37
»Zach?«, stammelte Bea um Fassung ringend. Zittrig trat sie einen Schritt dorthin zurück, wo Agatha Christie in ihrem Körbchen schlief. Sie nahm sie heraus und hielt sie zur emotionalen Unterstützung auf dem Arm. Vielleicht auch als eine Art von tierischem Schutzschild. »Was machst du denn hier?«
Zach sah schlimm aus. Sein Haar war zerrauft, das Hemd hing ihm halb aus der Hose, und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Beim Anblick seines Gesichts und seines Körpers, dieses sexy, wunderbaren Körpers, reagierte Bea noch immer mit Verlangen und dafür verachtete sie sich.
Er machte einen zögerlichen Schritt auf sie zu und blieb wieder stehen. »Ich musste dich unbedingt sehen«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durch sein schlaffes Haar. »Du siehst übrigens irre aus.«
Sie beachtete das Kompliment gar nicht. »Und woher weißt du, dass ich hier bin?«
»Ist doch klar, dass du hier bist, Bea. Nachdem du keinen einzigen Anruf von mir angenommen hast, bin ich hierhergekommen.« Er warf Dino einen finsteren Blick zu, und der blickte genauso finster zurück. »Können wir uns irgendwo unterhalten? Bitte. Und wenn es nur ein paar Minuten sind.«
Das war typisch. In dem Moment, in dem Bea endlich so etwas wie innere Ruhe in sich fühlte, erhob Zach seinen lügnerischen, betrügerischen Kopf. Sie hatte gehofft, sie könnte ihn mit all seinem Gerümpel aus ihrem Herzen werfen und ihn wie die Farbe aus ihrem Haar aus ihrem Leben bleichen. Aber hier stand er nun, mit großen, bettelnden Hundeaugen, die stumm darum baten, ihr zu vergeben. Das war nicht gerade die Art von romantischer Geste, die sie jetzt ertragen konnte.
Sie drückte Agatha Christie fester an die Brust und atmete den Geruch von verschlafenem Pudel ein. »Das halte ich für keine gute Idee«, sagte sie.
»Bitte, Bea. Ich bitte dich, gib mir die Gelegenheit, mich zu erklären. Ich möchte, dass du mich verstehst«, sagte Zach.
»Hast du nicht gehört, Kumpel? Sie hat Nein gesagt«, mischte Dino sich ein und trat einen Schritt näher. Sunday betrachtete Zach und sagte nichts. Ihr Gesichtsausdruck und ihre Haltung sagten allerdings einiges aus.
»Halt du dich wenigstens einmal da raus, Kumpel«, antwortete Zach. »Das hier geht nur Bea und mich was an.«
»Und Cassandra offenbar«, sagte Dino. »Wie läuft’s denn so mit dem Airtasker-Geschäft? Da soll es einiges an Extras geben, wie ich höre.« Sobald er es gesagt hatte, schien er es auch schon zu bedauern.
Bea runzelte die Stirn und seufzte. »Zach, was willst du denn jetzt noch sagen? Die ganze Situation ist unverzeihlich. Ich habe keine Lust, mir das alles noch einmal anzuhören. Ich versuche, jetzt endlich mal nach vorne zu blicken. Weg von dir, weg von Cass und von diesem ganzen verdammten Hirngespinst, dass es im echten Leben so was gibt wie ›Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende‹.«
»Du musst mir glauben, dass nicht alles gelogen war, Bea. Als ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, habe ich das wirklich ganz genau so gemeint, ehrlich«, sagte Zach mit einem verlegenen Seitenblick zu Dino. »Ja, die Art und Weise, wie wir uns begegnet sind, war fürchterlich, ein riesiger Verrat und vollkommen gedankenlos. Aber ich würde es nicht rückgängig machen wollen, denn es hat mich zu dir geführt.«
Bea hörte, wie Sunday seufzte und Dino verächtlich schnaubte. Wenn Zach noch länger bliebe, würde Dino möglicherweise husten und prusten und sein eigenes Café zusammenpusten.
»Als ich Cassandras Plan zugestimmt habe, war ich völlig am Ende. Ich brauchte dringend Geld. Es schien doch alles nur ein kleiner und unbedeutender Job zu sein. Aber da hab ich mich ganz klar getäuscht.« Zach ließ den Kopf hängen.
»Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahres!«, brach es aus Dino heraus. Bea vergaß ihren Kummer für einen Augenblick und prustete los.
Zach schaute Dino mit gerunzelter Stirn an, dann setzte er sich auf einen Barhocker neben Bea. »Als ich bei dieser lächerlichen Sache zugesagt habe, hatte ich keine Ahnung, dass du so sein könntest, wie du nun mal bist.«
Bea spürte, wie ihr Herz raste und ihre Handflächen feucht wurden. Sie umklammerte den Hund noch fester und atmete aus. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Bea blickte dem Mann in die Augen, den sie so lieb gewonnen hatte – von dem sie sogar gedacht hatte, sie würde ihn lieben – , und spürte ein Stechen in der Brust. »Es ist zu wenig, und es kommt zu spät, Zach«, sagte sie. »Es sind einfach zu viele Lügen gewesen. Wie sollte ich dir je wieder vertrauen können? Ich weiß ja noch nicht mal, wer du wirklich bist!«
»Das zeige ich dir, wenn du mich nur lässt«, bat Zach, griff nach ihrer Hand und führte sie an sein Herz.
Einen Augenblick lang saßen sie da wie gelähmt, und Bea fühlte sich, als würde sie langsam immer tiefer in Zachs Blick versinken.
Dino räusperte sich und riss sie in die Wirklichkeit zurück. »Bea, auf diesen Quatsch wirst du ja wohl nicht reinfallen?«
Bea trat von Zach weg und setzte Agatha Christie auf den Boden. Sie schaute ihren eigenwilligen Barista an und dachte an den vergangenen Monat. Die scheuen Seitenblicke, die verlegenen Umarmungen, das vollkommene Leugnen von Gefühlen, das Nichtaussprechen, dass sie je geknutscht hatten. Und dann dachte sie an den Monat, den sie mit Zach zusammen gewesen war. An seine Spontaneität, seinen Witz, die Art, wie er beim Händchenhalten mit dem Daumen immer sanft ihren Zeigefinger gestreichelt hatte. Sie dachte daran, wie sie sich dreimal die Hand gedrückt hatten, wie sie die Buchhandlung The Avenue besucht hatten, auf der Suche nach möglichst vielen Bücher, in denen die Namen Zach und Bea auftauchten, und wie er eine Gruppe junger Mädchen davon überzeugt hatte, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes zu lesen, indem er ihnen die Kampfszene nachgespielt hatte einschließlich des perfekten Tonfalls und des Schwingens eines eingebildeten Zauberstabs.
»Zach, ich weiß es einfach nicht«, sagte sie. »Ich brauche Zeit.«
Zach schoss von seinem Stuhl hoch und strahlte übers ganze Gesicht. »Ich kann warten. Nimm dir alle Zeit der Welt.« Er drückte ihr sanft die Schulter und lächelte sein verdammtes Sonnenblumen-auf-dem-Feld-Strahlen. Mit einem letzten bekräftigenden Nicken und einem abschließenden bedrohlichen Blick in Richtung Dino verließ er das Café. Eines hatte er wirklich gut drauf: Er wusste genau, wann der richtige Zeitpunkt für einen guten Abgang war.
Bea zerzauste ihr blondes Haar und wagte es nicht, Dino in die Augen zu schauen. »Ich muss an die frische Luft. Bis später!«
»Warte!«, rief Dino, und Beas Herz setzte einen Schlag aus. »Dein Kaffee!« Er schob ihr den Becher hin und sagte langsam und bedächtig: »Pass gut auf, okay?«
Den Blick noch immer abgewandt nahm Bea ihre Tasche und ihren Kaffee und versprach, bald wiederzukommen und die Gummibärchen abzuholen. Sie verließ den Laden und zog sich den Jackenkragen eng um den Hals. Ehe sie den ersten Schluck Kaffee trank, schaute sie sich den Becher an. Um ihn herum schlängelten sich die Worte: Leg dich nie mit Idioten an. Sie schlagen dich immer mit Erfahrung – sagt der verdammte Mark Twain.
*
Bea fühlte sich vollkommen durch den Wind, fast schon geistig gestört, am Rand eines Nervenzusammenbruchs, von dem sie kein gutes Buch – nicht mal ein großartiges Buch – ablenken konnte. Weder Das Licht zwischen den Meeren noch Die Erfindung der Flügel und auch nicht Das andere Mädchen. Nicht mal die Anmerkungen in Meeting Oliver Bennett. Im verzweifelten Bemühen, sich von der Begegnung mit Zach abzulenken – wo ich doch gerade angefangen hatte, dieses ausgeprägte Kinn zu vergessen, dieses Lächeln und die Art, wie seine Schultern zucken, wenn er lacht. Verdammt! – , rief sie den einzigen Menschen an, von dem sie sicher war, dass er sie ablenken könnte. Der einzige Mensch, der Bea mit seiner eigenen Welt in Beschlag nehmen und ihr eine Atempause von der Sorge um ihre Welt gönnen würde.
Ihre Schwester.
Lizzie ging beim dritten Klingeln dran, kreischte entzückt, legte auf und rief gleich über FaceTime zurück. Bea seufzte, als sie ranging, musste aber doch lächeln, als sie sah, wie ihre Schwester sie angrinste, die Kamera natürlich so ausgerichtet, dass sie am vorteilhaftesten aussah.
»Bea!«, quiekte Lizzie. »Ewig nicht gehört. Ich verspreche dir, dass ich bald nach Melbourne komme. Ich vermisse dich. Und – oh, mein Gott! Deine Haare!«
Bea strich sich verlegen über ihr hellblondes Haar. »Ich brauchte mal was anderes.«
»Das sehe ich. Du siehst ja so viel besser aus!«
Bei diesem zweifelhaften Kompliment schauderte Bea leicht.
»Erzähl, was gibt’s Neues von Next Chapter? Ich hab da ein paar Ideen für dich.«
Bea brachte ihre Schwester auf den neuesten Stand und brach mittendrin ohne Vorwarnung in Tränen aus.
»Bea, was ist denn los? Rede mit mir!«, sagte Lizzie.
Kleine Tränen liefen Bea über die Wangen, während sie versuchte, sich wieder in den Griff zu kriegen. Sie wusste, dass sie Kummer hatte, sich sogar richtig elend fühlte, aber erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, wie schlecht es ihr wirklich ging. So sehr sie sich bemühte – es würde nicht so leicht sein, Zach zu vergessen, wie sie gehofft hatte. Sie hatte Lizzie nichts von dem echten, schrecklich demütigenden Grund erzählt, aus dem sie und Zach sich getrennt hatten. »Es war eine beiderseitige Entscheidung«, war ihr verlässlicher Standardsatz gewesen, ohne genauer ins Detail zu gehen. Aber jetzt, zwischen Schniefen und verzweifeltem Luftschnappen, erzählte sie ihrer Schwester alles. Von ihrer Liebe, den Verletzungen, dem Verrat und schließlich dem Chaos, zu dem ihr Leben inzwischen geworden war.
Lizzie nickte zu allem, und als Bea schließlich fertig war, schaute sie ihr geradewegs in die Augen und sagte: »Ich hab’s ja gesagt.«
Verblüfft brachte Bea nicht mehr heraus als »Was?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich ihn suspekt finde. Er hat mir beim Buch-Event fast in den Hintern gekniffen, weißt du noch? Ich erkenne eine Ratte, wenn ich sie sehe.«
Bea runzelte die Stirn. Eigentlich sollte es sie nicht überraschen, dass Lizzie so reagierte. Selbst in Beas verwundbarem Zustand drehte sich alles nur um Lizzie. Bea hatte noch lebhaft in Erinnerung, wie sie mit fünfzehn zum ersten Mal bei McDonald’s gejobbt hatte und gefeuert worden war, weil sie zu schüchtern gewesen war, um mit den Kunden zu sprechen. Und wie hatte Lizzie reagiert? »Was soll ich denn jetzt meinen Freunden sagen? Ich hab versprochen, dass ich ihnen am Wochenende allen kostenlos Softeis besorge. Bea, du bist ja so egoistisch!«
»Lizzie, du spinnst«, sagte Bea jetzt und war überrascht, dass sie Zach tatsächlich schon wieder verteidigte. »Er ist einfach nur ein übermäßig freundlicher Mensch ohne Berührungsängste. Und schließlich hast du ja auch einen echt schönen Hintern, in den dich sicher so mancher Mann gern mal zwicken würde.« Hab ich da wirklich gerade den Kerl verteidigt, der ein doppeltes Spiel mit mir getrieben hat?
»Du bist süß. Aber untersteh dich, auch noch Entschuldigungen für ihn zu suchen.«
»Und was, wenn er es wirklich ernst meint? Er sagt, dass er mich liebt. Was, wenn er sich tatsächlich trotz allem in mich verliebt hat?«
»Süße, das mag ja sein. Aber ich würde doch keinem Menschen vertrauen, der einen anderen vorsätzlich in eine Beziehung lockt, sodass der andere sich in ihn verliebt – und das alles für ein paar lumpige Kröten!«
»Nein, da hast du recht. Natürlich, du hast recht.« Oh Mann, wie sie es hasste, wenn Lizzie recht hatte!
»So ist es richtig! Und jetzt sag mal: Glaubst du, es gibt einen Zusammenhang zwischen Supermonden und Stimmungsschwankungen? Denn ich bin in der letzten Zeit echt eine Bitch.«
Bea versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was ihre Schwester sagte, aber ihre Gedanken wanderten immer wieder zu etwas, das Zach am Abend gesagt hatte, bevor alles in die Brüche gegangen war. Er hatte Bea eindringlich angeschaut und sie gefragt, ob sie an Paralleluniversen glaube. Und wenn, glaube sie dann, dort wären sie einander auch begegnet? Hätten sie einander auch unter anderen Umständen kennenlernen können und sich auch dann gut verstanden? Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das als rührselige Grübeleien abgetan, aber im Nachhinein sah sie diese Worte in einem völlig anderen Licht.
Der logische Teil ihres Gehirns wusste, dass sie von Zach nichts Gutes zu erwarten hatte und dass Lizzie und Dino recht hatten, ihm nicht zu trauen. Aber warum hatte ein anderer Teil von ihr, nachdem sie endlich aufgelegt hatte, das Gefühl, sie sollte ihm eine letzte Chance geben?