J ayden Kennedy kam es vor, als wären Julie und er den ganzen Tag wie die Ameisen hin- und hergehetzt und hätten sich auch noch um das letzte Detail gekümmert, bevor sie das Haus dem Domiluxe-Mieter übergeben mussten.
Julie wischte zum letzten Mal mit einem angefeuchteten Papiertuch den leeren Kühlschrank aus. »Ich denke, wir sind fertig«, verkündete sie. »Bereit für den Einzug.« Auf ihren mit rotem Lipgloss geschminkten Lippen erschien ein breites Lächeln, während sie eine Strähne ihres strohblonden Haars in den lockeren Pferdeschwanz zurücksteckte.
Die Domiluxe-Standards erforderten, dass das Mietobjekt Fünf-Sterne-Bedingungen zu entsprechen hatte. Dazu gehörte, dass sämtliche persönlichen Gegenstände, Kleidung, Fotos, Hygieneartikel, in einem Gästezimmer zu verstauen waren, das abgesperrt blieb. Er war nicht bereit, für einige wenige Miettage einen kleineren Umzug auf sich zu nehmen. Daher hatte er sich sehr gefreut, als die Person, die sich Helen nannte, bestätigte, dass sie das Anwesen für ganze vier Wochen mieten wolle.
Obwohl die Domiluxe-App »Sicherheit und Anonymität auf Geheimdienstniveau« für »anspruchsvollste Mieter und Vermieter« versprach, hatte er während ihrer Online-Korrespondenz doch einiges über seine Mieterin in Erfahrung gebracht. Sie war Schriftstellerin und kurz vor der Fertigstellung ihres zweiten Romans, für den sie zum ersten Mal einen Abgabetermin einzuhalten hatte. Laut ihrer Aussage war es doch schwieriger als erwartet, in einem Jahr ein Buch zu schreiben, wenn man zudem Mutter zweier Teenager war. Ihr Mann hatte ihr deshalb vorgeschlagen, sich zum Schreiben zurückzuziehen – eine Flucht sowohl vor der sommerlichen Hitze in Atlanta als auch vor den täglichen Ablenkungen, die das Schreiben hemmten. Daher hatte sie beschlossen, dass sich nichts besser dafür eignete als die angeblich »grünste Stadt in Connecticut«, die nur zwei Autostunden vom LaGuardia Airport entfernt lag.
Jayden sperrte das Gästezimmer mit seinen persönlichen Sachen ab, während Julie vor den deckenhohen Fenstern im Wohnzimmer stand.
»Ich verstehe, warum das hier der perfekte Ort ist, um ein Buch zu schreiben«, sagte sie und sah hinaus auf sein gut drei Hektar großes, bewaldetes Grundstück. »Von hier aus ist keine Menschenseele zu sehen. Aber ich glaube, ich hätte Angst, wenn ich so ganz allein wäre.«
Er legte ihr den Arm um die Hüfte und drückte sie leicht. »Weil du zu viele Krimis gelesen hast und deine Fantasie gelegentlich mit dir durchgeht.«
Sie zog ihre sommersprossige Nase kraus. »Ein bisschen vielleicht.«
Oh, wie liebte er sie. Er freute sich über die zusätzlichen Einnahmen durch die Vermietung, noch mehr aber freute er sich, fast einen Monat lang mit dieser fantastischen Frau unter einem Dach zusammenleben zu dürfen. Er hoffte, damit den Weg zu einer dauerhafteren Beziehung zu ebnen. »Willst du damit sagen, dass du niemals hier leben könntest?«, fragte er.
»Hmmmm.« Sie legte den Zeigefinger ans Kinn und tat so, als würde sie lange nachdenken. »Ich denke, dass ich dann ja nicht allein hier wäre. Und das wäre dann sehr schön.«
Es würde also klappen. Bald. Er drückte sie noch fester an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ziemlich cool, dass jemand in meinem Haus ein Buch schreibt. Vielleicht schreibt sie am Ende noch darüber.«
»Oder ›Helen‹« – sie malte mit den Fingern die Anführungszeichen in die Luft – »hat alles bloß erfunden und ist in Wahrheit ein verlogener Schuft, der sich nur für ein paar Wochen mit seiner Geliebten verstecken möchte.«
»Du hast wirklich eine wilde Fantasie. Also … bereit für deinen neuen Wohnungsgenossen?« Er sah zu den beiden Koffern an der Eingangstür.
»Ich kann es kaum erwarten.«
Julies Wohnung lag nur zwölf Kilometer entfernt. Als sie sich neben ihm auf dem Beifahrersitz anschnallte, fragte sie, ob sie die neueste Justice-Club -Folge weiter anhören könnten. Sie hatte sie vorhin abgeschaltet, weil sie sich während der Arbeit nicht darauf konzentrieren konnte. Von allen True-Crime-Podcasts war der ihr liebster. Sie hatte sogar bei einer Buch-Signierstunde die Betreiberin Melissa Eldredge kennengelernt.
Er tippte auf das Display im Auto, als er auf den langen unbefestigten Weg einbog, der sie zur Route 7 bringen würde. Melissa und ihr Co-Moderator berichteten von Evan Moores Verschwinden und den Indizien gegen seine Stiefmutter, in Gedanken allerdings war er bei dem Geld, das er durch die Vermietung erhalten und das für den Kauf eines Verlobungsrings reichen würde.
»Was lächelst du denn so?«
Er wandte sich Julie zu.
»Ich bin glücklich. Das ist alles.«