Das sind dann natürlich auch Diskurse, Debatten, die auch auf der Ebene der Weltkirche stattfinden müssen. Wann waren Sie eigentlich das erste Mal in Rom? Was war Ihr allererster Kontakt?
Weil mein Vater bei der Bundesbahn war, und da gab es mehrere in meinem Semester, konnten wir – wenn wir nicht durch die Schweiz gefahren sind – als Studenten einmal im Jahr umsonst nach Rom reisen. Im März 1980 war das bei mir das erste Mal der Fall. Wir haben dann bei den Steyler Missionaren oder bei Franziskanern gewohnt und Rom auf diese Weise angeschaut und kennengelernt.
Was waren die prägenden Eindrücke für jemand wie Sie, der schon als Kind Priester werden wollte? Hat Sie das bewegt, jetzt in Rom als Zentrum der Weltkirche zu sein?
Natürlich hat Rom viel Faszinierendes. Allein schon wegen meines Latein-Leistungskurses hat mich die römische Kultur gepackt. Und weil ich Priester werden wollte, war Rom als Zentrum des Katholizismus interessant. Auch dem Papst habe ich mich angenähert, klar, aber doch auch mit einer gewissen Vorsicht und einer kritischen Distanz. Generalaudienzen würde ich auch heute nicht besuchen, wenn ich privat in Rom wäre und nicht Pilgergruppen zu führen hätte oder in offizieller Mission wäre. Solchen Spektakeln stehe ich immer noch irgendwie kritisch gegenüber.
Was waren die positiven Erfahrungen?
Allein die Kirchenräume sind imposant. Mit anderen Studenten hatte ich einmal Johannes Paul II. bei einem seiner Pfarreibesuche in der Fastenzeit erlebt. Das hat mich unheimlich bewegt. Und mehrmals hatten wir als Studenten die Möglichkeit, bei der berühmten Frühmesse von Johannes Paul II. dabei zu sein, nachdem wir vorher schriftlich darum gebeten hatten. Das gelang dann auch und war schon sehr beeindruckend. Natürlich waren wir auch an den Gräbern der Päpste. Paul VI. war der Papst meiner Jugend. Bis heute verehre ich ihn sehr und empfinde unglaublichen Respekt, weil ich zunehmend ahne, wie schwierig seine Position war, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil etwas zu Ende zu bringen, was ein anderer angestoßen hatte – und es dann umzusetzen. Später war ich beim ersten, beim allerersten Weltjugendtag: Ich erinnere da einen Fackelzug vom Kolosseum zum Petersdom am Passionssonntag 1984 und eine Messe mit Kardinal Joachim Meisner, dessen kraftvolle und bildreiche Predigt ich heute noch im Kopf habe. Das war insofern zufällig, als der eigentliche Grund ein Besuch bei Stephan Ackermann war, der damals gerade in Rom studierte. Das verbinde ich alles mit Rom – und das sind sehr schöne Erinnerungen.
Und wenn Sie jetzt heute an Rom denken, ist Rom mehr Partner oder Gegner?
Rom ist kein Gegner. Rom ist mehr wie Familie, in der es natürlich auch immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt. Bei einem der ersten Gespräche mit Papst Franziskus ging es auch um den Synodalen Weg. Da hat er gesagt: Ich rede als Bischof von Rom zu Ihnen, Sie sind selbst Bischof und haben Ihre Verantwortung. Wir müssen beide jeweils unsere Verantwortung wahrnehmen. Das hat mich unglaublich berührt. Dass es in Rom Feinde gebe, ist eine gelegentliche Stilisierung. Ich sehe das nicht, das ist keine Wirklichkeit für mich. Sicher sind es manchmal mühsame Gespräche und sie haben nicht immer die Ergebnisse, die ich mir erwünscht hätte. Aber ich glaube, wir kommen voran und bleiben auf jeden Fall beieinander. Das ist das Entscheidende.
Ist auch die Kurie Familie?
Manches Mal muss man sich für familiäre Anlässe ein bisschen stylen. Ein anderes Mal kann man in der Familie mehr abrüsten und lässiger sein. Das gehört auch zur familiären Atmosphäre dort. Aber ich habe nie den Eindruck gehabt, dort anders sprechen zu müssen, als ich sonst rede. Das werde ich auch nicht tun.
Bei Papst Franziskus hat man immer wieder das Gefühl, dass er mit dem deutschen Katholizismus zumindest etwas fremdelt. Es scheint ihm nicht das Herz überzulaufen, wenn er an Deutschland denkt, sondern er gibt den Deutschen immer gerne noch einmal einen mit. Woran liegt es?
Das stimmt, so erlebe ich das auch. Papst Franziskus hat bestimmte Botschaften, die er gerne setzt, wenn ich mit ihm persönlich rede – aber auch, wenn er auf den fliegenden Pressekonferenzen am Ende seiner Auslandsreisen im Flugzeug in die Mikrophone spricht. Da hören wir hier und da auch, was er eigentlich von uns hält. Dann denke ich manchmal: Heiliger Vater, Du siehst etwas, aber das ist doch nicht die ganze Wirklichkeit, manchmal trifft es nicht einmal einen Teil der Wirklichkeit.
Aber woran liegt das?
Ich hatte beim Lesen eines seiner Bücher ein Aha-Erlebnis. Da beschreibt er einmal seine Monate in Deutschland, als er Deutsch gelernt hat, um in Sankt Georgen in Frankfurt ein Promotionsstudium aufzunehmen. Er wurde dann abberufen, um Provinzial der Jesuiten in Argentinien zu werden. Da spricht er über großes Heimweh, das er empfand. Für ihn war das die Situation von Heimweh schlechthin. Und das ist für mich zum Schlüssel geworden. Er hat bei uns Fremdheit gefühlt. Weder die italienische noch die spanische oder die lateinamerikanische Kultur, in denen er gelebt hat und die sich in ihm biografisch verbinden, sind mit unserer wirklich vergleichbar. Unsere Art, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden und zu streiten, ist anders. Daraus können sich viele Elemente des Fremdelns ergeben. Seitdem ahne ich, woraus sich sein Bild der Deutschen speist. Zur Realität gehört allerdings auch, dass ihm viele ein Bild von der Kirche in Deutschland schildern, das wahrscheinlich sehr anders ist als das, was ich in mir trage und von dem ich ihm erzähle. Dann ist immer die Frage: Wem glaubst du und wem nicht?
Wie lesen Sie heute den Brief von Franziskus an die deutschen Katholiken zu Beginn des Synodalen Weges? Anders als damals? Hätte man bei der Rezeption andere Akzente setzen müssen?
Wir haben anfänglich unterschätzt, wie wichtig dem Papst dieses Schreiben ist und wie ernst er das genommen haben wollte, ohne uns in unseren Entscheidungen und bei unserem Weg zu blockieren. Das ist mir zunehmend deutlich geworden. Wir sind mit dem Schreiben umgegangen, wie es üblich ist mit römischen Schreiben, bei denen man zunächst die Punkte sucht, die einen selbst bestätigen. Da findet der eine das und der andere genau das Gegenteil. So darf man auch mit römischen Schreiben umgehen. Aber das war nicht einfach ein römisches Schreiben, wie eines von vielen, sondern eines von Papst Franziskus persönlich in Sorge um die Situation der Kirche in unserem Land. Ich nehme ihm wirklich ab, dass er uns Nähe signalisieren wollte und nach wie vor will. So erlebe ich das auch immer wieder. Vielleicht haben wir das nicht ernst genug genommen.