Hier geht es um die folgenden Themen:
Kennzeichen einer sicheren Fachkraft-Kind-Beziehung
Wenn Eltern beruflich sehr engagiert sind
Sorge vor Rivalität aus Sicht der Eltern
Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Fachkräften
Zusammenspiel von Bindungs- und Explorationsverhalten
Alea (20 Monate) besucht seit ihrem elften Lebensmonat eine Kindertagesstätte. Die Eingewöhnung verlief rasch und unproblematisch. Beide Elternteile sind beruflich sehr involviert. Alea wird um acht Uhr gebracht und frühestens um 16 Uhr abgeholt. In bindungsrelevanten Situationen akzeptiert Alea jede Fachkraft, aber sie hat dennoch eine sichtbare Präferenz gegenüber Lea entwickelt. Seit rund einem Monat verhält sie sich gegenüber ihrer Lieblingserzieherin immer anhänglicher. Sie möchte von ihr getragen werden und sucht häufig ihre Nähe auf. Wendet sich Lea anderen Kindern zu, so kann Alea plötzlich intensiv zu weinen beginnen oder aber sie versucht, das andere Kind durch Schubsen von Lea fernzuhalten. Alea lässt sich jedoch stets rasch von Lea beruhigen.
Auch heute gehört Alea zu den letzten Kindern, die abgeholt werden. Sie hat schon seit Tagen eine leichte Erkältung und am Nachmittag erhöhte Temperatur entwickelt. Die Eltern, informiert über den Gesundheitszustand, können eine frühere Abholzeit nicht ermöglichen. Alea liegt müde und erschöpft in Leas Arm, die ihr vorliest und dabei über den Kopf streicht. Die Mutter betritt abgehetzt den Gruppenraum. Sie entschuldigt sich bei Lea für ihre spätes Eintreffen. Als Lea das Kind an seine Mutter übergeben möchte, beginnt Alea heftig zu weinen und schlingt die Arme um die Erzieherin. Sie weint immer heftiger, klammert sich an und kann der Mutter nur aufgrund von körperlicher Überlegenheit übergeben werden. Zwischen den Frauen entsteht eine angespannte Stimmung. Grußlos verlässt die Mutter mit ihrem Kind die Kita, das verzweifelt die Arme nach Lea ausstreckt. Diese Situation hat Lea sehr verunsichert, sodass sie sich an ihre Leitung wendet.
Man trifft gemeinsam die Entscheidung, zeitnah ein Elterngespräch zu führen. In diesem Gespräch, das Lea und die Leitung zusammen führen, können auf beiden Seiten wichtige Themen geklärt werden. Natürlich fällt den Eltern schon länger auf, wie wichtig Lea für ihre Tochter geworden ist. Inzwischen kommt es regelmäßig vor, dass Alea sich nur unwillig von Lea löst, wenn sie von den Eltern abgeholt wird. Die Eltern kommunizieren hier sehr offen ihre Ambivalenz. So sind sie einerseits froh, dass ihre Tochter in Lea eine zuverlässige, engagierte Erzieherin gefunden hat und somit auch gerne in die Kita geht. Andererseits sorgt es sie, dass Alea in der Kita zu sehr verwöhnt werde – Erziehung zu Selbstständigkeit ist für beide Elternteile sehr bedeutsam.
Erziehungsstile
Die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern wird maßgeblich von Verhalten der Eltern sowie deren Einstellung geprägt. Der Erziehungsstil nimmt somit Einfluss auf das emotionale Klima (Siegler et al. 2016).
Beide Eltern berichten über ihre eigene Sozialisation, die von Pflichten, Regeln sowie Anforderungen geprägt war. Diese Erziehung habe ihnen jedoch nicht geschadet, sondern ganz wesentlich zu ihrem beruflichen Erfolg beigetragen. Lea und die Leitung würdigen diese Erfolge. Sie informieren die Eltern über Aleas selbstständiges Verhalten in vielen Situationen und betonen, wie gut das Kind bereits im Kita-Alltag zurechtkommt. Diese Informationen beruhigen die Eltern sichtlich. Es folgt außerdem ein kurzer Impuls zu kindlichem Verhalten und welche Auswirkungen eine gute Bindung und Beziehung an die Eltern, an die pädagogische Fachkraft auf die kognitiv-soziale Entwicklung hat. Beide Eltern hören interessiert und aufmerksam zu. Dass man kleine Kinder überhaupt nicht verwöhnen könne und ein einfühlsames Eingehen auf kindliche Gefühle die Autonomieentwicklung sogar positiv beeinflusse, finden beide Eltern sehr erstaunlich.
„Kinder werden selbstständig, wenn sie eine Sicherheitsbasis haben. Das sind zu Hause die Eltern und in der Krippe sind wir das. Wenn die Kinder Bindungsverhalten zeigen, dann trösten wir die Kinder. Oft reicht es, wenn man die Kinder kurz in den Arm nimmt und tröstet. Auf diese Weise wird das Bindungshormon Oxytocin frei, was das kindliche Stresssystem beruhigt. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Bereitschaft aus, alleine sowie frei zu spielen. Dies ist wissenschaftlich nachgewiesen. Basierend auf diesem pädagogischen Konzept arbeiten wir hier“, erzählt die Leitung. Die Eltern zeigen ehrliches Interesse an diesen Ausführungen und stellen noch ein paar Fragen dazu. Dann müssen sie zeitnah aufbrechen. Es war ein kurzes, intensives Gespräch, das zu positiven Effekten führt. Wenn Alea sich schwer von Lea lösen kann, so räumen die Eltern dem Kind nun mehr Zeit ein und versuchen, den Übergang einfühlsamer zu gestalten. Sie nehmen Alea beispielsweise auf den Arm und bieten Nähe von sich aus an, anstatt das Kind wie früher dazu aufzufordern, alleine zu laufen. Sie haben außerdem eine einfühlsame Babysitterin gefunden, die Alea bei Krankheit zu Hause betreuen kann. Aleas Eltern haben sich somit ein gutes Netzwerk geschaffen, das es ihnen ermöglicht, ihrer Berufstätigkeit nachzugehen. Ihr Kind hat zu den Menschen in diesem System jeweils gute Beziehungen aufgenommen.
Können Kinder zu Fachkräften überhaupt eine Bindung aufnehmen?
Kinder nehmen zu ihren Bezugspersonen unterschiedliche Beziehungen auf. So kann ein Kind sicher an ein Elternteil gebunden sein, während sich die Bindungsqualität zum anderen Elternteil als unsicher zeigt. Die Vielfalt von Bindungsstilen schlägt sich auch in der Kind-Fachkraft-Beziehung nieder. Entscheidend sind an dieser Stelle feinfühliges Verhalten sowie zeitliche Ressourcen von Fachkräften (Ahnert 2020, Brisch 2022). Ist eine pädagogische Fachkraft oder sind Tageseltern engagiert, gestalten diese den Bindungsaufbau zu einem Kind einfühlsam sowie zuverlässig, so kann sich hier eine sichere Beziehung etablieren. Die kann wiederum positiven Einfluss auf die sozio-emotionale Entwicklung nehmen und hilft den Kindern dabei, sich angstfrei in der Betreuung zu bewegen.