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Zach: Hast du schon genug Zeit gehabt?
Bea verdrehte die Augen und drehte ihr Telefon schnell um, sodass das Display zur Tischplatte zeigte. Eilig wandte sie sich wieder ihrem Laptop zu. Sie hatte gerade einige E-Mails losgeschickt, um ihre bisherigen Freelancer-Aufträge zum Abschluss zu bringen. Jetzt wollte sie anfangen, sich auf die Cecilia-Beechworth-Kampagne vorzubereiten und die Kaufgewohnheiten von Krimilesern recherchieren. Zachs Nachricht lenkte sie von der dringend notwendigen Arbeit ab. Bea holte tief Luft, versuchte, alle Menschen auszublenden (einschließlich des schnaufenden Mannes, der keinen Meter von ihr entfernt arbeitete), und tippte drauflos. Und währenddessen spürte sie, wie sich eine kluge und zusammenhängende Strategie zu formen begann. Ihr Handy piepte erneut.
Zach: Wie wär’s mit jetzt?
Bea knurrte verärgert. Ihr Nachbar, der so schwer atmete, starrte sie an. Du musst gerade reden, dachte sie und starrte zurück. Dann konnte sie sich nicht zurückhalten und tippte doch rasch eine Antwort.
Bea: Was willst du, Zach?
Zach: Dich zum Essen einladen, um dir alles zu erklären. Bitte.
Bea zog frustriert an ihrem Haar. Sie hatte versucht, ihre Gefühle für Zach zu begraben, aber sie drangen ihr einfach so aus der Haut wie Schweißtropfen an einem heißen Sommertag. Ihr kamen so unglaublich viele Gedanken in den Sinn, dass sie vollkommen unfähig war, klar zu denken. Wäre es wirklich so schlimm, wenn ich mir seine Geschichte anhöre? Aber wozu soll das gut sein? Wie sollen wir je über das, was geschehen ist, hinwegkommen? Aber vielleicht gibt er endlich Ruhe, wenn ich mich gleich mit ihm treffe? Und hat nicht jeder (außer vielleicht Lord Voldemort) eine zweite Chance verdient?
Bea biss sich auf die Lippen, murmelte leise »Scheiß drauf« und gab nach.
Bea: Na gut, Zach, du hast gewonnen. Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Journeyman-Café. Ich gebe dir eine Chance, mir deine Sicht der Dinge zu erklären.
Zach: Ist gebongt! Bis gleich. Danke, Bea.
Bea saß an einem kleinen Holztisch und starrte auf die Auswahl an Gebäck in der Vitrine. Ein bedeutender Teil von ihr (hauptsächlich ihre feministische Seite, die sie ermutigte, sich »selbst zu respektieren« und daran zu denken, dass sie »keinen Mann brauchte, um ein vollwertiger Mensch zu sein«) verabscheute sich dafür, dass sie überhaupt hier war. Aber leider war sie nun mal hier und trank nervös kleine Schlucke von ihrem zweiten Skinny Latte heute, während sie mit heraufziehender Furcht auf den Mann wartete, der sie belogen hatte wie der Bösewicht in einer Seifenoper.
»Vielen Dank, dass du gekommen bist.«
Bea hätte sich beim Klang von Zachs Stimme fast zu Tode erschreckt. Sie richtete sich auf, lächelte kühl und bedeutete ihm, ihr gegenüber Platz zu nehmen. »Du weißt aber schon, dass ich nur gekommen bin, damit du endlich aufhörst, mich zu nerven, oder?«, sagte sie mit wiedergewonnener Fassung. Innerlich klatschte sie sich selbst ab, dass sie so gelassen sprach. Heute würde Zach sie nicht durcheinanderbringen.
Er lächelte und hob beschwichtigend die Hände. »Ich bin dankbar, dass du überhaupt hier bist.«
Dann herrschte Stille. Er starrte sie einen Augenblick zu lange an, und sie starrte zurück. Von Nahem konnte sie die leichten Fältchen um seinen Mund und die goldenen Flecken in seinen Augen erkennen. Ihr ganzer Körper verlangte danach, ihn zu berühren, und sofort fühlte sie sich deswegen total armselig.
Sie schaute als Erste weg. Während sie einen weiteren Schluck Kaffee trank, fragte sie sich, wie sich alles nur so rasch hatte ändern können. Wie schnell war die Vertrautheit in die Brüche gegangen und nur noch ein kühles, erloschenes Gefühl übrig geblieben!
»Und, hast du in letzter Zeit ein paar neue Jobs an Land gezogen?« Scheiße, so viel zu meiner Coolness.
Zach zuckte zusammen. »Bea, so muss es doch nicht laufen, oder?«
Ha! Der hat leicht reden. Bea spürte, wie ihr ganz heiß wurde und das stechende Gefühl in ihrer Kehle zurückkehrte. Plötzlich fühlte sie sich ganz verwirrt und beschämt.
Und dann lag seine Hand plötzlich auf ihrer.
»Bea, ich will unsere Beziehung retten und dein Vertrauen wiedergewinnen. Ich wünsche mir, dass zwischen uns wieder alles so wird, wie es war. Hätte ich denn jede wache Minute mit dem Versuch zugebracht, dich zurückzugewinnen, wenn du einfach nur ein dämlicher ›Job‹ gewesen wärst?«, sagte Zach, scheinbar ganz ehrlich.
Plötzlich erschien er ihr ausgemergelt, und ihr fiel auf, dass sein Kinn stoppeliger aussah als sonst. Er wirkte, als hätte er tagelang nicht geschlafen, und irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck ließ sie einlenken.
»Aber wo sollten wir denn da überhaupt anfangen? Wie könnte ich dir auch nur ansatzweise jemals wieder vertrauen?«
Er seufzte und sagte: »Ich schätze, ich muss einfach alles versuchen, was in meiner Macht steht, um dir zu beweisen, dass das hier echt ist. Dass ich dich liebe und mir wünsche, dass du Teil meines Lebens bist.«
Bea schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht, und das weißt du genau.«
Ein Kellner kann an ihren Tisch, und sie bestellten jeder eine Portion zerdrückte Avocado mit extra Toast und dazu Halloumi. Der Kellner lächelte und notierte eifrig ihre Bestellung. Bea spielte mit den Salz- und Pfefferstreuern und schob sie auf dem Tisch herum, bis sie wieder allein waren.
»Ich begreife einfach nicht, wie du das tun konntest«, sagte sie ruhig.
Zach blickte zu Boden, und einen Augenblick dachte Bea, er würde nicht antworten. Aber dann räusperte er sich und sagte genauso sanft: »Es tut mir so leid, Bea.« Er hob den Kopf, und seine Augen blickten besorgt. »Ich war dumm und naiv. Ich brauchte dringend Geld und dachte, es wäre keine große Sache. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemandem begegnen würde, der so erstaunlich ist wie du.«
»Aber darum geht es doch gerade, Zach«, sagte Bea, und ihre Stimme wurde um einiges lauter. »Es hätte nicht von Bedeutung sein sollen, wer ich bin. Es ist einfach falsch, so mit einem Menschen umzugehen.«
»Ich weiß, Bea, ich weiß. Aber ist es nicht Nicola Yoon, die mal was darüber geschrieben hat, dass man nicht leben kann, wenn bedauern das Einzige ist, was man noch kann?«
»Du hast Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt gelesen?«, fragte Bea überrascht.
»Ich hab alles gelesen, was du empfohlen hast, Bea. Ich hab auch in jedem Café gegessen, von dem du geschwärmt hast.« Er zuckte mit den Achseln. »Für eine Auswärtige kennst du dich mit den zerdrückten Avocados verflixt gut aus. Und natürlich habe ich auch gehofft, dass ich dir dort irgendwo zufällig über den Weg laufen würde.«
Der Kellner kam zurück und legte jedem von ihnen eine weiße Serviette und Besteck hin. Bea war dankbar für die Unterbrechung und ergriff die Gelegenheit, um sich zu sammeln. Sie dachte an die vielen Konfrontationen mit Zach, die sie sich ausgedacht hatte und bei denen sie so eloquent gewesen war. Viel zu schnell verschwand der Kellner wieder.
»Ich weiß nicht, ob ich darüber hinwegkommen kann, Zach. Ich werde nie wirklich wissen, was echt war und was nicht. War zum Beispiel die Geschichte echt, als du mir erzählt hast, wie du mit den Büchern von Enid Blyton lesen gelernt hast? Hast du wirklich jede Staffel vom Bachelor gesehen? Bist du überhaupt Sternzeichen Waage? Oder war das alles nur Teil der Fassade?« Seit ihrer schmählichen Trennung hatte sich Bea jede kleine Einzelheit und jede Geschichte, die Zach ihr erzählt hatte, ungefähr eine Million Mal durch den Kopf gehen lassen und nach irgendeinem Hinweis darauf gesucht, dass nicht alles gelogen war. Er hatte so aufrichtig gewirkt.
Zachs Gesicht fiel in sich zusammen. Sein ganzer Körper schien vor ihren Augen zu welken wie drei Tage alte Tulpen. Und egal, wie entschlossen Bea gewesen war, kein Mitleid mit ihm zu haben und nicht auf irgendwelche herzzerreißenden Spielchen reinzufallen, die er ihr vormachen würde – als sie diese neue, eingefallene Version von Zach sah, schmolz sie ein wenig dahin.
»Alle wichtigen Dinge sind wahr. Alles, wo ich dir Einblick gewährt habe, wer ich bin, wo du mein Innerstes gesehen hast.« Zach zuckte hilflos mit den Achseln.
Bea nickte, obwohl sie sich weiterhin nicht sicher war. »Hast du … hast du wirklich …«, setzte sie an und trank erst noch einen großen Schluck Kaffee. »Hast du mich wirklich geliebt?« Sie war erleichtert, dass sie es endlich geschafft hatte, diese Frage zu stellen. Sie quälte sie, seit sie herausgefunden hatte, dass Zach nicht derjenige war, für den er sich ausgegeben hatte.
»Bea«, flüsterte er, und ihr sackte das Herz in den Magen. »Natürlich. Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich immer noch.« Seine Stimme zitterte. »Ich hätte nie mit dir geschlafen, wenn ich dich nicht geliebt hätte. Deshalb habe ich doch so lange gezögert.«
Bea durchforschte Zachs Gesicht nach irgendeinem Zeichen von Verrat oder Unaufrichtigkeit, aber alles, was sie sah, waren Kummer und Reue. Reiß dich zusammen, Babbage, fall ja nicht auf diesen Hundeblick rein!
»Können wir nicht versuchen, wieder ganz von vorn anzufangen?«, sagte Zach und streckte die Hand aus.
Bea starrte einen Augenblick darauf und kniff verwirrt die Augen zusammen, dann ergriff sie seine Hand. Erleichtert schüttelte er sie, und Bea musste daran denken, dass er es bei ihrem ersten Date genauso gemacht hatte.
»Zach Harris. Ich schaue gern exzessiv Netflix, bewundere Heißluftballons, staune oft den Mond an und verabscheue orangefarbenes Essen.«
Bea nickte gedankenverloren. Das war ihr alles zu viel.
Zach hob erwartungsvoll fragend die Augenbrauen.
»Ach ja, ich bin dran.« Sie schwieg kurz. Das war ihr alles zu unnatürlich und erzwungen. »Ähm, ich bin Bea Babbage. Im Winter röste ich gern Marshmallows auf meinem Gasherd, ich lese alles, was auch nur ansatzweise romantisch ist, ich habe mich gerade mit einer eigenen Marketingagentur selbstständig gemacht, sie heißt Schnabeltier, und von Räucherstäbchen bekomme ich wahnsinniges Kopfweh.«
»Du hast eine eigene Marketingagentur gegründet?« Zach strahlte, und Bea schmerzte an diesem Tag ungefähr zum hundertsten Mal das Herz.
»Ja, und ich habe gerade meinen ersten Kunden an Land gezogen. Du kennst ihn vielleicht – als wir zusammen waren, habe ich gedacht, du würdest dort arbeiten. Thelma & Clarke«, erwiderte Bea ein bisschen zu gehässig. Wem will ich eigentlich was vormachen, wenn ich behaupte, ich wäre drüber weg?
»Wow, das ist ja eine tolle Sache. Da musst du unbedingt mehr darüber erzählen«, sagte Zach ohne einen Hauch von Verbitterung. »Und was willst du noch von mir wissen?«
Bea trank einen Schluck Wasser und ging im Kopf alle Fragen durch, die sie Zach stellen wollte – nein, die sie Zach stellen musste, und ordnete sie nach der Wichtigkeit. »Du bist also Personal Trainer?«, fragte sie. »Sogar was deinen Job angeht, musstest du lügen?«
Zach schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Du musstest ja unbedingt von mir angetan sein, und Cassandra hat mir geschrieben, du bist die ultimative Leseratte. Als wir das erste Mal miteinander gesprochen haben, ist mir die Lüge einfach so rausgerutscht. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie stressig es war, dass ich so tun musste, als wäre ich Lektor. Was glaubst du wohl, warum ich so oft aufs Klo gegangen bin? Ich musste ja die ganze Zeit Bücher googeln!«
»Ach, das muss ja alles so schwer für dich gewesen sein.«
»Bea, das ist doch alles bedeutungslos. Es ist nur ein Job. Ich bin immer noch ich. Gib mir eine Chance, es dir zu beweisen.«
Bea atmete lange und nachdenklich aus und bedeutete ihm weiterzusprechen.
»Ich versuche, mein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen, deswegen habe ich hier und da noch zusätzlich einen Gelegenheitsjob angenommen …« Zach unterbrach sich und schaute sehr verlegen drein.
Bea hob die Augenbrauen. Das war also alles, was ich für dich war? Ein Gelegenheitsjob?
Zach sprach jetzt hastig weiter und versuchte, den Ausrutscher vergessen zu machen. »Zed-Fit soll das Studio heißen, und mir geht es darum, den Leuten beizubringen, wie sie sich in allen Bereichen ihres Lebens gut um sich kümmern – körperlich, in Sachen Ernährung und, am wichtigsten, mental. Das ist mir wirklich sehr wichtig.«
»Das ist super, Zach. Denk groß!«, sagte Bea mit nur leichtem Spott, während sie ernsthaft versuchte, sich an diese neue Seite von Zach zu gewöhnen. Sie fragte sich, ob sie beide überhaupt noch irgendetwas gemeinsam hatten.
»Es ist ein komisches Gefühl«, sagte sie und schob zum wiederholten Mal ihr Besteck hin und her. »Ganz von vorne anzufangen, meine ich.« Sie wusste einfach nicht, was sie mit dem komplizierten, fehlerbehafteten, aber vermutlich einfühlsamen Mann anfangen sollte, der ihr gegenübersaß. Hatte Dumbledore recht, als er so was gesagt hatte wie, es sei leichter, jemandem zu vergeben, der unrecht hat, als jemandem, der recht hat? Oder lag Jane Austen richtig, als sie schrieb: »Ich könnte ihm leicht seinen Stolz verzeihen, wenn er meinen nicht verletzt hätte.«
Zach seufzte und schnipste ein paar eingebildete Krümel vom Tisch. Er machte den Mund auf und wieder zu und schien die richtigen Worte zu suchen. »Ich weiß«, gab er schließlich zu.
Die nächste Viertelstunde verbrachten sie damit, so zu tun, als wäre alles normal und als wäre Zach nie dafür bezahlt worden, mit Bea zusammen zu sein. Als wäre das alles kein brutaler Racheakt ihrer früheren besten Freundin gewesen. Von außen betrachtet könnte man sogar denken, dass zwischen uns nichts weiter ist als die ganze normale komplizierte Ex-Beziehung, dachte Bea. Zach lachte, als sie ihm erzählte, wie sie fast alles an Kleidung und Schmuck aussortiert hatte, was sie besaß. Darüber wurde sie ein bisschen zornig, auch wenn sie sein leises Lachen liebenswert fand. Dann kam das Essen, und Bea seufzte erleichtert. Sie ließen sich die Avocado-Köstlichkeit schmecken.
»Heilige Guacamole, ist das lecker!«, rief Bea aus. Ein winziger Kleks Avocado landete auf ihrem Kinn.
Zach beugte sich vor und wischte ihn mit dem Daumen weg. Dann schob er ihn mit einem frechen Grinsen in den Mund. Bea zuckte ganz leicht zusammen, aber sie hoffte, das könnte als Zittern von all dem Koffein durchgehen. In seiner Berührung lag etwas Elektrisches, aber sosehr ihr Herz noch immer nach Zach verlangte, ihr Kopf und ihr Bauch sagten ihr, dass es eine ganz schlechte Idee war, das hier weiterzuverfolgen. Aber um der Höflichkeit willen und damit sie Zachs verzweifelten Gesichtsausdruck nicht sehen musste, ließ sie zu, dass Zach die Unterhaltung auf neutrale Themen brachte, und genoss ihr Mittagessen.