I ch stand am Gepäckband und hasste es. Wie immer. Eigentlich hatte ich nur mit Handgepäck fliegen wollen, aber der gut informierte Check-in-Mitarbeiter am Berliner Terminal meinte, meine Maschine sei so überbucht, dass ich gezwungen wäre, meinen Drei-Liter-Rucksack aufzugeben, ansonsten könne er außer für Schnappatmung und klaustrophobische Beklemmungsanfälle während des Fluges für nichts garantieren.
Ich war also in den Airbus gestiegen mit der Erwartung von Menschenmassen, die sich darin stapelten wie Passagiere einer Tokioter U-Bahn zur Rushhour. Sämtliche Stau- und Sitzzwischenräume gefüllt wie bei dem WG -Umzug, den wir damals mit einem VW Polo durchgezogen hatten. Nun denn, es kam bekanntlich anders. Ich hatte genug Platz für unerwartete Gesprächspartnerinnen auf freien Sitzen neben mir gehabt. Und mein Rucksack schien irgendwo in den unendlichen Weiten des Flugzeugbauchs verloren gegangen zu sein. Jedenfalls konnte ich ihn auf dem einschläfernd langsamen Gepäckband in der Ankunftshalle von Terminal 1 nicht entdecken. Dafür kreiste ein aufgeplatztes Paket mit Babywindeln seit etwa zwanzig Minuten an mir vorbei. Da ich mittlerweile alleine am Band stand (kein gutes Zeichen), nahm ich an, dass sich die Eigentümer nicht mehr für die Pampers Größe 4 interessierten. Vielleicht war das Baby ja während des Fluges spontan trocken geworden. Oder es hatte sich in meinen Rucksack entleert und zog diese Methode der bisherigen vor.
Das Band stoppte, und ich starrte etwas unschlüssig auf eine der Windeln, die aus dem Paket vom Band direkt vor meine Füße gefallen war.
»Hast du etwa Lotto gespielt?«, hörte ich Christin aus einiger Entfernung rufen. Sie kam aus der Richtung der Toiletten.
»Wie bitte?«
Sie zog einen (na was wohl?) Pilotenkoffer hinter sich her, ansonsten ließ nichts mehr einen Rückschluss auf ihre Profession zu. Die Mütze war verschwunden, ebenso die Uniform, die sie durch ein farbenfrohes Sommerkleid ersetzt hatte. Ihre dezent nachgezogenen Lippen gaben mir einen weiteren Hinweis darauf, dass sie irgendwo die Gelegenheit genutzt hatte, sich frisch zu machen.
»Welcher Irre gibt am Berliner Flughafen denn noch Gepäck auf?« Sie blieb vor mir stehen. »Jeder weiß doch, dass das nie ankommt.«
»Ja, bohr noch in der Wunde.«
Ich suchte nach dem Schild für verlorenes Gepäck, entschied mich aber im nächsten Atemzug, den Rucksack dem Zürcher Flughafen zu schenken, sollte er denn irgendwann noch auftauchen. Mehr als Wechselunterwäsche und Zahnpasta war nicht drin, also nichts, was ich mir nicht im nächstbesten Kaufhaus kaufen konnte.
»Du hast ja gar keine blaue Hortensie dabei.« Christin lächelte traurig, als wir uns gemeinsam auf den Weg hinaus machten.
»Und du keinen Baseballschläger«, stellte ich fest.
Keine Ahnung, warum, aber wie immer fühlte ich ein latentes Schuldbewusstsein, als ich den »Nichts zu verzollen«-Ausgang wählte. Wahrscheinlich eine Berufskrankheit, dass mich schnüffelnde Hunde und bewaffnete Polizisten etwas nervös machten, selbst wenn ich ausnahmsweise mal nichts Verbotenes getan hatte.
Ich vermied also wie immer den Blickkontakt mit den wartenden Zollbeamten, doch ausgerechnet heute hatte das keinen Erfolg.
Ich wurde angehalten.
»Herr Nebel? Einen Moment bitte«, hörte ich eine Stimme mit Schweizer Dialekt und fühlte mich sofort wie ein Topterrorist, denn anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb der Polizist meinen Namen kannte. Unwillkürlich tastete ich nach einem mir bislang verborgen gebliebenen Sprengstoffgürtel, den ich versehentlich angelegt hatte. Dass mich kein Zollbeamter, sondern ein Arzt angesprochen hatte, merkte ich erst, als ich aufblickte und einen weiß bekittelten Mann mit Nickelbrille und Gesundheitslatschen aus einem Nebenzimmer treten sah, in dem vermutlich unter normalen Umständen Leibesvisitationen oder Waterboarding-Sessions durchgeführt wurden.
Neben ihm stand ein bulliger Sanitäter, deutlich erkennbar an einer Warnweste mit der Aufschrift »Sanitäter«.
Ich sah irritiert zu Christin, die etwas verlegen mit den Achseln zuckte. In ihren Augen las ich, dass sie über das, was hier vor sich ging, besser Bescheid wusste als ich.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie, und ich sah zurück zu dem Arzt und seinem Helfer, die mich abwechselnd baten, mit ihnen in ihr Zimmer zu kommen.
Sie nickten mir freundlich lächelnd zu und deuteten in den Raum hinein, in dem ich etwas stehen sah, was mich im ersten Moment noch mehr verwirrte als die Aussage des bebrillten Arztes: »Wir sind vom psychiatrischen Notdienst und würden uns gerne mit Ihnen unterhalten, Herr Nebel.«
Denn hinter ihnen, in dem Raum, in den ich ihnen folgen sollte, stand mein Rucksack.