Kapitel 13

 

Saavik saß in einer dunklen Ecke des Aussichtsdecks. Hier hatte sie den größten Teil der Heimreise damit verbracht, die Sterne zu beobachten, zu schweigen und über die Veränderungen in ihrem Leben nachzudenken. Spock hatte sie nicht zu sich bestellt, und sie verspürte keineswegs den Wunsch, zu ihm zu gehen – es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, wann es wieder zu einer Begegnung kam. Tagelang hatte sie ihr Gewissen geprüft, sich dabei von einigen Annahmen und Überzeugungen getrennt, die sie bisher für unantastbar gehalten hatte. Jetzt dachte sie über das neue Leben nach, das für sie begann. Eins stand fest: In Starfleet gab es keinen Platz für einen Kadetten, der Befehle missachtete und einen vorgesetzten Offizier angriff. In dieser Hinsicht existierten eindeutige Vorschriften – die auch für Spock galten, wie Saavik sehr wohl wusste. Eigentlich änderte sich dadurch nichts. Sie hatte getan, was sie für erforderlich hielt; und sie wäre bereit gewesen, unter ähnlichen Umständen die gleiche Entscheidung zu treffen.

Dr. McCoy kam jeden Tag, untersuchte sie mit dem Medo-Scanner und prüfte die Synthohaut an Händen und Armen. Er gab Geräusche von sich, die auf Zufriedenheit hinwiesen, sprühte etwas Kaltes auf die Wunden und zeigte erstaunliches Taktgefühl, indem er sie wieder allein ließ. Einmal setzte sich Uhura zu ihr, blieb eine Zeitlang und berührte sie an der Schulter, bevor sie ging.

Bobby Harper brachte gute Neuigkeiten. Am ersten Abend fand er Saavik auf dem Aussichtsdeck, und anschließend besuchte er sie jeden Tag. In seiner ruhigen, sanften Art erzählte er von den neuesten Ereignissen, stellte nie Fragen und erwartete auch keine Antworten. Die junge Frau erfuhr von ihm, dass Achernar nun zu einer lebenden Legende geworden war und Obo zum Helden. Sie hörte auch, dass die Föderationsflotte auf halbem Wege durch die Neutrale Zone umgekehrt war, als sie nach der Botschaft von der Enterprise neue Anweisungen erhielt.

»… und es hat geklappt«, sagte Harper gerade. »Ein Admiral bestätigte es heute. Das Starfleet-Hauptquartier und Life City sind wieder geöffnet. Morgen finden die Gedenkfeiern statt, und wir sind fast zu Hause. Wir haben es geschafft, Saavik. Wir haben einen Krieg verhindert. Der Erde droht keine Gefahr mehr. Und Sie haben einen wichtigen Beitrag dafür geleistet. Das wollte ich Ihnen nur sagen.«

Saavik schwieg, aber Harper glaubte, weniger Distanz zu spüren als vorher. Außerdem hatte sie aufmerksam zugehört, als er Obos Rekonvaleszenz schilderte. Vielleicht nützte es tatsächlich etwas, auf diese Weise mit ihr zu reden. Sie schien seine Präsenz nicht als störend zu empfinden. Wie dem auch sei: Bei Vulkaniern konnte man nie wissen.

»Das mit dem Staub ist wirklich komisch«, sagte er, lehnte sich zurück und sah ebenfalls hinaus zu den Sternen. »Mr. Spock meinte, der ganze Planet sei dadurch immunisiert worden, und er hätte es eigentlich wissen müssen. Jene Maschinen, von denen die Waffen produziert wurden … Sie sollten nicht etwa das Virus isolieren, um eine Kontamination zu verhindern. Nein, ihre Aufgabe bestand vielmehr darin, den Staub fernzuhalten. Er enthielt viele Eisen- und Schwefelverbindungen. Eine ganz bestimmte Substanz – FeS2 – bricht die molekulare Struktur des Virus auf. Starfleet saß praktisch auf der Lösung des Problems, ebenso wie die Stadt des Lebens. Wissen Sie, vor einigen Jahrhunderten kamen viele Leute nach Kalifornien, um dort Gold zu suchen, und in manchen Fällen ließen sie sich von FeS2 täuschen. Pyrit. Das Zeug glänzte hübsch, aber es war praktisch wertlos. In der Umgangssprache nannte man es ›Narrengold‹. Ich schätze, jetzt verdient es eine neue Bezeichnung – immerhin hat man damit die Welt gerettet.«

»Mr. Harper …« Saavik sprach zum ersten Mal seit Tagen. »Ich möchte Sie etwas fragen. Wie verhalten sich Menschen, wenn sie … alles verlieren?«

Harper wünschte sich, die Antwort zu kennen. Er hatte nicht alles verloren – Obo lebte und erholte sich. Aber an diesem Morgen war ihm von Spock ein dauerhafter Platz an Bord der Enterprise angeboten worden – er sollte in aller Ruhe darüber nachdenken und dem Ersten Offizier schließlich Bescheid geben. Es gibt nichts mehr, zu dem ich zurückkehren könnte, dachte er immer wieder. Mom ist tot, und Life City wird nie mehr so sein wie vorher … Er musste damit aufhören, in seinen Träumen Jessie Korbets Gesicht zu sehen und sich Dinge zu wünschen, die unter anderen Umständen möglich gewesen wären. Und Obo? Was ist mit ihm?

»Alles?« Er konzentrierte sich auf Saaviks Frage. »Meinen Sie damit Materielles oder Dinge wie ein Zuhause und Personen, die wir schätzen und lieben?«

»Ja, so etwas.« Saavik nickte und sah auch weiterhin zu den Sternen.

Harper dachte an die damaligen Prospektoren und Pioniere. Er dachte an schimmernde Kuppeln, Kindheitserlebnisse und daran, in einer Stadt aufzuwachsen, die ihm tausend Welten als Heimat anbot. Er dachte an seine Mutter, an die vielen Auszeichnungen in ihrem Büro, an eine Arbeit, die sie jetzt nicht mehr fortsetzen konnte. Und er dachte an Obo. Plötzlich wusste er, was er Spock mitteilen würde.

»Wenn wir alles verlieren, fangen wir noch einmal von vorn an«, sagte er leise. »Ja, wir versuchen, unserem Leben eine neue Grundlage zu geben. So verhalten sich Menschen, wenn sie alles verlieren – sie stellen sich einem neuen Anfang. Das hätte ich fast vergessen. Heute musste ich eine sehr schwere Entscheidung treffen, und jetzt weiß ich, worauf es ankommt. Danke, Saavik.«

»Wofür, Mr. Harper? Sie kannten die Antwort.«

»Aber ich wusste nicht, dass ich sie kannte.« Er lächelte. »Bis Sie die richtige Frage stellten. Menschen sind nicht so logisch wie Vulkanier. Wir suchen immer nach einem Happy-End. Und wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir es uns erhoffen … Dann beginnen wir von vorn. Wir behalten unsere alten Geschichten – wie die von Pandora –, weil wir glauben wollen, dass wirklich etwas in der Büchse zurückblieb. Eine Chance, das Böse in der Welt zu besiegen, nehme ich an.«

»Hoffnung.«

»Ja. Und manchmal gewinnen wir. Bei anderen Gelegenheiten hingegen … erleben wir einen Reinfall. Vulkanier glauben nicht an die Hoffnung, oder?«

»Ich weiß es nicht. Dieser Aspekt des Empfindens fehlt in meiner Erfahrungswelt, ebenso wie vieles andere. Nun, was mich selbst betrifft …« Saavik zögerte kurz. »Ich glaube, dass sich die Leute das Böse selbst schaffen – woraus folgt, dass die Konsequenzen keineswegs ›Schicksal‹ sind. Ich glaube, dass sich eine Büchse öffnet, Mr. Harper. Es liegt in ihrer Natur, so wie die Neugier Teil unseres Wesens ist. Das Vertrauen in Götter hielt die Büchse nicht geschlossen, und Hoffnung allein hindert das Böse nicht daran, in die Welt zu gelangen. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn … wenn man darauf verzichtet, die Büchse mit dem Unheil zu konstruieren.«

»Irgendwann kommt jemand auf den Gedanken, sie zu bauen. Glauben Sie, wir können uns ändern?«

»Wer nach einem sogenannten ›Happy-End‹ Ausschau hält und dabei Erfolg haben will, sollte die Suche nicht aufgeben. Und ich weiß, dass wir uns ändern können.«

»Na, das klingt fast wie Hoffnung, Saavik«, kommentierte Harper und schmunzelte.

»Nein.« Sie seufzte. »Es ist sehr harte Arbeit. Aber eins verspreche ich Ihnen: Jedes Mal, wenn ich zu scheitern drohe, werde ich an Ihre Worte denken. Und ich bin entschlossen, ebenfalls von vorn zu beginnen …« Sie wandte sich wieder den Sternen zu und murmelte: »Sooft es notwendig ist.«

Nach einer Weile stand Harper auf und ging, um mit Spock zu sprechen. Er wusste noch immer nicht, warum Saavik so kummervoll und niedergeschlagen war. Nun, eigentlich wusste er ohnehin kaum etwas von ihr. Abgesehen davon, dass man ihr den Spitznamen ›Photonentorpedo‹ gegeben hatte. Er entsann sich daran, sie bei mehreren Spielen beobachtet zu haben. Saaviks Würfe waren immer perfekt gewesen, und anschließend zeigten sich nicht einmal Falten in ihrer Uniform. Ihm fiel die Vorstellung schwer, dass jemand mit einem solchen Arm bei irgend etwas versagen konnte.

 

»Sehen Sie sich das an, Spock.« McCoy deutete auf den Diagnoseschirm. »Der kleine Belandrid ist viel zäher, als wir dachten. Ihm wachsen neue Finger. Die Zellregeneration ist bereits weit fortgeschritten. Meine Güte, wie stellt er das nur an?«

Spock betrachtete die Darstellungen des Monitors einige Sekunden lang. »Leicht zu reparieren, kein Zweifel.«

»Und es geht sehr schnell! Aber was geschieht jetzt mit Obo? Und was wollen Sie in Hinsicht auf Mr. Harper unternehmen?«

»Mr. Harper hat gebeten, nach Life City versetzt zu werden. Diesen Wunsch werde ich ihm erfüllen, und zwar so schnell wie möglich. Während der Restrukturierung in der Stadt des Lebens könnte sein Wissen von großem Nutzen sein. Darüber hinaus empfehle ich den Museumsbehörden, auch die besonderen Dienste des Belandriden in Anspruch zu nehmen. Mr. Obo hat mehrmals geäußert, dass er mit Mr. Harper zusammenbleiben möchte, und darauf sollten wir Rücksicht nehmen. Ich sehe keinen Sinn darin, Personen zu trennen, die in Kooperation ausgezeichnete Arbeit leisten.«

»Wird auch Zeit, dass Ihre Logik endlich mal einen Sinn ergibt«, sagte McCoy erleichtert.

Spock schritt zur Tür, doch dort zögerte er. McCoy glaubte, in den Zügen des Vulkaniers fast so etwas wie Verlegenheit zu erkennen. »Doktor … Ich bin in erster Linie gekommen, um mich nach Saavik zu erkundigen. Wie geht es ihr?«

»Es bleiben keine Narben zurück – wenn Sie das meinen. Zumindest keine äußerlichen. Was in ihrem Kopf vor sich geht … Nun, das wissen Sie besser als ich … Spock? Redet sie nicht mit Ihnen? Ich dachte …«

»Wir hatten noch keine Gelegenheit zu einem Gespräch. Ich habe gewartet, aber Saavik versäumt den Unterricht seit …«

»Sie versäumt den Unterricht? Lieber Himmel, Spock, sie wurde lebendig begraben! Auf Hellguard wäre sie fast gestorben! Und Sie denken an den verdammten Unterricht?«

Der Vulkanier versteifte sich. »Ich habe Sie um eine medizinische Meinung gebeten, Doktor.«

»Und die gebe ich Ihnen! Sie verraten mir ja nicht, was eigentlich los ist, aber ich vermute folgendes: Die junge Dame erinnert sich inzwischen an etwas, das sie vergessen hatte. Vielleicht schlossen sich die Lücken in ihrem Gedächtnis zu schnell; vielleicht bekam sie innerhalb kurzer Zeit zu viele neue Informationen. Um Himmels willen, Spock: Gönnen Sie ihr ein wenig Ruhe. Eine Zeitlang hat sie bestimmt keine Lust zum Lernen.«

»Das ist inakzeptabel«, erwiderte Spock schlicht.

Damit lieferte er McCoy den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Jetzt sperren Sie mal Ihre spitzen Ohren auf, Sie verdammter grünblütiger Vulkanier! Sie haben Saavik auf den Planeten gebracht! Und fast wäre sie nicht zurückgekehrt. Und jetzt haben Sie nicht einmal den Anstand, sie zu fragen, wie es ihr geht? Nun, da Sie so besorgt sind: Ihre Schülerin sitzt die ganze Zeit über auf dem Aussichtsdeck und bläst Trübsal! Der Grund dafür ist mir ein Rätsel, aber Sie scheinen die einzige Person zu sein, an der ihr etwas liegt. Gehen Sie endlich zu ihr, um sie aufzumuntern! HABEN SIE GEHÖRT?«

»Das ist zweifellos eine rhetorische Frage, Doktor. Nun, Sie haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass ich für solche Aufgaben ungeeignet bin. Was Ihnen auch in diesem Fall klar sein dürfte.« Ein Schatten fiel auf Spocks Züge und verblüffte McCoy so sehr, dass sich sein Zorn jäh verflüchtigte.

»Äh …«, brummte er unsicher. »Ihnen fällt schon was ein. Immerhin hatten Sie im Lauf der Jahre genug Übung. Seien Sie einfach so, wie Sie immer sind.« In McCoys Stimme erklang nun ein Hauch Zuneigung. »Seien Sie einfach … Sie selbst.«

Spock wölbte eine Braue und dachte kurz darüber nach. Dann drehte er sich um und ging.

Der Arzt blieb allein zurück und starrte ins Leere. »Meine Güte, bin ich übergeschnappt? Ich habe gerade den Großen Bösen Wolf zu Rotkäppchen geschickt!«

 

Im Starfleet-Hauptquartier schwebte noch immer feiner goldgelber Staub in der Luft, als in Schutzanzüge gekleidete Arbeiter mit den Aufräumungsarbeiten begannen. Auf dem Föderationsplatz wimmelte es von Shuttles: Sie landeten leer – und starteten wenig später mit Särgen. Die Toten sollten in ihrer Heimat bestattet werden, in verschiedenen Städten auf der Erde oder auf weit entfernten Welten. Medaillen und eine Ehreneskorte begleiteten sie.

Erstaunlicherweise ergab sich auch ein positiver Aspekt aus der Tragödie: Zum ersten Mal in der Geschichte öffnete die romulanische Regierung einen Subraum-Kanal, um sich direkt mit dem Föderationsrat in Verbindung zu setzen. Dieser beispiellose Kontakt weckte Hoffnung auf einen dauerhaften Dialog. Die Romulaner betonten, nichts von der Verschwörung gewusst zu haben – bis es aufgrund sachdienlicher Hinweise gelang, die betreffenden Personen zu verhaften. Sie seien streng bestraft worden, hieß es – niemand wollte einen Krieg. Einige Tage lang war der Frieden in der Galaxis so sehr bedroht gewesen, dass ihm niemand mehr eine Chance einräumte, doch nun schien er stabiler zu sein als jemals zuvor.

Nogura saß in seinem Orbitaldock-Büro, starrte auf den Bildschirm des Kommunikators und runzelte die Stirn. Das kleine Projektionsfeld zeigte zwei Sicherheitswächter, die sich aus Zimmer 2103 des Verwaltungstrakts meldeten.

»Sie möchte was mitnehmen?«

»Ein Buch, Admiral«, warf Renn ein. »Nur ein Buch, Sir. Wir haben einen Anruf von der medizinischen Sektion bekommen – ich wusste, dass Admiral Kirk zuwenig Rücksicht auf sich selbst nimmt. Wie geht es ihm, Sir?«

»Besser, Doktor. Er leidet nur an akuter Erschöpfung. Was ist mit dem Buch?«

»Nun, im Schlaf murmelte Admiral Kirk immer wieder von einem Buch und einem kleinen Bruder. Die Ärzte haben uns gefragt, ob wir wissen, was damit gemeint sein könnte. Nun, ich weiß es nicht, aber dies war das einzige Buch weit und breit. Es gehörte dem Fähnrich, der am Tresen in der Empfangshalle starb. Ich habe die Sicherheitsabteilung gebeten, es hierherzubringen. Und jetzt möchten wir damit den Patienten besuchen.«

»Na schön«, erwiderte Nogura. »Aber beeilen Sie sich. Ihr nächster Einsatzort heißt Life City. Dort braucht man Hilfe bei der Restaurierung der Ausstellungsstücke – und man benötigt auch einen Computerspezialisten. Nun, ich glaube, demnächst können Sie es etwas ruhiger angehen lassen. Es ist bestimmt nicht nötig, dass Sie in der Stadt des Lebens rund um die Uhr arbeiten. Und natürlich bekommen Sie beide wohlverdiente Auszeichnungen. Doktor, Mr. Kinski – Ihr Shuttle wartet. Ich danke Ihnen noch einmal. Das wär's.« Der Admiral unterbrach die Verbindung und nahm den nächsten Anruf entgegen. »Ja, Michaels?«

»Der romulanische Kreuzer ist jetzt dekontaminiert, Admiral. Alle Waffen sind zerstört. Man hat die neue Tarnvorrichtung getestet. Funktioniert nicht, Sir. Durch die starke energetische Belastung sind die Warpschaltkreise durchgebrannt. Und noch etwas, Sir: Die Enterprise hat das Sol-System erreicht. Sie wird in einer Stunde hier sein.«

»Gut.«

Nogura deaktivierte das Interkom und stand auf, um den Bonsai zu begießen, der nun vor dem Hintergrund des blauen Planeten Erde blühte. Diese spezielle Aufgabe nahm er immer selbst wahr. Er dachte an den nächsten Tag. Eine Rede bei der Hauptgedenkfeier stand auf dem Programm, und außerdem würde er den Gefallenen Starfleets ein Denkmal widmen. Im Anschluss daran wollte er selbst einen neuen Baum auf dem Föderationsplatz pflanzen.

Eine Eiche.

 

»Aber Sie können nicht ausgerechnet jetzt Schluss machen, Kinski«, wandte Renn ein. »Life City braucht uns. Sie haben den falschen Zeitpunkt gewählt.«

Sie saßen im Passagierabteil des Shuttles, das durch die Wolken über San Francisco glitt.

»Admiral Kirk riet mir, darüber nachzudenken, und das habe ich inzwischen«, erwiderte Kinski. Er klang jetzt wesentlich selbstbewusster.

»Denken Sie noch einmal darüber nach!«

»Na schön. Wie dem auch sei: Ich will gar nicht jetzt sofort den Dienst quittieren. Übrigens: Woher weiß man, ob der Zeitpunkt richtig oder falsch ist?«

»Keine Ahnung.« Renn seufzte. »Ich schätze, es ist schlicht und einfach Glück.«

»Mr. Kinski …«, ließ sich die Pilotin vernehmen, die das Gespräch mitgehört hatte. »Wenn wir in Life City sind, sollten Sie draußen Spazierengehen und zu den Sternen emporsehen. Das hilft beim Nachdenken. Während meines letzten Aufenthalts in der Stadt des Lebens habe ich eine entsprechende Gelegenheit genutzt.«

Die Pilotin drehte sich um, und ihre blauen Augen blickten ernst.

»Übrigens …«, fuhr sie fort. »Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, bei der es um gutes Timing geht.«

 

Admiral James T. Kirk sah aus einem Fenster des zum Starfleet-Komplex gehörenden Medo-Turms und beobachtete das sich nähernde Gewitter. Donner grollte. Blitze zuckten, und dicke Regentropfen klatschten an die Scheibe, verwischten die Konturen des hell erleuchteten Platzes tief unten. Er erinnerte sich kaum an die Einzelheiten seiner Rettung aus dem Gewölbe. Die Reminiszenzen präsentierten ihm nur schemenhafte Hände und gedämpfte Stimmen, während sein geistiger Zustand zwischen Schlaf und Bewusstlosigkeit wechselte. Nun, er hatte die letzten Tage genutzt, um sich gründlich auszuruhen und sich über die guten Neuigkeiten zu freuen. Die Enterprise befand sich in Sicherheit. Der Erde drohte keine Gefahr mehr, ebenso wenig der Föderation …

Und Heihachiro Noguras Gebaren kam noch immer einem Rätsel gleich.

Warum?, dachte Kirk. Warum nutzt er die gute Gelegenheit nicht aus? Oder wartet er nur, bis ich wieder zu Kräften gekommen bin? Ich werde nie aus ihm schlau

Die Versetzung zum planetaren Dienst war bisher ausgeblieben. Kirks Order bezeichneten ihn noch immer als Admiral und amtierenden Captain der Enterprise. Warum verlangte Nogura nicht von ihm, sein Versprechen einzulösen? Aus welchem Grund? Wollte er zuvor einen Ersatzmann finden, jemanden, der seinen Platz im Kommandosessel der Enterprise einnahm? Oder lief sein Schweigen auf ein Zugeständnis hinaus, eine Art Belohnung? Nun, selbst wenn das der Fall sein mochte: Kirk wusste, dass er nun eine Leine am Hals trug, und eine kurze noch dazu.

Manchmal spürte er, wie sie sich straffte. Bestimmt dauerte es nicht lange, bis jemand daran zog. Früher oder später – wahrscheinlich früher – rief Nogura ihn zur Erde, und dann musste er sich fügen. Ohne Einwände. Ohne irgendwelche Tricks. Er hatte sein Ehrenwort gegeben. Zum Teufel mit ihm …

Nun, ich nehme, was ich bekommen kann, dachte Jim. Doch kalte graue Müdigkeit sickerte ihm in die Knochen. »Erschöpfung«, lautete die Diagnose der Ärzte. Vielleicht gab es noch eine andere Ursache. Vielleicht wurde er langsam … alt. Vielleicht kam bald der Tag, an dem er einsah, dass Nogura recht hatte. Immerhin: Niemand konnte die Zeit anhalten; irgendwann musste jeder erwachsen werden.

Kirks Blick wanderte zu dem Buch in seinen Händen. Renn und Kinski hatten es gebracht, während er schlief. Darauf wies die Nachtschwester hin, und zwar laut genug, um Tote aufzuwecken. Sie kam mit der Uniform, die er am nächsten Tag während der Gedenkfeier tragen sollte.

Die Jacke war neu, ausgestattet mit Medaillen, Ehrenbändern und wie Ketten hängenden Tressen.

Kirk verdrängte die Gedanken daran, ließ sich in den Sessel am Fenster sinken und öffnete das Buch. Morgen wollte er den kleinen Bruder suchen, doch diese Nacht konnte er nutzen, um den Roman noch einmal zu lesen: die Geschichte vom ewig jungen Jim, der unbedingt übers Meer reisen wollte. Diese Nacht bot ihm Gelegenheit, goldene Tressen und Versprechen zu vergessen. Kirk wünschte sich, wieder zehn Jahre alt zu sein und das Abenteuer zum ersten Mal zu genießen …

 

Wenn Seemannsgarn zu guten Seemannsweisen

von Glut und Kälte, Stürmen und Passaten,

von Schiffen, Inseln, Abenteuerreisen,

von Ausgesetzten, Schätzen und Piraten …

 

Kirk las bis tief in die Nacht, während sich draußen das Gewitter austobte, während Regentropfen ans Fenster prasselten und sich Bäume von einer Seite zur anderen neigten. Er achtete kaum darauf. Bestimmt lag es an der gedruckten Schrift, dass ihm schließlich die Augen tränten und ihm gelegentlich ein Tropfen über die Wange rann. Die Feuchtigkeit schien Teil des Regens zu sein.

 

Spock stand schon seit einer ganzen Weile im Raum, aber Saavik kehrte ihm den Rücken zu. Sie stützte die Arme aufs Geländer, sah aus dem Fenster und beobachtete, wie sie sich der Erde näherten. Wenn sie die Präsenz des Vulkaniers spürte, so reagierte sie nicht darauf.

»Es war schlecht geplant«, sagte Spock schließlich. »Sicher sind Sie inzwischen zu ähnlichen Schlüssen gelangt. Wenn Sie Bedauern in Hinsicht auf Ihr Handeln zum Ausdruck bringen möchten … Das wäre durchaus angemessen. Ich bin bereit, Ihnen zuzuhören.«

Sie drehte sich langsam um, wirkte kühl und distanziert. Wenn die Begegnung sie mit Unsicherheit erfüllte, so ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie schien in sich selbst zu ruhen und Frieden gefunden zu haben. In diesen Sekunden unterschied sie nichts von einer wahren Vulkanierin, und das fand Spock aus irgendeinem Grund beunruhigend.

»Ich bedauere meinen Fehler, Mr. Spock«, sagte Saavik ruhig.

»Tatsächlich?«

»Ja. Ich hätte mich mit dem Schiff in Verbindung setzen und auf Ihre Bewusstlosigkeit hinweisen sollen – um Ihren Transfer an Bord zu veranlassen. Daran … habe ich nicht gedacht.«

»Sie haben Befehle missachtet und einen vorgesetzten Offizier angegriffen. Glauben Sie vielleicht, eine so einfache Entschuldigung genügt? Sie zeichnet sich durch einen auffallenden Mangel an Reue aus.«

»Mag sein. Die von mir entfaltete Aktivität erforderte weder viel Kraft noch besonderes Geschick. Ich sah keinen Sinn darin, Sie um Erlaubnis zu bitten, denn Sie hätten mir ohnehin keine Genehmigung gegeben. Meine Pflicht war klar, Mr. Spock. Und ich sah keine andere Möglichkeit, sie zu erfüllen. Daher bin ich davon überzeugt, logisch gehandelt zu haben.«

»Eine derartige Logik lassen die Starfleet-Vorschriften nicht zu, Saavik.«

»Ich weiß, Sir. Aber gewisse Dinge sind wichtiger als Starfleet. Zum Beispiel Ihr Überleben.«

»Das ist Ihre Meinung.«

»Ja.«

»Ich verstehe. Haben Sie sonst noch etwas zu sagen?«

»Ja. Ich bedauere es nicht, auf jene Weise gehandelt zu haben. Und was auch immer jetzt geschehen mag: Ich habe es verdient, weil ich mich unter den gleichen Voraussetzungen noch einmal so verhalten würde.«

»Mit solchen Bemerkungen verbessern Sie Ihre Lage nicht, Saavik.«

»Und wenn schon. Ich habe mehr gewonnen als verloren, und ich kann nie jenes Wissen verlieren, das Sie mir zum Geschenk machten. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, Vulkanier zu sein. Ich habe es gesehen. Und das, was sich meinen geistigen Augen darbot … Vielleicht bleibt es für immer außerhalb meiner Reichweite. Ich werde es versuchen, Mr. Spock. Ja, ich werde es versuchen und mir Mühe geben, während jeder Minute meines Lebens. Weil meiner Ansicht nach keine sinnvolle Alternative existiert.« Die junge Frau atmete tief durch. »Das wollte ich sagen. Jetzt bin ich fertig.«

»Im Gegensatz zu mir«, erwiderte Spock. »Was ich Ihnen nun mitteile, bereitet mir weder Freude noch Zufriedenheit. Als Starfleet-Offizier muss ich Ihr Verhalten in aller Form verurteilen. Doch als Ihr Lehrer halte ich es für erforderlich, eine Angelegenheit mit Ihnen zu diskutieren, deren Erörterung viel zu lange aufgeschoben wurde. Was mich an etwas erinnert …« Er richtete einen missbilligenden Blick auf Saavik. »Sie vernachlässigen die Lektionen. Dr. McCoy glaubt, dass Sie derzeit nicht imstande sind, neues Wissen aufzunehmen. Das scheint mir kaum der Fall zu sein. Ich habe einen Monat Sonderurlaub beantragt, um ein Seminar an der Starfleet-Akademie zu veranstalten, und das bedeutet: Ich kümmere mich persönlich um Ihren Unterricht. Bitte denken Sie daran, dass ich großen Wert auf die Anwesenheit der Studenten lege, bei Vorlesungen ebenso wie bei privaten Lektionen. Nun, was jene Sache betrifft …«

Spock setzte sich, und alles deutete auf einen längeren Vortrag hin. Saavik wahrte ein verwirrtes Schweigen und wandte sich halb um, um über ihre Verwunderung hinwegzutäuschen. Hatte sie sich alles nur eingebildet? Nein, unmöglich …

»… falls die individuelle Pflicht den Vorrang hat«, sagte der Vulkanier gerade. »Aber wenn man gezwungen ist, Befehle zu ignorieren oder ihnen direkt zuwiderzuhandeln, so ist sorgfältige Planung unverzichtbar. Hastig getroffene Entscheidungen führen unweigerlich zu Fehlern. Man muss alles genau durchdenken, sich die Konsequenzen vorstellen und auf alle Eventualitäten vorbereitet sein – damit meine ich auch Erdbeben und verlorene Kommunikatoren. Wenn man sich anschließend vor Starfleet Command zu verantworten hat, sollte man so wenig aussagekräftige Rechtfertigungen wie ›Daran habe ich nicht gedacht‹ vermeiden. Leider spreche ich hier aus eigener … Dieses Thema ist mir sehr unangenehm, Saavik, und ich möchte es nur einmal zur Sprache bringen. Habe ich Ihre volle Aufmerksamkeit?«

»Ja, Mr. Spock!«

»Gut. Hören Sie auch weiterhin zu und versuchen Sie, mich nicht zu unterbrechen. In meinem Fall lautete die Anklage auf Meuterei, und ich war schuldig. Ich habe Befehle manipuliert und gefälscht, Angehörige von Starfleet bewusst getäuscht und ein Raumschiff mit Gewalt unter meine Kontrolle gebracht. Doch was meine Planung angeht: Mit nur einer Ausnahme gab es daran nichts …«

»Eine Entführung?«, entfuhr es Saavik fassungslos. Sie starrte Spock aus großen Augen an, und ihre ruhige Gelassenheit existierte plötzlich nicht mehr. Als Spock nicht widersprach, zuckte ein Lächeln in den Mundwinkeln der jungen Frau. »Sie, Spock? Ausgerechnet Sie haben die Enterprise entführt?«

Spock antwortete nicht sofort. Wie in Zeitlupe faltete er die Hände im Schoß. »Ich glaube, darauf habe ich gerade hingewiesen, oder? Finden Sie diesen Umstand … interessant?«

Saaviks Lächeln verschwand abrupt. Sie holte tief Luft und fasste sich wieder, konnte jedoch nicht verhindern, dass eine Braue nach oben kletterte. »Faszinierend!«, sagte sie.

 

Es ist nicht richtig, dachte Uhura. Sie erwartete weder Jubel noch Fanfaren, auch kein Begrüßungskomitee in Form einer Flotte, wie es nach dem Ende vergangener Missionen manchmal der Fall gewesen war.

Außer ihr befanden sich nur wenige Personen auf der Brücke. Spock, Scotty und McCoy fehlten, gingen in anderen Sektionen des Schiffes ihren Pflichten nach. Oder saßen sie vielleicht in ihren Quartieren, um allein und ungestört zu beobachten, wie sich die Enterprise der Erde näherte? Sulu und Chekov bedienten die Navigationskontrollen und gaben sich routiniert, als sei es eine Heimkehr wie jede andere. Natürlich steckte diesmal mehr dahinter. Uhura lauschte den Kom-Signalen, sah die vielen Satelliten in der terranischen Umlaufbahn, betrachtete einen blauen, wundervollen Planeten, der sich unter faserigen Wolkenbändern drehte. Alles in ihr drängte nach einer Zeremonie, nach einer Bestätigung für die Einzigartigkeit dieses Moments. Glücklicherweise spielte es keine Rolle, ob die anderen Anwesenden dieses Empfinden teilten oder nicht – derzeit hatte sie das Kommando.

»Sie haben richtig verstanden, Anflugkontrolle: Wir drehen eine Runde vor dem Andocken.« Uhura nickte in Richtung Navigation. »Meine Herren …«

»Bitte um Manövriererlaubnis, Ma'am.« Sulu sah zu Chekov, lächelte und hob die Hände wie ein Klavierspieler über die Steuerungskontrollen.

»In Ordnung, Sulu. Aber mit Gefühl …« Eine Taste klickte, und unmittelbar darauf tönte eine sanfte Melodie aus allen Interkom-Lautsprechern an Bord. Uhura lehnte sich zurück und sang:

 

»Goin' home, goin' home,

I'm a-goin' home

Quiet-like, some still day,

I'm just goin' … home.«

 

Und auf dem Aussichtsdeck …

»Was hat es mit dieser Musik auf sich, Mr. Spock?«

»Sie ist terranischen Ursprungs und gehört zu einer alten Symphonie namens Aus der Neuen Welt. Jene Worte stammen von einem Schüler des Komponisten – er hielt sie der Melodie für angemessen.«

»Es handelt sich um sehr … emotionale Musik«, sagte Saavik.

»In der Tat. Sie ehrt ein junges Land, seine Einheimischen und die Immigranten, die sich dort niederließen, um sich eine freiere Heimat zu schaffen.«

»Sie … schufen sich eine Heimat? Wie gingen sie dabei vor?«

»So wie die heutigen Siedler, die ins All hinausziehen, um Kolonien zu gründen. Befassen Sie sich mit den Menschen, Saavikam. Die Terraner glauben, dass die Heimat überall sein kann. Darüber hinaus gibt es bei ihnen den Brauch, Fremde willkommen zu heißen. Die Gastfreundschaft gehört zweifellos zu ihren besten Eigenschaften.«

»Ja. Sie sind großzügig. Und anpassungsfähig. Sie haben viele gute Ideen, und auch einige schlechte …«

»Mhm …«

»Aber sie halten zuviel für selbstverständlich. Nehmen Sie nur ihre Welt. Sie ist herrlich, und die Menschen sollten sich darüber freuen. Doch sie scheinen kaum zu begreifen, wie gut sie dran sind.«

»Sie lernen, Saavikam. Wenn auch langsam.«

»Oh. Nun, wenn das so ist, Mr. Spock: Bitte erlauben Sie mir eine Frage …«