Am folgenden Morgen fühlte sich Rhys in Hochstimmung. Strahlend schien die Sonne vor seinem Bürofenster im Phoenix . Der Himmel war klar, so weit das Auge reichte. Die letzte Nacht hatte ihn … glücklich gemacht. Ein Gefühl, das er schon seit langer Zeit nicht mehr verspürt hatte. In so intimer Form hatte er seit Katherine keine Frau mehr berührt, doch letzte Nacht hatte er diese Grenze mit Zoey überschritten. Es hatte ihn daran erinnert, wie gut es sich anfühlte, eine Frau an seiner Seite zu haben, und öffnete einen warmen Raum in seinem Herzen, den er weggeschlossen hatte. Es war der Teil von ihm, der sich einmal eine Frau, eine Familie gewünscht hatte, und nun konnte er sich wahrhaftig vorstellen, diese Dinge mit Zoey zu haben. Jede Nacht mit ihr einzuschlafen, morgens neben ihr aufzuwachen, gemeinsam Abenteuer zu bestehen. Während er weiter aus dem Fenster blickte, konnte er die Wahrheit nicht länger ignorieren. Er hatte eine emotionale Grenze überschritten.
Verdammt.
»Komme ich ungelegen?«
Rhys blinzelte und wirbelte in seinem Bürostuhl weg vom Fenster, als ihm bewusst wurde, dass er nicht allein in seinem Büro war. Archer stand in der Tür. Rhys winkte ihn herein. »Überhaupt nicht. Was gibt’s?«
Archer sah um die Augen angespannt aus. Als er näher kam, verstand Rhys, warum. Hinter ihm folgte Hilary Du Pont, ein Mitglied des Phoenix -Clubs, in das Büro. Sie war die Tochter von Gregory Du Pont, dem CEO eines der Top-Tech-Unternehmen in New York City, und schnell zählte Rhys zwei und zwei zusammen. »Guten Morgen, Hilary.«
»Hey«, sagte sie mit einer so leisen Stimme, wie Rhys sie nie zuvor bei ihr gehört hatte.
Archer zeigt auf den Sessel vor dem Schreibtisch. Als sie Platz genommen hatte, beugte sie den Kopf und knetete ihre Hände. Archer warf Rhys einen vielsagenden Blick zu und nickte, als er sich neben die Frau setzte. »Hilary möchte dir gerne etwas erzählen.«
Da sie immer noch nicht zu ihm hochblickte, sagte Rhys so sanft, wie er konnte: »Hilary, ich hoffe, du weißt, dass du hier sicher bist. Nichts, was du sagst, wird diesen Raum verlassen.«
»Ja, das weiß ich«, antwortete sie schließlich. »Doch es fällt mir wirklich schwer, es laut auszusprechen.« Lang und tief holte sie Luft, dann sah sie zu Rhys, und Tränen standen ihr in den Augen. »Jake Grant hat mich missbraucht.«
Rhys musste sich zusammenreißen, als er Hilarys gebrochenen Blick sah. »Wann ist das passiert?«
»Vor sechs Monaten, auf einer Party«, erklärte sie mit zittriger Stimme. »Ich hatte dort nur einen Drink, aber offenbar enthielt er eine Droge. Am nächsten Tag bin ich in Jakes Bett aufgewacht, und er hat so getan, als wäre alles in Ordnung. Ich kann mich nicht erinnern, was zwischen uns passiert ist, doch ich war an jenem Morgen wund im Intimbereich, also muss etwas geschehen sein.«
Übelkeit stieg in Rhys auf. Er musste sich zusammenreißen, um keine Dummheit zu tun und auf der Stelle zu Jake nach Hause zu fahren. Das Letzte, was Zoey und Hilary brauchten, waren Reporter oder die Polizisten, die nach einem Grund suchten, warum Rhys auf Jake losgehen sollte. »Hast du den Vorfall gemeldet?«, fragte er.
Eine Träne rollte über ihre blasse Wange. »Ich habe meiner Mutter am nächsten Morgen davon erzählt. Sie brachte mich ins Krankenhaus, doch mein Vater hat mir das mit der Vergewaltigung wieder ausgeredet.«
Rhys unterdrückte einen Fluch und spreizte seine Finger auf der Schreibtischplatte, um sie nicht zur Faust zu ballen. Als Hilary die Schultern nach vorn sinken ließ, stand er auf und ging zum Kühlschrank. Er bot ihr eine Flasche Wasser an. »Es tut mir leid, dass dein Vater dich im Stich gelassen hat.«
Hilary nahm einen kleinen Schluck und hielt die Flasche im Schoß; ihre Fingerknöchel waren weiß. »Du weißt, wie das ist. Deine Familie ist vermutlich genauso. Ein Skandal würde dem guten Namen schaden. Das war es, woran er gedacht hat.«
Es war traurig, dass Rhys genau wusste, was sie meinte. Seine Eltern hätten einen Skandal, in den er verwickelt wäre, ebenso unter den Teppich gekehrt. Der gute Name bedeutete alles in der amerikanischen Geschäftswelt, selbst wenn es damit einherging, einem geliebten Menschen wehzutun. »Also haben sie dich angewiesen, dass du schweigen sollst.«
»Ja, jedenfalls mein Vater.«
Archer mischte sich ein. »Doch etwas muss sich geändert haben. Du hast Zoey gesagt, dass du jetzt zur Polizei gehen würdest.«
Mit einem Mal verhärteten sich Hilarys Gesichtszüge, und alle Schwäche war verschwunden. »Ja. Ich habe meine Meinung an dem Abend geändert, als Zoey ihre erste Show hatte. Es war ihr Blick, als sie die Maske abgenommen hat. Ich bin mir sicher, dass es keinem sonst aufgefallen ist, und alle dachten, die Maske hätte sich zufällig gelöst, doch ich habe den Ausdruck auf ihrem Gesicht erkannt. Ich sehe ihn jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue. Und ich bemerkte, wie sie Jake anstarrte und er abhaute. Es war nicht schwer, zwei und zwei zusammenzuzählen.« Sie trank noch einen Schluck Wasser. »Nachdem ich das beobachtet hatte, habe ich einen Privatdetektiv engagiert, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er zeigte mir Zoeys Foto im Netz und Jakes Kommentar.«
Doch kein Wort über Scott. Zu Beginn hatte Rhys angenommen, dass Jake der Anführer gewesen war und Scott irgendwie in die Sache verwickelt wurde, ohne sie stoppen zu können. Er hatte Scotts Schuldbewusstsein gesehen, als er die beiden mit der Sache konfrontiert hatte. Die Geister verfolgten Scott. Geister, die Jake nicht kannte. Rhys atmete tief durch, um seine Gefühle im Griff und einen klaren Kopf zu behalten, damit er Hilary helfen konnte. Er warf Archer einen Blick zu.
Archer nickte knapp, weil er auch ohne Worte verstand, dass Rhys wollte, dass er mit diesem Privatdetektiv sprach. Zoeys Privatsphäre war ihm wichtig.
»Wusstest du, dass das Jake hinter der Maske war?«, fragte er Hilary.
Sie nickte. »Ja, das wusste ich.«
»Und doch warst du hier im Phoenix mit ihm? Hat dich das nicht aus der Fassung gebracht?«
Etwas Gehetztes legte sich für einen Moment auf ihr Gesicht. »Jake gehört zu meinem engeren Bekanntenkreis. Ich sehe ihn jedes Wochenende. Ihm aus dem Weg zu gehen ist unmöglich. Ich musste lernen, damit zurechtzukommen.«
»Tut mir leid, Hilary. Das muss hart sein«, sagte Rhys sanft.
Sie zuckte mit einer Schulter. »Ich dachte, ich könnte mich damit arrangieren … bis zu dem Abend, als ich Zoey sah. Nachdem ich mitbekommen hatte, wie sie sich Gerechtigkeit verschafft hat, schämte ich mich für meine Schwäche. Es sorgte dafür, dass ich mich gegen ihn wehren wollte. Ich will beweisen, dass er mir etwas Furchtbares angetan hat. Dass ich es weiß und dass ich nicht daran zerbrochen bin.«
»Bist du deshalb zu Zoey gegangen?«, fragte Archer.
»Ja.« Hilary nickte in seine Richtung. »Ich will meine Geschichte erzählen, aber das schaffe ich nicht allein. Wer wird mir glauben?«
»Ich glaube dir«, sagte Rhys sofort.
»Ich auch«, stimmte Archer zu.
Hilarys Kinn zitterte. Sie schluckte schwer, bevor sie sich wieder an die beiden Männer wandte. »Ich danke euch. Das bedeutet mir viel. Doch es reicht nicht, dass die Menschen mir glauben. Es braucht ein weiteres Opfer. Das wissen wir alle. Ich benötige mehr als nur mein Wort gegen seins.«
»Du bist auf Zoeys Wahrheit angewiesen«, sagte Rhys.
Abermals nickte Hilary. »Vielleicht melden sich noch weitere Opfer, wenn unsere Geschichte erst mal öffentlich ist. Wenn es uns zwei gibt, dann müssen da draußen noch mehr sein.«
Rhys legte seine Hände übereinander auf die Schreibtischplatte. »Ich habe keine Zweifel daran, dass es so ist, doch ich möchte dich in der Sache um einen Gefallen bitten.«
»Halt dich von Zoey fern, richtig?« Sie lächelte ihn schief an.
Rhys hielt ihren Blick fest und wählte seine Worte mit Bedacht. »Was immer du von mir brauchst, Hilary, du wirst es bekommen. Geld. Anwälte. Private Ermittler. Kontakte. Ich werde dir helfen, so gut ich kann, doch wenn es um Zoey geht und ihre Haltung in der Sache, werde ich mich immer schützend vor sie stellen. Sie hat klar formuliert, was sie will und was nicht. Aber wenn du möchtest, kann sich Archer um die Angelegenheit kümmern. Mit seinen Möglichkeiten wird er dich unterstützen können, einen Fall für die Polizei daraus zu machen und eventuelle andere Opfer zu finden, die bereit sind, ihre Geschichte zu erzählen.«
Hilarys Lächeln war sanft. »Das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt hätte, und wenn du sie mir anbietest, könnte ich deine Hilfe definitiv gebrauchen.«
»Dann ist es abgemacht«, sagte Rhys.
Archer erhob sich, und als Hilary es ihm gleichtat, fragte Rhys: »Weiß deine Familie von den Plänen, doch noch an die Öffentlichkeit zu gehen?«
»Nein«, gab sie über ihre Schulter hinweg zurück. Stärke und Härte spiegelten sich in ihrem Gesicht. »Aber das kümmert mich nicht weiter. Ich bin es leid, nach den Regeln meines Vaters zu spielen.«
Rhys verneigte sich vor ihrem Mut.
Doch Archer warf Rhys einen Blick zu, den dieser bereits richtig gelesen hatte. Wir müssen vorsichtig vorgehen. Wenn Hilarys Vater erfuhr, dass Rhys und Archer in die Sache verwickelt waren, konnte dies auf den Club zurückfallen. Rhys ging sonst niemals solche Risiken ein. Wenn er allerdings Jake in der Hölle schmoren lassen konnte für das, was er Zoey angetan hatte, war ihm kein Preis zu hoch. Rhys bestätigte das Unausgesprochene zwischen ihnen mit einem Nicken. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, lehnte sich gegen das große Doppelfenster und blickte hinaus in den sonnigen Tag. Genauso hatte der Himmel an dem Tag ausgesehen, als Katherine gestorben war. Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag und daran, wie ohnmächtig er sich damals gefühlt hatte. Seitdem wollte er immer alles unter Kontrolle haben. Und half, wo er konnte. Um die glücklich zu machen, die es verdienten. Aber er hatte nicht mit Zoey gerechnet und damit, wie sie ihn verändern würde. Wie sie ihn dazu gebracht hatte, sich Dinge zu wünschen, an die er seit Katherine nicht mehr gedacht hatte. Und auf keinen Fall wollte er Zoey verlieren, wie er Katherine verloren hatte. Doch Zoey hatte nicht vor, in New York City zu bleiben. Es erinnerte sie an all das, was sie durchgemacht hatte und sie verfolgte. Wie konnte Rhys sie da fragen, ob sie seinetwegen bleiben würde?
»Du verdienst sie.«
Rhys blickte über seine Schulter und sah Archer, der bereits in der Tür stand. Sein langjähriger Freund hatte offenbar Rhys’ Gedanken gelesen. »Hör auf, dich für Dinge zu bestrafen, für die du nichts kannst, Rhys. Zoey ist gut für dich. Und du bist gut für sie«, sagte Archer ruhig.
»Hoffentlich hast du damit recht«, entgegnete Rhys.
***
Zoey hatte den Morgen damit verbracht, Kleidungsstücke zusammenzupacken, aber gegen Mittag spürte sie wieder den vertrauten Kloß in ihrer Kehle. Sie würde vier Kunden an diesem Tag betreuen, doch alle hatten Termine für den späten Nachmittag oder Abend. Weil sie dringend vor die Tür musste, machte sie sich auf den Weg in eines der beliebtesten Katzencafés von Brooklyn, The Hungry Kitty . Während ein Teil von ihr sich darauf freute, in wenigen Wochen nach Hause zu ihrer Familie zurückzukehren, konnte der andere Teil nicht aufhören, sich zu fragen: Weshalb habe ich Rhys ausgerechnet jetzt kennengelernt?
Warum hätte das nicht schon vor Monaten passieren können? Alles fühlte sich auf einmal anders an. Und sie selbst fühlte sich nicht mehr wie die Frau, die Jake und Scott mit ihrer Tat konfrontiert hatte. Die Frau, die in ihre Heimatstadt zurücklaufen wollte. Nichts davon hatte sie erwartet, ebenso wenig wie die Gefühle, die Rhys in ihr hervorrief. Er war ein wahr gewordener Traum, eine Fantasie, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie sie in sich trug. Und der Gedanke, dieses neue Leben nun hinter sich zu lassen, ließ den kleinen Kloß in ihrer Kehle sehr viel größer werden. Schon lange ging es hier nicht mehr nur um erotischen Sex, denn auch ihr Herz war verstrickt. Was der Grund dafür war, dass sie Rhys gebeten hatte, sich mit ihr im Katzencafé auf einen Kaffee zu treffen. Sie hätte sich vor ihren Gefühlen verstecken können, doch sie hatte sich dazu entschlossen, sich ihnen zu stellen. Sie wollte sehen, ob das, was sie empfand, real war oder ob das Fantasiegebilde Rhys Emotionen in ihr erschaffen hatte, die in der Wirklichkeit keinen Bestand hatten.
Ein älteres Paar schlenderte Hand in Hand vorüber, und Zoey lächelte in seine Richtung, als das Handy in ihrer Handtasche klingelte. Ein Blick auf das Display reichte, um sich furchtbar zu fühlen. Zoey hatte bereits einen Anruf verpasst und nur kurz auf zwei weitere Nachrichten reagiert. Um zu verhindern, dass ihre Mutter die Polizei vorbeischickte, um nach dem Rechten zu sehen, nahm sie diesmal das Gespräch an. »Hi, Mom.«
»Sie lebt, Gott sei Dank«, scherzte ihre Mutter.
Ihre Stimme klang warm und zärtlich und machte, dass Zoey sich besser fühlte, wann immer sie sie hörte. »Ja, ich lebe, und es geht mir gut«, antwortete sie und lehnte sich mit dem Rücken an eine Ziegelsteinmauer.
»Das kann ich hören. Du klingst glücklich. Schon aufgeregt, dass du wieder nach Hause zurückkommst?«
»Mmh-hm.« Im gleichen Moment wusste Zoey, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Direkt hakte ihre Mutter nach. »Das ist niemals ein gutes Geräusch, wenn es von dir kommt. Hast du deine Meinung geändert?«
Hatte sie das? Unentschlossen blickte Zoey auf den niedlichen Mops, der sein Frauchen die Straße entlangführte und dann die Straße überquerte. »Es ist nur gerade eine Menge los«, gab sie zu. »Ich bin aufgeregt, dass es bald nach Hause geht, doch da ist auch mein Leben hier, und es fällt mir schwer, es zurückzulassen.«
»Du kannst deine Meinung jederzeit ändern und in Brooklyn bleiben«, sagte ihre Mutter so sanft, dass Zoey spürte, wie sich ein warmes Gefühl in ihrer Brust ausbreitete. »Manchmal muss man etwas ausprobieren, um zu sehen, ob es wirklich das Richtige für einen ist«, fügte sie hinzu. »Vielleicht kommt dieser Schritt zu schnell. Du weißt, dass ich dich ganz selbstsüchtig bei mir zu Hause haben möchte, doch wir kommen hier auch klar, wenn du in Brooklyn bist. Aber eventuell könnten wir uns dann alle ein wenig mehr bemühen, uns regelmäßig zu besuchen.«
Zoey wurde die Kehle eng, und vor Verwirrung tat ihr der Kopf weh. Das war nicht der Plan. Das war auch nie der Plan gewesen. Warum fragte ihre Mutter sie das? »Du fehlst mir, Mom.«
»Oh, mein Liebling, du fehlst uns auch.«
Zoey schloss die Augen, und Schuldgefühle raubten ihr fast den Atem. Es gab tausend Dinge, die sie ihrer Mutter sagen wollte. »Erzähl mir, was ihr gerade macht«, bat sie stattdessen.
»Wir bleiben in Bewegung, arbeiten im Garten. Dein Vater hat sich in den Kopf gesetzt, eine Oase hinter dem Haus zu erschaffen, was immer das bedeutet.«
Zoey schloss die Augen und gab sich dem wohligen Klang der mütterlichen Stimme hin. Sie war wie ein sicherer Ort, an dem ihr nichts etwas anhaben konnte.
Doch dann strich ihr ein warmer Finger über den Arm. Zoey erschrak und riss die Augen auf. Vor ihr stand Rhys und sah sie besorgt an.
»Alles in Ordnung?«, fragte er stumm.
Zoey nickte und wartete darauf, dass ihre Mutter zu Ende sprach. »Hör mal, Mom, ich muss jetzt los. Ich rufe dich zurück, sobald ich etwas Zeit habe. Liebe euch beide.«
»Das hört sich gut an. Wir lieben dich auch, Schätzchen.«
Die Verbindung wurde unterbrochen, und Zoey schob ihr Handy in die Handtasche. »Tut mir leid. Alles in Ordnung, ich vermisse nur meine Eltern, das ist alles.«
»Verständlich«, sagte er mit einem sanften Lächeln. Er trat einen Schritt zurück und schaute dann hoch zu dem Schild über dem Geschäft. »Also ein Katzencafé, was?«
Sie grinste übers ganze Gesicht. »Überrascht?«
Er lächelte frech. »Interessiert.«
Sie fand, dass das eine ziemlich gute Reaktion war, und öffnete die Tür. Tiere beruhigten sie immer, also hatte sie gedacht, dass dies der beste Platz für ihr erstes echtes Date wäre. Das Café bestand aus einem kleinen rechteckigen Raum mit Sitzsäcken auf dem Boden und schwebenden Tischen mit Holzbänken darunter. Es war ihr Lieblingsort in Brooklyn.
»Hi, Zoey«, grüßte Jane hinter dem Tresen und winkte ihr zu. »Wie immer?«
Zoey drehte sich zu Rhys. »Sind ein paar Snacks als Lunch okay für dich? Käse und was Fleischiges und dazu gesüßten Tee?!«
»Hört sich großartig an«, gab er zurück.
Je mehr sie darüber nachdachte, dass Rhys vielleicht nicht hierherpasste, schien seltsamerweise das Gegenteil der Fall zu sein. Er hatte wirklich eine Gabe, sich einzufügen und doch hervorzustechen, als wäre er der Einzige im Raum. »Ja, zweimal wie immer, bitte«, sagte sie zu Jane.
Sie führte ihn in eine Ecke und war dankbar, dass niemand sonst an diesem Tag anwesend war. Sie setzte sich auf einen Sitzsack, und er nahm auf dem daneben Platz. Kaum hatte er die Beine ausgestreckt, sprang ein Kater auf seinen Schoß.
»Sieht aus, als hättest du einen Freund«, meinte Zoey.
Lächelnd streichelte er den orange getigerten Kater, woraufhin das Tier zu schnurren begann. »Hattest du als Kind viele Haustiere? Kommt daher der Wunsch, mit Tieren zu arbeiten?«
»Ich hatte so viele Tiere, wie meine Eltern mir erlaubten«, erzählte sie lachend und streckte den Arm aus, um eine vorbeistreifende weiße Katze zu streicheln, die nicht an ihr interessiert schien. Alle Tiere im Café waren irgendwann gerettet worden und nun hier, um wieder an die Gesellschaft von Menschen gewöhnt zu werden, bevor sie ein neues Heim fanden. Für jede Katze, die Zoey entdecken konnte, gab es eine, die sich irgendwo versteckte und nicht herauszukommen wagte. »Ich hatte einen Hamster, ein paar Meerschweinchen und einen Kater, Oscar, der schon lange gestorben ist. Hattest du irgendwelche Haustiere?«
Rhys schüttelte den Kopf. »Im Internat waren keine Tiere erlaubt.«
Sie nahm an, dass er eine gute Erziehung genossen hatte. »Bist du niemals hier in New York zur Schule gegangen?«
»Nein«, erklärte emotionslos. »So ist es in meiner Familie schon immer gewesen. Seit Generationen.«
»Ich hätte mir nicht vorstellen können, nicht bei meiner Familie aufzuwachsen. Hat es dir im Internat gefallen?«
»Ich habe es geliebt«, sagte er mit einem ehrlichen Lächeln. »Ich habe immer noch Kontakt zu den meisten Jungs, die ich während meiner Zeit dort kennengelernt habe. Es ist wie eine Familie, wenn auch eine ganz andere, als es deine gewesen sein wird. Doch es ist nichts, woran ich bei meinen eigenen Kindern denken würde. Ich mag den Gedanken an ein Familienleben und dass meine Kinder zu Hause wohnen. Bei mir.« Er hob den Blick und sah sie an. »Und bei meiner Frau.«
Bei seinen Worten stolperte ihr Herz für einen kurzen Moment. Es war beängstigend und wundervoll zugleich, dass sie sich tatsächlich ein Leben mit Rhys vorstellen konnte. Ein glückliches Leben. Ein sicheres und aufregendes Leben. Doch sie wich dem Thema aus und wechselte es. »Darf ich dich fragen, wie du zu dieser ganzen Sexclub-Sache gekommen bist?« Sie lächelte. »Ist es etwas, was du angestrebt hast?«
»Verrückter Gedanke«, sagte er mit einem Schnauben und kraulte den Kater unter dem Kinn. »Ich nehme an, Elise ist über die Tragödie mit meiner letzten Freundin gestolpert, Katherine.«
Zoey zuckte zusammen. »Ja, das ist sie. Es tut mir leid. Ich weiß, dass es sehr persönlich ist, aber …«
»Ist in Ordnung«, unterbrach er sie. »Nach Archers Sicherheitscheck kenne ich Dinge über dich, die ich nicht wissen sollte.« Der Kater schnurrte lauter, während Rhys ihm nun über den Rücken strich. »Der Krebs war grausam zu Katherine.«
»Wie lange warst du mit ihr zusammen?«
»Ich habe sie am zweiten Tag auf dem College kennengelernt. Kurz darauf bekam sie Krebs.«
Zoey streichelte eine langhaarige grau-weiße Katze, die vorbeilief, und hatte daraufhin die Hand voller Haare. Sie pustete sie sich von den Fingern. »Das tut mir wirklich leid, Rhys. Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie es sein muss, so etwas durchzumachen.«
Wieder blickte er auf die zufriedene Katze in seinem Schoß und kraulte weiter ihren Rücken. »Es war hart. Sie verfluchte das Schicksal, dass es ihr diese Krankheit gebracht hatte. Zu sehen, wie ihr Leben so grausam endete, mit so viel Wut in ihr, dass sie es nicht mehr kontrollieren konnte, hat mich gelehrt, dass niemand von uns hier lebend rauskommen wird. Also ist es besser, das alles richtig zu genießen.« Er sah hoch zu Zoey und hielt ihren Blick fest. »Um deine Frage zu beantworten, ich habe das Phoenix eröffnet, weil ich Teil von etwas sein wollte, das den Menschen mehr gibt. Außerdem konnte ich so den sinnlichen Lebensstil führen, der mir gefällt, und mich gleichzeitig emotional zurückhalten, während ich trauerte. Doch nach einer Weile veränderten sich die Dinge, und es wurde mehr als das. Reichtum bringt dich nach oben im Leben, aber es macht dich nicht glücklich. Sex …« Er grinste diabolisch. »Nun ja, ich habe schon immer die fleischlichen Gelüste bevorzugt. Nur dass es im Geheimen war mit freiwilligen Teilnehmern auf privaten Partys. Zuerst auf dem College, später anderswo.« Locker hob er eine Schulter, blickte wieder auf den Kater in seinem Schoß und fuhr fort, ihn zu kraulen »Jetzt stelle ich nur den Ort zur Verfügung und biete Schutz, damit auch andere dieses Leben genießen können.«
Sie wurde neidisch auf den Kater, der in Rhys’ Schoß schnurrte. »Hättest du mich vor einem Jahr gefragt, ob das einen Sinn für mich ergibt, hätte ich dir mit Nein geantwortet. So sinnlich zu sein, so ein Leben zu führen, war mir völlig fremd. Doch nun …«
Er grinste. »Gefällt es dir?«
Sie zuckte mit einer Schulter. »Es ist schwer, sich vorzustellen, nach Hause zurückzukehren und niemals an so etwas teilgenommen zu haben.«
Ein Moment verging. »Wer sagt, dass du irgendwo hingehen musst?«
Seine bedeutungsschwere Frage hing in der Luft und ließ sie kaum atmen. »Das war immer mein Plan.«
»Pläne ändern sich«, verkündete er leichthin, aber seine Augen blickten ernst.
Sie wusste, dass sie ihm etwas entgegnen sollte. Etwas Bedeutsames sagen sollte, doch da kam nichts. Der Kloß in ihrer Kehle, den sie hinuntergeschluckt hatte, kam wieder hoch, und ihr Kopf war wie benebelt, was es unmöglich machte, klar zu denken.
Zum Glück kam Jane mit ihrem Lunch und durchbrach die Stille. Sie stellte die Platte auf einen kleinen Tisch neben Rhys. »Braucht ihr sonst noch etwas?«
Zoey schüttelte den Kopf und lächelte. »Alles gut. Danke, Jane.«
Jane erwiderte das Lächeln. »Dann lasst es euch schmecken.«
Als sie zur Theke zurückkehrte, wechselte Rhys dankbarerweise das Thema. »Übrigens hat Archer herausgefunden, dass die Frau, die dich in der Praxis aufgesucht hat, Mitglied im Phoenix ist.«
»Elise vermutete so etwas.« Zoey schluckte den Kloß hinunter. Wieder . »Ist ihr Name wirklich Hilary?«
»Ja, genau«, antwortete Rhys, und der Kater in seinem Schoß schnurrte lauter. »Willst du ihre Geschichte hören?«
Zoey erschrak, als ein Kater von hinten auf ihren Sitzsack sprang, um sich dann auf ihre Schulter zu setzen. Sie hob die Hand, um ihm den Kopf zu kraulen. »Ähnelt sie meiner?«
»Ja, aber ich wollte dir nicht von ihrem Missbrauch erzählen.«
»Wovon dann?«
»Es war dein Mut, der sie aufgerüttelt hat.«
Zoey schaute zurück zu Rhys, mit ihren Blicken fixierten sie einander. »Es war nicht mutig, was ich in jener Nacht getan habe«, entgegnete sie. »Es war die einzige Form von Gerechtigkeit, die mir meiner Meinung nach blieb. Und es war mein Weg, aus der Sache herauszukommen.«
»Trotzdem war es mutig«, gab er zurück.
Entschlossen schüttelte sie den Kopf, während der schwarze Kater sie mit dem Kopf anstupste, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. »Nein, es war kein Mut. Es waren Ärger und Wut, das ist alles. Hilary will, dass ihre Geschichte an die Öffentlichkeit kommt. Sie ist die Mutige von uns beiden.«
Rhys hörte auf, seinen Kater zu kraulen, und runzelte die Stirn. »Nur weil du deine Geschichte nicht erzählen willst, heißt das nicht, dass du nicht mutig bist. Du hast dich den Männern entgegengestellt, die dich misshandelt haben. Unterschätz dich nicht.«
Statt zu antworten, zuckte sie nur mit den Schultern. Mut versteckte sich nicht. »Will Hilary immer noch zur Polizei gehen?«
Rhys nickte. »So ist der Plan.« Als er ihren Gesichtsausdruck sah, fügte er schnell hinzu: »Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sie lässt dich und deinen Namen aus der Sache heraus. Archer stellt gerade Ermittlungen an, die ihr helfen sollen, mit einem soliden Fall dazustehen. Sollte es mehr Opfer geben, wird Archer sie finden.«
»Gut.« Zoey atmete aus. »Das ist gut.« Und doch fühlte sie sich wie ein Feigling, der sich hinter der eigenen Angst versteckte. Aber die Alternative, alles öffentlich zu machen und zuzugeben, was ihr passiert war, noch einmal bloßgestellt zu sein …
Gerade als sich ihr Kopf zu drehen begann, sprang ihr der schwarze Kater auf den Schoß. Überrascht lachte sie auf. »Tut mir leid«, sagte sie zu dem Kater. »Schenke ich dir nicht die Aufmerksamkeit, die du verdienst?« Der Kater schnurrte und rieb seinen Kopf an Zoeys Bein. Sie beeilte sich, das Tier zu streicheln, und es schnurrte nur noch lauter.
»Wenn ich so schnurre, kraulst du mich dann auch?«
Die Hitze in Rhys’ Stimme ließ Zoey erbeben. Sie blickte hinauf zu seinem teuflischen Lächeln. Es war, als wüsste er, dass sie etwas brauchte, was ihre Laune hob. Sie hatte keine Ahnung, wie er das anstellte. Doch er wusste genau, wie er sie auf andere Gedanken bringen konnte. Und schien immer das Richtige zu sagen. War für sie da, wie sie es brauchte. Schwamm auf einer Welle mit ihr. »Nicht schnurren, sondern sexy brummen, wie wäre das? Dann mache ich es definitiv.«
In seinen Augen loderte es. »Sei vorsichtig, um was du bittest, Zoey.«
Als hätte er einen Schalter umgelegt, löste sich langsam die Verwirrung in ihrem Kopf, und sie hielt sich an seinem Blick fest wie an einem Anker. Wie magisch zu ihm hingezogen, beugte sie sich vor, bis ihr Mund seinem ganz nah war. »Sollte ich Angst haben?«
Er erwiderte ihr Lächeln noch verlangender als zuvor. »Kommt drauf an.«
»Auf was?« Sie atmete tief ein.
Begierig fuhr sein Blick über ihre Lippen, bevor er die grauen Augen hob. »Ob du willst, dass ich dich in den Waschraum bringe und dort ficke.«
»Das würdest du nicht tun.« Sie lachte sanft.
Er beugte sich noch ein Stückchen vor, und sofort schien die Luft um Zoey herum heißer zu werden. »Lass es drauf ankommen.«