Einen Tag später, als Zoey mit Kunden im Fellpflegeraum saß, konnte sie nicht aufhören, an ihre Nacht mit Rhys zu denken. Zum Teufel, sie hatte bereits den ganzen Tag und die ganze Nacht davor daran gedacht und sogar ihren Vibrator hervorholen müssen, um zur Ruhe zu kommen, damit sie schlafen konnte. Ihr Bauch schlug immer noch Purzelbäume bei dem Gedanken an das erotische Abenteuer, an dem sie teilgenommen hatte. Und sie hätte schwören können, immer noch jede von Rhys’ Berührungen auf ihrer Haut zu spüren. Während all dies wie ein unglaublicher Traum war, aus dem sie niemals mehr erwachen wollte, erinnerte sie eine kleine Stimme in ihrem Kopf daran, dass die Menschen nicht immer waren, wer sie vorgaben, auch wenn es sich gut anfühlte, eine so mutige, sinnliche Frau zu sein. Auch wenn sie sagenhaften Sex mit Rhys gehabt hatte und es so schien, als wollte er sie beschützen, kannte sie ihn eigentlich gar nicht.
Das laute Bellen eines Hundes ließ sie die Augen aufreißen. Sie starrte auf das Zitat, das ein anderer Hundefriseur an die Wand geschrieben hatte. Der Hund ist das einzige Wesen auf Erden, das dich mehr liebt als sich selbst. Josh Billings.
Manchmal liebte Zoey Hunde mehr als Menschen. Sie blickte vom Zitat zur Uhr und fluchte. Sie war fünf Minuten zu spät für ihren nächsten Termin. Eilig lief sie hinaus und zum Wartezimmer, wo ein Welpe winselte.
»Hilary?«, rief sie.
Eine Frau mit honigfarbenem Haar, die in der Ecke saß, stand auf. »Hi. Ja, das bin ich.«
»Kommen Sie hier entlang.« Zoey wies ihr den Weg zurück in ihren Pflegeraum. »Tut mir leid, dass es ein paar Minuten später geworden ist.«
»Oh, das ist wirklich kein Problem.«
Zoey lächelte dankbar und schloss die Tür hinter ihnen. Sofort wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem karamellfarbenen Labradoodle zu, hockte sich neben den Hund und kratzte ihn am Kopf. »Du musst Daisy ein. Und was für ein hübsches Mädchen du bist.« Sie kraulte den Hund an Hals, Ohren und Bauch. »Ich kann ein paar filzige Stellen fühlen, aber die sollten kein Problem sein. Wie kurz möchten Sie das Fell haben? Oder haben Sie ein Bild dabei, wie der Schnitt werden soll?«
Was folgte, war ohrenbetäubende Stille. Zoey schaute hoch, und als sie Hilarys Blick begegnete, war sie sich einer Sache ganz sicher. Hilary war nicht hier, um ihren Hund trimmen zu lassen. Zoey wusste nicht, ob es die Traurigkeit in Hilarys Augen war oder ihre Blässe, aber alle ihre Alarmglocken schrillten. Und doch … und doch konnte sie sich nicht rühren, denn sie kannte diesen Blick aus einer sehr persönlichen Perspektive. Sie hatte ihn das letzte Jahr über im Spiegel gesehen, wenn sie sich darin betrachtet hatte.
»Mir ist es ebenfalls passiert«, sagte Hilary sanft.
Zoey schluckte. Hart . »Ich weiß nicht, worüber Sie sprechen.«
»Doch, das tun Sie«, erwiderte Hilary mit zittriger Stimme und flehendem Blick. »Ich wusste nicht, wie ich auf Sie zukommen sollte, ohne Sie zu erschrecken. Aber was Jake Ihnen angetan hat, hat er auch mit mir gemacht.«
Zoey wollte sich bewegen, weglaufen, irgendetwas tun, sie blieb jedoch reglos und wie erstarrt vor Angst, die durch sie hindurchschoss.
»Ich … ich … weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich kenne keinen Jake. Bitte gehen Sie jetzt. Sofort.« Sie sprang auf und flüchtete sich hinter den Behandlungstisch.
»Nein, bitte nicht.« Hilary streckte die Hand aus und griff nach Zoeys Arm. »Ich will Ihnen keine Angst machen. Wir müssen gegen ihn kämpfen. Zusammen sind wir stärker.«
Gedanken schossen Zoey durch den Kopf. Woher weiß sie von Jake? Woher weiß sie, dass ich ihn und Scott konfrontiert habe? Woher? Der Raum drehte sich ein wenig, als ihr das Blut langsam aus dem Gesicht wich, und ihre Beine wurden weich. »Ich möchte gegen niemanden kämpfen. Was immer Sie glauben, Sie irren sich. Sie müssen jetzt gehen.«
Hilarys Griff wurde fester. »Sie müssen kämpfen. Wir müssen kämpfen.«
Die Frau war offensichtlich nicht bereit, ein Nein als Antwort zu akzeptieren, und Zoey riss ihren Arm los und wich ein Stück zurück, neben das Fenster. »Nein, es tut mir leid. Ich kann Ihnen nicht helfen.« Der Gedanke, dass ihr Leben wieder offen ausgebreitet würde, mit all seinen Verletzungen, lähmte sie. »Ich kann das nicht.«
»Sie werden mir nicht glauben«, flehte Hilary, und Tränen traten ihr in die Augen. »Wenn nur ich allein ihn beschuldige, wird das nicht reichen. Jakes Wort gegen meins. Sie kennen ihn. Er ist reich und mächtig. Er wird alles unter den Teppich kehren. Sie werden mich zerstören.«
»Genau«, schoss Zoey zurück. »Niemand wird uns glauben. Jake hat mein Leben bereits zerstört. Ich kann nicht zulassen, dass das noch einmal passiert.«
»Aber wir können es versuchen«, sagte Hilary und trat vor. »Wir können kämpfen.«
Zoeys Mund öffnete sich, und fast wäre ihr ein Ja über die Lippen gekommen. Ihr tobendes Herz wollte gegen die Ungerechtigkeit ankämpfen, die ihr angetan worden war. Doch bei der Vorstellung, dass ihr Leben zu einer Nachrichten-Schlagzeile wurde, sollten sie tatsächlich eine große Nummer an der Wall Street zu Fall bringen, ließ ihren Magen verrücktspielen. Ihr wurde kochend heiß, und Galle stieg ihr in die Kehle. Sie eilte zum Mülleimer in der Ecke des Raums und erbrach ihr Mittagessen. »Tut mir leid«, keuchte sie, als sie wieder sprechen konnte. »Ich kann das nicht tun … kann dir nicht helfen … Ich kann … das nicht noch mal durchmachen.«
Hilary blinzelte, und Tränen flossen ihr über die Wangen. »Ich verstehe dich, wirklich, aber er darf damit einfach nicht davonkommen. Wenn wir ihn nicht stoppen, wird es niemals verschwinden. Es wird immer da sein und uns verfolgen.« Ein namenloses dunkles Gefühl huschte über ihr Gesicht. »Mich verfolgen.« Sie blinzelte, als noch mehr Tränen liefen, dann griff sie nach ihrer Handtasche. »Hier ist meine Karte. Bitte ruf mich an, wenn du deine Meinung änderst. Egal wie viel Uhr es ist. Ich werde rangehen.« Sie griff nach der Hundeleine und ging aus dem Raum.
Zoey eilte zu ihrer Tasche auf dem Tisch, und ihr Herz schlug so heftig, dass es ihr aus der Brust zu springen schien. Eine Sekunde später hielt sie ihr Handy in den zitternden Händen.
Elise antwortete beim ersten Klingeln. »Hey, Schätzchen, was gibt’s?«
»Ich weiß nicht, wie ich dir erklären soll, was gerade passiert ist«, brachte Zoey hervor.
Elise stockte. »Erzähl mir alles«, sagte sie dann.
Zoey holte ein paar Mal tief Luft und kniete sich auf den Boden, während sie sich sammelte. »Gerade kam eine Frau in die Praxis«, berichtete sie schließlich. »Sie sagte, dass sie auch von Jake missbraucht worden sei.«
»Warte … was? « Es raschelte in der Leitung. Offenbar wechselte Elise zu ihrem Laptop im Schlafzimmer. »Im Ernst?«
»Ja.« Zoey seufzte.
»Hat sie Scott erwähnt?«
»Nein«, antwortete Zoey und drückte ihre heiße Hand auf den kühlen Boden, um sich zu erden, wie sie es auf Rat ihrer Therapeutin hin tun sollte, wann immer sie das Gefühl hatte, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten. Diese Technik hatte Zoey die letzten zwei Monate im College überstehen lassen. »Nur Jake. Elise, sag mir, dass ich jetzt nicht durchdrehen soll.«
»Dreh nicht durch.« Elise schwieg für einen Moment, und durch die Leitung war zu hören, wie sie auf ihrer Laptoptastatur tippte. »Ich bin mir sicher, alles ist in Ordnung. Und natürlich ist es wahrscheinlich, dass Jake noch andere Opfer hatte. Ich will nur herausfinden, wie sie von dir erfahren hat. Hat sie dir ihren Namen genannt?«
Zoey blickte auf die Karte, die sie auf den Boden hatte fallen lassen. »Hilary. Kein Nachname. Sie hat mir eine handgeschriebene Karte mit ihrem Namen und einer Telefonnummer darauf gegeben.«
»Ich kümmere mich darum.« Die Leitung wurde unterbrochen.
»Ist alles okay?«
Zoey sah hoch und entdeckte Betty, die Sprechstundenhilfe, in der Tür. Ihre dunklen, besorgten Augen verrieten Zoey, dass sie nun überzeugend lügen musste. »Ja. Ja. Tut mir leid. Alles in Ordnung. Die Lady braucht noch etwas Zeit, um sich für einen Schnitt zu entscheiden und wir weitermachen können.«
Bettys Brauen schossen in die Höhe. »Sie schien sehr aufgebracht, als sie ging.«
»Fand ich nicht«, entgegnete Zoey und zwang sich zu einem Lächeln. »Sie sagte, sie würde wiederkommen.«
»Oh, na dann.« Betty erwiderte das Lächeln und nahm ihr die Lüge offenbar ab. »Dann bist du fertig für heute?«
»Ja, das bin ich. Schon was vor heute Abend?«
Betty grinste. »Ich habe ein Date mit Netflix. Bis morgen dann.«
»Bye«, gab Zoey zurück, die immer noch mit weichen Knien am Boden hockte.
Betty winkte zum Abschied und ging davon.
Zoey lehnte sich gegen den Behandlungstisch und stieß einen tiefen Atemzug aus, von dem sie nicht gewusst hatte, dass sie ihn zurückgehalten hatte. Das Zimmer schien zu verschwimmen. Sie schloss die Augen und atmete gegen die Panik an, die in ihr aufstieg. Sie hatte genug von all den Lügen. Dass sie gerade eine weitere erzählt hatte, machte es nur schlimmer.
Das Handy in ihrer Hand meldete sich. Sie rechnete damit, dass Elise ihr geschrieben hatte.
Die Jungs und ich gehen heute zum Abendessen ins Skyline. Lust, uns zu begleiten?
Sie starrte auf die Nachricht von Rhys und fühlte sich, als hätte sich die Welt dazu entschlossen, sie zum Narren zu halten. War das ein Date? Okay, nein, seine Freunde kamen mit. Machte sie das zu einer Freundin von ihm? Einer Freundin mit gewissen Vorzügen vielleicht?
Ihr Verstand riet ihr ganz entschieden dazu, die Einladung abzulehnen. War es nicht besser, die Sache strikt auf das Phoenix zu begrenzen? Doch ihr Kopf drehte sich, und ihr Herz war völlig verwirrt. Sowohl Elise als auch Hazel arbeiteten an diesem Abend, was bedeutete, dass sie mit ihren Gedanken allein sein würde. Während sie sich nur einen Schritt entfernt von jenem dunklen Ort fühlte, aus dem sie gerade erst gekrochen war, schickte sie ihre Antwort. Wie viel Uhr?
19 Uhr. Bis dann.
Zoey drückte das Handy gegen ihre Brust und holte tief Luft. Ein Atemzug nach dem anderen, ein, aus, ein, aus. Sie musste nur noch ein paar Wochen durchhalten. Dann würde sie die Stadt verlassen können und mit New York auch ihren Schmerz. Bis dahin hatte sie Rhys … und seine Fähigkeit, sie alles vergessen zu lassen.
***
Später am Abend, als der Himmel sternenübersät war, klingelte Rhys’ Telefon, und er nahm das Gespräch an. »Hallo, Mutter.« Er saß hoch oben in der angesagtesten Dinner-Location von New York, dem Skyline , einem Dachterrassen-Restaurant. Die Lichter der Hochhäuser funkelten, so weit das Auge reichte.
»Rhys, mein Lieber, wie geht es dir?«, fragte seine Mutter, Alice Harrington, mit sanfter Stimme, der jedoch die Wärme fehlte, wie sie Rhys von anderen Müttern kannte.
»Hier ist alles in Ordnung«, antwortete er und legte einen Arm über die Lehne der Sitzbank. »Ich nehme an, du hast den Quartalsbericht erhalten?« Früher am Tag hatte Harrington Finance den Bericht verschickt, auf den sein Vater bereits wartete, wie Rhys wusste.
»Ja, wir haben ihn bekommen«, sagte Alice. »Doch das ist nicht der einzige Grund, aus dem ich anrufe.«
Ja, genau.
Rhys behielt den Gedanken für sich, als Alice fortfuhr: »Aber wenn wir schon darüber sprechen. Dein Vater war recht erfreut über dieses Quartal.«
»Da bin ich mir sicher.« Der Gewinn für das Harrington-Vermögen war im letzten Quartal um zehn Prozent gestiegen. Rhys’ persönliche Einnahmen waren sogar um zwanzig Prozent höher, doch das behielt er für sich. Rhys war für das Harrington-Vermögen verantwortlich, seit er die Position seines Vaters bei Harrington Finance übernommen hatte, nachdem dieser sich zurückgezogen hatte. Aber der Stress hatte ihn ausgelaugt. Vor allem nach Katherines Tod. Reichtum hatte seine Vorzüge, er konnte allerdings kein Glück kaufen und ganz sicherlich nicht seins. Inzwischen war Rhys’ Cousin William CEO von Harrington Finance, und auch wenn Rhys immer noch an Entscheidungsprozessen beteiligt war, war er doch einen großen Schritt zurückgetreten, sehr zum Unwillen seines Vaters. Neben seiner Tätigkeit als CEO des Cigar Club investierte er sein Geld mittlerweile als stiller Teilhaber in vielversprechende Unternehmen, in Hedgefonds, in neue Medikamente gegen Krebs und die Krebsforschung sowie in Immobilien. Rhys hatte sich seinen Rückzug aus dem mächtigen Familienunternehmen nicht leicht gemacht, doch es war eine kluge Entscheidung gewesen. Jetzt war er finanziell vollkommen unabhängig vom Geld seiner Familie und hatte keinen Stress mehr damit. »Gibt es irgendetwas, was ich wissen sollte?«, nahm er den Faden auf.
»Nichts weiter, als dass dein Vater erfreut war«, sagte Alice. »Wie läuft der Cigar Club?«
»Profitabel.« Rhys’ Beziehung zu seinen Eltern wurde von Verantwortung, Geschäft und Privilegien bestimmt. Er machte ihnen deshalb keinen Vorwurf. Er war mit Nannys aufgewachsen und aufs Internat geschickt worden. Aber er respektierte seine Eltern. Sie waren beide gute Menschen, die umfangreich wohltätige Zwecke unterstützten und das nicht nur, um Steuern zu sparen. Doch in Wahrheit – und so war es immer gewesen – bestand seine Familie aus seinen Freunden.
»Und eine Frau?«, wollte Alice wissen. »Gibt es diesbezüglich Neuigkeiten?«
»Ich habe nichts zu berichten«, sagte Rhys trocken.
Sie lachte leise. »Dann nehme ich das mal als ein Nein. Lass dir nicht zu lange Zeit, Rhys. Du willst kein alter Junggeselle sein. Du weißt, was dein Vater dazu sagen wird.«
Rhys enthielt sich eines Kommentars. Wie er es immer tat. Manchen Menschen schuldete er Erklärungen, doch seine Eltern gehörten nicht dazu. Als er sah, wie sich Archer, Hunt und Kieran dem Tisch näherten, sagte er: »Ich muss Schluss machen. Aber vorher erzähl mir noch: Was macht das Reisen?«
»Europa ist wundervoll, einfach magisch«, erklärte Alice, und in ihrer Stimme klang ein ungewohntes Staunen mit. »Wir genießen unsere Zeit hier.«
»Schön, das zu hören. Bis bald.«
»Bis bald, Rhys.«
Er beendete das Gespräch genau in dem Moment, als Archer rechts von ihm Platz nahm. »Wie geht es deiner Mom?«, fragte er.
Rhys lachte leise und schüttelte den Kopf. Vermutlich hatte sein Gesichtsausdruck angespannt gewirkt. Telefonate mit seinen Eltern ließen Rhys immer zu einem Leben an der kurzen Leine zurückkehren. Erst seit seine Eltern sich zurückgezogen und zu reisen begonnen hatten, schnürte ihm die Leine nicht mehr die Luft ab. »Es geht ihr gut.«
Hunt setzte sich neben Archer und stieß einen leisen Pfiff aus. »Jetzt bin ich aber neugierig.«
Rhys musste nicht einmal hinschauen, um zu wissen, dass Zoey gerade durch die Türen des Restaurants getreten war. Er sah es an den Gesichtern seiner Freunde. Doch Rhys hatte sich entschieden, für Zoey mit seinen Regeln zu brechen. Nun gab es kein Zurück mehr, und selbst wenn Rhys Zweifel gehabt hätte, würde er sich nicht gegen das wehren, was das Leben mit ihm vorhatte.
Archer sah ihn ernst an. »Besser, du weißt, was du tust.«
Die Ermahnung kam nicht überraschend. Die Regeln waren immer klar gewesen. Persönliches und Geschäftliches, was das Phoenix betraf, wurden nicht vermischt. »In ein paar Wochen zieht sie weg von hier«, sagte er und erhob sich von seinem Platz. »Das Risiko ist minimal.«
Kieran schnaubte lachend. »Red dir das ruhig weiter ein, Kumpel.«
Rhys ignorierte die Bemerkung. In diesem Moment wollte er Zoey einfach nur zeigen, dass das Leben so viel mehr zu bieten hatte als das, was sie erleben musste. Sie hatte ihm erzählt, dass sie nicht einmal mit einem Mann zu Abend essen konnte, ohne eine Panikattacke zu bekommen. Und nun hoffte er, dass jenes Dinner ein Schritt in die richtige Richtung war. Seine Freunde erhoben sich, um Zoey zu begrüßen, als sie zum Tisch kam. »Hallo, Zoey«, sagte Rhys und beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen.
Sie lächelte zu seinen Freunden, dann richtete sie ihre wunderschönen Augen auf ihn. »Hi«, sagte sie, nur zu ihm.
Ihre Anmut war atemberaubend, und er wusste, dass er einen gefährlichen Pfad beschritten hatte. Er mochte ihre Wärme. Ein wenig zu sehr. Doch solange er eine bestimmte emotionale Grenze nicht überschritt, war das Risiko für sie beide minimal. Als er sich wieder aufrichtete, sagte er: »Zoey, das sind Hunt und Kieran, sehr gute Freunde von mir, und Archer kennst du ja.«
»Ja, genau. Nett, euch alle kennenzulernen«, sagte sie mit diesem unschuldigen Lächeln, das er so liebgewonnen hatte. Bis sich ihre Augen ein wenig verengten, als ihr die Erkenntnis dämmerte. Rhys musste ein Lachen unterdrücken. Offensichtlich hatte sie Kieran von Lotties Show wiedererkannt und Hunt und Archer von der privaten Show neulich Abend. Schnell blickte sie mit geröteten Wangen zur Seite, dann drehte sie sich haltsuchend zu Rhys.
Er nahm ihre Hand und zog sie neben sich. Als sie Platz genommen hatte, sah er zu Kieran und nickte ihm knapp zu. Kieran begriff sofort und begann zu erzählen: »Heute wurden wir gerufen, weil der Blitz eingeschlagen hatte.« Sein Freund hatte es schon immer verstanden, das Eis zu brechen. Was der Grund dafür war, dass er seine Freunde heute Abend hierhergebeten hatte. Er hoffte, Zoey würde sich entspannen, wenn sie sah, dass es kein Date war und sie ihm und seinen Freunden einfach beim Abendessen Gesellschaft leistete.
»Kieran ist Feuerwehrmann«, erklärte Rhys und sah, wie sich Zoey neben ihm entspannte.
»Wirklich?«, fragte sie. »Das hört sich nach einer aufregenden Arbeit an.«
»Manchmal.« Kieran zuckte leicht mit den Schultern.
Die Düsternis hinter seinen Augen verriet, dass nicht alle Aspekte seines Jobs gut waren.
Rhys gab dem Kellner ein Zeichen. Der Mann kam zu ihnen, öffnete eine Flasche Weißwein, wie Rhys ihn angewiesen hatte, und schenkte Zoey ein Glas ein. Rhys war bereits aufgefallen, dass Zoey nicht einfach so im Club trank, sondern immer um eine verschlossene Getränkedose bat.
»Ist irgendwer verletzt worden?«, fragte er Kieran.
Kieran, der noch immer ehrlich erstaunt über seinen heutigen Einsatz schien, schüttelte den Kopf. »Alle haben überlebt, auch wenn man sich darüber nur wundern kann. Der Blitz schlug in einen Baum ein, wanderte durch die Wurzeln und traf dann einen Mann, der draußen auf seinem Rasen in einem Sessel saß. Derselbe Baum schlug auf das Haus und zertrümmerte das Wohnzimmer. Zum Glück hatte die Ehefrau gerade den Raum verlassen.«
»Die beiden müssen einen Schutzengel gehabt haben«, stieß Hunt atemlos hervor.
»Definitiv«, stimmte Kieran zu.
»Der Mann trug Gummischuhe, nicht wahr?« Alle Augen drehten sich zu Zoey. »Das hat ihm das Leben gerettet. Die Schuhe, oder?«
Kieran nickte. »Wäre er barfuß gewesen, hätte er nicht überlebt.«
»Möchten Sie jetzt bestellen?«
Rhys bekam nur am Rande mit, dass der Kellner an ihren Tisch zurückgekehrt war. Er blickte zu Zoey. »Ist Surf and Turf in Ordnung für dich?«
»Klingt großartig«, sagte sie mit strahlenden Augen.
Rhys lächelte sie an und sagte zum Kellner: »Dann also Surf und Turf für unseren Tisch.«
Dreißig Minuten später lehnte sich Rhys auf der Bank zurück und war sich sicher, dass er keinen Bissen mehr hinunterbringen würde. Die Platte in der Mitte des Tisches war leer, die Teller sauber gegessen. Doch je länger er Zoey an diesem Abend beobachtete, desto mehr hatte Rhys das Gefühl, dass sie mit ihren Gedanken woanders war. Während des Dinners schwieg sie fast die ganze Zeit über, und ihre Schultern waren leicht nach vorn gebeugt.
Als Archer und Hunt sich über einen Mixed-Martial-Arts-Kampf vom Abend zuvor unterhielten, legte Rhys seine Hand auf Zoeys Knie. Die Berührung ließ sie zusammenzucken, doch er zog seine Hand nicht zurück, auch wenn er nicht wusste, was gerade in ihr vorging. »Ist dir der Abend heute zu viel?«
»Nein, nein.« Langsam atmete sie aus und schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Tatsächlich ist es wirklich nett hier. Es fühlt sich gut an, mal mit anderen Menschen als Hazel und Elise unterwegs zu sein, ohne dass ich mir vor Angst in die Hose mache.« Sie knabberte an ihrer Lippe, während sie allem Anschein nach darüber nachdachte, ob sie ihm mehr erzählen wollte. Als sie sich schließlich dazu entschied, erfüllte ihn das mit Freude. »Heute kam eine Frau mit ihrem Hund zum Trimmen vorbei, doch dann wurde die Sache seltsam«, erzählte sie.
»Seltsam, inwiefern?«, erkundigte sich Rhys.
Sie blickte sich um, weil sie das Gespräch offensichtlich privat halten wollte, dann beugte sie sich vor und sagte ruhig: »Sie hat mir gestanden, dass sie Jake auch missbraucht hat.«
Klirrend fiel eine Gabel auf einen Teller. Zoey zuckte zusammen. Rhys musste sich nicht einmal umschauen, um zu wissen, dass alle am Tisch ihre Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatten. Er sah die Panik in ihrem Gesicht und beeilte sich, ihr zu erklären: »Wie du sicher schon bemerkt hast, sind diese Männer wie Brüder für mich. Wir teilen alles miteinander, und dazu gehören auch alle Entwicklungen im Club. Sie wussten über deine Geschichte Bescheid, bevor ich dich wirklich kannte. Doch nichts, was du sagst, und nichts, was sie bereits über dich wissen, wird diesen Tisch verlassen. Du kannst ihnen vertrauen, Zoey.«
Sie blickte von einem Mann zum anderen, dann nickte sie langsam. »In Ordnung.«
»Kennst du die Frau?«, fragte Hunt mit ruhiger Stimme und hörte sich dabei wie der Detective an, der er war.
Zoey zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ich weiß nur, dass sie Hilary heißt. Elise versucht, mehr über sie herauszufinden, aber sie muss heute Abend arbeiten, und die Angelegenheit braucht ihre Zeit.« Ihr besorgter Blick traf auf Rhys’. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese Frau erfahren hat, was passiert ist.«
Er nahm ihre Hand und drückte ihre zitternden Finger. »Wir werden es herausfinden, vertrau mir. Bleibt die Frage, ob sie gewusst hat, dass du im Club die Konfrontation mit Scott und Jake gesucht hast. Oder ist das Timing einfach nur Zufall?« An Archer gerichtet fügte er hinzu: »Irgendwelche Ideen?«
Archer stützte seine Ellbogen auf den Tisch und richtete den Blick auf Zoey. »Es könnte sein, dass die Frau zur gleichen Uni ging wie du. Sie könnte dort gehört haben, was passiert ist. Dass sie ausgerechnet jetzt auf dich zukommt, ist vielleicht tatsächlich Zufall.«
Zoey zuckte mit den Achseln. »Ob es so ist, will Elise herausbekommen.«
Bei ihren Worten runzelte Archer die Stirn und sah leicht genervt aus. Dann wandte er sich an Rhys. »Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie Mitglied im Club ist und zwei und zwei zusammengezählt hat, als sie sah, wie Scott und Jake fluchtartig den Raum verließen.« Sein Blick wanderte zurück zu Zoey, und seine Stimme wurde weicher. »Hat sie gesagt, was sie von dir will?«
»Ich soll die Sache melden«, antwortete Zoey. »Damit Jake für das bezahlen muss, was er getan hat, und die Gerechtigkeit siegt.«
Archers Kiefer spannte sich an, ein Zeichen, dass ihm nicht gefiel, was Zoey sagte. »Und du hast ihr geantwortet, dass das keine Option für dich ist?«
Sie nickte zögernd. »Ich habe nur … Ich …«
Hunt unterbrach sie. »Du bist niemandem Rechenschaft schuldig – nicht einmal dir selbst –, warum du diese Entscheidung getroffen hast.«
Ein Ausdruck purer Erleichterung huschte über ihr Gesicht. »Danke.« Sie seufzte schwer. »Ich will nichts weiter, als diese Sache endlich hinter mir zu lassen.«
Nie war Rhys stolzer auf seine Freunde gewesen. Er hatte schon seit so langer Zeit keine Frau mehr in seinem Leben gehabt, dass er ganz vergessen hatte, wie es sich anfühlte, dass nicht nur er selbst sie beschützen wollte, sondern auch seine Wahlfamilie.
»Das ist dein gutes Recht«, entgegnete Archer. Auffordernd nickte er ihr zu, während er sie betrachtete. »Was hat sie gemacht, als du gesagt hast, dass du die Sache nicht öffentlich machen wirst?«
»Sie gab mir ihre Telefonnummer und ging«, sagte Zoey mit belegter Stimme.
Rhys drückte ihren Schenkel, der einzige Trost, den er ihr geben konnte.
»Hat es Ihnen geschmeckt?«, fragte der Kellner, als er wieder an ihren Tisch kam.
Rhys nickte. »Das Dinner war vorzüglich. Mein Kompliment an den Koch.«
»Ich werde es ihm ausrichten, Sir«, sagte der Kellner mit einem stolzen Lächeln. »Noch ein Dessert, um den Abend abzuschließen?«
Rhys blickte zu Zoey. Sie hielt sich den Bauch. »Ich kriege keinen Bissen mehr runter«, gab sie zurück.
Jeder am Tisch schüttelte den Kopf, sodass Rhys antwortete: »Nein, danke. Wir belassen es bei unseren Drinks.«
»Selbstverständlich«, sagte der Kellner. »Viel Vergnügen dabei, auch für den restlichen Abend.«
Als er davonging, um vermutlich ihre Rechnung fertig zu machen, wandte sich Rhys an Archer. »Sind während deiner Recherche irgendwelche anderen Opfer aufgetaucht?«
Langsam schüttelte Archer den Kopf. »So tief habe ich nicht gegraben.« Es wird mehr geben , besagte sein Gesichtsausdruck.
Rhys wollte auf keinen Fall, dass sich Zoey unter Druck gesetzt fühlte. Die Entscheidung lag allein bei ihr. »Hast du dich von der Frau bedroht gefühlt?«, fragte er, rieb über ihr Bein und spürte, wie angespannt ihre Muskeln unter seiner Hand waren.
»Überhaupt nicht«, antwortete sie, nachdem sie kurz überlegt hatte. »Ich war geschockt, als sie auftauchte, aber nicht verängstigt. Es war, als suchte sie eine Verbündete.«
Erneut griff Rhys nach ihrer Hand und umfasste ihre Finger. Die Schuld, der Schmerz, der Kontrollverlust in ihrem Blick erschütterten ihn. »Finde heraus, wer sie ist und wie das alles zusammenhängt«, sagte er dann an Archer gewandt.
»Elise kümmert sich bereits darum«, warf Zoey ein.
Wieder verengten sich Archers Augen, als die Rede von Elise war, doch sein Grinsen verriet, dass für ihn das Rennen eröffnet war. Er stand auf, und einen Moment später steuerte er auf die Tür zu.
Kieran lachte. »Oh, diese Mitbewohnerin von dir geht ihm mächtig auf den Sack.«
Zoey zuckte zusammen. »Tut mir leid.«
»Das muss es nicht«, schaltete sich Rhys ein, während er nach der Flasche griff, um Zoey nachzuschenken. »Archer lebt für diesen Mist.«