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Bea trank den Strong Skinny Latte von The Nook aus, den sie sich hatte liefern lassen, und stellte den Becher auf die Küchenbank. Irgendwie schmeckte er nicht so gut, wenn keine typische Beschriftung von Dino quer über den Becher gekrakelt war. Es war früher Nachmittag, und sie hatte das Haus noch nicht verlassen. Nachdem sie viel zu viel Zeit auf den Versuch verschwendet hatte, die Anmerkungen in Kindeswohl zu entziffern und sich knutschenderweise wieder mit Zach zu versöhnen, hatte sie büßen müssen. Stundenlang hatte sie sich fast ununterbrochen wie eine Irre auf ihre große Präsentation mit Mia und Janine vorbereitet und versucht, alles nachzuholen, was sie versäumt hatte.
Jetzt starrte Bea in den Spiegel und strich sich übers Haar. Die tiefen blauen Schatten unter ihren Augen waren gekonnt unter einer Schicht Concealer verborgen, und sie hatte sich die Lippen hellrot geschminkt (ein Versuch, die Betrachter von ihrem müden Aussehen abzulenken). Bea lächelte ihr Spiegelbild an, ließ die Zähne blitzen und strahlte übertrieben. Du schaffst das, sagte sie sich und verdrängte jeden Gedanken an Meinungsverschiedenheiten und Versöhnungssex mit Zach und an das eiserne Schweigen von Dino. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich auf verwirrende Gefühle zu konzentrieren. Jetzt war es an der Zeit, ihre Präsentation zu rocken und ihren Kunden von sich zu überzeugen.
Bea zog ihre schwarze hüftlange Jacke an, die sie noch professioneller wirken ließ, beugte sich über Philips Gehege und gab dem schlafenden Frettchen einen Abschiedskuss auf den pelzigen Kopf.
*
Bea saß im gelb gestrichenen Besprechungsraum in ihrem Coworking Space und tappte mit ihrer Gehhilfe ungeduldig auf den Boden. Sie warf einen Blick auf die Uhr – 15.50 Uhr. Nur noch zehn Minuten, bis die Damen von Thelma & Clarke kommen würden.
»Und hier kommt schon der Kaffee«, sagte Martha. Sie trug ein Tablett mit Kaffee und betrat gemeinsam mit Ruth eilig den Konferenzraum. Martha trug ein knielanges Samtkleid (ein absolutes Chefinnenkleid) und einen schwarzen Blazer, Ruth ein kariertes Trägerkleid mit einer weißen Hemdbluse darunter und eine kleine Brosche in Form eines Corgis am Kragen. Die beiden blickten einander an und lachten über einen unausgesprochenen Scherz.
Ruth hatte sich offenbar von ihrer Enttäuschung erholt, dass Bea das Frettchen nicht mitgebracht hatte. Sie griff sich ein Croissant vom Tisch, aber Martha schlug ihr sanft auf die Hand. In diesem Augenblick war Bea sehr glücklich, Freunde zu haben, die ihr in einem Moment, in dem sie sich vollkommen überfordert fühlte, ganz selbstlos und ohne jede Gegenleistung weiterhalfen. Freunde, die sie mochten und die ihr beistanden, ohne irgendwelche Hintergedanken.
»Denk daran: immer lächeln! In der Geschäftswelt gibt es keine Ziellinie, also genieß einfach, dass du unterwegs bist!« Ruth riss sich schnell ein Stück von einem Plunderteilchen ab und schob es sich in den Mund. Martha blickte sie alles andere als begeistert an.
»Mir ist ein bisschen schlecht.« Bea fummelte an der Fernbedienung für den Projektor herum und prüfte zum hundertsten Mal, ob sie auch funktionierte.
»Hör auf, dir Sorgen zu machen. Du hast die Sache im Griff, Bea«, sagte Martha, während sie Notizblock und Stift aus der Tasche holte und vor sich auf den Tisch legte. »Ach, übrigens, dein Speeddating-Event ist nächste Woche, oder?«
»Erinnere mich bloß nicht daran«, knurrte Bea. Sie hatte immer noch keinen neuen Veranstaltungsort.
»Ich hätte da vielleicht was für dich: Ein Freund von mir hat eine kleine Bar in West Melbourne. Sie heißt Willows & Wine, ist süß und urig, und an einer Wand steht ein großes Bücherregal. Er sagt, dass du die Bar für den Abend mietfrei nutzen kannst, wenn du dafür sorgst, dass die Leute was zu trinken kaufen«, sagte Martha und frischte ihren knallig pinkfarbenen Lippenstift auf, wobei sie einen Taschenspiegel zu Hilfe nahm.
»Ehrlich? Martha! Du bist mein Ritter in schimmernder Rüstung!« Bea war unglaublich erleichtert. Es könnte doch noch alles gut ausgehen. Es muss einfach gut ausgehen.
»Ach, das ist doch keine große Sache. Wollen wir noch mal kurz durchgehen, was wir sagen? Habt ihr euren Text drauf?«, kam Martha wieder zum Geschäftlichen und schob die Papiere vor sich zusammen. Bea und Ruth nickten. Aber noch ehe eine von ihnen »Content Marketingstrategie« sagen konnte, gab Beas Telefon einen Ton von sich. Es war eine Nachricht von der Empfangsdame gekommen:
Sie sind da!
Bea schoss von ihrem Stuhl hoch und machte sich daran, auf eine besondere Ich-hab-alles-im-Griff-Art aus dem Besprechungsraum zu humpeln.
Im winzigen Foyer standen ganz ruhig Mia und neben ihr die glamouröse Janine Partridge im grauen Hosenanzug und mit einer klobigen Halskette aus grünen Smaragden. Wie üblich strahlte sie unglaubliche Autorität aus.
»Mia, Janine, schön, dass wir uns wiedersehen«, begrüßte Bea die beiden mit ausgestreckter Hand. »Ich bringe Sie zum Besprechungsraum, dort warten meine beiden Beraterinnen Ruth Lester und Martha Peters auf uns.« Bea führte die Frauen den engen Korridor hinunter und hörte Janines Absätze laut hinter sich klappern.
Als sie den Raum betraten, erhoben sich Ruth und Martha und gaben den beiden die Hand. Bea ging nach vorne und schaltete den Projektor ein.
»Sie können sich ein paar Croissants nehmen, die sind für Sie.« Ruth zeigte auf das Gebäck, auf ihrer Wange waren noch ein paar Krümel zu sehen. Janine und Mia lächelten freundlich.
Bea klickte ihre Präsentation an, räusperte sich und trank einen Schluck Wasser. Reiß dich zusammen, Babbage! Sie bedankte sich bei Mia und Janine abermals für ihr Kommen und ging kurz die Tagesordnung durch. Allmählich fasste sie Fuß, und die Sache begann, ihr Spaß zu machen.
»Wer ist die Hauptfigur in Cecilia Beechworths neuem Roman?«, fragte sie und blickte sich im Zimmer um.
»Rachel Belton«, antworteten Mia und Janine.
»Nein. Es ist Cecilia Beechworth.« Kurze Pause um des Effekts willen. »Cecilia ist zur Hauptfigur geworden, die Protagonistin ihres eigenen Romans. Die Leute kaufen einen Roman von der Beechworth, um ihr neuestes Buch zu lesen, ganz egal, um wen es darin geht. Andere lesen es nicht, gerade weil es ein Buch von der Beechworth ist, auch wenn es sich um eine noch so brillante Geschichte handelt. Wie können wir uns also davon befreien, sodass die Hauptfiguren Rachel, Neville und Gloria selbst zu Wort kommen können? Wie können wir die Liebhaber von Kriminalromanen faszinieren – aber auch diejenigen anlocken, die sonst auf keinen Fall einen Krimi in die Hand nehmen würden?«
Janine kritzelte etwas in ihr Notizbuch, und Mia streckte Bea heimlich zwei erhobene Daumen hin.
»Stellen wir uns mal ein solches Buch vor.« Bea ging zum nächsten Bild über: ein Buch mit metallisch glänzendem Cover und einem fett gedruckten grünen Titel. »Was fehlt hier?«
»Der Name des Autors«, antwortete Mia.
»Ganz genau.« Bea strahlte. »Stellen wir uns vor, wir würden Cecilias neues Buch auf diese Weise verkaufen. Die Geschichte wird, wie immer, brillant und voller Suchtpotenzial sein, und natürlich wird es einen riesigen Hype darum geben, aber wir verraten nicht, wer der Autor ist.« Sie ging zum nächsten Bild über, das einige Schlagzeilen zeigte.
»Wir lancieren eine Pressekampagne: ›Wer ist der geheimnisvolle Autor?‹ Wir sorgen dafür, dass die Protagonisten wieder die echten Protagonisten sein können, dass der Schauplatz bedeutend ist – aber die Hauptfigur, die Hauptdarstellerinnen und -darsteller? Das ist jeder, der mutig genug ist, das Buch zu kaufen, und es liest, ohne dass er von außen vorgegebene Erwartungen im Kopf hat. Jeder, der sich nicht vorschreiben lässt, was er von diesem Buch halten oder wie er reagieren soll. Jeder, der in seiner eigenen Geschichte zum Detektiv wird – auf der Suche nach demjenigen, der die Geschichte geschrieben hat, die für ihn die Welt verändert. Indem wir Cecilias Namen vom Cover nehmen, wird unsere gesamte Leserschaft selbst Teil der Geschichte.« Bea holte tief Luft.
»Ich sehe schon Zeitungen wie The Age oder sogar die Cosmopolitan durchdrehen.« Sie ging zum nächsten Bild über. »Wenn dann, eine Woche später, der Hype auf dem absoluten Höhepunkt ist und die Leute sich schon die Haare raufen über die Frage, wer der geheimnisvolle Autor ist, werden wir enthüllen, dass es die legendäre Cecilia Beechworth ist. Und dann explodieren die Medien förmlich!« Bea schwenkte die Hände, um diese Vorstellung in ihrer ganzen Größe anzudeuten. »Mehr noch: Unsere Enthüllung wird die Einstellung der Menschen verändern. Sie erlaubt ihnen, mutiger zu sein, selbstbewusster in der Auswahl ihrer Lektüre. Und wenn wir das einmal geschafft haben, haben wir sie endgültig für uns gewonnen.«
Dann setzte Bea sich hin, und Ruth rückte in den Mittelpunkt.
»Ich würde gern ein bisschen was über Marktforschung erzählen«, begann sie.
*
Bea, Ruth und Martha standen nervös vor der Tür des Besprechungsraums und warteten, bis Janine und Mia ihre Sachen eingepackt hatten. Soweit Bea es sagen konnte, war die Präsentation gut gelaufen, aber sie hatte keine Ahnung, was in Janines Kopf vorging. Sie hatte die ganze Zeit über das gleiche kühle, irgendwie unbestimmte Lächeln beibehalten. Bitte findet meine Vorschläge nicht ganz so schrecklich, dachte Bea und ließ nervös die Knöchel krachen. Martha strich Bea über den Rücken, und Bea schaute sie dankbar an.
Nach einer qualvollen Wartezeit trat Janine aus dem Konferenzraum, Mia im Schlepptau. Janine ergriff Beas Hand und hielt sie fest.
»Vielen Dank für Ihre Präsentation, Bea. Ich bin beeindruckt. Ich freue mich schon auf weitere Projekte mit ihrer Agentur.« Janine ließ sie los, schüttelte auch Martha und Ruth rasch die Hand und eilte davon. Mia folgte ihr dicht auf den Fersen.
Sobald sie außer Sichtweite waren, schaute Bea ihre Freundinnen an, und alle drei stießen laute Freudenschreie aus.
»Sie haben uns geliebt!«, rief Bea jubelnd.
»Dich haben sie geliebt, Darling«, gurrte Martha.
»Ich glaube, mich haben sie auch geliebt. Janine konnte gar nicht mehr davon aufhören, wie sehr sie für Diana’s Muesli schwärmt!«
Bea verschränkte die Hände und strahlte die beiden an. »Ohne euch hätte ich nichts davon geschafft.«
»Du bist ein Naturtalent, Bea«, antwortete Ruth.
»Ich nehme an, es ist gut gelaufen?«, fragte eine tiefe, vertraute Stimme.
»Zach? Was machst du denn hier?«, sagte Bea. Er war wie aus dem Nichts neben ihnen aufgetaucht.
»Ich konnte einfach nicht anders. Ich musste unbedingt aus erster Hand hören, wie die Präsentation gelaufen ist. Ich hab mich also ein bisschen hier rumgetrieben und gewartet, bis ihr fertig seid. Erzähl!« Er gab Bea einen Kuss auf die Wange, und ihr blieb fast das Herz stehen. Plötzlich war ihr ganz heiß.
Sie lieferte ihm eine eilige Zusammenfassung. Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.
»Sei nicht so bescheiden, Bea. Es ist fantastisch gelaufen!« Martha lächelte und stellte sich Zach vor.
»Bea, ich wusste doch, dass die Sache voll einschlagen würde. Das müssen wir feiern!«, sagte Zach und zog Bea an sich. Ruth und Martha nickten zustimmend.
»Na, wenn das kein Timing ist – ich will mir auch gerade einen Drink besorgen!« Plötzlich tauchte Sunday neben ihnen auf, sodass sie sich nun zu fünft in den winzigen Flur quetschten. Sie wirkte leicht erhitzt und voller Anspannung, lehnte sich gegen die Wand und schaute Bea an. »Was gibt es denn eigentlich zu feiern?«, fragte sie.
»Ach, nur dass wir gerade bei einer großen Präsentation einen Volltreffer gelandet haben.« Bea zuckte nonchalant mit den Achseln.
»Gut gemacht, Bea!«, rief Sunday und stieß einen Jubelschrei aus. »Wenn das so ist, gehen die Drinks auf mich. Und ich weiß auch schon, wo.«
Alle lächelten Sunday an, die Augenbrauen erwartungsvoll erhoben.
»The Nook!«
Bei der Erwähnung des Cafés sank die Begeisterung eines Teils der Gruppe merklich. Völlig unbeeindruckt davon – vielleicht hatte sie wirklich nichts gemerkt – redete Sunday weiter. »Im Großhandel hatten sie Kahlúa und Wodka monstergünstig im Angebot, also hab ich meine Vorräte aufgestockt. Blöderweise hab ich sie in The Nook stehen lassen und immer wieder vergessen, sie zu holen. Aber wenn das hier nicht der richtige Zeitpunkt für Espresso Martinis ist, dann weiß ich nicht, wann!«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, dass ich jetzt in The Nook gehe.« Bea flüsterte fast und schaute überallhin, nur nicht zu Zach.
Sunday schlang ihren Arm um Bea und zwang sie, die fest verschränkten Arme auseinanderzunehmen. »Keine Sorge, Honey, Dino ist nicht da. Er ist heute Abend bei einem Poetry-Slam. Und außerdem mache ich einen richtig geilen Espresso Martini!«
»Du hast nicht auch zufällig Gin gekauft, oder?«, fragte Ruth und lieferte Bea einen weiteren Vorwand, Zach nicht anzusehen. »Mein Drink erster Wahl ist ein Dubonnet mit einem Spritzer Gin, genau wie ihn die Queen trinkt.« Sie lächelte stolz. »Ich habe immer eine Taschenflasche damit dabei, für den Fall, dass sich eine Gelegenheit für ein starkes Getränk ergeben sollte!«
Sunday starrte Ruth einen Augenblick an. »Ich hab vielleicht noch einen Erdbeerlikör da und könnte was draus machen, das dem nahekommt?«
»Ist gekauft!«, fiel Martha ein und zog Ruth an ihre Seite. »Außerdem bin ich britisch – wie viel königlicher kann’s da noch werden?«, sagte sie und stieß Ruth leicht mit der Hüfte an.
Zach warf Bea einen Blick zu und rieb sich die Bartstoppeln. »Das musst du wissen, Bea.«
Bea seufzte und versuchte, wieder in die Hochstimmung zu kommen, die sie noch Augenblicke zuvor verspürt hatte. Sie schaute von Zach zu ihren drei Freundinnen. Alle drei starrten mit breitem Lächeln zurück. »Ach, zum Teufel, was soll’s. Los geht’s!«
»Also, ihr habt’s gehört. Wir gehen in The Nook. Ladys und Gentleman, folgen Sie mir!«, rief Sunday und ging voran, während sie ihre Kopfhörer in die Ohren schob und die Musik so laut aufdrehte, dass die anderen die Spice Girls hören konnten.