BRUNO – DAS LAUFENDE STILLKIND

Hier geht es um die folgenden Themen:

Verlauf einer bindungsorientierten Eingewöhnung im Krippenalter

Stillen im Kleinkindalter und im Rahmen der Eingewöhnung

Bindungs- und Explorationsverhalten

Blickverhalten und social referencing

Bruno (15 Monate) ist ein fröhliches, aktives Kleinkind. Es ist der dritte Tag der Eingewöhnung. Ein klassischer Wechsel von Bindungs- und Explorationsverhalten zeigt sich. Bruno kuschelt sich wiederholt an seine Mutter und sucht regelmäßig ihre Nähe auf. Die Mutter wiederum beantwortet das kindliche Bedürfnis nach Nähe mit großer Selbstverständlichkeit. Sie kommentiert dabei weder das Bindungsbedürfnis, noch scheint sie Sorgen zu haben, dass Bruno sich zu nähebedürftig verhalten könnte. Sie drängt ihr Kind auch nicht zur Exploration, indem sie versucht, ihn zum selbstständigen Spielen zu animieren. Sie ist die sichere Basis und verhält sich ansonsten passiv.

Nach rund dreißig Minuten gewinnt Bruno stetig an innerer Sicherheit in der neuen Umgebung. Er untersucht neugierig verschiedene Spielsachen, die sich neben dem Stuhl der Mutter befinden. Alsbald wird sein Radius immer weiter. Er erkundet den Raum, gesellt sich zu anderen Kindern hinzu und beobachtet interessiert das Spiel der bald Dreijährigen. Eins der Kinder nimmt Bruno an die Hand und zeigt ihm Spielsachen. Bruno kann sich gut darauf einlassen. Er ist das dritte Kind seiner Eltern und verfügt bereits über ein gut entwickeltes Interaktionsverhalten mit anderen Kindern.

Emotionskompetente Kinder zeigen deutlich weniger Rückzugstendenzen in sozialen Situationen und kommen besser mit ihren Peers zurecht. Sie entwickeln weniger häufig externalisierendes oder internalisierendes Problemverhalten (Siegler et al. 2016).

Bruno nimmt regelmäßig Blickkontakt mit seiner Mutter auf, die ihn aufmerksam beobachtet. Nonverbal scheint er seine Mutter zu fragen: „Wie beurteilst du diese Situation?“ Diese nimmt den fragenden Blick ihres Sohns auf, nickt ihm lächelnd sowie unterstützend zu. Sichtlich beruhigt zieht Bruno weiter seine Kreise.

Untersuchungen von Kleinkindern mit ihren Müttern unter standardisierten Bedingungen zeigen, dass das sogenannte soziale Referieren hochbedeutsam für kindliches Erkundungsverhalten ist. So beziehen sich Kinder auf mimische, aber auch vokale Hinweise der Erwachsenen (Siegler et al. 2016). Je nach Art der Information, die sie darüber erhalten, werden sie lediglich durch den Blickkontakt dazu ermutigt, sich weiter in Erkundungsverhalten zu üben oder sich gegenüber unbekannten Situationen bzw. Objekten vorsichtig oder sogar vermeidend zu zeigen. Dieser Effekt zeigt sich auch im Rahmen der Eingewöhnung.

Nach rund dreißig Minuten kehrt Bruno zu seiner Mutter zurück und beginnt an ihrem Oberteil zu ziehen. Er macht deutlich, dass er gestillt werden möchte, was in einem anderen Raum möglich ist. Im Anschluss an das Stillen erkundet Bruno mit neuer Energie den Raum. Er beginnt mit Isabella, der eingewöhnenden Erzieherin, ein gemeinsames Spiel, das ihm sichtlich Spaß macht.

Wie Brunos Eingewöhnung weiterging? Mutter und Erzieherin vereinbarten, dass die erste Trennung in der zweiten Woche der Eingewöhnung stattfand. Die bewusste Gestaltung des Übergangs in die außerfamiliäre Betreuung tat Bruno sichtlich gut. Er fasste rasch Vertrauen zu Isabella, was jedoch nur möglich war, da seine Mutter zunächst als sichere Basis im Raum präsent war. Die Beziehung zu Isabella konnte in Anwesenheit der Mutter stetig wachsen. Die Mutter stillte Bruno während der Eingewöhnung nach Bedarf. Nach sechs Wochen war Bruno sehr gut in der Krippe angekommen. Bei emotionaler Verunsicherung suchte er die Nähe von Isabella, die ihn rasch und nachhaltig beruhigen konnte. Bruno zeigte auch im Krippenalltag einen beständigen Wechsel von Explorations- sowie Bindungsverhalten. Das spielende Erkundungsverhalten zeigte sich jedoch stärker als das Aufsuchen von Isabella als sichere Basis. Brunos Bindungssystem war somit sichtlich beruhigt, was das freie Spielen erst ermöglichte. Die Eingewöhnung war maßgeblich davon gekennzeichnet, dass sich Bruno stets sicher fühlte.

Stillen und Eingewöhnung

Muttermilch ist unbestritten das wertvollste Getränk, das ein Kind erhalten kann. Gestillte Kinder weisen eine bessere Immunabwehr auf. Sie haben ein geringeres Risiko für die Entwicklung von Erkrankungen – wie z.B. Diabetes, Asthma oder auch Adipositas –, die zwar keinesfalls lebensbedrohlich sein müssen, aber natürlich mit Einschränkungen der langfristigen Lebensqualität einhergehen (Strüber 2021).

Die Vorteile des Stillens müssen auch aus Perspektive der Mutter diskutiert werden. Stillt eine Mutter, so senkt dies das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken (Qiu et al. 2022). Die stillende Mutter hat meist einen niedrigeren Blutdruck, ist ruhiger und kann Stress besser regulieren. Zudem senkt die Produktion von Muttermilch das Risiko, eine postpartale Depression zu entwickeln. Auch das Risiko, nach Entwicklung eines Schwangerschaftsdiabetes dauerhaft an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, wird durch das Stillen gesenkt (Strüber 2021, Pathirana et al. 2022, Wang et al. 2023).

Muttermilch hat nachweislich positive Effekte auf die Immunabwehr des Kleinkindes (Bongertz 2021). Dieser Boostereffekt kann im Kontakt mit einer neuen Kita-Keimwelt positiv zum Tragen kommen. Eine längere Stilldauer kann sich außerdem positiv auf das kindliche Stresssystem auswirken. Beim Stillen wird in hoher Konzentration das Bindungshormon Oxytocin freigesetzt, was das Bindungsband zwischen Mutter und Kind stärkt (Strüber 2021, Hardin et al. 2021). Das unerschütterliche Vertrauen in die Mutter, die ihr kleines Kind durch Stillen rasch und nachhaltig beruhigen kann, hemmt die Produktion von Stresshormonen, wie beispielsweise Cortisol. Der abpuffernde Effekt des Oxytocins als Gegenspieler des Cortisols sollte im Rahmen der Kita-Eingewöhnung als schützend betrachtet werden. Eine Überflutung des kindlichen Stresssystems aufgrund der Vielzahl neuer Reize sowie Entwicklungsanforderungen, die sich automatisch im Rahmen jeder Eingewöhnung ergeben, kann durch das Stillen abgewendet oder zumindest in der Intensität reduziert werden. Mit der stillenden Mutter kann besprochen werden, dass eine gleichbleibende Umwelt, insbesondere während der Eingewöhnung, viel Sicherheit gibt. Die kindlichen Ressourcen sollten demnach nicht überstrapaziert werden, sodass für das Kind ein wirkliches Einlassen auf die Eingewöhnung überhaupt möglich wird. Der Entwöhnungs- sowie Abstillprozess ist ebenfalls ein Abschied sowie Loslassen von einer meist geliebten Gewohnheit des Kindes. Auch die Gewöhnung des Kindes an sein eigenes Bett, in seinem eigenen Zimmer, und die damit einhergehende Reduktion des Co-Sleepings, ist eine Trennungssituation. Natürlich treffen Eltern hier ihre persönlichen Entscheidungen. Parallel nicht mehrere Übergangsprozesse zu initiieren, ist jedoch eine wertfreie Information, die Fachkräfte so an Eltern weitergeben können.

Während insbesondere in traditionellen Jäger- und Sammlerkulturen das Stillen von Kindern bis nach deren vierten Geburtstag üblich ist, wird das laufende und sprechende Stillkind hierzulande oftmals als Folge einer zu symbiotischen Mutter-Kind-Bindung betrachtet. Die Rückmeldung von Fachkräften, dass auch eine längere Stilldauer für Kind und Mutter mit positiven Effekten assoziiert ist, entlastet und stärkt viele Mütter maßgeblich.