Kapitel 15

»Danke für Ihre Aussage, Ms. Parker. Sie können jetzt gehen.«

Zoey erhob sich von ihrem Platz im New York City Police Department und fühlte sich, als wäre ihr eine schwere Last von der Brust genommen. Den USB -Stick, der zwischen ihr und den Detectives auf dem Tisch lag, berührte sie nicht. Die Aufnahme von Rhys’ Gespräch mit Scott und Jake würde zweifellos zu einer Verurteilung von Jake führen. Sie ließ die zwei stoischen Detectives hinter sich in dem kalten Raum zurück und ging den Korridor entlang. All ihre Angst und Scham erdrückten sie nicht länger. Das Gefühl der Freiheit ließ ihre Welt wieder lebendig werden.

»Zoey, Schätzchen, hier drüben sind wir.«

Sie drehte sich um und sah ihre Eltern im Wartebereich. Wärme breitete sich in ihrem Inneren aus, als sie hinüber zu ihnen eilte und sich in ihre Arme warf. Niemals hätte sie mit einer so verständnisvollen Reaktion ihrer Eltern gerechnet. Oder damit, welch tiefgreifenden Folgen ihre Aussage haben würde. Und so fühlte sie sich sicherer, nachdem sie die Wahrheit gesagt hatte – obwohl sie damit ihr Privatestes öffentlich gemacht hatte. Sie fühlte sich freier. Sie spürte die Macht jedes einzelnen Wortes ihrer Aussage. Vielleicht war es nicht die Rache, von der sie einmal geglaubt hatte, dass sie ihr zustand, aber sie wusste, dass ihr Handeln dazu beitrug, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Anderen Frauen mehr Sicherheit zu geben. Ein Teil von Jakes Macht hatte darin bestanden, sie zu beschämen, sodass sie ihr Geheimnis für sich behalten hatte.

Doch das war vorbei. Für immer.

»Wir sind so stolz auf dich, Schätzchen«, sagte ihre Mom und gab Zoey einen dicken Kuss auf die Wange.

»Danke.« Sie trat einen Schritt zurück und seufzte schwer. »Ehrlich gesagt bin ich einfach nur froh, dass alles vorüber ist. Diese Detectives sind anstrengend.«

»Du hast dich gut geschlagen«, warf ihr Dad ein und führte sie alle durch eine andere Tür Richtung Ausgang. »Ich kann mir gut vorstellen, wie einschüchternd diese Befragung gewesen sein muss.«

»Nur ein bisschen«, gab Zoey mit einem leisen Lachen zu.

Als sie durch das große, offene Foyer der Polizeistation gingen, stand Hilary von einer Couch neben den Fenstern auf. »Ist alles gut gegangen?«, fragte sie, nachdem sie zu Zoey geeilt und sie in die Arme genommen hatte.

»Ja.« Zoey erwiderte die Umarmung. »Es hat sich gut angefühlt, laut auszusprechen, was passiert ist. Tatsächlich war es leichter, als ich erwartet hätte.«

»Ich weiß genau, was du meinst«, sagte Hilary und gab sie frei. »Fühlt sich gut an, ihm den Marsch zu blasen, stimmt’s?«

Zoey lachte leise. »Auf jeden Fall.«

»Hey, Hil.«

Hilary blickte über ihre Schulter, und Zoey sah einen gutaussehenden jungen Mann, der Hilary zuwinkte. »Das ist mein Freund Nathan«, erklärte Hilary. »Ich bin mir sicher, während Jakes Prozess werden wir uns noch häufig sehen, aber lass uns auch mal zum Abendessen oder etwas in der Art verabreden.«

Hilary wusste nicht, dass Zoey New York verlassen hatte, und Zoey hatte keine Lust, es ihr zu erzählen. »Das wäre toll. Ich melde mich bald bei dir.«

»Ja, tu das. Du warst heute großartig. Ich bin so stolz auf dich.« Noch einmal umarmte Hilary Zoey ganz fest, bevor sie sich verabschiedete und in die Arme ihres Freundes lief. Das Lachen der beiden hallte durch das große Foyer. Nun spürte Zoey eine andere Form der Wärme in ihrer Brust. Ihr wurde bewusst, dass Gerechtigkeit nicht immer bedeutete, jemanden hinter Gitter zu bringen; es ging darum, gehört zu werden und dass einem geglaubt wurde. Offensichtlich war auch von Hilary eine schwere Last genommen worden.

»Oh, da ist der Anwalt«, sagte ihr Vater. »Ich werde mal fragen, was er will.« Er küsste Zoey auf die Stirn und ging auf den Anwalt zu, ihre Mutter im Schlepptau.

»Du hättest es mir sagen sollen.«

Zoey schloss die Augen, und eine Welle von Emotionen spülte über sie hinweg. Sie hätte diese Stimme überall wiedererkannt.

»Zoey«, raunte er ganz sanft, mit einem Klang, der nur ihr gehörte.

Sie drehte sich um und blickte in Rhys’ warme Augen. Er trug eine schwarze Hose und ein graues Hemd mit offenem Kragen, das unglaublich gut mit seinen Augen harmonierte. Er hielt ihr ein Stück Papier hin. »Was ist das?«, fragte sie.

Er trat näher zu ihr. »Mein Flugticket nach Sacramento. Ich sagte ja, du hättest mir erzählen müssen, dass du zurückkommst.«

Sie blinzelte, verarbeitete seine Worte und blinzelte wieder. »Du wolltest zu mir fliegen, um mich zu sehen?«

»Nicht nur, um dich zu sehen.« Er legte eine Hand auf ihren unteren Rücken und zog sie eng an sich. »Ich wollte nach Sacramento fliegen und nicht mehr zurückkommen.« Er senkte den Mund, bis seine Lippen ganz nah an ihren waren. »Stell dir meine Überraschung vor, als ich erfuhr, dass du zurückgekehrt bist.«

»Wie hast du …?« Sie lachte, kannte die Antwort. »Archer?«

»Er weiß alles.« Rhys grinste. Sein Blick folgte seiner Hand, als er ihr das Haar aus dem Gesicht strich und es ihr hinter das Ohr steckte. Dann fuhr er ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange, und sein Lächeln verblasste. »Du bist so mutig, dass du alles offen ausgesprochen hast, Zoey. Dafür braucht es viel Kraft. Ich bin so stolz auf dich.«

Wärme erfüllte all die kalten Stellen, die sie noch vor Kurzem tief in ihrer Brust gefühlt hatte. »Ich habe geglaubt, alles würde auseinanderbrechen, sobald ich die Wahrheit ausspreche, doch das ist es nicht.« Sie legte die Arme um ihn und wollte ihn nie mehr gehen lassen. »Die Wahrheit zu erzählen hat mich wieder geheilt. Es hat mich nach Hause gebracht.«

»Ich kann mir keine besseren Nachrichten vorstellen.« Er vergrub den Kopf an ihrem Hals und hielt sie ganz fest.

Alles, was sich falsch angefühlt hatte, seit sie New York verlassen hatte, war einem anderen Gefühl gewichen: So war es richtig. Sie schmiegte den Kopf an seine Brust, schloss die Augen und gab sich ganz seiner Nähe hin. »Ich wollte dir von meinem Plan berichten, doch gleichzeitig musste ich das hier allein machen.«

»Ich weiß.«

Sie lehnte sich zurück und suchte seinen starken Blick. »Was, wenn ich dir erzähle, dass ich fertig damit bin, mir allein meinen Weg durchs Leben zu kämpfen?«

»Dann würde ich dir sagen, dass du das auch nicht mehr brauchst.«

Auf seinem Gesicht machte sich das süßeste Lächeln breit, das sie je gesehen hatte, bevor seine Lippen sich auf ihre legten und sein Kuss sie weit, weit weg an einen anderen Ort mitnahm.

Bis sie neben sich ein Räuspern hörten.

»Wenn Sie meine Tochter auf diese Weise küssen, sollte ich zumindest Ihren Namen kennen«, erklang die Stimme von Zoeys Vater.

Zoey löste sich von Rhys und lachte. »Tut mir leid, Dad. Rhys, ich möchte dir meinen Vater vorstellen, Daniel Parker, und meine Mutter, Monica.«

Rhys schüttelte beiden die Hände und lächelte sie mit seinem ganzen überbordenden Charme an. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«

Ihre Mom musterte Rhys aufmerksam. »Dann sind Sie also der Rhys Harrington, über den ich schon so viel gehört habe.«

»Ja, das bin ich«, sagte er, und als er zu ihrem Vater sah, wurde sein Blick nachdenklich. »Wenn ich eine Sache von Ihrer Tochter gelernt habe, dann, dass sich Pläne immer ändern können. Eigentlich hatte ich mir unsere erste Begegnung anders vorgestellt, doch da Sie nun auch hier sind, nehme ich an, dass mir das einen Schritt spart.« Er warf Zoey einen Blick zu, der sie schwindeln ließ, bevor er sich wieder ihrem Vater zuwandte. »Sir, ich bitte um die Erlaubnis, Ihre Tochter fragen zu dürfen, ob sie mich heiratet.«

Ihre Mutter gab einen quiekenden Laut von sich und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Zoey blinzelte verwirrt und fragte sich, ob sie ihn falsch verstanden hatte.

Die Welt schien vor ihren Augen zu verschwimmen, als Rhys fortfuhr: »Sie kennen mich noch nicht, doch ich verspreche Ihnen, mich um Zoey zu kümmern. Und ihr die gleiche Liebe und den gleichen Respekt entgegenzubringen, wie Sie es ganz offensichtlich tun. Vor allem aber verspreche ich, ihr das Leben zu schenken, das sie verdient.« Er zögerte und warf ihr einen so intensiven Blick zu, dass ihr der Atem stockte, bevor er an ihren Vater gerichtet hinzufügte: »Wir müssen nichts überstürzen, denn ich bin mir sicher, dass Sie mich erst kennenlernen möchten. Wenn Zoey allerdings zustimmt, kann ich es nicht ertragen, noch einen weiteren Tag zu verbringen, an dem ich nicht weiß, ob sie meine Frau sein wird.«

»Oh, Daniel«, sagte ihre Mutter und griff nach dem Arm des Vaters.

Zoey blinzelte und wusste, dass sie etwas sagen sollte, etwas tun sollte , doch sie konnte nur mit ungläubigem Blick staunen.

Ihr Vater musste über ihren Gesichtsausdruck lachen. »So wie meine Tochter gerade aussieht, würde ich sagen, dass Sie bis jetzt einiges richtig gemacht haben, mein Sohn. Aber die Entscheidung liegt allein bei Zoey.«

Die Zeit schien stillzustehen, als Rhys im Foyer der Polizeistation vor sie trat und ein Knie beugte, ohne sich um die Menge zu kümmern, die sich nun dort zusammenfand. »Es gibt weit romantischere Wege, das hier zu tun, doch wir beide wissen, dass allein das Glück zählt, das wir durch den anderen gefunden haben. Du bist einmal von mir fortgegangen. Und ich bin verdammt noch mal entschlossen, es nie wieder so weit kommen zu lassen.« Er öffnete eine Schachtel und enthüllte einen Diamantring im Prinzess-Schliff. »Zoey, ich habe mich unsterblich in dich verliebt. Nichts ergibt mehr Sinn ohne dich. Alles ist gut, wenn du bei mir bist. Wir verdienen dieses Geschenk. Willst du mich heiraten?«

Zoey schaute Rhys in die rauchgrauen Augen, und noch nie war es ihr so leichtgefallen, zu antworten. »Ja.« Als das Böse geschah, schien das Gute so weit entfernt. Doch nun war Rhys da und bot ihr ein Leben voller Glückseligkeit, und sie wusste, dass auch sie ihn liebte. Sie warf ihm die Arme um den Hals und hörte, wie ihre Mutter neben ihr weinte. »Ich liebe dich, Rhys«, sagte sie an seinem Ohr.

Er fing sie auf und küsste die kitzlige Stelle an ihrem Hals. »Ich liebe dich auch, Zoey.«