2. Theologiestudium

Begegnung mit Hans Urs von Balthasar

Wie kam es dann zum Theologiestudium? War der Weg einfach schon vorgezeichnet, weil Sie von Kindesbeinen an Priester werden wollten und sich die Frage so gar nicht gestellt hat?

Das war genau der Punkt. In der Schule hatte ich andere Interessen, die ich nicht weiterverfolgt habe: Naturwissenschaften und Sprachen. Ich habe Latein, Mathe und Chemie als Leistungskurs gehabt und das sehr gern gemacht. Und das sagt jetzt nichts über die Leistung der vielen Religionslehrerinnen und Religionslehrer: Aber meinen Religionsunterricht fand ich nicht so spannend. Trotzdem stand für mich und auch für die Mitschüler und etliche der Lehrerinnen und Lehrer immer außer Frage, dass ich mich im Priesterseminar anmelden werde, wenn ich das Abi habe. So habe ich es dann auch gemacht, das war der entscheidende nächste Schritt. Das Theologiestudium war eine notwendige Folge daraus. Ich hatte damals allerdings nicht erwartet, wie sehr mich das Studium dann interessiert, gereizt und letztlich auch geformt hat. Am Anfang war es nur die notwendige Voraussetzung für alles Weitere.

Was waren die ersten Eindrücke vom Studium? Es war schließlich schon ein größerer Einschnitt, weil Trier von Ihrem Heimatort vergleichsweise weit weg ist. War das für Sie eine andere Welt?

Ja, klar, Trier liegt 200 Kilometer von meinem Heimatort weg. Mit dem Zug dauerte das fünf Stunden. Einen Führerschein hatte ich, aber kein eigenes Auto. Das erste Auto bekam ich als Diakon, als ich es unbedingt brauchte. Der Beginn des Studiums war schon eine Herausforderung für mich. Aber wir waren viele Seminaristen und da waren interessante Typen und Charaktere dabei, im Übrigen nicht nur im Priesterseminar, sondern auch an der Theologischen Fakultät in Trier. Zu den 20 Seminaristen in einem damals kleinen Semester kamen 40 Laientheologinnen und -theologen dazu, mit denen von Anfang an eine intensive Verbindung da war, die bis heute anhält.

War das Priesterseminar selbst auch eine Herausforderung?

Auf der einen Seite habe ich Bestätigung erfahren, weil es unter den Seminaristen viele Parallelen hinsichtlich der Sozialisierung gab. Wer hatte nicht als Kind Messe gespielt, weil das so reizvoll war? Auf der anderen Seite war es durchaus schwierig, in so einer großen Gemeinschaft zu leben, in einem Haus mit 110 Seminaristen.

Warum? Was war daran nicht einfach?

Ich war Familie gewohnt, aber das war etwas anderes. Ich weiß noch genau, dass meine Eltern und meine Schwester, die mich nach Trier gebracht haben, schockierter als ich darüber waren, wie so ein Seminaristenzimmer nur mit dem Allernötigsten eingerichtet ist – wie das damals so war. Es gab ein Telefon auf dem Flur, auch die Toilette war auf dem Gang. Der Schreibtisch war ein normaler Küchentisch, das Bettgestell vom Hausmeister zusammengeschweißt.

Was hat die Zeit des Studiums und das inhaltliche Programm geprägt?

Zu den Besonderheiten in Trier gehörte wie in wenigen anderen Bistümern die pastoral-psychologische Ausbildung mit vielen Selbsterfahrungsanteilen. Das war mir anfangs fremd. Vom ersten Semester bis in die Kaplanszeit hinein waren zwölf sehr intensive Kurse vorgesehen. Dort waren die eigenen Erfahrungen zu reflektieren, auch die psychologischen Faktoren der Glaubensentwicklung zu hinterfragen: die bisherige Biografie, die Elternbeziehungen und auch die Frage der eigenen Sexualität. Ich sage ehrlich, dass ich keinen dieser Kurse gerne angefangen, aber alle mit hohem Profit absolviert habe, und finde heute, dass das mit das Beste an unserer Ausbildung war.

Das heißt also, dass Ihnen das Theologiestudium den Glauben nicht ausgetrieben hat, weil einem jungen gläubigen Menschen auf einmal alles in Frage gestellt wird und es dann zu einer gewissen Ablehnung kommt?

Bei mir war das nie so. Sonst hätte ich auch nicht 20 Jahre lang die Priesterausbildung verantworten können: als Weitung des Horizonts, als einen echten Schub an Persönlichkeitsentwicklung, aber auch intellektueller Reifung und intensiver Beschäftigung mit dem Glauben als Vorbereitung für den Verkündigungs- und Seelsorgedienst. Das war meine Erfahrung von Anfang an. Ich fand das total spannend, auch wenn die Einführung in die biblische Exegese oder die philosophischen Fragestellungen, etwa philosophische Anthropologie bei Ludger Honnefelder, eine fremde Welt für mich waren. Aber im Nachhinein habe ich das alles aufgesogen und unglaublich interessant gefunden. Am Ende der fünf Jahre mit dem Diplom in der Hand war ich an dem Punkt, dass ich gerne wieder mit dem Studium begonnen hätte, weil ich den Eindruck hatte, dass zu viel an mir irgendwie vorbeigerauscht ist, was ich gerne vertiefen würde.

Gab es auch prägende Erlebnisse außerhalb kirchlicher Kontexte und theologischer Bücher?

In dieser Phase habe ich mich konzentriert auf das Innerkirchliche, auch wenn ich mich vielfältig engagiert habe – und es nicht wenige Feten gab. So war ich eine Zeit lang AStA-Vorsitzender. Aber auch da haben wir uns bei einem Dies academicus mit moraltheologischen Fragen beschäftigt. Mit der Katholischen Hochschulgemeinde haben wir 1984 ein autonomes Seminar zum Amt in der Kirche veranstaltet. Natürlich schmunzele ich heute auch darüber, aber das gehörte damals irgendwie dazu. In jedem Fall ist mir im Gespräch mit den verschiedenen Anwärtern der Berufsgruppen – Priesterkandidaten, angehende Pastoralreferentinnen und Religionslehrer –, als wir über das Amt nachgedacht haben, etwas aufgegangen, was mich bis heute beschäftigt: Man kann je nach eigener Situation sehr unterschiedliche Perspektiven haben, wenn man über das Amt diskutiert. Es gibt diejenigen, die über das Amt sprechen, indem sie es innehaben, die geltende Lehre bestimmen und dann verteidigen; und es gibt die, denen es verwehrt ist. Mir geht es deshalb immer auch darum, denen eine Stimme zu geben innerhalb des Amtes, die eine andere Perspektive darauf haben. Dass das für die Diskussionen hilfreich ist, war für mich eine wichtige Erfahrung.

Sie haben dann Externitas-Semester in Freiburg verbracht …

Das war eine großartige Zeit, in der ich Karl Lehmann, Alfons Deissler und Rudolf Pesch gehört habe. Pesch ist in seiner Römerbrief-Vorlesung zwar nicht über das Kapitel drei im ganzen Semester hinausgekommen. Der Hörsaal leerte sich im Verlauf zusehends, aber ich bin dabeigeblieben. Das hat immer zu mir gehört: Das, was ich anfange, ziehe ich auch durch. Ich profitiere bis heute davon.

Wie kam es zur Auseinandersetzung mit dem Theologen Hans Urs von Balthasar, dem Sie Ihre Qualifikationsarbeiten gewidmet haben?

Die letzten Jahre waren, das muss ich sagen, ein echter Glücksfall, den ich anderen zu verdanken habe. Ich habe Hans Urs von Balthasar gut kennengelernt und mich wirklich in seine Theologie vertieft. Die fünf Bände seiner Theo-Dramatik habe ich gelesen und intensiv studiert. In der Diplomarbeit habe ich mich dann ausführlich damit beschäftigt, was mein theologisches Profil ausmacht.

War die Begeisterung für Balthasar dann auch der entscheidende Punkt dafür, dass Sie die Promotion angefangen haben – oder einfach ein Auftrag vom Bischof?

Das war ein klarer Auftrag des Bischofs. Ich habe bis heute keine Aufgabe und keines meiner Ämter selbst gesucht, sondern wurde immer darauf angesprochen – und bin dann gesprungen. Ein einziges Mal habe ich Nein gesagt, als ich nach dem zweiten Semester gefragt wurde, ob ich ins Germanicum in Rom gehen wolle. Ich konnte mir das damals nicht vorstellen. Diese Welt wäre für mich zu groß gewesen. Dieses Nein habe ich nie bereut, aber deshalb auch keine irgendwie gearteten Anti-Reflexe entwickelt. Ich habe mich immer darum bemüht, Studierende zum römischen Studium zu motivieren, und dann konnte ich mich mit vielen darüber freuen, wie es sie geformt hat.

Und wie kam Hans Urs von Balthasar ins Spiel?

Subregens war damals Felix Genn, der heutige Bischof von Münster, der dann gegen Ende meines Studiums Spiritual am Priesterseminar wurde. Er hatte Kontakte zu Balthasar und ihn einmal zu Exerzitien eingeladen. Das war im Frühjahr 1984. Die Exerzitien waren sehr anspruchsvoll, total ignatianisch, mühsam und in der Art des Vortrags eher langweilig, so wie Balthasar auch gepredigt hat. Aber sie waren auf der anderen Seite wahnsinnig gehaltvoll. Balthasar hat einem die Brocken hingeworfen, entweder nahm man sie und hat damit gearbeitet, oder man war verloren. Und so kam ich dann auch zu seiner Theologie – und zu meiner Diplomarbeit. Ich habe über die Eucharistie als Opfer der Kirche geschrieben. Der Subregens hat mir vorgeschlagen, die Arbeit Balthasar zu schicken. Und der antwortete mir: Lieber Herr Bätzing, ich würde die Arbeit gerne drucken. Ich habe mich mit mehreren beraten, lange gezögert, und dann ist ein kleines Bändchen daraus geworden. Der Professor, der die Arbeit betreut hatte, meinte, das hätte durchaus eine Doktorarbeit sein können, wenn noch ein Kapitel dazugekommen wäre. Aber ich wollte keine Doktorarbeit schreiben, weil ich nach dem Abschluss des Studiums Priester sein wollte – und bin glücklich in die Seelsorge gegangen als Diakon und dann als Kaplan. Am Ende der Kaplanszeit kam der Priesterreferent und hat gefragt, ob ich nicht weiter studieren wolle. Ich habe Ja gesagt, wollte aber nicht freigestellt werden zum Studium. Ich wollte nicht aus der Seelsorge herausgerissen werden. Sehr bald habe ich dann in Trier die Aufgabe des Subregens bekommen und den Auftrag zur Promotion. Dann war klar, dass ich nebenher bei Professor Klaus Reinhardt, der mich bei der Diplomarbeit schon begleitet hatte, auch die Dissertation über ekklesiologische Aspekte des Läuterungsgedankens beginnen konnte.

Fasziniert Sie Hans Urs von Balthasar heute noch?

Nach wie vor finde ich diese Art des Denkens anziehend. Akademische Theologie war ja nicht seine Sache, bis heute hat er keine Schule im engeren Sinne, war nie akademischer Lehrer. Er hat aber als einer der wenigen noch mit dem notwendigen polyglotten Wissen die Weisheit der Tradition der Kirchenväter für uns übersetzt. Es ist etwas ganz Großes, wie er die gesamte Kultur bis in die Gegenwart, die Literatur und die Künste hinein zusammen mit den Prägungen seiner Ordensspiritualität eng mit der Theologie verwoben hat. Das ist für mich bis heute ein großer Wurf. Aber ich habe mich in Teilen anders entwickelt, beispielsweise mit Blick auf die Ämterfrage.

Wo gibt es da heute Differenzen?

Als Papst Franziskus uns bei unserem Ad-Limina-Besuch im November 2022 ziemlich lang entfaltet hat, dass wir am den Männern vorbehaltenen Amt festhalten können, weil es eine marianische und petrinische Dimension der Kirche gebe, hat mich das an Balthasar und seine Geschlechtertypologie erinnert. Sie hatte mich damals fasziniert. Aber als der Papst jetzt gesprochen hat, fiel mir auf, dass das johanneische Element in der Balthasar’schen Deutung fehlt. Ich habe mich auch insofern weiterentwickelt, weil diese Unterscheidungen doch gewiss Dimensionen der ganzen Kirche sind. Man darf die Analogie nicht überziehen und diese auf einzelne Personengruppen übertragen, als gelte das eine nur für Männer und das andere nur für Frauen. Das wäre ein hermeneutischer Fehlschluss, wenn man beispielsweise das Marianische nur den Frauen zuordnen wollte. Das wäre durchaus in der Denklinie von Balthasar. Für mich ist das eine mögliche spirituelle Deutung. Wissenschaftliche Theologie wird aber immer die Grenzen der Analogie wahren.

Hat sich das Denken von Hans Urs von Balthasar als Inspiration für Theologie und Kirche heute damit nicht doch eher überlebt?

Ich bin davon überzeugt, dass Balthasar 36 Jahre nach seinem Tod seine Ämtertheologie selbst auch kritischer sehen und nicht eins zu eins ohne weitere Entwicklung wiederholen würde. Manche sind schockiert, wie ich als von Balthasar geprägter Theologe heute diese oder jene Ansichten mit Blick auf bestimmte theologische Positionen vertreten könne. Dann sage ich immer: Was denkt ihr denn? Wenn dieser Mann heute noch leben würde, hätten er und seine Theologie sich doch ganz bestimmt auch weiterentwickelt. Gerade er hat sich doch immer der Gegenwart mit ihren Fragen gestellt. Insofern fühle ich mich bis heute nachhaltig von ihm geprägt. Ich bin sehr dankbar, diesem Menschen begegnet zu sein – gerade auch in seiner Autonomie. Was haben die jungen Jesuiten in einer versteinerten scholastischen Theologenausbildung damals als Studenten in Lyon gemacht? Henri de Lubac war für Balthasar einer der wenigen brauchbaren theologischen Lehrer. Ansonsten haben sie sich in den Vorlesungen Watte in die Ohren gestopft und unter der Bank die Kirchenväter im Original gelesen. Diese Autonomie des eigenen Denkens, inwiefern etwas einen weiterbringt oder nicht, hat Balthasar vorangebracht. Man muss nicht allem einfach vorbehaltlos trauen und alles annehmen, ohne es zu hinterfragen, sondern sich damit auseinandersetzen. Dieser Mühe darf man sich nicht entziehen, um sich dann am Ende aber auch selbst auf den Weg zu machen. Das finde ich groß an diesem Mann und bin dafür sehr, sehr dankbar.