Kapitel 13

Z arter Rückenwind aus Süden, kaum Schwell, nur manchmal jähe, steile Wellen. Ein guter Tag, um den Berg der Rhône aufwärts in Angriff zu nehmen und sich an der Papststadt Avignon vorbeizuschieben.

Sich wieder einzufinden in das fremde Wunder, ein fast siebenundzwanzig Meter langes holländisches Klipper-Schiff zu steuern, weckte Muskeln in ihm auf, die drei Jahre behaglich im Leerlauf gedöst hatten. Und nach der Schleuse in Bollène, die die Lulu dreiundzwanzig Meter höher hievte: Da begann die Rhône sich vom gleichmäßigen, würdevoll gealterten Strom in einen Fluss in seiner Sturm-und-Drang-Zeit zu wandeln.

Wenn der Wind aus den Alpen herabfegte, die Wassermenge und damit die Flussgeschwindigkeit stiege, müssten sich die sechs Zylinder des vierzig Jahre alten DAF -Motors einem ungeduldigen Gegendruck stellen. Es würde alles bedächtiger gehen als zuvor, bergauf, sie würden auf Schubkolonnen achten müssen, auf Hotelboote, die zwischen Lyon und Arles kreuzten und Vorfahrt hatten, selbst wenn sie von hinten kämen, auf trotzige Schwäne, eitle Kormorane, fleißige Enten, hungrige Möwen, schüchterne Reiher – und Strudel. Perdu konnte jedoch ohne Hindernisse auf 25 km/h erhöhen, öffnete das Seitenklappfenster und hakte es fest. Sein Nacken schmerzte leicht.

»Schlimm?«, fragte Max.

»Ungefähr genauso überraschend wie die Ausgabe ›Warten auf Godot‹ auf Klingonisch. Sicher beeindruckend, aber nicht für jeden ein Vergnügen.«

»Es gibt Beckett auf Klingonisch? Sagenhaft.«

»Max. Ich wäre wenigstens gern vorher gefragt worden.«

»Dann hättest du aber Nein gesagt. Du bist so allergisch auf alles Digitale, als sei es eine persönliche Beleidigung. Und das wollte ich doch eher vermeiden.«

Bei dieser entwaffnenden Logik musste sich Perdu ein Lächeln verkneifen. »Meine Allergie, wie du sie nennst, ist auf den ersten Blick vielleicht nur die schlechte Angewohnheit eines verstockten Menschen. Es ist für mich … eine Entfremdung. Von sich, in erster Linie, und dann von der Präsenz anderer. Menschen reden übereinander, aber nicht miteinander. Sie bewerten mehr, hören weniger zu, kaufen oder besprechen Bücher, um andere zu beeindrucken, statt sich selbst zu beeindrucken, und …«

»Tolstoi«, sagte Max.

»…?«

»Murakami. Hustvedt. Allende. Rushdie.«

»Was wird das, das Literarische Quintett?«

»Du hast alle Lebenswelten, die je in Büchern auf achthundert Seiten beschrieben wurden, manchmal in einem einzigen Thread. Das sind die Dialog-Stränge, die sich unter einem Post entwickeln, ja?«

»Übertreib’s nicht mit deinem ›ich bin so jung und du so überholt‹, ja? «

»Ich mein ja nur. Hier, schau« – Max reichte Perdu sein Smartphone und übernahm das Steuer. »Ein Schriftsteller macht eine Bemerkung auf Twitter oder Facebook. Politisch oder gesellschaftlich oder beobachtend oder lyrisch, völlig egal. Daraus ergeben sich Unterhaltungen, von Menschen, die sonst nie miteinander in Kontakt kommen. Was sie sagen, wie sie es sagen, ist … ist wie ein Lichtfleck aus einem Café, der nachts auf eine dunkle Straße fällt. Plötzlich kannst du in Köpfe gucken, und du siehst Romane, Gedichte, du hast das ganze Leben vor dir ausgebreitet. Du liest ein Buch, das das Leben direkt vor deinen Augen schreibt. Menschen werden ent fremdet, verstehst du, sie werden von Fremden zu Bekannten, zu Freundinnen. Die Figuren schreiben sich selbst, und du siehst auf einmal die Bewegung der Welt in Echtzeit, es ist eine reale Poetik, wie Sprache sich verändert, nicht erst, wenn später jemand darüber schrei…«

»Ich kann das ohne Lesebrille nicht lesen.«

»Und der Zufall«, dozierte Max weiter. »Der Zufall, der des Lebens Dirigent ist, der wird sichtbar, sofort: Nie weißt du, was du lesen wirst, was dich inspiriert, was dir eine Fügung ist. Nicht du suchst aus, was du wissen willst, das Schicksal spielt dir zu, was du wissen sollst. Das da«, er zeigte auf sein Smartphone, »das ist das Leben. Diese Art zu schreiben und zu lesen wird uns mehr verändern als jede Literatur zuvor.«

Perdu hatte das dringende Bedürfnis, Max über Bord zu werfen. Stattdessen gab er ihm vorsichtig das Gerät zurück.

»Du hast siebzehn Likes für ein Foto von der Tomatensuppe. Damit ist der Prix du roman populiste nicht mehr fern.«

Ingrimm, Schweigen, hochgezogene Augenbrauen.

Mehr verändern als jede Literatur zuvor, dachte Perdu, herrje .

Gut, in einem ähnelte das Lesen im Internet dem Lesen in Büchern; tat man es inbrünstig und täglich über Stunden, war es, wie sich immer tiefer im Wald zu verlaufen. Man lebte in den Köpfen der anderen und traf, je mehr man las, immer und wieder neue, andere Leute und Ansichten und Prinzipien und Lebensformen und erkannte sich in tausend Spiegelstückchen ein bisschen genauer.

Nur mit einem Unterschied: Bücher werteten nicht. Sie vergaben keine Daumen hoch oder runter für das, was man dachte, während man sie las. Und der einzige Gesprächspartner war man selbst, in einer innigen Intimität und Ehrlichkeit. So vieles, was geschrieben und wieder gelöscht worden war. Perdu hatte es gesehen, an den unbearbeiteten Manuskripten: Manchmal stand da mitten in der Geschichte ein Schrei. Ein Schmerz, ein Sehnen, ein Hass. Den die Autorin oder der Autor unbedingt vor sich sehen wollte. Ihn einmal herauslassen. Einmal die Mutter eine verlogene Sadistin nennen. Einmal sich selbst umbringen und andere weinen hören. Sich Ohrfeigen geben, um wach zu bleiben.

Und dann wieder löschen, weil es nicht darum ging, »ich« zu sein. Sondern um die Geschichte, ein Thema, in das man sich über Jahrzehnte lebend und hassend und liebend und schweigend vertieft hatte. Es ging nie um Meinung, an die sich ein Thread anderer Meinungen anklammern sollte, um der eigenen Befindlichkeit Gewicht zu verleihen.

Und die meisten Schriftstellerinnen und Autoren hatten auch meist kein digitales Like-Publikum vor Augen, wenn sie schrieben (oder? Hatten sie doch? Hoffte Perdu zumindest, dass sie für die Geschichte selbst schrieben. Für niemanden schrieben außer für das Buch); wenn sie etwas erzählten, was sie so weder ihrer Mutter noch der Partnerin, noch der Welt auf Twitter zumuten würden, eben weil es Dinge gab, die nur Bücher wahrhaftig berichten können. So, bums, aus, keine weitere Diskussion, Neuland, Schneuland!

»Geschichten sollten für niemanden sein! Geschichten, die im Internet niemand erzählt, weil sie zu schmerzhaft, zu persönlich, zu uneitel sind. So sind Bücher! Das Internet kann ihnen nicht mal im Ansatz ähnlich sein!«, rief er.

»Ach ja? Und Sartre. Stell dir bloß man Sartre vor, wenn er einen Twitteraccount hätte«, begann Max.

»Nein, lieber nicht, das wäre die Hölle.«

»Oder Gertrude Stein, wäre es nicht fantastisch? Fluten würde sie es mit Sie tat was sie tat wenn sie arbeitete tat sie was sie tat. Anaïs Nin! Sie würde öffentlich Tagebuch führen, über ihre Lust und Not und Mitgefühl, sie würde sich zerfleischen und die Welt mit ihr, und es hätte die Frauenbewegung viel früher gegeben.«

»Ach ja. Und würde es Foster Wallace je geschafft haben, diesen Satz zu schreiben, »Es wird dich sehr viel weniger interessieren, was andere über dich denken, wenn du erst einmal realisierst, wie selten sie es tun« – denn teilt nicht jede jedem mit, was er oder sie über jemanden denkt? Ist nicht alles Daumen hoch oder runter, ein jeder im Internet ein Cäsar, so versessen auf den Daumen, wert und unwert?«

»Dein Daumen runter ist jetzt nicht gerade zu überhören. Übrigens: Saramago hat ein Blog geschrieben. Mit Anfang achtzig.«

Jean Perdu fühlte sich auf einmal außerordentlich unsicher. Vielleicht war er tatsächlich einfach so abgelaufen wie etwas streng Riechendes, das jemand im Kühlschrank, ganz hinten, ganz unten, vergessen hatte.

Max und er schwiegen sich hilflos an, tarnten dies unter ausdruckslosen Mienen und Geschäftigkeit und legten einige Stunden später im Hafen von Roquemaure an, erwartet von einer Handvoll Menschen, die ihnen entgegenschauten, als wären sie Heimkehrer von einer langen Reise über das alte Meer und brächten Neues aus der Welt.

* *

Da die meisten der Menschen am Quai sich um Max ringten – etwas, das der junge Kinderbuchschriftsteller, der seit seinem ersten und einzigen Erwachsenenroman »Die Nacht« immer noch einen gewissen Ruf bei Menschen weiblichen Naturells besaß, sichtbar genoss, war Jean Perdu mit der einzigen an Max desinteressierten Kundin allein.

Eine kerzengerade Frau, salzweißes Haar, pfeffergraues Kostüm, Augen so glänzend und dunkel wie Schattenmorellen. Sie redete mit ihren Augenbrauen und Zeigefingern. Alle drei stets mit dem typischen französischen »Tststs« erhoben.

»Sie führen also diese Buchapotheke. Eine … nun ja, interessante Auswahl haben Sie. Braucht man dafür denn nicht wenigstens eine grundmedizinische Ausbildung?«

Das Misstrauen in dem Wörtchen »interessant« war nicht zu überhören. In Gedanken rubbelte Monsieur Perdu sich die Finger warm.

Noch rasch eine Gegenfrage – »Und wie lang haben Sie an der Universität gelehrt?«

Sie stutzte. »Vierundvierzig Jahre, ich war eine der jüngsten Dozentinnen für Germanistik jemals, woher wussten Sie …?« – »Ich habe das Lernen immer gemocht, bei Lehrenden, die darin aufgingen, die Welt für mich größer zu machen. Diese Menschen, die Welterweiterer, sind gut zu erkennen, meist an ihrem Blick. Sie haben diesen Blick, Madame. Und so lernt man, was ich tue. Ich würde ansonsten nicht mal wissen, wie rum man ein Stethoskop hält.«

Das war nicht gelogen, und unter dem Salzhaar wurde es rosenrot, und kleine Blitze entluden sich in ihren Augen.

»Ich war auch ungewöhnlich verliebt in Wissen«, sagte sie. »Zu meiner Zeit war das mindestens so unkonventionell für eine Frau, wie nicht heiraten zu wollen, oder wenn, dann einen Berber. Und es brachte ebenso viele Probleme mit sich. Was mir das Wissen umso attraktiver machte und mich zu einer obsessiven Liebhaberin des Besserwissens machte, Sie verstehen?«

Wie alt mochte sie sein – etwas über siebzig vielleicht.

Perdu diagnostizierte bei ihr Symptome von Bedeutungsverlust – niemanden mehr zum Korrigieren, Belehren und Benoten – und damit einhergehende Schlafprobleme und Heimatlosigkeit, da die Tage nicht mehr mit Satisfaktion, sondern mit dem Versickern all ihrer einstigen Kenntnisse und Talente ausgefüllt waren. Ihre Quelle strömte, sie war ein Fluss – doch kam nirgends an. Ihre Reichhaltigkeit fand keine Anerkennung mehr. Sie war in jenes Exil Namens »a.D.« gesandt worden, eine Vertriebene aus dem so lang belebten, gewohnten Land ihres Berufes, der auch ihr Leben gewesen sein mochte.

»Und wussten Sie immer, warum Sie wissen wollten?«

Sie sah ihn gespielt schockiert an. »Oh, Sie gefährlicher Mann. Stellen Sie jeder Kundin solche intimen Fragen?«

»Ich versuche es, ja. Zu intim? Ich bin ziemlich außer Übung.«

Sie überlegte. »Früher wollte ich wissen, um meine Bedeutung in der Welt zu erfahren. Dann, um mich sicher zu fühlen. Zu wissen, was richtig ist. Ein sinnloses Unterfangen, ich weiß, denn richtig oder falsch sind oft nur Perspektiven oder auch nur Gesellschaftsphänomene. Dann wollte ich unglaublich gern Männern, die mir die Welt falsch und langatmig erklären, über den Mund fahren können. Und irgendwann … irgendwann hatte ich es genossen. Ich hatte die Welt durchschritten, auch wenn ich dabei oft nur las oder zuhörte, statt selbst zu reisen.«

Sie lächelte zum ersten Mal. »Nun, Herr Apotheker? Was verschreiben Sie mir?«

Perdu suchte ihr die deutsche Ausgabe von »Nicht sterben« heraus, von Terézia Mora.

Blättern. »Es geht um das Schreiben?«, fragte sie. »Dabei suche ich ein Buch, das schon fix und fertig ist, nicht eins, das ich erst selbst zusammenbasteln muss, Monsieur.«

»Ich könnte mir vorstellen, es gäbe noch viel zu sagen … manchmal muss man den Kopf am Tag leeren, sonst hört er nicht auf zu reden, wenn man im Bett liegt«, sagte Perdu.

»Ist das so«, sagte sie spitz. Aber die Spitze vibrierte ein wenig.

Er ließ ihr Zeit, sich zu drücken und andere Bücher zu betrachten. Am Ende kaufte sie Mora.

»Ich wusste nicht, dass mich die Aussicht, selbst zu schreiben, so fröhlich stimmen könnte. Wie haben Sie das gemacht?«

»Mein Stethoskop benutzt. Es ist allerdings unsichtbar. Und ich bin ziemlich froh, dass es noch funktioniert.«

Sie lachte hell auf und stellte Perdu beim Bezahlen nur noch eine einzige Frage: »Warum haben Sie eigentlich keine Webseite? Ich würde gern öfter was von Ihnen kaufen, auch wenn Sie nicht gerade hier anlegen.«

Verführerisch einfach wäre es, jetzt etwas dahinzulügen. Nicht dazu gekommen, wird noch, murmelmurmel, und so weiter.

Aber da die Salz-und-Pfeffer-Frau sich mit so viel Grazie auf seine Buchempfehlung eingelassen hatte, so selbstverständlich ehrlich zu ihm gesprochen, da konnte Perdu nur zugeben: »Ich habe Angst, dass ich mich überflüssig mache. Wer braucht schon einen Buchhändler, wenn er einen Bildschirm hat? Wer weiß schon, dass Buchhändler nicht das empfehlen, was man will, sondern was man braucht – und von dem man gar nicht weiß, was es ist. Ich bin für blinde Flecken zuständig.«

»Ah«, sagte sie. »Und Sie haben Sorge, ebenfalls in den blinden Fleck zu geraten und in Ihrer Existenz übersehen zu werden. Weil Menschen inzwischen tatsächlich einen Bio-Adapter haben, eine Maschine, die all ihre Wünsche erfüllt, niemand muss mehr aus dem Haus gehen, und schon gar nicht zu einem sehr speziellen Buchhändler, der deutlich intimer agiert als ein handzahmes Bestellportal.«

Sie nahmen sich Zeit, einander in die Augen zu schauen. Zwei Menschen, die schon länger gelebt haben als andere, die eine, die sich in ihrem Exil demnächst eine neue Heimat zu schaffen bereit war, der andere, den es jetzt heiß durchströmte, dass er vielleicht doch zu spät dran war. Dass die Welt längst beweglicher, digitaler geworden war, neue Themen, andere Maladien der Seelen, von denen er noch nie gehört hatte – das Warten-aufs-blaue-WhatsApp-Häkchen-Syndrom oder der Twitter-Kater oder die Like-Manie –, und ihn nicht mehr brauchte, ach, gar nicht wollte! Algorithmen empfahlen Bücher, viel treffsicherer, nur er wusste es noch nicht.

»Sie haben Oswald Wiener gelesen. Und seine Notizen über den Bio-Adapter, der auf Kommando alle individuellen Bedürfnisse befriedigt.«

»Ah«, sagte sie wieder. »Natürlich. Es ist zur Abwechslung äußerst angenehm, wenn jemand weiß, woher man seine Gedanken hat.« Kafka, der inzwischen gut genährte dunkle Streuner, drückte sich an sie. Vorsichtig ging sie in die Knie und liebkoste ihn zwischen den Ohren.

Diskret half Perdu ihr, sich wieder aufzurichten; die kleine Geste hatte ihren gelebten Knochen doch größere Anstrengung abverlangt. Sie hielten sich einen Moment an der Hand, der Buchhändler und die Dozentin a.D., während sie sagte: »Jede neue Wissenschaft bringt neues Unwissen mit sich. Das ist das Schöne daran. Jede neue Erkenntnis beginnt mit einem: Ich weiß nicht. Wenn wir uns aber erinnern, daran, dass wir schon einmal glücklich gewesen waren an Orten, ohne es vorher zu wissen, dann dürfen wir auch darauf vertrauen, dass im Unwissen auch ein solcher Ort wartet. Man muss einfach nur losgehen. Dann wird er einem schon begegnen, dieser Ort, wo mehr Glück als Sorge ist.«

Sie ging, und Jean lauschte dem Ton nach, der ihre Worte in ihm aufgefaltet hatte.

Er schloss die Augen, er bewegte sich nicht, er lauschte nur.

Er sollte sich besser damit anfreunden, dass er an viele unbekannte Dinge stoßen würde.

 

»Du bist verbuscht«, sagte Catherine später am Telefon, »völlig aus der Lebensübung.«

»Ja, danke. Und du?« Was sie tat?

»Mich ausstrecken. Ich wusste nicht mehr, dass es auch schön sein kann, allein zu sein und jeden Winkel zu besetzen, ohne an dich und deine Stimmungen zu stoßen. Ich stehe zum Sonnenaufgang auf und bin müde, wenn die Sonne untergeht. Ich denke nach. Ich studiere Rodins Techniken. Ich frage mich, ob ich je mehrere Jahre Geduld aufbringen könnte, an einer einzigen Skulptur zu arbeiten. Ich schlafe auf deiner Bettseite, und manchmal weiß ich nicht, wie ich liegen soll und wo ich leben will, und ich habe noch ein Hemd gefunden, das nach dir riecht. Du riechst schön, und manchmal weine ich, weil du nicht da bist, und ich bin glücklich, dass ich aus Liebe weine, nicht aus Kummer. Und Dario ist nicht zufrieden mit mir, ihm fehlt Lektüre, ich gebe ihm immer die falschen Sachen. Wir schnitzen ab und an was zusammen. Du fehlst ihm.«

»Du fehlst mir.«

»Ich fehle dir manchmal, und du mir manchmal, aber du weißt, dass ich da bin, und ich weiß das auch. Deswegen können wir gut allein sein.«

»Bist du wirklich so ausgeglichen, oder tust du nur so?«

»Ich tue nur so«, sagte Catherine.

Er lächelte, und er wusste, sie tat es auch. Lächelnd, schweigend am Handy.

Vom Schreiben

Ganz selten, und man darf diesen Moment nicht verwechseln mit einem anderen, kleineren, launischen – da begegnet die Literarische Pharmazeutin jemandem, der ausgelesen hat. Nahezu widerwillig wird hier und da ein Buch in die Hand genommen, vielleicht sogar fiebrig darin geblättert und dann enttäuscht beiseitegelegt.

Nichts reizt, das meiste stößt ab, es ist eine große Ungeduld in Ihrem Gegenüber.

Was ist das?

 

Das ist der Moment, in dem manche Menschen beginnen, Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu werden. Wenn sie nirgends das Buch finden, das sie lesen wollen, nicht so geschrieben, wie sie es sagen würden, nicht so gewichtet, was ihnen wichtig ist. Es erzählt nicht das, was sie sich selbst erzählen wollen.

Geradezu wütend werden die schönsten, wichtigsten, erstaunlichsten Bücher abgewiesen, und diese Unruhe!

 

Für solche Anlässe versteht es sich von selbst, eine Auswahl von Schreibheften, Notizbüchern und Kladden parat zu haben, denn vor Ihnen steht keine Leserin, kein Buchkäufer. Vor Ihnen steht ein Autor, eine Autorin, der und die nur noch einen winzigen Anlass brauchen, um das Buch zu schreiben, das sie nirgends sonst finden.

Geben Sie ihr oder ihm Terézia Mora mit oder Stephen King, A.L. Kennedy oder Dorothea Brande.

 

Und vielleicht den Rat, dass man vor allem einen guten Stuhl und die richtige Ecke im Haus braucht; vor allem die, manche schreiben leichter im Keller, andere am Küchentisch. Es ist ein Ort, der der Magie zugeneigter ist als andere, und es hilft, wenn einem niemand ins Gesicht schaut, während man in sich hineintaucht und all das Wahre, das Geheime, das Fremde in sich hervorzieht.

 

Aus: Große Enzyklopädie der Kleinen Gefühle . Nachschlagewerk für Buchhändlerinnen, Buchhändler und andere Literarische Pharmazeuten, Kapitel S .