kommenden Mann über den Quadratschädel zu ziehen – ja, da wusste ich, dass das Chaos an diesem Abend noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht hatte. Und dass es nun endgültig an der Zeit für mich war, diesen Ort zu verlassen.

Ich schlich mich unbemerkt von der Meute aus dem Getümmel nach oben und drückte Hector, der am Beckenrand stand, so innig und herzlich, wie es mir nur möglich war.

»Du schaffst das. Noch ist Zeit«, sagte ich. Dann wünschte ich ihm »Leb wohl« und verschwand auf meinem Weg zum Wasser in der Dunkelheit.