Kapitel 4

Spät am nächsten Nachmittag war Zoey von Kopf bis Fuß mit dunklem Hundehaar bedeckt. In der Tierarztpraxis mit angeschlossenem Hundesalon hing immer ein Geruch von nassem Hund und Desinfektionsmittel, den sie nicht mehr aus der Nase bekam. Und nun, mit Charlie auf dem Tisch vor sich, einem großen braunen Labrador, den sie trockengeföhnt hatte, war ihre Nase noch dazu voller Haare. Der Hund drückte seinen Kopf an Zoeys Brust, als sie mit ihm fertig war. Dann wedelte Charlie mit dem Schwanz, während ihm die Zunge aus dem Maul hing mit dem breitesten Lächeln, das sie jemals bei einem Hund gesehen hatte. Sie küsste ihn auf die Schnauze. »Ja, du bist der hübscheste Kerl auf der Welt.«

Er drehte ihr sein Hinterteil zu.

»Und das weißt du auch, stimmt’s?« Sie lachte und half ihm, hinunter auf einen Stuhl zu springen und von dort auf den Boden. Nachdem er dort sein Tänzchen aufgeführt hatte, band sie ihm seine Leine um und öffnete die Tür. Charlie stürmte Richtung Wartezimmer und riss sich dabei von Zoey los.

Seine lachende Besitzerin bekam die Leine zu fassen und hatte den Hund gleich darauf wieder unter Kontrolle. »War er ein braver Junge?«

»Er war wie immer fantastisch«, sagte Zoey, als sie schließlich neben den beiden stand.

Patty, Charlies Besitzerin, strich ihrem Hund über den Kopf und warf Zoey einen neugierigen Blick zu. »Gibt es irgendeine Chance, dass Sie es sich mit Ihren Umzugsplänen noch einmal anders überlegen?«

»Nein, tut mir leid«, erwiderte Zoey und war sich bewusst, dass ihr die Brust eng wurde, wann immer das Thema aufkam. »Leider ist das unser letzter Termin, doch Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Die Lady, die mich ersetzen wird, ist unglaublich.« Das hoffte Zoey jedenfalls. Sie hatte ihre Nachfolgerin nur ein einziges Mal getroffen, und sie schien nett zu sein.

Patty seufzte schwer, während sie Charlie noch immer den Kopf tätschelte. »Na ja, wenn Sie Charlie und mich fragen, kann niemand Sie ersetzen, doch natürlich wünschen wir Ihnen alles Gute.«

»Danke, Patty.« Zoey umarmte sie kurz und gab Charlie noch einen Kuss auf den Kopf, bevor die beiden zum Empfang gingen, um dort bei Betty ihre Rechnung zu begleichen. Aus Brooklyn wegzuziehen würde hart werden. Zoey liebte ihren Job und ihre Kunden wirklich. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie sie ohne Hazel und Elise leben sollte. Doch Manhattan war hier zu nah und eine ständige Erinnerung an die NYU -Tage, denen sie ohnehin nicht entkommen konnte. Sie musste sich von ihrem Schmerz befreien. Sie wollte wieder die Frau sein, die sich Liebe, Kinder, ein ruhiges Leben wünschte. Aber dazu musste sie erst wieder zu sich selbst finden.

Sie kehrte in ihr Arbeitszimmer zurück, um es vor dem Feierabend sauber zu machen. Charlie war ihr letzter Termin gewesen, und heute war Mädelsabend. Sie duschte sich kurz im angeschlossenen Bad, wechselte in eine Skinny Jeans, eine schwarze Bluse und schwarze High Heels, legte ein kräftigeres Make-up auf und band sich das Haar zu einem wilden, hohen Pferdeschwanz, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

»Ich wünsche dir ein tolles Wochenende, Betty«, rief sie, ehe sie die Praxis verließ. »Wir sehen uns am Montag.«

»Bye, Süße.« Betty winkte ihr kurz zu und drehte sich wieder zu ihrem Bildschirm.

Zoey blickte zurück auf die Eingangstür, und ihr wurde bewusst, wie anders sie sich dabei fühlte als noch am Tag zuvor. Stärker, vielleicht. Sexyer, mit Sicherheit. Das schüchterne Mädchen aus Sacramento hatte in einem der exklusivsten Sexclubs von New York City mit jemandem geschlafen. Sie lachte und schüttelte den Kopf über sich. Selbst sie konnte das nur schwer glauben.

Sie machte einen Schritt in den frühen Abend hinaus und wäre fast gestolpert, als sie Archer sah, den Sicherheitschef des Phoenix , wie er an einem großen schwarzen Truck lehnte. Er war es gewesen, der sie interviewt und am Abend der Show begrüßt hatte. Da hatte sie ihn gemocht. Doch dass er nun hier war, bereitete ihr Sorgen.

Er schenkte ihr ein schiefes Grinsen. »Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«

Sie fasste sich wieder und eilte zu ihm, während ihr eine Million Fragen durch den Kopf schossen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.

»Ja, natürlich«, sagte Archer mit einem Lächeln, mit dem er sie wahrscheinlich beruhigen wollte. Es funktionierte allerdings nicht. Als ob er sich dessen bewusst war, wurde seine Stimme weicher. »Rhys würde Sie gerne wiedersehen und möchte, dass ich Sie ins Phoenix bringe.« Er zögerte. Dann wurde sein Gesichtsausdruck ganz sanft, was bei seinen markanten Zügen regelrecht verträumt wirkte. »Glauben Sie mir, Rhys will nur das Gespräch mit Ihnen führen, um das er letzten Abend gebeten hat. Kein Grund zur Sorge.«

»Ah …« Sie blinzelte und verarbeitete die Information. »Warten Sie eine Sekunde. Der Mann, mit dem ich gestern zusammen war, ist Rhys Harrington, der Besitzer des Phoenix? «

Archer grinste. »Ja.«

Sie musste ihre Kinnlade wieder zuklappen. Was zum Teufel? Sie hatte geglaubt, der maskierte Mann sei einfach irgendein Kerl gewesen. Obgleich sie sich mit den Einzelheiten des Sexclubs nicht auskannte. »Ist Rhys immer Teil der Show?«

»Nicht immer, nein«, erklärte Archer, der die Daumen in die Taschen seiner Jeans geschoben hatte. »Doch er kümmert sich immer um die sensiblen Fälle, damit er sichergehen kann, dass alles korrekt abläuft.«

Dann, wenn eine Frau ihre Jungfräulichkeit anbietet, offensichtlich.

Zoey blinzelte. Wieder. »Habe ich Ärger?«

Archer lachte leise. »Nein. Warum sollten Sie Ärger haben?«

Weil sich meine beste Freundin in euer Sicherheitssystem gehackt hat und ich mir auf diese Weise meinen Weg in einen äußerst privaten Club erlogen habe.

Archer sah, wie es in ihrem Gesicht arbeitete, bevor er sagte: »Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben. Ich kenne Rhys seit sehr langer Zeit, und wenn er sagt, dass er mit Ihnen sprechen möchte, ist das kein Vorschlag. Entweder Sie kommen jetzt mit, oder er wird später bei Ihnen auftauchen. Verlassen Sie sich darauf.« Archer ging zur Beifahrertür und öffnete sie. »Falls Sie sich dann besser fühlen, es gibt Sicherheitskameras. Hier.« Er zeigte über die Kliniktür. »Und dort.« Er machte eine Handbewegung zur anderen Straßenseite hinüber. »Damit existieren Beweise, auf denen Sie mit mir zu sehen sind. Aber Sie können auch Ihren Mitbewohnerinnen eine Nachricht schreiben und sie wissen lassen, dass Sie in den Cigar Club gehen und mit wem Sie das tun. Sagen Sie Ihnen, dass ich Sie später nach Hause bringen werde, das verspreche ich.« Er griff in seine Gesäßtasche und holte seinen Führerschein aus der Brieftasche. »Machen Sie ein Foto davon, und schicken Sie es Ihren Freundinnen.«

Seit sie Archer das erste Mal begegnet war, hatte er alles getan, damit sie sich sicher und beruhigt fühlte. Und tatsächlich tat sie es auch. »In Ordnung«, sagte sie und griff in ihre Handtasche. Sie schoss ein Bild und setzte eine Nachricht an die Mädchen in ihrem Gruppenchat ab.

Treffe euch heute Abend im Restaurant. Rhys Harrington will mich sehen. Gehe jetzt in den Cigar Club.

Elises Antwort kam sofort: Hast du Ärger?

Glaube nicht. Ich bin mit Archer unterwegs, dem Sicherheitschef vom Phoenix. Hier ist sein Ausweis. Ich rufe an, falls nötig.

Ja, mach das!

Eine Nachricht von Hazel poppte auf. Heilige Scheiße. Rhys-fucking-Harrington? Was ist passiert? OMG , ich muss alles wissen!!

Zoey kicherte leise und steckte ihr Handy weg. Die arme Hazel würde völlig durch den Wind sein, bis Zoey herausgefunden hatte, was zur Hölle da eigentlich vor sich ging. Sie blickte hoch zu Archer und lächelte sanft. »Bin bereit.«

»Hervorragend. Steigen Sie ein.« Er unterstrich seine Worte mit einer Handbewegung.

Einen Moment später waren sie auf der Straße. Die Fahrt nach Manhattan dauerte länger als normal, was der Rushhour geschuldet war, doch Archers Smalltalk sorgte dafür, dass sie sich wohlfühlte. Als sie Brooklyn hinter sich ließen und nach Manhattan kamen, spielte ihr Magen auf einmal verrückt, und ihr wurde plötzlich so heiß, dass ihr der Schweiß über den Rücken lief. Sie wusste, dass es irrational war. Dass Brooklyn um nichts sicherer war als Manhattan. Dass Brooklyn sich nur sicherer anfühlte ; weil es dort weder Scott noch Jake gab.

»Sie sind in Sicherheit, Zoey. Atmen Sie einfach weiter.«

Sie stieß die Luft aus, die sie zurückgehalten hatte, ohne dass sie sich dessen bewusst gewesen war. Dann lachte sie. »Tut mir leid. Alles gut.«

Archer betrachtete sie aufmerksam und nickte ihr dann zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte.

Sie hasste, was diese Stadt ihr angetan hatte, und die Angst, die daraus entstanden war. Sie lehnte sich wieder zurück in ihren Sitz.

Schließlich parkte er neben dem Gehweg und geleitete sie durch den Vordereingang, während ihre Neugier ins Unermessliche wuchs. Der Cigar Club war verschwenderisch eingerichtet. Hier zeigte sich Rhys’ Reichtum. Die Stoffe waren edel, und die antiken Möbel erst recht. Was die Ausstattung betraf, hatte man weder Kosten noch Mühen gescheut. Überall ging es geschäftig zu. An den meisten Tischen saßen Mitglieder und tranken dunkle alkoholische Getränke. Schwerer Zigarrenrauch waberte durch die Luft, ein seltsam angenehmes Zedernaroma zusammen mit einer starken Tabaknote. Erstaunlich, wenn man an die Gesetze der Stadt dachte, die das Rauchen in geschlossenen Räumen verbot. Was ihr wiederum verriet, dass Regeln nicht unbedingt zur Anwendung kamen, wenn es um Rhys Harrington ging.

Schweigend folgte sie Archer einen Flur entlang und durch eine weitere Tür. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie innehalten. Durch einen halbdurchlässigen Spiegel sah sie in einen Raum, der offenbar privat war und in dem Whiskeyfässer entlang der Steinmauern standen. Scott und Jake saßen auf braunen Ledersesseln nebeneinander. Sie tranken Bourbon, rauchten Zigarren und plauderten mit Rhys, der ihnen gegenübersaß. Diesmal erkannte sie ihn sofort und schalt sich dafür, dass sie es nicht schon an dem Abend getan hatte, als sie zusammen gewesen waren. Sie hatte Bilder von ihm im Internet gesehen, als Elise über das Phoenix recherchiert hatte. Auch wenn er der prachtvollste Mann war, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte, mit einem perfekt geformten Körper, einem markanten Kiefer und einer hypnotisierenden Präsenz, der man sich nicht entziehen konnte, fühlte sie, wie ihr der Magen schwer wurde. »Was zur Hölle ist das hier?«, fauchte sie, während sie zu Archer herumwirbelte.

»Sie sind hier sicher«, sagte Archer und hob beschwichtigend die Hände. »Sie haben die Wahl. Ich kann Sie jetzt sofort nach Hause bringen. Oder Sie können sich anschauen, wie Rhys mit den beiden umgeht. Er glaubt, Sie würden Letzteres zu schätzen wissen.« Archers Gesichtsausdruck war freundlich und bestimmt. »Lassen Sie Rhys auf seine Weise ein Übel wiedergutmachen. Diese Scheißkerle hätten viel Schlimmeres verdient.«

Er macht ein Übel wieder gut? Ihr Kopf drehte sich, als sie näher an den Einwegspiegel trat. Sie starrte auf die beiden Männer, die ihr Leben ruiniert hatten. Sie auf eine Weise zerstört hatten, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Sie sah, wie Archer neben ihr eine Textnachricht abschickte, und sie bemerkte, wie Rhys auf sein Handy blickte.

Er hob die Augen zum Einwegspiegel, und sie spürte seinen kraftvollen Blick wie einen Schlag in den Magen, der ihr den Atem nahm. Sie war sich sicher, dass er sie nicht sehen konnte, und doch schien es, als würde er sie direkt anschauen, und erinnerte sie daran, wie sich der vergangene Abend angefühlt hatte. Die Aufmerksamkeit dieses Mannes zu haben gab einem das Gefühl von Macht. War süchtig machend. Rhys nickte leicht, und Anerkennung lag in seinen Augen. Dann verhärtete sich sein Blick, als er wieder zu Scott und Jake sah. »Zweifellos fragt ihr euch, warum ich euch hierhergebeten habe«, sagte er und griff nach einer Akte. »Erklärt mir das.« Er schob ein Foto über den niedrigen Tisch zwischen ihnen.

Ein Blick auf das Bild, und Scott wurde kreideweiß. Jake schnaubte und lehnte sich mit verschränkten Armen auf seinem Sessel zurück. Zoey wusste nicht, was in jener furchtbaren Nacht genau geschehen war, doch die Reaktion der beiden Männer weckte den Eindruck, dass Jake der Anführer gewesen und Scott ihm gefolgt war. Unwillkürlich fragte sie sich, was wohl passiert wäre, wäre Scott, der offensichtlich einen Rest von Gewissen besaß, damals nicht dabei gewesen.

»Heiße Braut«, sagte Jake. »Sollte ich sie kennen?«

Ein tödlicher Ausdruck blitzte auf Rhys’ Gesicht auf. Langsam hob er eine Augenbraue. »Versuch’s noch mal.«

Jake blickte zur Seite.

Scott senkte den Kopf.

Rhys griff nach dem Foto und warf es beiseite, als würde er nicht ertragen, es zu berühren, bevor er sich wieder den beiden zuwandte. »Lasst mich die Situation erklären. Als wir euch in Bezug auf die Frau in unserer gestrigen Show überprüft haben, ist dieses Foto aufgetaucht.«

Jake rutschte unruhig auf seinem Sitz herum.

Scott blickte immer noch zu Boden.

Rhys fuhr fort. »Schnell war klar, dass dieses Bild ohne Einverständnis der Frau entstanden ist. Ich muss euch wohl nicht sagen, dass am Ende der Recherche herauskam, dass ihr dafür verantwortlich wart. Wenn ihr die Güte hättet, mir das zu erklären?«

Endlich sah Scott auf. Seine Haut war aschfahl. »Es ist nicht so, wie es aussieht.«

»Wie es aussieht?«, knurrte Rhys, der ein Bourbonglas in der Hand hielt, deren Knöchel nun weiß wurden. »Es sieht so aus, als hättet ihr eine junge Frau unter Drogen gesetzt, sie fotografiert und dann in den sozialen Medien Lügen über sie verbreitet.«

»Wir haben sie nicht vergewaltigt«, sagte Jake.

An Rhys’ Stirn trat eine Ader hervor, als er mit kontrollierter Stimme sagte: »Ihr habt ihr Leben zerstört. Wir könnt ihr allen Ernstes glauben, das wäre weniger ein Verbrechen, als hättet ihr sie vergewaltigt?«

Tief in Zoey zerbrach etwas und setzte eine Flut von Emotionen frei, die sie nicht kontrollieren konnte. Noch nie war jemand so für sie eingetreten. Selbst Ava und Julie hatten geschwiegen und sich hinter ihrer Verlegenheit und Scham versteckt. Zoey hatte nie geglaubt, dass jemand für sie kämpfen würde, doch eine blutende Stelle ihres Herzens brauchte das. Sie begann zu zittern und konnte nicht mehr damit aufhören, obwohl sie die Arme fest um ihren Körper schlang.

Archer war an ihrer Seite und beugte sich zu ihr, jedoch ohne sie zu berühren. »Sagen Sie mir, dass Sie gehen wollen, und wir gehen. Es ist ganz einfach, Zoey. Was wollen Sie?«

»Nein, ich bin okay«, sagte sie und wischte sich mit zitternden Händen die Tränen aus dem Gesicht. »Ich will bleiben.«

»Bitte schauen Sie mich an.«

Sie drehte den Kopf und bemerkte Archers besorgten Blick. »Sagen Sie mir, wenn sich das ändert.«

»In Ordnung, ja, danke.« Seine verständnisvolle Freundlichkeit und Rhys’ beschützende Strenge legten sich wie eine warme Decke um sie. Sie blickte zurück zu den beiden Männern, die ihr Leben auf so dramatische Weise verändert hatten und das komplette Gegenteil von Rhys und Archer waren. Sie wusste, welche Kontrolle Scott und Jake über sie hatten. Sie kannte nicht einmal mehr die Frau, die sie vor jener verhängnisvollen Nacht gewesen war. Damals hatte sie geglaubt, dass die Menschen freundlich wären. Sie hatte auf ihr eigenes Urteil vertraut und gedacht, dass ihr nichts Böses widerfahren könnte.

Schließlich hob Jake den Kopf und schnaubte. »Rhys, wohin führt das hier?«

Rhys grinste ohne eine Spur von Freundlichkeit, als er auf den Einwegspiegel zeigte. »Ich habe Zoey holen lassen, um sich das hier anzuschauen.«

Beide Männer starrten geschockt auf die Scheibe. Scott wandte seinen Blick nicht ab.

»Was soll das?«, fragte Jake, und seine Stimme troff von Arroganz.

»Eure Zeit im Phoenix ist vorbei«, verkündete Rhys. »Eure Mitgliedschaft ist widerrufen. Ich habe dieses Gespräch aufgenommen, und ich werde Zoey die Aufnahme zusammen mit den anderen Unterlagen geben. Es ist ihre Entscheidung, ob sie euch strafrechtlich belangen will.« Er beugte sich vor, und noch nie hatte Zoey jemanden gesehen, der so angsteinflößend und sexy zugleich wirkte. »Um das klarzustellen. Haltet euch von ihr fern. Keine Anrufe. Keine Besuche. Bringt mich nicht an meine Grenzen, was sie betrifft.« Rhys hob sein Glas an den Mund und nahm einen Schluck. »Und jetzt verdammt noch mal raus mit euch.«

Beide Männer erhoben sich. Jake war so schnell durch die Tür verschwunden, dass Zoey kaum Luft holen konnte.

Scott machte einen Schritt Richtung Tür, hielt dann jedoch inne. Er blickte zur Scheibe, und Bedauern stand auf seinem Gesicht. »Es tut mir leid, Zoey. Ich weiß, dass ich nie wiedergutmachen kann, was ich dir angetan habe, doch ich bedaure es aufrichtig. Es tut mir so leid.«

Als Scott den Raum schließlich verließ, brachen sich die Gefühle, gegen die Zoey angekämpft hatte, mit aller Macht Bahn. Wie ein Schleusentor öffnete sich ihr Innerstes, sie ließ den Kopf in die Hände fallen, und Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie schluchzte wegen allem, wegen all der Lügen, die verbreitet worden waren. Schluchzte um ihre zerstörten Träume. Schluchzte, weil Scott und Jake endlich zur Rechenschaft gezogen worden waren. Erst als ein warmer, herber Moschusduft die Luft erfüllte, wurde ihr bewusst, dass noch jemand in den Raum gekommen war. Starke Hände hielten sie, und dann ebenso starke Arme, als Rhys sich setzte und sie rittlings auf seinen Schoß zog.

Er hielt sie.

Hielt sie wirklich.

Wie er es gestern Abend getan hatte.

Und sie ließ ihn und schüttete ihren Schmerz in den Armen dieses Mannes aus … einem Mann, der ihr nichts schuldete.

Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, bevor sie den Kopf hob. Es war ihr egal, ob ihr ihr Make-up über das Gesicht lief. Sie sah in Rhys’ rauchgraue Augen und war wie gefesselt von der Stärke, die sie darin erkannte.

Er hielt einen USB -Stick hoch. »Für dich.«

»Was ist das?«, fragte sie und nahm ihn entgegen.

»Das sind deine Beweise, solltest du dich dafür entscheiden, die beiden vor Gericht zu bringen.«

Sie schaute auf den Stick. »Aber würde das nicht den Club in die Sache hineinziehen?«

Seine sanfte Stimme ließ sie wieder in sein Gesicht blicken, das so wundervoll war, dass es ihr unwirklich vorkam. »Manchmal, Zoey, ist die Wahrheit das Risiko wert. Und dies hier ist so ein Fall. Was die beiden dir angetan haben, war falsch. Scott und Jake sollten sich dafür vor dem Gesetz verantworten müssen.« Er schloss seine Hand um ihre, sodass sie den USB -Stick ganz fest hielt. »Nimm ihn. Du entscheidest, was du damit machst.«

Sie erwiderte seinen Blick, was sich seltsam einfach anfühlte. »Ein Jahr lang habe ich nur noch das Schlechteste von den Menschen gedacht. Dass ich niemandem trauen kann. Dass man niemandem auch nur ein Wort glauben kann, weil die Menschen furchtbare Dinge tun. Aber das hier … du und Archer …« Ihre Stimme kippte, doch sie zwang sich, weiterzusprechen, um sich selbst zu beweisen, dass sie sich nicht länger verstecken musste. »Ich kann kaum glauben, dass vielleicht noch nicht alle Hoffnung verloren ist und dass es da draußen wirklich gute Menschen gibt.«

»Nichts von alldem hätte dir passieren dürfen.« Er wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht, als wäre es seine Pflicht. Als er die Hand fallen ließ und Zoey eng an sich gedrückt hielt, fragte er: »Ist es in Ordnung, wenn ich dich zurück nach Hause fahre?«

Sie holte tief Luft und atmete lange aus, und versuchte, ihre Gefühle herunterzuschlucken, die sie sonst immer gekonnt verbarg. »Danke, aber es geht schon. Eigentlich bin ich heute Abend noch mit meinen Mitbewohnerinnen verabredet.« Um zu feiern, dass sie ihr altes Leben hinter sich ließ und ein neues begann, in dem Manhattan ihr keine Angst mehr machte. »Ich werde nachher zusammen mit ihnen nach Hause gehen. Um ehrlich zu sein, kann ich jetzt etwas frische Luft vertragen. Wir treffen uns nicht weit von hier. Ich werde einfach zu Fuß gehen.« Selbstverständlich würde sie sich ein Taxi rufen, doch das brauchte er nicht zu wissen.

Ohne ihr Nein als Antwort zu akzeptieren, stand er mit ihr in seinen Armen auf und stellte sie auf die Füße. »Dann lass mich dich begleiten.« Als sie schwieg, hielt er ihr seine Hand entgegen und hob eine Augenbraue, was seine Züge weicher aussehen ließ. »Tu mir den Gefallen, Zoey. Es ist ein wunderschöner Abend.«

Es gab tausend Gründe, Nein zu sagen. Doch ihr wurde bewusst, dass sie es gar nicht wollte. Sie ließ ihre Hand in seine gleiten. »Du hast recht. Es ist tatsächlich ein wunderschöner Abend.«