Chur, Graubünden
1932
Gaudenz Canova sah dem Mann mit der Hakenkreuzarmbinde in die Augen und fand keine Anzeichen von Humor. Er wirkte so streng wie das aus lauter rechten Winkeln gebildete Emblem, der eigene Schatten verdunkelte die linke Gesichtshälfte, und mit seinen geballten Fäusten konnte er jederzeit zur Tat schreiten, notfalls auch, während er dem Fotografen Modell stand. Doch Canova hatte in seiner Laufbahn als Anwalt und Politiker gelernt, dass niemand bloss Anwalt oder Politiker oder Bösewicht war, sondern immer in erster Linie ein Mensch. Also bemühte er sich, die menschlichen Schwächen freizulegen und sah den Gehorsam, die gezwungene Haltung, das Ankämmen gegen den Haarausfall – und schliesslich am Hemd, direkt über dem Herzen, eine kleine runde Brosche, die wiederum mit einem Hakenkreuz geschmückt war. Canova lachte lautlos. Wer als Symbol der Macht eine drollige Busennadel trug, war zweifellos ein Mensch. Doch das machte ihn nicht minder gefährlich, denn Bösewichte waren vielleicht zu bösen Dingen imstande, Menschen aber zu allem.
Aus dem Text neben der Fotografie erfuhr er, dass der Mann Wilhelm Gustloff hiess. Und dass die NSDAP ihn eben in Davos als Landesgruppenleiter ihrer Auslandorganisation eingesetzt hatte. Das waren wohl, auch ganz differenziert betrachtet, schlechte Nachrichten. Seine ehemaligen Berliner Studienkollegen berichteten ihm Besorgniserregendes über die Entwicklungen in Deutschland. Nun waren die Faschisten schon in der Schweiz angekommen. Er spielte ungern den Propheten, aber etwas sagte ihm, dass dieser Gustloff in Graubünden noch für Probleme sorgen würde. Und diese Probleme würden ihn als Bündner Nationalrat und Grossrat etwas angehen. Wie um sich der Sache vorerst zu entledigen, machte Canova die Zeitung zu und beschwichtigte sich damit, dass die künftigen Schlagzeilen aus gutem Grund noch nicht geschrieben waren.
Der Feierabend nahte. Nach Abwicklung mehrerer komplizierter Rechtsangelegenheiten erwog Canova, sich zu einer herzhaften Abendtafel zu bevollmächtigen. Er hatte den ganzen Tag gearbeitet und nichts ausser Kaffee zu sich genommen. Von dem dafür viel. Ob es wirklich stimmte, dass Kaffee unschädlich war? Er hatte das Gefühl, in letzter Zeit nicht mehr so gut zu schlafen. Und wurde man nicht auch ein wenig abhängig? Er stand auf und widerstand dem Impuls, schon wieder einen Kaffee zu wollen. Die Sonne schien flach in die Kanzlei und beleuchtete die Dokumente, die eingerahmt an der Wand hingen. Das Universitätsdiplom. Die Examensurkunde. Das Anwaltspatent. Warum hingen diese Papiere hier eigentlich, als wären sie von Matisse gemalt? Er bemerkte, wie wenig ihm die von seiner Vorgeneration ausgestellten Befähigungen bedeuteten, ja mehr noch, wie sehr sie ihn in die akademische Hierarchie einflochten, die er doch eigentlich verachtete. Er nahm den ersten Rahmen vom Nagel und stellte ihn gerade so sorgfältig zu Boden, dass sein Glas nicht zerbrach. Er tat dasselbe mit dem zweiten Rahmen. Und mit dem dritten. Dann verstaute er sein ganzes Palmarès in der Putzkammer und fühlte sich ganz lebendig und gelöst.
Einen einzigen Rahmen hatte er an der Wand gelassen. Darin befand sich ein Artikel über ihn aus dem amerikanischen «Time Magazine», der ihn immer noch mit Stolz erfüllte. Er hatte den Prozess damals verloren, als Angeklagter, und als sein eigener Verteidiger. Offiziell lag er mit seinen Äusserungen über die katholische Kirche also im Unrecht. Es gab Familienmitglieder, die sich seither von ihm abwandten, langjährige Freunde, die ihn nicht mehr kennen wollten. Aber unter den freien Menschen dieser Welt hatte er sich einen Namen als einer der führenden Gotteslästerer gemacht.
Es klopfte.
Die Sekretärin hatte sich pro forma angekündigt, bevor sie sein Büro betrat und fragte, ob ihn noch jemand sprechen könne.
«Ohne Termin?», entgegnete er, und der leise Vorwurf, den er mitschwingen liess, war durchaus gewollt.
«Sie scheinen extra vom Land angereist zu sein», sagte die Sekretärin verlegen.
«Sie?»
«Ein Mann und eine Frau.»
Canova antwortete nicht und stimmte mit einer knappen Kopfbewegung zu. Er musste ja nicht gleich so tun, als würde er sich über die Verschiebung des Feierabends freuen. Abgesehen davon mochte er die Beharrlichkeit der Sekretärin, und nicht zum ersten Mal dachte er, dass es aus ihr eine gute Anwältin gegeben hätte.
Sie war schon fast gegangen, da blieb sie in der Tür stehen und starrte die Wand an, an der sich ein Zeitungsartikel und drei Nägel befanden. Und dann ging sie doch, um die unangemeldete Kundschaft hereinzubitten.
Er sah die Leute zum ersten Mal. Sie waren klein. Der Mann war noch ein bisschen kleiner als die Frau und daher besonders klein. Und doch mussten sie in seinem Alter sein, also um die Vierzig.
Die Frau blickte ihn durch eine dünne Brille scheu an. Ihr Händedruck war schlaff und kurz. Der Mann, den ein süsslicher Zigarrenduft umgab, drückte bei der Begrüssung fester zu, doch auch er schien sich hier nicht wohlzufühlen.
Canova liess die beiden auf dem Kanapee Platz nehmen. Etwas abseits vom Schreibtisch und den Aktenschränken hatte er eine kleine Sitzecke eingerichtet. Er legte Wert darauf, die Klienten in einem angenehmen Ambiente zu empfangen, zumal ihre Anliegen meist unangenehmer Natur waren.
«Trinken Sie etwas?», fragte er.
«Wir wollen Ihnen keine Umstände machen», sagte die Frau.
«Ich aber brauche einen Kaffee», sagte Canova. «Nehmen Sie also auch einen?»
«Sehr gerne», sagte der Mann.
Er ging ins Nebenzimmer und wünschte der Sekretärin einen schönen Abend. Es war nicht nötig, dass sie ebenfalls hungrig in der Kanzlei ausharrte, zudem machte ihn sein eklatanter Kaffeekonsum allmählich verlegen. Als sie weg war, bereitete er drei Tassen zu und balancierte sie auf einem Tablett ins Büro, wo die Frau und der Mann schweigend auf ihn warteten. Sie bedankten sich, und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft lächelte die Frau.
«Wie kann ich Ihnen helfen?», fragte Canova, nachdem er sich auf einen Sessel gesetzt hatte.
«Sie haben uns unsere Tochter genommen», sagte die Frau.
«Wer hat Ihnen Ihre Tochter genommen?»
«Die Pro Juventute.»
Canova nahm einen Schluck Kaffee. Er hatte bereits geahnt, dass es um dergleichen ging. «Beginnen wir doch einmal von vorn», schlug er vor.
Sie hiessen Maria Ursula und Gion Candreia und kamen aus Stürvis. Canova erfuhr, dass man Maria Ursula Candreia bereits vor der Geburt ihres unehelichen Kindes das Mutterrecht abgesprochen hatte. Dass sich die Vormundschaftsbehörde im letzten Moment gegen die von Gion Candreia beantragte Adoption gestellt hatte. Dass stattdessen die Pro Juventute die Vormundschaft übernommen hatte und das Mädchen nun von der Mutter und deren Mann fernhielt. Und dass die beiden verzweifelt waren. Vielleicht waren sie jünger, als er vermutet hatte, dachte Canova, während er ihnen aufmerksam zuhörte. Eine Sorge, das wusste er, konnte auf den menschlichen Verfall so viel Einfluss haben wie ein Jahrzehnt.
«Man sagt, Sie würden etwas unternehmen. Eine Frau Waser aus Obervaz hat uns Ihre Adresse gegeben. Sie war auch schon da.» Maria Ursula Candreias Stimme hatte sich während des Lageberichts zuweilen gebrochen, jetzt klang sie wieder ein wenig kräftiger. Gion Candreia hatte nicht viel gesagt. Nicht aus Gleichgültigkeit, glaubte Canova, sondern weil sich in ihm eine unheimliche Wut sammelte.
«Als Erstes müssen wir Folgendes klären», sagte Canova, um einen ruhigen und sachlichen Ton bemüht. «Gab es einmal ein Verfahren, in dem Ihnen die elterliche Gewalt entzogen wurde?»
«Ein Verfahren?» Maria Ursula Candreia dachte kurz nach. «Ich habe ein Dokument unterschrieben.»
«Das ist kein Verfahren.»
«Aber etwas anderes gab es nicht.»
«Dann sind Sie in Tat und Wahrheit immer noch im Besitze der elterlichen Gewalt.»
«Das heisst, das Kind hätte bei mir aufwachsen dürfen?»
«Rechtlich gesehen, ja.»
«Auch ohne Mann?»
«Ja.»
«Warum hat uns das niemand gesagt?», fragte Maria Ursula Candreia leise.
«Rechtlich, was heisst das?» Ruckartig stand Gion Candreia nach langem Schweigen auf. Seine Stimme bebte, doch auch stehend wirkte er nicht sehr bedrohlich. «Ist rechtlich das, was die Gesetze sagen, oder das, was die Behörden befehlen?»
«Ich habe Verständnis für Ihren Unmut», sagte Canova. «Aber setzen Sie sich doch wieder.»
Candreia setzte sich.
«Schauen Sie, wir haben im Kanton Graubünden einen eigenartigen Gesetzesartikel.» Es gelang Canova nicht, seine Ernüchterung darüber zu verbergen, zumal er das Gesetz als Jurist und Politiker gleich doppelt vertrat. «Diesen Artikel gibt es sonst nirgends in der Schweiz. Er besagt, dass sich Betroffene in einem Entmündigungsverfahren nicht anwaltlich vertreten lassen dürfen.»
«Und was bedeutet das?»
«Wenn ein Dieb für einen Monat ins Gefängnis soll, erhält er von Amtes wegen einen Verteidiger. Doch man kann Eltern ihr Kind wegnehmen, man kann Menschen jahrelang in einer Anstalt versorgen, und hier ist ein Verteidiger verboten. Es bedeutet, dass man Ihnen keinen Rechtsschutz gewährt.»
«Und finden Sie das richtig?»
«Nein, ganz und gar nicht. Die Behörden können auf diesem Gebiet Beschlüsse fällen, die niemand genau kontrolliert. Und dann muss man die Beschlüsse natürlich auch nicht genau begründen.» Canova versuchte, sich mit einem eindringlichen Blick von diesen Praktiken zu distanzieren. «So richten sich die Behörden manchmal nicht nach den Gesetzen. Sondern die Gesetze richten sich nach den Behörden.»
Candreia stand wieder auf. «Die haben uns ständig angelogen! Diese feinen Herren in ihren Büros machen mit uns, was sie wollen!» Sogleich sah er betreten zu Boden, offenbar realisierte er, dass er hier eigentlich auch bei einem feinen Herrn in einem Büro war. Er setzte sich wieder.
«Heisst das jetzt also, dass sie uns das Kind zurückgeben müssen?», fragte Maria Ursula Candreia in die eingetretene Stille und sah Canova mit grossen Augen an.
Ein Stich fuhr Canova in die Brust. So einfach war das alles nicht. Er war, trotz der vielen Diplome in der Putzkammer, nicht Herr über Recht und Gerechtigkeit. Er konnte ihnen nichts versprechen. Aber er war entschlossen, diesen gebeutelten Leuten eine Stimme zu geben.
«Ich werde mich für Sie einsetzen», sagte er. Und er spürte, wie die Worte Maria Ursula und Gion Candreia guttaten. Wie ihre kaputte Welt, nachdem sie jegliches Vertrauen in die Behörden verloren hatten, wieder etwas zusammengeflickt wurde.
Er leerte seine Tasse, zögerte, und sagte schliesslich: «Darf ich Ihnen noch eine unhöfliche Frage stellen?»
Sie erschraken.
«Unhöflich, weil das eigentlich niemanden etwas angeht.» Er machte die umständliche Einleitung vor allem, um sich selber freizusprechen. Dann fragte er: «Was machen Sie beruflich?»
«Ich bin Hausfrau», sagte Maria Ursula Candreia.
«Ich bin Briefträger», sagte Gion Candreia.
«Dann hatten Sie sicher auch einen langen Tag», sagte Canova.
Er liess sich von ihnen sämtliche wichtigen Unterlagen geben, die sie besassen, das Familienbüchlein, Dokumente von der Vormundschaftsbehörde und der Pro Juventute. Er versicherte ihnen, die Unterlagen zu studieren und sich wieder bei ihnen zu melden.
Als Maria Ursula und Gion Candreia sich mehrmals bei ihm bedankten und gingen, schätzte er sie auf etwa dreissig.
Jetzt erst bemerkte er, dass ihre Tassen noch voll waren. Vielleicht hatten sie den Kaffee in ihrer Aufregung einfach vergessen. Oder sie kannten das in Mode gekommene Gebräu gar nicht und wussten es noch nicht zu würdigen.
Fünf Mal schon waren nun Eltern zu ihm gekommen, denen die Pro Juventute ein Kind weggenommen hatte, und langsam begann er, ein Muster hinter den Wegnahmen zu erkennen. Ein Muster, das ihn erschaudern liess. Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse. Alfred Siegfried, der gute Hirte. Die Eingriffe der Pro Juventute, so vermutete Canova nun, gründeten nicht zwingend auf Vorfällen oder auf untragbaren Verhältnissen – sie waren in erster Linie ein Akt der Stigmatisierung.
Er warf einen Blick in Candreias Dienstbüchlein, das er ihm sonderbarerweise auch hiergelassen hatte – es war, als hätte er ihm sein ganzes Schicksal in die Hände gelegt. Körperlänge 155 cm. Mittelmässig in Lesen und Aufsatz. Schwach in Heben und Vaterlandskunde. Dienstuntauglich. Aber dann, nachdem der Krieg begonnen hatte, war er in einer Nachmusterung für diensttauglich erklärt worden. Grenzbesetzung. Der Krieg hatte aus ihm doch noch einen wackeren Soldaten gemacht. Keine Änderungen im Grad. Keine besonderen Auszeichnungen. Es folgten die Wohnortswechsel: Mutten, Sils, Davos, Zofingen, Flims, Schübelbach, Tartar, Samaden – Canova begann noch einmal von vorn und zählte, wie oft sich Candreia in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf einer Gemeinde abgemeldet und auf einer anderen angemeldet hatte.
Siebenundzwanzig Mal.
Das war recht viel. Das war so viel, dass es bestimmt Leute gab, die das nicht gut fanden. Die glaubten, das sei unanständig. Die das mehrfache Umziehen zum Herumziehen erklärten, und das Herumziehen zum Herumtreiben. So wurde man ein Vagant.
Mit Grauen erinnerte sich Canova an die sogenannte «Vagantenfrage» des Psychiaters Johann Josef Jörger, die man im Grossen Rat behandelt hatte. Die Vaganten sind Abirrungen vom gewöhnlichen Typus des homo sapiens, so Jörger, sie sind mehr Trieb- als Verstandesmenschen, die Jugend muss versorgt werden, sonst erbt sich das Elend wie eine ewige Kette fort, was wir brauchen, ist eine liebevolle Patronisierung dieser armen Jugend ...
Jörger hatte in Siegfried den Vollstrecker seiner xenophoben Visionen gefunden. Dieser Siegfried kümmerte sich nämlich nicht um das Wohl der Kinder oder Jugendlichen. Unter dem Deckmantel der Nächstenliebe und der Jugendfürsorge hatte er ein perfides System erschaffen. Und dieses System erfuhr die breite Unterstützung des ganzen Landes, von der Bevölkerung bis zum Bundesrat.
Canova stöberte weiter in den Unterlagen und stiess auf ein Dokument mit der Überschrift «Vaterschaftsanerkennung». Es datierte auf das Jahr 1920, aufgestellt und unterzeichnet vom Amtsvormund des Kreises Chur, Dr. Florian Mattli.
Mattli. Canova dachte mit einer gewissen Rührung an seinen Kollegen, den er seit Kindstagen kannte. Er hatte ihn seit Jahren nicht gesehen. Mattli war ein talentierter Anwalt gewesen und durchaus von politischen Ambitionen umwoben, aber er war zu sensibel, um ein richtiger Kämpfer zu sein. Seinen Posten bei der Amtsvormundschaft hatte er inzwischen aufgegeben. Nun, niemand sah so viel Unrecht wie der, der sich dem Recht verschrieb. War Mattli daran zerbrochen? Soweit Canova wusste, hatte er eine Emmentalerin geheiratet, lebte jetzt in Langnau und machte Käse.
«Ich bitte Sie nun ebenso dringend wie höflich, einmal aufhören zu wollen mit der unnützen Drängerei», las er in einem Brief der Pro Juventute an Maria Ursula Eugster. «Ich bitte Sie, die Notwendigkeit und Zweckmässigkeit dieser Anordnungen einmal zu begreifen.» Und in einem anderen: «Ich verstehe nicht recht, wie Sie so viel Geld ausgeben können für Telefongespräche.» Und in noch einem: «Ich sehe mich veranlasst, Sie ein letztes Mal zu warnen», wobei der zweite Satzteil bedrohlich unterstrichen war. «Sie haben meine Güte missbraucht. Wenn Sie mich zwingen, muss ich leider ...», und Canova mochte gar nicht mehr weiterlesen, da ihm schlecht wurde von diesem gebieterischen Ton.
Das Land war voller Staatsdiener, die all das vereinigten, was er an den Predigern des Christentums so hasste: Sie waren stets auf der guten Seite und richteten ihr heiliges Wort an die Sünder. Sie belehrten und tadelten und warnten – aus Güte. Um ihre Untertanen, die sich selbst mit Schuld beladen hatten, zu retten. Wie Canova diesen Schwachsinn hasste. Und es war das unterjochte Volk, das diesen Schwachsinn mittrug.
Wie konnte es zu dieser Hetzjagd auf einige ausgewählte Familien kommen? Warum kämpfte man gegen diese Menschen der sozialen Unterschicht an, deren Lebensweise sich zum Teil von der gebräuchlichen unterschied? Es war die Angst, sinnierte Canova. Die Angst vor dem Unbekannten, dem Fremden, der Überfremdung. Und vielleicht, sinnierte Canova weiter, speiste sich diese Angst aus der Liebe zum Bekannten, Gewohnten, Vertrauten, einer imaginären Liebe allerdings, die in Wahrheit ein Hass auf das Bekannte, Gewohnte, Vertraute war, und in eine wütende Flucht vor sich selbst mündete. So war das Geschwür des Landes nicht das heimatlose Volk, denn es war frei und versank nicht im Sumpf der Scholle. Das wahre Geschwür bestand aus den Sesshaften, den Alteingesessenen, die ihr Leben selbstgefällig in Gefangenschaft verbrachten und von ihrer geliebten Heimat zerfressen wurden.