Jedes Familiensystem ist von eigenen Dynamiken geprägt. Was für eine Familie maximal entlastend und unterstützend sein kann, stürzt eine andere Familie stattdessen in chaotische Zustände und kann sogar zu einer Verschlimmerung einer Situation führen. Jede Familie, die eine Kindertagessstätte betritt, sollte in ihrer Individualität gesehen und angenommen werden. Sie als Fachkraft sind also immer dazu aufgefordert, verschiedene Perspektiven sowie Betrachtungsweisen einzunehmen.

Ein rein defizitärer Blick führt in aller Regel dazu, dass kindliches sowie elterliches Verhalten problematisiert, vielleicht sogar pathologisiert wird. Ein Kind, das sich „schwierig“ und „unangepasst“ verhält, wird dann möglicherweise rasch als trennungsängstlich, aggressiv, verwöhnt oder entwicklungsverzögert eingestuft. Natürlich bringt jedes Kind seinen ganz persönlichen Wesenskern und damit einhergehende Entwicklungsaufgaben mit. Jedes Kind trifft jedoch auf eine Umwelt, die unterstützend, ermutigend oder entwicklungshemmend sein kann. Hieraus entspinnt sich zwischen Eltern und ihren Kindern eine eigene Dynamik. Das Bemühen, niemals damit aufzuhören, die Eigenheiten einer Eltern-Kind-Bindung verstehen zu wollen – durch Beobachtung und die Kunst, gute Fragen zu stellen –, kennzeichnet gute pädagogische Arbeit. Diese Fähigkeiten dürfen sich im Laufe des Berufslebens entwickeln und verfeinern. Dies gelingt am besten, wenn man mit wertschätzendem Blick auf Eltern und ihre Kinder blickt. Manchmal ist die Suche nach Ressourcen und gelingender Kommunikation in einem mehr oder weniger dysfunktionalen Familiensystem tatsächlich sehr erschwert. Die Suche danach lohnt sich jedoch, auch dann, wenn zunächst nur minimale Spuren davon sichtbar werden. Der Glaube an die elterliche Entwicklungsbereitschaft darf niemals verloren gehen. Ebenso wenig das Festhalten an der Idee, dass Eltern in aller Regel einen guten Elternjob machen wollen – auch dann, wenn es jenen derweil noch an Ideen, Wissen und Kompetenzen mangelt, wie dies gelingen kann.

Dies wiederum bedeutet keinesfalls, dass Sie als Fachkraft alles durchgängig positiv bewerten müssen, was Ihnen im Laufe ihres Berufslebens an möglichen Eltern-Kind-Dynamiken begegnet. Dass man Eltern jedoch nicht mit Zwang und Druck verändern kann, ist eine Tatsache. Viele Eltern haben – ebenso wie ihr Kind – einen langen Entwicklungsweg vor sich.

Elterngespräche in Kita, Krippe und Kindertagespflege entbinden Eltern niemals von ihrer persönlichen Verantwortung, sich weiterzuentwickeln. Eltern und Kinder unterscheiden sich manchmal viel weniger voneinander, als man zunächst annehmen möchte. Sie möchten sich gesehen und anerkannt fühlen. Sie wünschen sich Menschen, die an sie und ihre innere Entwicklungsbereitschaft glauben. Sie möchten Fragen stellen, manche sogar immer wieder. Diese Form der Rückversicherung gibt ihnen Orientierung und Sicherheit. Sie möchten etwas über Grenzen erfahren und brauchen Hilfe dabei, wenn die Einhaltung dieser Grenzen mit Schwierigkeiten einhergeht. Diese Grenzen sind nicht willkürlich definiert. Sie ergeben sich automatisch, wenn es um das kindliche Wohl, um Schutz und Würde sowie um Normen und Werte geht, die ein soziales Zusammenleben ermöglichen. Auch Eltern wünschen sich Verständnis, wenn etwas nicht gut geklappt hat. Wenn Eingeständnisse von Überforderung nicht zu einem Beziehungsabbruch oder massiver Kritik führen, so festigt dies vielmehr das Vertrauen in die Fachkraft.

Wie Ihnen als Fachkraft diese anspruchsvolle Aufgabe gelingen kann, wird in den nun folgenden Fallspielen ausführlich besprochen.

2.1 Die beziehungsorientierte Eingewöhnung

Es ist unerheblich, wie alt ein Kind ist: Erste Erfahrungen mit außerfamiliärer Betreuung sollten für ein Kind möglichst gut und möglichst bewältigbar verlaufen. Trifft ein Kind auf eine freundliche, verständnisvolle Umwelt, so festigt sich in ihm das grundlegende Vertrauen, dass man achtsam mit ihm umgeht und ein respektvoller Umgang zwischenmenschliche Beziehungen kennzeichnet.

Ist das elterliche Erziehungsverhalten von diesem Wertegerüst geprägt, so wird ein Kind auch nichts anderes erwarten und gegen eine unfeinfühlige Behandlung durch andere protestieren. Sind Elternpersönlichkeiten selbst belastet oder noch mitten in ihrer Entwicklung, so sollte der Übergang in die außerfamiliäre Betreuung erst recht beziehungsbezogen erfolgen: Das Kind hat nun die Chance, andere Beziehungsmodelle und Kommunikationsformen kennenzulernen – dies gilt im Übrigen auch für die Eltern.

Der Übergang in die außerfamiliäre Betreuung ist hochbedeutsam für das Kind und seine weitere Entwicklung: Es rückt die Bedeutung von Autonomie und Selbstständigkeit in den Mittelpunkt. Es geht darum – ganz vereinfacht ausgedrückt –, sich in einer Umwelt zu bewegen, in der Erfahrungen ohne die Eltern gesammelt werden und wo andere Personen stellvertretend die Fürsorge- und Aufsichtspflicht übernehmen. Nun liegt es in der Natur von Eingewöhnungsprozessen, dass diese oftmals alles andere als idealtypisch oder belastungsfrei verlaufen.

Wie Herausforderungen gemeinsam mit Eltern und Kindern gemeistert werden können, wird in diesem Kapitel anhand der Fallbeispiele Maja, Bruno, Claire und Felix besprochen.