Achtzehntes Kapitel
Die Türklingel weckte Tom aus dem Schlaf. Joschi lag neben ihm unter der halb heruntergerutschten Bettdecke und schlief mit tiefen Atemzügen. Tom hörte, wie Peter zur Wohnungstür schlurfte. Er ließ mit verquollenen Augen den Blick über den nackten Körper neben sich gleiten, dessen Brust sich ruhig hob und senkte. Schon von diesem Anblick bekam er wieder eine Erektion, die sich unter der Decke bemerkbar machte. Das Zimmer war kühl, also zog er die Decke über Joschi, bevor er nach dem Handy tastete, das irgendwo am Kopfende der Matratze liegen musste. Es war halb neun. Viel zu früh für Besuch an einem Sonntagmorgen.
Von der Wohnungstür hörte er jetzt eine Männerstimme, die aufgeregt auf Peter einredete. Tom brauchte einen Moment, bis er sie erkannte. Sein Vater! Sofort war er hellwach. Was machte der denn hier? Er sprang auf die Füße, um sich irgendwas anzuziehen. Joschi drehte sich seufzend auf die Seite und blinzelte ihn an.
»Mein Vater ist da!«, wisperte Tom ihm zu.
Joschi sah ihn erst verständnislos an, dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er richtete sich auf.
In diesem Moment flog die Zimmertür auf und Toms Vater stürmte herein. Tom stand nackt und mit einer Erektion auf halbmast mitten in seinem Zimmer und starrte seinen Vater an. Der stoppte mit entsetztem Gesichtsausdruck kurz vor seinem Sohn.
»Papa!«, rief Tom. »Was machst du hier?«
Sein Vater sagte kein Wort. Er war wie erstarrt. Dann fiel sein Blick auf Joschi, der sich die Bettdecke bis zum Hals heraufzog. Eine Zornesfalte bildete sich auf seiner Stirn.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so tief sinken kannst«, schnauzte er Tom an. »Was denkst du dir denn dabei?« Dann
sah er Joschi noch einmal an. »Und von dir hätte ich auch nicht erwartet, dass du meinen Sohn verführst.«
Peter stand im Türrahmen und machte eine entschuldigende Geste. »Ich habe versucht, ihn aufzuhalten«, sagte er. »Tut mir leid.«
Wütend drehte sich Toms Vater zu ihm herum und zischte: »Sie halten sich da raus. Das ist eine Familienangelegenheit.«
»Papa! Du kannst hier nicht einfach so reinplatzen«, versuchte Tom, die Situation zu retten. »Das ist nicht dein Haus.«
»Mir ist völlig egal, ob das mein Haus ist oder nicht. Du packst sofort deine Sachen und kommst mit. Los jetzt!«
Fassungslos sah Tom seinen Vater an. Dann schüttelte er den Kopf. Er bückte sich nach seiner Unterhose und zog sie über, fischte seine Jeans aus einer Ecke und fand sogar sein T-Shirt. Joschis Klamotten legte er ihm auf die Matratze.
»So geht das nicht. Ich bin erwachsen und du kannst mir nichts mehr vorschreiben.«
Er trat auf seinen Vater zu und versuchte, ihn aus seinem Zimmer zu schieben. Doch der schlug Toms Hände zur Seite.
»Hast du dir mal überlegt, was unsere Nachbarn über uns denken, wenn herauskommt, was du hier machst?«
Er blickte sich im Zimmer um. Tom war das ein bisschen peinlich, weil es total chaotisch aussah. Er hatte außer dem kleinen Tisch, einem winzigen Regal und dem Stuhl immer noch keine richtigen Möbel, sodass sich seine Klamotten in der Ecke stapelten, auf dem Fußboden waren Bücher und Kopien für die Uni verstreut und eine leere Bierflasche war unter den Heizkörper gerollt. Toms Vater stöhnte und legte die Finger an die Nasenwurzel.
»Was haben wir bloß mit dir falsch gemacht? Sobald wir nicht mehr auf dich achten, drehst du völlig durch.«
Peter zog sich leise in den Flur zurück und ging in die Küche. Tom hoffte, dass er Kaffee machen würde. Denn den brauchte er jetzt dringend, um wach zu werden. Joschi bewegte sich hinter ihm und aus den Augenwinkeln sah Tom, dass er sich anzog. Auch für ihn war das hier eine Katastrophe. Schließlich kannten ihre Väter sich gut. Und Toms Vater würde Joschis erzkatholischen Eltern sicherlich sofort auf die Nase binden, was er in der Stadt vorgefunden hatte.
»Papa!«
»Du hast uns jahrelang belogen. Deine Mutter und mich.«
»Ich habe euch nie belogen. Bitte, geh jetzt aus meinem Zimmer!«
»Ich lasse mir von dir nicht sagen, was ich tun soll!«
Jetzt reichte es Tom. Er schob seinen Vater vehement vor sich her aus dem Zimmer hinaus und wollte die Tür hinter sich zumachen, doch sein Vater schob sie noch einmal auf.
»Dein Vater wird sich sicherlich freuen, wenn ich ihm erzähle, was du hier mit meinem Sohn machst!«, rief er Joschi zu.
Dann gelang es Tom endlich, die Tür zu schließen, und er stand mit seinem Vater im Flur. Er hörte Peter in der Küche werkeln. Es roch tatsächlich nach Kaffee. Julas Zimmertür öffnete sich einen Spalt weit und Jula sah verschlafen auf den Flur.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie.
»Wie viele von denen leben hier denn sonst noch?«, wetterte Toms Vater in ihre Richtung.
Doch anstatt sich davon abschrecken zu lassen, öffnete Jula jetzt ihre Tür ganz. Sie trug nur ein T-Shirt und einen Slip und sah den aufgebrachten Mann im Flur irritiert an. Tom schob ihn weiter in Richtung Küche.
»Lass uns einen Kaffee trinken und in Ruhe miteinander reden!«, sagte er, weil er nicht wollte, dass seine Mitbewohner in den Konflikt hineingezogen wurden.
»Ich werde in diesem Rattenloch nichts anfassen und du kommst jetzt mit!«, brüllte sein Vater.
»Jetzt halt einfach mal die Klappe!«, fuhr Tom ihn an. »Du bist hier nicht zu Hause und ich gehe nirgendwo mit dir hin.«
Peter blickte besorgt aus der Küche heraus.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte er.
Wutentbrannt wandte sich Toms Vater zu Peter um.
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie sollen sich da raushalten!«
Peter zuckte zusammen und für Tom war klar, dass er eine Entscheidung treffen musste. Sein Puls raste. Dann straffte er die Schultern, ging zur Wohnungstür und zog sie auf.
»Raus!«, sagte er ruhig, aber bestimmt.
Erstaunt sah ihn sein Vater an. »Du wirfst mich raus?«
»Ja, ich werfe dich raus.« Tom holte tief Luft. »Und wenn du nicht sofort verschwindest, dann rufe ich die Polizei.«
»Das wagst du nicht!«
»Peter!«, rief Tom in Richtung Küche. Der stand immer noch im Türrahmen. »Ruf die Polizei!«
»Okay«, antwortete er trocken und zückte sein Handy.
»Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!«, brach es aus Toms Vater hervor. »Du bist immer noch mein Sohn!«
Tom pulsierte das Herz bis in die Kopfhaut. Aber er wollte nicht mehr zurück. In der Küche hörte er Peter telefonieren. Er wusste, dass er nicht allein war.
»Ich bin dein Sohn und nicht dein Eigentum. Ich bin erwachsen. Und du verschwindest jetzt sofort!«
Er hielt dabei weiterhin die Wohnungstür auf. Peter kam in den Flur, das Handy hatte er noch in der Hand.
»Die Polizei ist unterwegs«, sagte er und verschränkte die Arme.
»Raus!«, wiederholte Tom äußerlich ruhig, während in ihm ein Sturm tobte.
Sein Vater fiel in sich zusammen. Er warf Tom einen verzweifelten Blick zu, setzte dann aber einen Schritt in Richtung Tür.
»Tom«, sagte er jetzt fast bittend, »überleg genau, was du jetzt tust.«
Tom schüttelte den Kopf und blieb an der offenen Tür stehen, die Augen fest auf seinen Vater gerichtet. Der nickte fast unmerklich und verließ die Wohnung. Tom drückte hinter ihm die Tür ins Schloss. Dann sah er in den Flur seiner WG. Peter hatte die Arme erleichtert sinken lassen, Jula lehnte an der Wand neben ihrem Zimmer und seine eigene Zimmertür öffnete sich jetzt vorsichtig. Joschi sah ihn mit entsetztem Blick an.
In diesem Moment begann Tom zu zittern. Erst seine Hände und sein Kiefer, dann nach und nach der gesamte Körper. Die Tränen schossen ihm in die Augen und er konnte nicht mehr aufrecht stehen. Er stolperte mit geschlossenen Augen rücklings gegen die Wand und rutschte langsam daran herunter. Peter, Jula und Joschi stürzten gleichzeitig auf ihn zu.
Tom heulte sich den ganzen Frust und die Angst aus den Augen. Er zitterte und fühlte sich so elend wie noch nie in seinem Leben. Er hatte seinen Vater vor die Tür gesetzt. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Was hatte er getan? Aber was hätte er denn sonst tun sollen?
Jula nahm ihn fest in die Arme. Sie tat nichts anderes, als ihn festzuhalten. Lange saßen sie so auf dem Fußboden des Flurs, bis Tom sich ein wenig beruhigt hatte, das Zittern nachließ und die Tränen nicht mehr flossen. Irgendwann hob er den Kopf und sah Joschi vor sich stehen. Dem stand der Schock noch in den Augen. Peter hatte die Hand auf Joschis Schulter gelegt und den Blick mitfühlend auf Tom gerichtet. Und in diesem Moment wurde Tom klar, was er gewonnen hatte, indem er in die Stadt gezogen war. Freunde. Menschen, die zu ihm standen, ganz egal, wer er war und was er tat.
Jula zog ihn hoch und wischte ihm die Tränen und den Rotz mit ihrem T-Shirt ab. Und dann lächelte sie.
»Ich bin verdammt stolz auf dich«, sagte sie leise und nahm ihn erneut in die Arme.
Ein neuer Schub an Schluchzern und Tränen überrollte Tom. Aber jetzt fühlte sich das anders an. Er war tief gerührt, und als er Jula nach einer Weile in die Augen blickte, wurde er von einer Welle aus Zuneigung überrollt.
»Kaffee?«, fragte Peter und verschwand in der Küche.
Jula ließ Tom los und der bemerkte Joschis unverändert verstörten Gesichtsausdruck. Was hatte er getan? Joschi war bei seinen Eltern bestimmt nicht geoutet. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber Tom kannte Joschis Eltern. Sie waren streng katholisch und würden einen schwulen Sohn nicht tolerieren.
»Es tut mir leid«, murmelte Tom.
Doch Joschi zog ihn fest zu sich heran. Tom spürte die Wärme seines Körpers, er roch den Schlaf, der noch in seinem T-Shirt hing, er hörte ihn atmen. Und er fühlte sich geborgen.
»Das braucht dir nicht leidzutun«, murmelte Joschi ihm ins Ohr.
»Was, wenn er das wirklich deinen Eltern erzählt?«
Joschi zuckte mit den Schultern. »Irgendwann werden sie es sowieso erfahren. Dann eben so. Der Einzige, der sich entschuldigen muss, ist dein Vater.«
Er drückte Tom noch einmal an sich und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. Tom legte ihm seinerseits die Arme um den Körper und hielt ihn fest. So verharrten sie eine Weile ineinander verschlungen. Er nahm einen tiefen Atemzug. Da schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
»Was ist mit der Polizei?«, fragte er Peter, der gerade mit zwei dampfenden Kaffeetassen aus der Küche kam.
»Ich hab da schon angerufen und gesagt, dass sie nicht kommen brauchen.«
»Danke.«
Kurz darauf saßen sie zu viert am Küchentisch. Joschi rauchte eine Zigarette und schien tief in Gedanken versunken. Tom betrachtete ihn schweigend. Jula und Peter waren mit ihren Handys beschäftigt. Ruhe zog in Toms Herz ein. Hier war er jetzt zu Hause. Das alte hatte er hinter sich gelassen. Und obwohl er die Menschen an diesem Tisch zum Teil erst seit Kurzem kannte, war er sich sicher, dass er sich auf sie alle verlassen konnte.
»Und nun?«, fragte er nach einer Weile.
Joschi tauchte aus seinen Gedanken auf und wandte sich ihm zu.
»Seid ihr jetzt doch zusammen?«, fragte Jula neugierig.
Tom und Joschi sahen sich an. Joschi griff nach Toms Hand und drückte sie. Sie blickten sich in die Augen und sie verstanden sich, ohne miteinander zu sprechen.
»Ich könnte nie mit einem Mann zusammen sein, der seinen armen alten Vater vor die Tür setzt«, sagte Joschi mit gespieltem Ernst.
»Und ich würde niemals eine Beziehung mit einem Mann führen, der sich vorsätzlich volllaufen lässt, nur um bei einem Typen in die Kiste steigen zu dürfen.«
Dann brachen sie in ein befreiendes Lachen aus. Peter und Jula starrten sie einen Moment lang verständnislos an. Doch dann lachten sie mit.
»Ich geh mal zum Bäcker«, sagte Jula und erhob sich. »Irgendwelche besonderen Wünsche?«
»Champagner!«, sagte Joschi.
Eine halbe Stunde später saßen sie am üppig gedeckten Frühstückstisch. In abgestoßenen Weingläsern unterschiedlicher Größe perlte billiger Sekt aus dem Kiosk an der nächsten Ecke. Sie stießen an und der Alkohol pulsierte sofort durch Toms Körper.
»Junge, Junge!«, sagte Peter schließlich. »So stelle ich mir ein anständiges Coming-out vor.« Er blickte zwischen Tom und Joschi hin und her. »Das macht ihr aber jetzt nicht jeden Sonntag so, oder?«
»Keine Sorge«, entgegnete Tom.
Nach dem Frühstück spürte Tom die Erschöpfung in den Knochen. Er hatte gestern – mal wieder – zu viel getrunken, die Nacht war einfach zu kurz gewesen und der lautstarke Streit mit seinem Vater hatte ihn Kraft gekostet. Jula und Peter räumten den Küchentisch ab, während sich Tom und Joschi ins Zimmer zurückzogen und sich ihrer Jeans und T-Shirts entledigten.
Sie standen etwas befangen voreinander und sahen sich an. Trotz der Müdigkeit hatte der Sekt eine leicht aufputschende Wirkung auf Tom und in seiner Boxershorts rührte sich eine Erektion. Als er den Blick senkte, sah er, dass es Joschi genauso ging.
Joschi räusperte sich.
»Wie war das jetzt mit Mitbewohnern und guten Freunden?«, fragte er.
»Vielleicht muss man an denkwürdigen Tagen mal eine Ausnahme machen«, antwortete Tom.
»Und wie sieht die aus?«
Tom streifte seine Shorts ab und stand nackt vor Joschi.
»So in etwa«, sagte er.
Joschi verzog die Lippen zu einem Grinsen.
Da ließ auch Joschi seine Shorts auf den Boden rutschen und trat einen Schritt auf Tom zu. Die Eicheln ihrer Schwänze berührten sich leicht und Tom fühlte eine tröstende Wärme von den Zehen bis in die Kopfhaut rauschen. Er betrachtete die beiden Erektionen zwischen sich und hob dann den Blick, um Joschi anzusehen.
»Freunde?«, fragte er.
»Freunde.«
Joschi nahm ihn an der Hand und zog ihn auf die Matratze herunter. Er legte Tom auf den Rücken und deckte ihn mit seinem warmen Körper zu. Sie lagen eine Weile ruhig aufeinander, bis Tom die Arme hob und sie sanft über Joschis Rücken wandern ließ. Er strich von den Schultern über den Rücken bis zu dem schmalen Hintern, er hob sein Becken leicht an und ließ es vorsichtig kreisen. Joschi sah ihm in die Augen und senkte dann seine Lippen auf Toms Mund herab. Der Kuss war zärtlich und zugleich fordernd, er machte Tom mit jedem Atemzug gieriger, aber sie blieben aufeinander liegen. Sie streichelten sich und küssten sich immer wieder. Sie bewegten ihre Becken sanft auf und ab, von rechts nach links. Sie rieben sich aneinander und hauchten sich ihren heißen Atem in die Ohren. Tom spürte, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte, und schlug die Augen auf, die er eine Weile genussvoll geschlossen gehalten hatte. Joschi hob den Kopf ein wenig an, sodass sie sich ansehen konnten. Tom meinte, in seinen Augen Tränen zu entdecken. Ein angenehmes Prickeln und Ziehen wanderte durch seinen Schwanz, vom Schaft bis in die Spitze der Eichel. Kurz bevor er leise sagen wollte, dass er gleich kam, zuckte Joschi leicht zusammen. Tom spürte den warmen Samen auf seinen Bauch schießen, während Joschi seinen Körper anspannte. Und dann kam Tom selbst. Heiße Ströme durchzuckten ihn. Das Sperma schoss aus der Tiefe seines Körpers, durch den Samenleiter bis zur Schwanzspitze und deckte seinen Bauch mit seiner Wärme zu. Der Orgasmus ließ sein Becken und den Hintern erzittern. Er bestand für einen Moment nur aus Lust und Befriedigung. Sein Körper schien nicht aufhören zu wollen, in leichten Konvulsionen zu zucken. Dann war es vorbei.
Er atmete mit einem leisen Stöhnen aus. Das Zucken hielt noch an, wurde seltener und leichter, während sie noch eine Weile behaglich aufeinanderlagen, bis sich Joschi vorsichtig von
Tom herunterwälzte, die Decke über sie beide zog und sich auf der Seite liegend mit dem Rücken an ihn schmiegte. Tom legte einen Arm um Joschi, strich über das klebrige Sperma auf dessen Bauch und versenkte sein Gesicht in den weichen Nacken.
Sie schliefen, bis es draußen dunkel wurde.