Sie sprachen von den synodalen Traditionen im Bistum Limburg. Wie verhalten sich diese zu dem Projekt von Papst Franziskus, der ja viel über Synodalität spricht und weltweit Prozesse dazu angestoßen hat, um über das Thema Synodalität nachzudenken – mit den Höhepunkten im Oktober 2023 und im Oktober 2024 im Vatikan? Da könnte man doch eigentlich meinen, Limburg steht sozusagen ganz oben, wenn man in der Weltkirche lernen will, was eine synodale Kirche ist. Welche Erfahrungen haben Sie im Bistum Limburg mit synodalen Strukturen gemacht? Was läuft gut, was läuft nicht so glatt?
Das Erste betrifft meine unerschütterliche Überzeugung: Synodalität braucht Strukturen. Synodalität drückt sich in klar geregelten Verfahren aus. Synodalität spiegelt sich im Recht. Und wenn das auf der Ebene der Weltkirche gelingen soll, muss sie genau diesen Weg gehen – und es darf nicht bei einem rein spirituellen Verständnis bleiben. Alles muss rechtlich klar gefasst werden. Wer hat wann was zu sagen? Wer hat wann zu entscheiden, wer mitzuberaten? Wer muss wann gefragt werden? Das bedeutet Synodalität im Bistum Limburg, und das hat man seit mehr als 50 Jahren auf allen Handlungsebenen durchexerziert. Das bringen wir jetzt in ein Update ein, damit es noch besser zur heutigen Situation passt, aber nichts wegnimmt von der Relevanz dieser Prozesse.
Was heißt das konkret?
Wenn Entscheidungen, die für das gesamte Bistum relevant sind, getroffen werden müssen, gibt es einen klaren Beratungsweg. Dieser beginnt im Bistumsteam nach den Vorarbeiten in der Kurie des Bischofs. Das Bistumsteam setzt sich aus zentralen und dezentralen Verantwortlichen zusammen. Da findet eine gründliche Beratung statt. Daraufhin geht der Weg über den Seelsorgerat, in dem der Priesterrat integriert ist, und findet seinen Abschluss in dem obersten Beratungsgremium des Bischofs, im Diözesansynodalrat.
War das eine Umstellung für Sie?
Ich habe viel lernen müssen, als ich nach Limburg kam. Mir war schnell klar, dass ich hier neue Sprachspiele lernen muss, weil diese mit der Kultur verbunden sind, die den Diözesanen sehr wichtig ist. Also musste ich von Synodalität reden, bevor ich kapiert hatte, was das im Einzelnen bedeutet. Mir war auch vollkommen neu, in kirchlichen Kontexten von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zu sprechen. Ich habe das zuerst äußerlich übernommen. Man kann es auch nur im Vollzug lernen. In der relativ kurzen Phase meines Amtsvorgängers wurde das Synodale nicht wirklich gewürdigt und in manchen Entscheidungsprozessen nicht aufgerufen. Das ist eine bleibende tiefe Verletzung innerhalb des Bistums, die man erspüren muss. Denn wir haben genau geregelte Verfahren hier. Als ich kam, dachte ich, es handele sich beim Diözesansynodalrat um einen Pastoralrat vergleichbar wie im Bistum Trier – aber weit gefehlt. Hier herrscht schon das Selbstbewusstsein, das entscheidende Beratungsgremium des Bistums zu sein. Und das ist formalisiert. Der gesamte Beratungsprozess aller Gremien mündet hier ein. Dort gibt es die Hoheit über die Beratung einschließlich der Frage, wie lange beraten werden muss. Wenn der Bischof den Beschlüssen zustimmt, werden sie rechtskräftig.
Und wenn nicht?
Stimmt er nicht zu, wird er das begründen. Dann wird das Ganze noch einmal in das Gremium zurückverwiesen und neu beraten. Und stimmt der Bischof dann immer noch nicht zu, gibt es ein Konsensverfahren.
Und wie sieht das Konsensverfahren konkret aus?
Wir mussten in jetzt bald acht Jahren noch nie über den ersten Schritt hinausgehen. Ich habe noch nie einen Beschluss abgelehnt. Das ist es doch, was ich immer und immer wieder sage: Ich bin als Bischof in diesem Verfahren von Anfang an mit dabei. Ich bringe meine Argumente ein. Ich habe dann auch das Vertrauen, dass ein Diözesansynodalrat in diesen Kontexten nicht einen Beschluss fasst, dem ich nicht folgen kann. Der entscheidende Punkt ist, dass wir zu einem Benehmen finden. Das ist geübte Praxis im Bistum Limburg, und nur in der Diözese Rottenburg gibt es eine ähnliche Konstruktion. Meines Wissens sind das die beiden Diözesen, in denen bereits praktiziert wird, was eine der Handlungsempfehlungen des Synodalen Weges beschreibt.
Ein kompliziertes Modell, Kirche zu sein?
Ich habe das nicht ohne Mühe lernen müssen. Zwei Mal gab es bereits Krisen zwischen mir und den Synodalen, als ich vielleicht nicht sensibel genug die eigene Autorität des synodalen Gremiums ernst genommen habe – sprich: Fragen dort nicht ausreichend diskutiert und zu Beschlussempfehlungen vorgelegt habe. Dann bekomme ich eben auf die Finger gehauen. Es war zum Beispiel durchaus auch intern strittig: Hätte meine Zustimmung zur Änderung der Grundordnung im kirchlichen Arbeitsrecht einen Beschluss des Diözesansynodalrats vorausgesetzt, weil die neue Grundordnung auch über Ehrenamtliche spricht und sie mit einbezieht? Solch eine Beratung hat in keinem deutschen Bistum stattgefunden, soweit ich weiß. Ich habe auch ehrlich gesagt nicht daran gedacht. Das Entscheidende ist die Art und Weise der Beteiligung. Synodalität ist nichts anderes als das Ernstnehmen der Beteiligung an Entscheidungen, die für das ganze Bistum wichtig sind, weil sie im ganzen Bistum Wirkung entfalten. Das wird hier wirklich gelebt.
Noch einmal: Was würde im anderen Fall passieren, wenn der Diözesansynodalrat einen Beschluss fassen würde, dem Sie nicht zustimmen könnten?
Wir sind doch gar nicht so aufgestellt. Wenn es so wäre, würde ich diesen Beschluss erst einmal nicht annehmen und meine Argumente vorbringen. Dann würde es wieder zur Beratung kommen. Was Konsensfindung konkret hieße, ist offen. Das Verfahren wird zu Beginn jeder Amtszeit eines Diözesansynodalrates vereinbart. Nicht ohne Grund ist es aber auch die Blaupause für das Thema Beraten und Entscheiden beim Synodalen Weg gewesen. Wie eine Schlichtung dann konkret aussieht, die ja die besondere Verantwortung des Bischofs nicht beiseiteschieben, sondern stärken will, muss erst noch ausgearbeitet werden, auch auf dem Synodalen Weg für die Gremien auf nationaler Ebene. Da müssen Kirchenrechtler ran.
Das wird schon der Knackpunkt sein. Wird die konservative Minderheit nicht sagen, dass sich am Ende der Bischof einer Schlichtung unterwerfen muss und damit sozusagen seine Letztverantwortung abgegeben hat, weil er sie nicht mehr wahrnehmen kann?
Ich bin der festen Überzeugung, dass er das in unserem Modell nicht tut. Das ist nur das verschriftlichte volle Vertrauen in das Verfahren der Beratung, in dem die Rollen von Bischof und beratenden Gremien ganz ernst genommen werden. Aber wirklich ganz. Das heißt zum Beispiel, dass der Bischof sich nicht aus der Beratung ausklinkt, sondern von Anfang an mitspielen, sich kenntlich machen und zeigen muss, seine Argumente darlegen und sich möglicherweise von Veränderungen überzeugen lassen muss. Das stärkt das Bischofsamt und schwächt es nicht. Das stärkt das gesamte Verfahren, weil es denen, die als Laien und ehrenamtliche Mitglieder kirchlicher Gremien oft in der ungesicherten Position sind, die Sicherheit gibt, dass ihr Engagement in der Beratung ernst genommen wird. Darin liegt die Stärke des gesamten Verfahrens.
Also auch ein Vorbild für die Weltkirche?
Ich bin überzeugt, dass die Synodalen der Weltsynode davon lernen könnten. Das hängt im Übrigen auch mit unserer Kultur zusammen, wie wir in Deutschland auch sonst diskutieren und demokratisch entscheiden, selbst wenn das in der Kirche nicht immer auf diese Weise umgesetzt werden kann. Es werden doch die allermeisten Entscheidungen in einer Diözese gemeinschaftlich getroffen, nach bestem Wissen und Gewissen. Die Argumente zählen, und es wird nicht mehr autoritär entschieden. Wir können auf der anderen Seite aber auch lernen von der Vision des Papstes.
Der Papst setzt tatsächlich ziemlich andere Akzente.
Die Suche nach Gemeinsamkeit darf nicht enden bei den eigenen Interessen und organisierten Mehrheiten, sondern es gibt noch ein Darüberhinaus, das wichtiger ist. Es geht darum, die Argumente, die von jedem und jeder Einzelnen vorgetragen werden, wie deine eigenen ernst zu nehmen. Das ist in der Tat eine geistliche Herausforderung und Übung. Aber auch die kann man in Methodiken fassen. Wir haben das im vergangenen Oktober in Rom in diesem spirituellen Gesprächsformat erproben können. Ich habe die »Konversation im Heiligen Geist« als sehr wertvoll erlebt. Davon können wir hier lernen, denn so, wie wir als Demokraten eingespielte Strukturen eingeübt haben und anwenden, sollte das auch mit Blick auf die geistlichen Prozesse mit klar geregelten Verfahren möglich sein. Um das gut miteinander zu verbinden, müssen wir noch einiges investieren.
Tut man sich in Deutschland damit schwerer? Wie war das beim Synodalen Weg?
Das ist durchaus auch eine Erfahrung des Synodalen Weges, angesichts dessen es die deutliche Rückmeldung gab, es brauche im Synodalen Ausschuss verstärkt geistliche Begleitung. Sie darf nicht weniger stark sein, sondern muss im Gegenteil noch intensiver die Prozesse begleiten, und sie darf nach wie vor nicht nur frommes Beiwerk sein. Das war für mich bei der konstituierenden Sitzung des Synodalen Ausschusses ein starkes Signal. Die Synodalen wollen genau das, was der Papst für kirchliche Prozesse der Entscheidungsfindung für so wichtig hält. Da können wir auch in Limburg bei aller bewährten Praxis, die wir seit Jahrzenten haben, noch Gutes lernen. Kirchliche Entscheidungsprozesse sind immer auch geistliche Prozesse.