Kapitel 6
T revor Styx war an sich kein schlechter Kerl. Er hatte lediglich ein paar schlechte Entscheidungen getroffen.
Das war praktisch eine Definition dafür, in der Innenstadt jeder großen, amerikanischen Metropole in Armut aufgewachsen zu sein. Nicht, dass er wütend oder verbittert wäre. Es war einfach so, dass er erkannt hatte, dass ihn viele Faktoren hierhergeführt hatten, auf die er keinen Einfluss hatte.
Hätte er zum Beispiel nicht versucht, mit einer Gruppe von Kriminellen in dasselbe Haus einzubrechen, hätte er seine derzeitige Crew nie getroffen. Es war ein merkwürdiger Zufall und zu der Zeit hätte das auch fatal enden können. Die Leute hatten sich als Kriminelle, nicht als Polizisten erwiesen, das war also schon mal etwas.
Und sie hatten so viel mehr gewusst als er. Rückblickend gesehen hätte ihm das allein schon genügen müssen, ihn auf die Art der Einsätze hinzuweisen, die sie durchführten.
Zum Beispiel war das Haus, in das sie zur gleichen Zeit eingebrochen waren – Villa beschrieb es besser – nicht nur das Sommerhaus eines reichen Arschlochs, sondern die Residenz eines echten Drachen.
Tatsächlich hatte er davon keine Ahnung gehabt, aber die anderen drei Typen waren schnell bereit, ihm die Situation zu erklären, nachdem sie ihm eine kleine aber schmerzhafte optische Veränderung verpasst hatten. Sie wussten, was das für ein Ort war und kannten sogar den Namen des Drachen – Ironclaw oder so einen Scheiß. Während er hinter dem Silberbesteck und vielleicht auch hinter Schmuck oder antiken Münzen her war, wussten die anderen über das geheime Versteck des Drachen Bescheid.
Sie hatten sich mit Trevor angefreundet, nachdem er deutlich gemacht hatte, dass er nicht mit dem Drachen, der in dem Haus lebte, zusammenarbeiten würde. Das fiel ihm nicht schwer, da er schon immer gut mit Worten konnte. Tatsächlich war der Umgang mit Worten das Einzige, was er gut konnte.
Die Schlägertypen hatten ihn damals sprichwörtlich unter ihre Drachenflügel genommen und sie hatten sich zum Safe vorgearbeitet, um eine Ansammlung der seltsamsten Scheiße zu finden, die er je gesehen hatte.
Krallen, Zähne, Schuppen – es war, als hätte jemand den Mülleimer aus dem Drachenbad unter Verschluss genommen. Seine neuen Teamkollegen hatten alles mitgenommen, waren aber besonders begeistert von einem Finger – einem waschechten Finger – der aus Gusseisen zu sein schien.
Er hatte einfach versucht, nicht zu viel über all den Mist nachzudenken.
Als sie die Flucht ergriffen und zu ihrem Wagen zurückkehrten, nahm er ihre Einladung mitzufahren an. Sein ursprünglicher Fluchtplan wäre der Stadtbus gewesen, also schien ihm diese Möglichkeit eine Verbesserung zu sein.
Er hatte sich aber so was von geirrt.
Sie trafen den Chef der Truppe im obersten Stockwerk eines schicken Hotels. Anfangs hatte Trevor gedacht, dass er mehr als Glück hätte. Ihr Boss war verdammt heiß, mit tollem Körper, hautengem, schwarzem Kleid und allem was dazugehört. Schwarze Haare hingen über einem ihrer Augen und sie trug dunkelroten Lippenstift.
Sie hatte ihm zugewunken und ihn mit einer so kratzigen Stimme wie Bob Dylan gebeten, näher zu kommen. Auch das reizte ihn. Er hatte ihr erzählt, was passiert war und dass sie den gleichen Ort ausrauben wollten. Ha, ha. Was für ein toller Zufall und so.
Die Frau hatte ein wenig gelächelt und Trevor hätte es fast nicht gesehen. Da traf er ein kriminelles Superhirn und sie mochte ihn!
Sie bat ihn auf den Balkon und Trevor spielte einige Fantasien in seinem Kopf durch. Vielleicht brauchte diese Frau einen richtigen Mann, einen Mann für alle Fälle in ihrem Team. Vielleicht würde sie ihn als Handlanger oder sogar Liebhaber aufnehmen und ihn für diese anderen Schlägertypen und vielleicht auch für ihre Finanzen verantwortlich machen. Er war sicher, dass er ihr ein besseres Angebot im Hotelzimmer hätte unterbreiten können.
Seine Hoffnung auf eine königliche Nacht mit ihr verschwand, als er sah, was sie auf dem Balkon gelagert hatte. Ein ganzes verdammtes Arsenal – mehr Waffen unterschiedlichster Art, als er je gesehen hatte.
Nun, das war nicht ganz richtig.
Es waren hauptsächlich Gewehre und die Art von Zielfernrohren, die man braucht, um das Arschloch einer Motte aus einer Meile Entfernung sehen zu können. Sie nahm eines davon, reichte es ihm und sagte, er solle jemanden finden, der der Stadt Schaden zufügte.
Trevor legte sein Auge auf das Zielfernrohr und versuchte nicht zu zittern, während er durch die Linse blickte. Offensichtlich hatte diese Frau eine Art Moralkodex, der mit seinem zumindest ein wenig übereinstimmte. Sie beraubte Villen – oder Villen von Drachen – und schien zu glauben, dass Waffen ein nützliches Werkzeug seien. Aber was sollte das bedeuten? Jemanden, der der Stadt Schaden zufügte?
Sorgfältig beobachtete er den Boden weit unter sich, während er versuchte zu entscheiden, was als Schaden gewertet werden könnte. Ein Junkie hatte sich in einer Seitengasse versteckt. Detroit hatte in letzter Zeit eine höllische Wachstumsphase hingelegt, aber Junkies gab es immer noch. Jede Stadt hatte ihre Junkies, aber jetzt blieben sie wenigstens in den Hinterhöfen.
Aber, so wertlos dieser Kerl auch war, er hatte der Stadt keinen Schaden zugefügt. Er nahm kaum Platz weg und störte niemanden. Der Kerl sah so fertig aus, dass er nicht mal mehr um Kleingeld betteln würde. Seine Gasse roch wahrscheinlich nach Pisse, aber das war schließlich nicht strafbar.
Seine Suche ging also weiter.
Für einen Moment blieb er an einer Familie hängen. Er hatte seine Mutter geliebt, Gott habe sie selig. Natürlich wollte er dieser da nichts antun.
Ein Feuerwehrauto fuhr vorbei und er suchte weiter.
Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit und er hielt inne. Ein Polizist trat aus einer Bank und unterhielt sich angeregt mit jemandem. Er beobachtete das Gespräch und ein Stirnrunzeln entstand auf seinem Gesicht.
Die Worte konnte er natürlich nicht hören, aber das Verhalten machte ihm klar, was vor sich ging. Der Polizist bekam etwas von dem Banker, etwas, das ihn überaus glücklich machte. Er nahm die Hand des anderen Mannes und grinste, als wäre er in ein Haus eingebrochen und hätte ein Versteck mit Smaragden gefunden.
Der Banker sah nicht mehr ganz so unschuldig aus. Er nickte wissend und schien Ermutigungen auszusprechen. Offensichtlich steckten die beiden unter einer Decke.
»Vor der Bank. Da stehen ein korrupter Bulle und ein korrupter Bankmitarbeiter.«
Die Frau nahm ihm das Gewehr ab und richtete es auf die beiden. Jetzt ahnte er zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmen konnte. Sie trug Handschuhe und ging viel geschickter mit der Waffe um als er. Er hatte angenommen, sie hätte ihm die Waffe nur gegeben, damit er das Zielfernrohr benutzen konnte, aber jetzt … nun, wenn etwas passieren würde, wären seine Fingerabdrücke darauf, nicht ihre.
»Woher willst du wissen, dass der Polizist der Stadt schadet?«, fragte die Frau und betonte jedes Wort sorgfältig. Sie hatte einen schwachen Akzent – vielleicht etwas Osteuropäisches? Er wusste es nicht, aber Akzent + Figur + dunkler Lippenstift brachten ihn dazu, ihr unbedingt gefallen zu wollen.
»Hast du schon mal mit einem Banker gesprochen? Die helfen niemandem, der es wirklich braucht und sind nur an ihren verdammten Aktionären interessiert. Weißt du, was Aktionäre für dieses Land tun? Nichts. Gar nichts. Wenn er mit einem Polizisten arbeitet, muss dieser Polizist weggucken, wenn er etwas findet – kranke Dinge, die Banker in ihren Hinterzimmern tun. Hast du jemals von diesen Sex-Ringen gehört, die Politiker und ihre Unterstützer betreiben? Offenbar sind kleine Kinder nicht gerade unbeliebt. Ich wette, der Bulle liefert entweder jemanden aus oder lässt einen durchschlüpfen, irgendetwas Schreckliches.«
Sie nickte nach seiner Erklärung und er lächelte innerlich. Er war immer gut mit Worten gewesen und es schien, als ob sie seinem Charme ebensowenig widerstehen konnte wie jede andere.
»Ich vertraue deinem Urteil«, bestätigte sie und sein Herz klopfte schneller. Niemand vertraute ihm, nicht einmal seine eigene Schwester. Das war einfach kein Wort, mit dem man Trevor Styx umschreiben konnte. Einige Leute hörten ihm zu und begleiteten ihn sogar zeitweise, aber Vertrauen war nicht das Wort, das sie benutzten.
»Vertraust du meinem?«
»Deinem Urteil?«, fragte er. »Sicher.«
Die Frau feuerte das Gewehr ab, als der Wagen des Polizisten in eine Kreuzung fuhr. Sie waren so verdammt weit weg, dass es tatsächlich einen Moment dauerte, bis die Kugel einschlug. Als es soweit war, atmete er erleichtert auf. Sie hatte danebengeschossen. Gott sei Dank, sie hatte ihn verfehlt. Sie hatte den Vorderreifen getroffen, anstatt ein Loch in die Windschutzscheibe zu bohren.
Seine Erleichterung schwand, als das Auto des Polizisten schleuderte, weil ein Vorderreifen platt war und vor einen Bus geriet, der vielleicht vierzig Meilen pro Stunde fuhr.
Er sah die Kollision und die Art und Weise, wie die kleine, grüne Limousine wie eine Bierdose nach einer Party zerknautscht wurde. Der Mann war tot. Daran hatte er keinen Zweifel. Jesus Christus selbst hätte auf dem Beifahrersitz sitzen müssen, damit jemand so etwas überleben konnte.
»Du hast mein Vertrauen, Trevor. Diese Stadt ist ein besserer Ort, weil du Urteilsvermögen hast.«
»Urteilsvermögen? Du hast ihn umgebracht, davon habe ich kein Wort gesagt!«
»Nicht ich war das. Du hast es getan.« Sie drückte ihm das Gewehr in die Hand.
Er nahm es an, statt es auf den Boden fallen zu lassen. Das war vermutlich das, was er am meisten bedauerte. Warum war er in dem Moment nicht einfach weggerannt?
»Aber ich wusste nicht, dass du ihn töten würdest.«
»Das ist nicht mehr relevant, Trevor. Wichtig ist, dass ich dir vertraut habe und jetzt bist du mir etwas schuldig.«
Das Gespräch war nicht wirklich zu seinen Gunsten ausgegangen. Anscheinend hatte die Frau ihre Crew in die Stadt gebracht und – glücklicher Trevor – sie arbeiteten an einem Ziel bei der Polizei.
Der Raubüberfall, bei dem sie ihn entdeckt hatten, war nur nötig gewesen, diese seltsamen Drachenstücke zu beschaffen und gegen etwas einzutauschen. Die Einsätze dieser Partnerschaft machten Trevor Angst. Er war davon ausgegangen, mit einem Team von Dieben zu arbeiten, das so professionell war, regelmäßig Drachen ausrauben zu können.
Es stellte sich allerdings heraus, dass das ihr erster Versuch gewesen war, etwas Größeres als ein Pfandhaus auszurauben und dass ihr Boss – die Frau in Schwarz – normalerweise auch nicht diese Art von Geschäft betrieb. Sie hatte den Auftrag nur angenommen, weil ihr Kontaktmann gewusst hatte, dass der Drache, dem die Villa gehörte, in dieser Nacht beschäftigt sein würde.
Zu allem Überfluss hatte sie erklärt, dass ihre Mission darin bestand, den Stahldrachen zu töten. Anscheinend war der Raubüberfall, der ihn in das Team gebracht hatte, nur ein Teil dieses Puzzles gewesen.
Das hatte ihm eine Scheißangst eingejagt, aber als er herausfand, dass es nicht nur ein dreckiger Bulle war, den diese Attentäterin im Visier hatte, sondern der gottverdammte Stahldrache, was hätte er tun sollen? Kündigen?
Das Schlimmste war, dass sie immer zusah. Bei jedem Einsatz gab es einen verdammt verrückten Moment, in dem eine Kugel aus dem Nichts kam und das Schloss einer Tür aufschoss oder eine Kamera zu Schrott wurde, unmittelbar bevor sie sich in seine Richtung drehte.
Er hatte keinen Zweifel daran, dass eine Kugel in seinem Kopf ihn gestoppt hätte, wenn er versucht hätte zu fliehen.
Was seine gegenwärtige Situation umso beunruhigender machte.
Die Schläger – wie Trevor seine ruhigen, mürrischen Kollegen gerne nannte – hatten die beiden Polizisten in ihren Autos ausgeschaltet, bevor er überhaupt wusste, was zum Teufel los war.
Im nächsten Moment waren sie im Haus, verprügelten einen fetten Mann und sein fettes Kind. Die Mutter hatte sie angebrüllt, dass sie den Teppich nicht mit Blut beflecken sollten und dass ihr Mann ein Ex-Cop und ihre kleine Crew ohnehin am Arsch sei.
Trevor schlug Frauen nicht besonders gerne. Er verstand, dass einige Männer einen echten Kick davon bekamen, wenn sie eine großmäulige Schlampe zum Schweigen brachten, aber er nahm es den Frauen nicht übel, dass sie redeten. Er war ja selbst gesprächig. Aber verdammt, es hatte sich gut angefühlt, sie mit seinem Handrücken zum Schweigen zu bringen.
Nach kaum einer Minute waren sie mit den drei fetten Ärschen fertig und hatten sie mehr oder weniger ruhig auf der Couch. Alles schien in Ordnung zu sein, aber jetzt warteten sie. Das war es, was ihn an der ganzen verdammten Operation am meisten störte. Eigentlich hätte es einfach sein sollen … Geht rein, überwältigt die Familie – er hatte nichts von den Bullen gewusst, aber nach seinen wenigen Gesprächen mit den Schlägern fand er heraus, dass den meisten von ihnen selten die ganze Geschichte erzählt wurde – und wartet auf Abholung.
Es waren jetzt mehr als fünf Minuten vergangen. Das war eine lange Wartezeit mit Polizisten vor der Tür, die jeden Moment aufwachen konnten.
Einer der Schläger hatte sich neben dem fetten Vater des Kindes niedergelassen. Er war eigentlich kein Kind mehr, sondern ein neunzehnjähriges, privilegiertes Stück Scheiße. Er sagte sich, dass er sich einen Dreck um einen Fettsack scherte, der noch bei seinen Eltern lebte, ein Dach über dem Kopf hatte und gut ernährt wurde. Das war mehr als vielen Leute zur Verfügung stand.
Alles war in Ordnung, bis der Idiot – Martin war sein Name – seine Füße auf die Couch gelegt hatte.
»Nimm deine Scheiß-Füße vom Sofa!«, hatte sich der Dicke beschwert, als hätte er ein verdammtes Recht etwas zu sagen.
Martin hatte ihn einmal angeschaut. Er stand auf, staubte den Dreck von der Couch ab, dann trat er dem dicken Mann so fest in den Schritt, dass Trevor tatsächlich gesehen hatte, wie dessen Augen wie in einem Cartoon herausquollen.
»Bitte tun Sie ihm nicht weh! Er wollte nicht respektlos sein«, hatte die Frau gejammert.
»Wir wollen euch nicht verletzen, verstanden?«, hatte einer der anderen Schläger der Frau gesagt, aber das hatte sie nicht beruhigt. Sie schaute sich im Raum um, ohne Zweifel nach einer Waffe oder einem Telefon oder etwas, das ihre Situation ändern könnte. Trevor hatte den Blick in ihren Augen erkannt – eine Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit.
Es war kein guter Blick für eine alte Schlampe, die ruhig auf ihrer Couch sitzen sollte.
»Wir sind nur hier, um euch zu beschützen, bis wir euch an einen sichereren Ort bringen«, sagte er.
Das waren schließlich ihre Missionsparameter. Er war zunächst froh gewesen, diese Mission übernehmen zu dürfen. Diese Befehle hatten sie nicht von der Frau in Schwarz bekommen, sondern von einem anderen Mann – nun, nicht von einem Mann, sondern von einem Drachen. Er war größer und offensichtlich einschüchternder als die Attentäterin und musste ihr Partner sein oder so etwas. Die Gorillas hatten seine Befehle befolgt, also nahm er an, sie wüssten, wer er war. Es war schön gewesen, rauszukommen und etwas zu tun. Selbst eine Entführung war besser als sich zu langweilen.
»Wir sollen glauben, dass ihr uns beschützt, wenn ihr die Polizisten draußen umbringt?«, sagte der dicke Mann, seine Stimme war sowohl schwach von dem Treffer im Schritt als auch etwas undeutlich vom zerschlagenen Gesicht.
»Die Bullen sind korrupt, kapiert?», erklärte Trevor und ging in Richtung Küche, um sich ein Bier oder eine Limo zu holen. „Man kann ihnen nicht mehr trauen, aber keine Sorge, wir haben sie auch nicht getötet. Nun, ich würde es begrüßen, wenn wir alle einfach nur still hier sitzen würden, während wir auf die Ankunft unserer Kollegen warten. Es sollte nicht mehr lange dauern.«
Was dann geschah, war der Moment, der sein Leben veränderte. Am Ende beschrieb er ihn öfter als jedes andere Ereignis und doch würde er es nie ganz glauben.
Das Erste was ihm auffiel, war, dass sich der Türknauf extrem langsam drehte.
Er ging ein paar Schritte zurück und an einem der Schläger vorbei, der in der Küche stand. Es war ein bisschen feige, aber er fühlte keine Loyalität zu diesen Typen und außerdem war er das Maul, nicht die Muskeln. Er musste nicht so nahe an der Tür stehen.
Trotzdem dachte er, dass er sie vielleicht warnen sollte und wollte gerade etwas sagen, als die Tür aufschwang.
»Jetzt seid ihr am Arsch!«, rief das dicke Kind und alle drei Schläger drehten sich zu ihm um statt zur offenen Tür.
Trevor alleine sah den silbernen Fleck ins Haus eindringen, an dem Mann vorbeirasen, der sich in der Küche befand. Eine Handfläche schlug hart genug in Trevors Brust, um ihn über den Esstisch zu katapultieren.
Ein schneller Schuss traf den Mann in der Küche. Noch bevor er am Boden lag, kam ein Polizist durch die offene Hintertür herein. Das Arschloch hatte einen Mann mehr oder weniger kaltblütig getötet.
Verdammt, Trevor hasste die Bullen.
Aber der silberne Fleck war es, der seine Aufmerksamkeit verlangte. Er raste ins Wohnzimmer, schnappte sich den dritten Gorilla – er hieß Dorson – und hob ihn in die Luft.
Jetzt erst sah er, dass es kein Fleck war, sondern eine Frau. Sie war nicht mehr in dieser unglaublichen Geschwindigkeit unterwegs, weil sie sich Dorson greifen wollte. Die Frau hatte Stahlhaut und besaß offensichtlich übermenschliche Kräfte. Sie hob den Mann hoch und schleuderte ihn mit solcher Wucht durch das Wohnzimmerfenster, dass das Holz beim Aufprall seines Kopfes auf den Fensterrahmen einfach zerbrach.
Das hier war nicht irgendeine Frau, sondern der verdammte Stahldrache.
Trevor setzte sich, hob die Hände hoch und spreizte die Finger auseinander. »Ich bin unbewaffnet!«, schrie er.
Martin wandte eine ganz andere Taktik an. Statt sich zu ergeben, riss er das fette Kind auf die Beine und hielt ihm eine Waffe an den Kopf.
»Ich weiß, du bist schnell, aber so schnell bist du nicht«, meinte er zum Stahldrachen und der ganze Raum erstarrte.
»Lass ihn gehen«, verlangte ihr Partner, ein Schwarzer mit einem dünnen Schnurrbart.
»Eine verdammt fette Möglichkeit für mich«, antwortete der Schläger, griff dem Jungen an den Hals und drückte ihm die Waffe fester an die Schläfe.
»Wir werden euch alles erzählen«, bat Trevor. »Namen, Orte, alles Mögliche. Aber tötet uns nicht! Bitte. Niemand sollte verletzt werden. Wir haben nicht einmal die Polizisten da draußen getötet.«
»Sieh dir das Gesicht meines Vaters an«, brüllte der Stahldrache. »Schau, was ihr ihm angetan habt.«
Panische Angst überflutete ihn. In ihre Augen zu sehen war wie in die Hölle zu schauen. Da war nichts als Feuer, Wut und Zorn und er fühlte, wie seine Blase sich entleerte. Trotzdem redete er weiter. »Das waren nicht wir! Ehrlich! Das war Dorson, das Arschloch, das du aus dem Fenster geworfen hast. Bitte, Ma’am, ich sage die Wahrheit. Wir sollten diese Leute nur abholen und an einen sicheren Ort bringen. Ich schwöre es.«
»Das ist Kidnapping«, sagte der schwarze Polizist.
»Ihr zwei müsst verdammt noch mal hinten wieder raus gehen, wenn ihr wollt, dass der Junge am Leben bleibt«, forderte Martin und hielt Brian immer noch fest.
»Alle sollten sich beruhigen«, rief Trevor. Seine Hände hatte er immer noch oben. Der schwarze Polizist richtete nun die Waffe auf seine Brust, während der Stahldrache Martin und seine Geisel unheilvoll anstarrte.
»Er hat recht, Kristen. Wir sollten nichts Unüberlegtes zu tun.«
»Hör auf den verdammten Bullen«, mischte sich Trevor ein.
Sie schaute Trevor verächtlich an, was sie kaum hinter ihren silbernen Gesichtszügen verbergen konnte, dann zog sie ihre Waffe und legte sie auf den Boden. Im Gegensatz zu ihrer Kleidung war die Waffe nicht silbern. Er nahm an, dass das bedeutete, dass sie immer noch funktionierte.
»Schaut. Wir wollen nicht, dass noch jemand verletzt wird«, sagte sie und hob ihre eigenen Hände in die Luft. »Wir wollen euch helfen. Es klingt, als hätte euch jemand reingelegt, oder?«
»Verdammt richtig«, antwortete er schnell. »Wir sollten vom Chef abgeholt werden. Wir dachten, die Familie wollte der Polizei entkommen. Im Ernst, das ist alles ein Missverständnis. Wir wollen deine Familie genauso wenig verletzen wie dich.« Eine seiner Gaben war, dass er genauso leicht lügen konnte, wie die Wahrheit sagen. Er hatte sogar einmal einen Lügendetektor-Test bestanden. Die meisten Leute fühlten etwas, wenn sie logen, aber nicht er. Die Aussagen wurden nicht in Wahrheit und Erfindung eingeteilt, sondern in Dinge, die er sagen konnte, weil sie ihm helfen würden und solche, die er nicht sagen würde.
»Hör auf zu reden.« Der schwarze Polizist gestikulierte mit der Pistole, die immer noch auf seine Brust gerichtet war und nickte. Trevor hatte seinen Teil kund getan und hoffte, es würde reichen.
Plötzlich hatte er das Gefühl, alles wäre in Ordnung. Eine Welle der Erleichterung schwappte über Trevor. Seine Sorge schien sich langsam in Luft aufzulösen.
»Wir wissen nicht, was hier vor sich geht, aber wir wollen wirklich nicht, dass jemand verletzt wird – nicht unsere Leute und nicht deine Leute«, erläuterte der Stahldrache Martin und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Schwachsinn«, sagte Martin, obwohl seine Stimme nicht überzeugend klang.
»Es ist wahr, wirklich«, beruhigte sie. »Wir wissen, dass ihr beide nicht der Drahtzieher der ganzen Sache wart. Wir haben Fragen und ihr habt Antworten. Lasst uns etwas ausarbeiten, was für beide Seiten von Vorteil ist. Wie ihr gesagt habt, ist niemand gestorben, also gibt es bisher keine Anklagepunkte, die nicht durch einen Deal im Strafverfahren geklärt werden können. Entspannen wir uns alle und reden darüber.«
Zu Trevors großer Überraschung nickte der andere Mann zunächst zögerlich, dann aber mit mehr Nachdruck. Er hoffte, dass der Gorilla die große Erleichterung und Ruhe empfinden konnte, die er fühlte und dass diese Polizisten nicht gekommen waren, um ihnen wehzutun, sondern um sie zu beschützen. Sie wollten die Wahrheit wissen, aber das war nur fair. Er wusste sehr wenig über diese ganze Operation und auch er wollte mehr darüber wissen, was überhaupt vor sich ging. Vielleicht könnte er der Polizei ja auch wirklich helfen.
»Also nimm die Waffe von Brians Kopf, lass sie fallen und wir alle sind in Sicherheit.«
Martin zögerte und für einen Moment meinte Trevor, dass der Mann gegen das beruhigende Gefühl ankämpfen würde. Schließlich lenkte er aber doch ein und senkte die Waffe.
Das dicke Kind atmete aus und fiel in Ohnmacht. Sein Entführer schaffte es noch, den Sturz zu verlangsamen, damit Brian sich nicht den Kopf am Kaffeetisch aufschlug. So würde er, Trevor, die Situation beschreiben, wenn er jemals vor einer Jury stehen würde. Sobald Trevor diese Entscheidung getroffen hatte, glaubte sein Gehirn, dass es die Wahrheit wäre.
»Es kommen noch mehr Polizisten, also müssen wir euch beiden Handschellen anlegen. Es ist zu eurem eigenen Wohl. Wir wollen nicht, dass jemand die Polizisten sieht, die ihr da draußen verletzt habt und deshalb einen falschen Eindruck bekommt.«
»Ja, Officer. Danke, Officer.« Trevor streckte dem schwarzen Polizisten die Arme entgegen. Der Mann zog ihn auf die Beine und fesselte die Handgelenke hinter dem Rücken. Selbst das fühlte sich für Trevor seltsam beruhigend an. Er hatte das Gefühl, dass selbst die Möglichkeit für Gewalt der Vergangenheit angehörte. Er war mehr als erleichtert. »Wir haben diesen Polizisten übrigens nichts getan. Es war Dorson – das ist der Typ, den du aus dem Fenster geworfen hast – und Hector. Das ist der Kerl, den du … Das ist der Kerl in der Küche.« Er wollte nur behilflich sein. Martin musste dafür den Kopf nicht hinhalten. Sie hatten lediglich Befehle befolgt.
»Du auch«, sagte Kristen zu dem Gorilla, der nickte und ließ sich von ihr Handschellen anlegen.