Hat Sie angesichts Ihrer Überzeugungen nicht geärgert, dass Papst Franziskus dann auch öffentlich davon gesprochen hat, dass wir keine zweite evangelische Kirche in Deutschland brauchen, weil es bei uns schon eine gute evangelische Kirche gebe?
Das hat mich nicht geärgert, weil er mir das ja bereits in einem Gespräch gesagt hatte. Ich finde den Vergleich trotzdem unangemessen – und zwar in beide Richtungen. Wir sind als katholische Kirche gerade nach dem Bruch, den die Reformation auch bedeutet, sehr dankbar für die Überwindung der schroffen Trennung und reifen doch seit Jahrzehnten miteinander. Es besteht viel mehr Einheit als Differenzen zwischen uns. Von daher war das vom Papst nicht sehr respektvoll über die evangelische Seite gesprochen. Und was die katholische Seite betrifft, und das habe ich dem Heiligen Vater auch gesagt, fühle ich mich missverstanden. Denn wir wollen eben genau katholische Kirche bleiben und nicht ein Ableger oder eine zweite evangelische Kirche werden. Niemand im Synodalen Weg möchte das, und das hängt genau mit dieser Herzensbindung katholischer Gläubiger an sakramentale Vollzüge zusammen. Niemand möchte die Grundwirklichkeit der katholischen Kirche, zu der ja auch die sichtbare Einheit mit dem Nachfolger des heiligen Petrus gehört, aufgeben. Wir gefährden diese grundlegende Wirklichkeit aber, wenn wir uns nicht erneuern. Daraus erwächst auch eine Erwartung an den Papst und die Weltkirche, uns dabei zu helfen. Einheit ist doch nicht wie ein Grundbesitz mit Zäunen drumherum, sie muss doch stets neu errungen werden, miteinander und bestimmt nicht durch Restauration, sondern nur durch Fortschritt im Sinne von Entwicklung.
Was ist vor dem Hintergrund Ihrer Betonung des sakramentalen Selbstverständnisses der katholischen Kirche die Zielvorstellung für die Ökumene – jetzt vor allen Dingen mit Blick auf die evangelische Kirche?
Das Ziel muss sein, dass wir gemeinsam am Tisch des Herrn Mahl feiern. Der Herr hat um die Einheit gebetet. Die Spaltung ist ein Skandal, solange sie besteht. Wir haben uns in den vergangenen 60 Jahren einander unglaublich angenähert, trotz mancher Irritationen, die es immer wieder auch gegeben hat. Wir haben im Jahr 2017 gemeinsam der Reformation gedacht und sie wertgeschätzt in einer Weise, wie das zuvor noch nie in den vergangenen 500 Jahren ökumenisch gelungen ist. Wir sind auf einem sehr vertrauensvollen Weg – und auf diesem Weg müssen wir weitergehen und auch die weiterhin brennenden Fragen möglichst gut klären. Da geht es vor allem um Ordination sowie Amt in der Kirche und das Verständnis der Eucharistie beziehungsweise des Abendmahls. Das Petrusamt gehört auch dazu. Da kann ich nur an Johannes Paul II. erinnern, der den Auftrag gegeben hat, neu über das Papstamt nachzudenken. Vielleicht müssen da nicht die letzten 1000 – oder sagen wir lieber die letzten 150 Jahre seit dem Ersten Vatikanum maßgebend bleiben. Lehre und Praxis des ersten Jahrtausends bieten hier andere Anknüpfungspunkte.
Was sind angesichts dessen die nächsten Aufgaben im ökumenischen Gespräch?
Die Fragen nach Amt und Eucharistie müssen noch vertieft werden. Das belegen die Auseinandersetzungen, in denen ich mich in den letzten Jahren auch selbst stark positioniert habe. Es geht um die Praxis, wie wir das Amt leben und ausüben beziehungsweise wie wir die Eucharistie feiern und daraus leben. Mit welcher Hochachtung, Wertschätzung, mit welchem Respekt vor dem Handeln Christi und seiner Kirche tun wir das? Das zeigt wahrscheinlich noch mehr als alle theologischen Traktate, die wir darüber schreiben, ob wir noch mehr zusammenfinden – oder uns auch vielleicht fahrlässig auseinanderentwickeln, weil wir nicht genügend aufeinander achten.
Was heißt das konkreter mit Blick auf Sichtbarkeit von Einheit? Zusammen Abendmahl und Eucharistie zu feiern, wäre ein solcher Moment, aber letztlich auch nur etwas Punktuelles. Müsste Einheit nicht noch mehr bedeuten im Sinne von mehr Sichtbarkeit wirklicher Kircheneinheit? Inwieweit müssten sich die Evangelischen Ihrer Meinung nach auf die sakramentale Struktur der Kirche einlassen, um dann Teil der Einheit zu sein? Was ist hier Ihre konkrete Zielvorstellung jenseits punktueller Begegnungen, die katholischerseits wie evangelischerseits am Ende auch wirklich akzeptabel wäre?
Ich würde die punktuelle Gemeinsamkeit nicht unterschätzen – denn selbst die wird bekanntermaßen in Frage gestellt, wenn man an die Reaktionen auf das denkt, was wir im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt mit dem Papier »Gemeinsam am Tisch des Herrn« erarbeitet haben. Das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen wird von römischer Seite massiv kritisiert. Dabei geht es praktisch nur darum: Wir leben unsere liturgische Praxis ungeschmälert, wir suchen keine Kompromisse. Wir laden aber ein, diese Praxis mitzuerleben, und überlassen Gläubigen anderer Konfessionen die Entscheidung zur Teilnahme an Abendmahl und Eucharistie, die erwogen und auch seelsorgerlich besprochen werden soll. Auch das ist schon ein großer Schritt. Aber es ist nur ein Schritt unterwegs zur sichtbaren Einheit in einer vielgestaltigen Kirche.
Und das heißt konkret?
Wir haben im Kontaktgesprächskreis der deutschen Bischöfe mit der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland seit einigen Jahren daran gearbeitet, was eine realistische Perspektive auf die Einheit sein könnte. Die Einheit ist das große Ziel. Das Modell der Leuenberger Konkordie vor mehr als 50 Jahren, wie es in der evangelischen Kirche gelebt wird, ist nicht das Einheitsmodell der katholischen Kirche. Es braucht mehr sichtbare Einheit in den Vollzügen auf der Grundlage gemeinsamer theologischer Klärungen. Aber es scheint noch ein relativ weiter Weg dorthin zu sein. Die Verantwortung liegt auch hier auf der Ebene der Weltkirche. Auch die römische Seite muss mehr Kraft investieren und das katholische Einheitsmodell noch einmal explizieren und dafür werben, dass andere Kirchen es – oder zumindest Teile davon – annehmen können. Aber wir leben doch bereits unterwegs viel sichtbare Einheit. Und das haben wir in einem Papier miteinander beschrieben, um das ökumenische Bewusstsein zu stärken
Das wäre allerdings ein Perspektivenwechsel innerhalb der ökumenischen Beziehungen.
Für uns war die Frage, wie wir die ökumenischen Selbstverpflichtungen von 2017 im großen gemeinsamen Gottesdienst in Hildesheim aufgreifen können. Der Perspektivenwechsel besteht darin, Einheit nicht nur als Ziel zu sehen. Einheit wird heute bereits gelebt. Das sollten wir in allen grundlegenden Vollzügen der Kirche zeigen. Daran ist uns viel gelegen, weil wir wissen, dass alle recht haben, die sagen, dass wir als Christen und als Kirchen nur noch wahrgenommen werden, wenn wir gemeinsam auftreten und gemeinsam erkennbar sind. Deswegen sind ethische Differenzen mit Blick auf Gesetzgebungsverfahren wie mit Blick auf den assistierten Suizid oder auf den Paragrafen 218 sehr kritisch zu bewerten. Das heißt nicht, dass wir ganz und gar mit einer Stimme reden müssen. Aber wir müssen deutlicher machen, warum wir an bestimmten Stellen unter Umständen andere Akzente setzen. Und vor allem müssen wir uns miteinander abstimmen. Das haben wir uns in Hildesheim versprochen. Das muss uns schon allein deshalb besser gelingen, weil wir überall dort, wo deutlich wird, dass wir uns doch nicht einig sind, den Skandal der Spaltung vergrößern. Einheit ist Realität, viel mehr, als wir das ahnen. Einheit ist nicht nur ein Ziel oder wenn formal und unterschrieben Kircheneinheit festgestellt ist.
Wie gut lässt sich in diesen bilateralen ökumenischen Dialog die Orthodoxie einbinden? Steht sie eher quer dazu oder daraufhin offen?
Tatsächlich haben wir schon lange nicht mehr nur die bilaterale Ökumene, wie wir sie in unserem Land gewohnt waren. Nicht zuletzt die Migration hat die Orthodoxie in ihrer gesamten Vielfalt, aber auch unierte katholische Christinnen und Christen der byzantinischen Riten und anderer Riten hier viel präsenter gemacht. Deshalb wird Ökumene komplexer. Wir können Ökumene nicht mehr einfach mit einer Seite vertiefen, sondern müssen möglichst gut in multilateralen Gesprächs- und Entwicklungsprozessen die anderen mit einbeziehen. Ich finde, die Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen in Deutschland machen auf allen Ebenen eine hervorragende Arbeit und entfalten immer mehr Wirkung. Auf der anderen Seite darf das jetzt nicht dazu führen, dass der Blick auf den großen Horizont uns hindert, Schritte mit denen zu tun, die uns nahestehen. Und das sind in unserem Land zumindest geschichtlich und soziologisch immer noch die evangelischen Christinnen und Christen. Aber es geht nicht mehr ohne Einbezug der Orthodoxie, die ja in unserem Land – Gott sei Dank – auch eine eigene Bischofskonferenz gegründet hat, aber durch den Ukraine-Krieg und die zunehmende Isolation der russisch-orthodoxen Kirche im Moment große innerorthodoxe Schwierigkeiten hat. Mit wem können wir überhaupt über welche Themen reden?