Kapitel 13
S ie trafen sich – Shadowstorms Wunsch entsprechend – auf dem Dach eines verlassenen Wohnblocks, der in wenigen Tagen abgerissen werden sollte. Obwohl er der Attentäterin nur weniger als eine Stunde Zeit gegeben hatte, dorthin zu gelangen, war sie dennoch vor ihm da.
Das hätte ihn möglicherweise beeindruckt, aber nur wenn der Stahldrache bereits tot wäre.
»Vielleicht wäre es Zeit, dass du deinen Spitznamen änderst«, sagte er zu dem anderen Drachen. Beide waren in ihrer wahren Gestalt angekommen. Sein Körper war dunkel, die Farbe von Gewitterwolken mit kleinen Blitzen, die über seine Schuppen huschten. Er schien sich am Licht zu nähren, denn er war einer der wenigen Drachen, die für ihre Magie aus mehr als einer Elementarkraft schöpfen konnten.
Die Drachenform des Todesengels war ebenfalls dunkel mit beinahe schwarzen Schuppen. Er konnte nicht genau sagen, welche Kräfte sie besaß, aber niemand konnte das. Sie hatte sich bereits in ihre menschliche Gestalt verwandelt – eine schlanke Frau mit dunklem Haar und schwarzer Kleidung. Offensichtlich wollte sie nicht, dass er irgendwelche Informationen aus ihrem Drachenkörper herleiten konnte. Sie hatte Karriere als Drachenkillerin gemacht. Das war nicht möglich, wenn man Informationen über sich selbst preisgab.
Von einem erfolgreichen Attentäter wurde erwartet, dass er sein Zielobjekt auch tatsächlich tötet.
»Ihr Tod wird kommen, wie der jedes anderen Drachen, den ich mir vorgenommen habe«, erwiderte sie.
Es störte ihn, dass sie wusste, wer er war. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er hinter dem Pseudonym Mister Black operieren können, aber nun, da der Stahldrache ihn geoutet hatte, kannte jeder seine Identität. Der einzige Vorteil dieser Misere war, dass er Besprechungen in Drachenform abhalten konnte.
Von Drache zu Drache war Shadowstorm schon ziemlich groß, aber von Drache zu Mensch, da war er weit mehr als riesig. Und doch schien der Todesengel überhaupt nicht eingeschüchtert zu sein. Sie stand vor ihm mit einer selbstbewussten Arroganz, die er kaum tolerieren konnte, da sie versagt hatte.
»Ich habe dich gut dafür bezahlt, dass dieses Problem gelöst wird«, klagte er.
»Und ich werde es lösen.«
»Wann?«
»So bald wie möglich. Der Stahldrache lässt sich schwieriger töten, als ich erwartet hatte. Ihre Fähigkeiten sind ihrer menschlichen Gestalt angemessen und diese Stahlhaut ist knifflig.«
»Ich hatte dich vor ihrer Stahlhaut gewarnt. Der gesamte menschliche Nachrichtenapparat hat dich vor ihrer Stahlhaut gewarnt», brüllte er wütend. Er wollte ursprünglich die Beherrschung nicht verlieren, aber humanoide Wesen anzuschreien machte ihm immer einen Heidenspaß.
»Ja, stimmt, aber du hast versäumt, mich über ihr Team zu informieren. Die sind mehr als kompetent.«
»Ich sagte doch, sie sind von der Polizei.«
»Selbst für menschliche Friedenssoldaten sind sie außergewöhnlich geschickt. Außerdem gibt es noch Stonequest.«
Shadowstorm knurrte bei der Erwähnung von Stonequest. »Er ist kaum noch da.«
»Und wie nah hast du ihn und sein wertvolles Drachen-SWAT an dich rangelassen, bevor du dich verkrochen hast?«
»Du nennst mir viele Gründe für dein Scheitern und doch hast du den Schatz, den ich dir für diesen Job ausgehändigt habe, bisher nicht zurückgegeben«, verhöhnte Sebastian sie.
»Weil ich einen Plan habe. Schau, der Stahldrache hat eine Schwäche, ihre Menschlichkeit.«
»Ich habe schon versucht, sie zur Transformation zu zwingen. Es war nicht möglich. Etwas sagt mir, dass sie nicht auf Mörder hört.«
»Ich werde sie von nichts überzeugen müssen. Ich habe herausgefunden, wo ihre menschliche Familie nistet.«
Hoffnung wuchs in ihm. Es war dasselbe Gefühl, wie vor Jahrhunderten, als er eine neue menschliche Siedlung entdeckt hatte. Es war eine starke Macht, über Menschen ohne Verbindungen untereinander Bescheid zu wissen. Zusammen waren sie stark, aber isoliert waren sie lächerlich schwach.
»Dann fang sie doch!«
Der Todesengel hatte die Kühnheit, ihm ins Gesicht zu lachen. »Ziehe nicht ins Lächerliche was ich tue und ich mache mich nicht über den Schlamassel lustig, in den du dich beim Maskierten gebracht hast.«
»Wie hast du …«
»Du hast einen professionellen Attentäter angeheuert, Shadowstorm. Glaubst du ernsthaft, ich nehme einfach so jeden Auftrag an? Es gibt viele Drachen da draußen, die mich lieber tot sehen würden. Es ist gut zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, die Feinde hat.«
Shadowstorm atmete tief durch. Rauch und Dampf kamen aus seinen Nasenlöchern und wirbelten in Wolken um sie herum. Diese Geste konnte Menschen erschrecken, aber trotz ihrer Gestalt ließ sich der Todesengel nicht im Geringsten einschüchtern.
Wenigstens arbeite ich nicht mit einem Feigling zusammen, beruhigte er sich selbst.
»Wenn du die Familie hast, wird der Stahldrache kommen, um sie zu retten.«
»Dein komischer Entführungsversuch mit den Schlägertypen, die ich bei einem Auftrag mal aufgegriffen hatte, ging daneben. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass ich kompetentere Schläger finden würde, vor allem wenn man bedenkt, dass das hier deine Stadt sein soll.«
Wut kochte in ihm auf und er knurrte – ein tiefer, fast unterschwelliger Ton, von dem er sicher war, dass der Todesengel ihn trotz ihrer menschlichen Gestalt verstand. Wenn sie ihn wieder beleidigen würde, würden sie sich bekämpfen. Die Ehre verlangte es. In der Welt der Drachen, die außerhalb des Drachenrates und des kleinlichen Drachen-SWATs existierte, gab es noch Ehre, die verteidigt werden musste. Sie hielt ihre Hände in einer beschwichtigenden Geste hoch. Es war das erste Zeichen der Ehrerbietung gegenüber ihrem Arbeitgeber, das sie während des Gesprächs gezeigt hatte. »Ich werde mich nicht dazu herablassen, Menschen zu entführen, egal zu welchem Preis. Es sind Dinge in der Vergangenheit passiert – schmutzige Dinge – und es ist einfach den Ärger nicht wert.«
»Warum sich also überhaupt mit ihrem Aufenthaltsort beschäftigen?« Er war frustriert. Ja, der Todesengel war eine Attentäterin – eine Meisterin im Beenden von Drachenleben – und doch stand sie da, ein paar Meter vor ihm und immer noch in ihrer menschlichen Gestalt. So konnte sie keine Drachen jagen. Er könnte sie jetzt angreifen und ihr das kleine menschliche Genick brechen, bevor sie sich überhaupt verwandeln konnte. Wenn sie nicht zur Vernunft käme, würde er es auch tun.
»Ich werde sie nicht holen, aber ich werde sie mir zunutze machen«, schnurrte der Todesengel.
»Wie?«
»Wenn ich sie in Gefahr bringen würde, glaubst du, der Stahldrache würde ihnen zu Hilfe eilen?«
»Mit hundertprozentiger Sicherheit. Solange sie weiß, dass ihre Familie in Gefahr ist, wird sie nicht widerstehen können.«
»Dann werde ich sie in Gefahr bringen. Sie wird kommen und ich werde sie in der ganzen Verwirrung endgültig fertig machen.«
Shadowstorm schüttelte den Kopf. »Das klingt unnötig konfus. Du willst sie nicht gefangen nehmen, aber Angriffe auf ihr Leben durchführen? Du lässt also die menschliche Polizei entscheiden, wo du gegen den Stahldrachen kämpfst.«
Der Todesengel schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge, als wäre er nichts weiter als ein ungehorsamer Diener. »Ich verstehe mein Handwerk. Der Stahldrache wird sterben, heute Nacht.«
Er nickte. Obwohl er dem Todesengel sicherlich nicht sein Leben anvertrauen würde, fühlte er, dass er ihr darin vertrauen konnte, das von Kristen zu beenden. Sie war immerhin eine Attentäterin und wenn ihr Preis einen Hinweis auf ihre Qualität darstellen sollte, dann die beste der Welt. Außerdem waren ihm die Details des Plans nicht wirklich wichtig, nur dass er durchgeführt wurde.
Der Stahldrache musste sterben, wenn der Maskierte besänftigt werden sollte. Und er musste dringend besänftigt werden, wenn Shadowstorm sein Leben behalten wollte.