Kapitel 17
D ie Kristallkugel auf Sebastian Shadowstorms Schreibtisch begann zu leuchten – zuerst in zartem Gelb, dann in mattem Orange. Das Gerät hatte ein Magier hergestellt und es konnte Auren noch besser wahrnehmen als er selbst. Das bedeutete, dass sich ein Drache auf der Suche nach ihm näherte. Der Todesengel war es nicht. Die Kugel wäre gelb geblieben, wenn sie es gewesen wäre, statt bernsteinfarben zu werden.
Niemand wusste, wo er sich versteckt hielt, außer die Attentäterin. Er hatte nicht einmal seinen Schergen sein jetziges Versteck verraten. Das bedeutete, dass der Todesengel nicht nur gescheitert war, sondern sogar auf spektakuläre Weise. Er hatte keinen Zweifel daran, welcher Drache sich nun auf dem Weg zu ihm befand. Es war Kristen, der Stahldrache, eine Verräterin an seiner Art. Es konnte kein anderer sein.
Sie musste den Todesengel besiegt haben – entweder getötet oder zumindest so schwer verletzt, dass er vom Drachen-SWAT festgenommen wurde – dass sie seinen Aufenthaltsort überhaupt herausfinden konnte. Das hieß, dass er niemanden mehr bestrafen und foltern konnte, den er für diesen Fehler verantwortlich machen konnte. Der Maskierte würde es sicher nicht so sehen. Er hätte immer noch jemanden, dem er die ganze Schuld zuschieben konnte. Shadowstorm zog eine Grimasse, als er an die Tänzerinnen und Tänzer zurückdachte, die gezwungen waren, durch das Blut ihrer eigenen Art zu tanzen. Der Mensch war für ihn nicht mehr als Vieh, aber es gab immer noch Grenzen dafür, wie Fleisch geschlachtet werden sollte. Dennoch verstand er auch seinen Verbündeten. Schließlich hatte er ihn ausgewählt.
Die Zusammenarbeit mit dem Maskierten bedeutete einfach, dass er nicht scheitern durfte.
Er war darüber frustriert, dass der Todesengel seine Erwartungen nicht erfüllt hatte – die Menge an Ressourcen, die er für ihr Honorar aufgewendet hatte, war selbst für ihn ärgerlich – aber er war nicht völlig überrascht, dass sie sich als unfähig für die Tötung des Stahldrachen herausgestellt hatte.
Kristen Hall war ein lebhaftes, eigensinniges kleines Wesen. Sie hatte sich im Kampf gegen ihn gestellt, obwohl sie ihren Drachenkörper nicht aktivieren konnte. Und dann waren da noch ihre nervigen Verbündeten. Sein Warngerät zeigte nicht an, dass sie von Drachen begleitet wurde, also nahm er an, dass sie ihre menschlichen Polizeikollegen mitbringen würde. Tatsächlich rechnete er sogar damit.
Während der Todesengel Kristen durch die Stadt verfolgt hatte, hatte Shadowstorm seine Basis im Verborgenen auf den letzten Showdown mit dem Stahldrachen vorbereitet.
Obwohl das Müllheizkraftwerk – ironischerweise wurde diese Art der Stromerzeugung als erneuerbare Energie geführt – in einem von Detroits Industriegebieten aufgrund von Lizenzen und Genehmigungen offiziell abgeschaltet worden war, schien niemandem aufgefallen zu sein, dass weiterhin Dampf produziert wurde.
Nun, das war nicht ganz richtig. Er kicherte selbstgefällig. Sein Kontakt bei der Detroit Free Press sagte, einer der Reporter habe schon Fragen gestellt, aber er sei entsorgt und zur Berichterstattung über die Situation der Wasseraufbereitung nach Flint geschickt worden. Der Drache hatte nicht einfach so mehr als ein Jahrhundert in Detroit Zeit verschwendet. Er war Teil dieser Stadt geworden, ein verborgener Meister, der sehr genau wusste, wo bestimmte Fäden gezogen werden mussten.
Beispielsweise wurde trotz der Abschaltung der Anlage weiterhin Müll zur Verbrennung angeliefert. Das Umspannwerk war immer noch in Betrieb – es hatte auch ungewöhnliche Spitzen im Energieverbrauch gegeben. Und da sich in dem Gebäude keine Arbeiter befanden, hatte sich niemand darum gekümmert das Tunnelnetz zu sperren, das unter der Anlage begann und bis in die Stadt führte.
Dorthin hatte er sich zurückgezogen, in die Tunnel unter der Anlage. Das waren die Adern von Detroit, die die Stadt mit heißem Dampf versorgten, der aus der Müllverbrennung gewonnen wurde.
Shadowstorm bezweifelte nicht, dass Kristen herausfinden würde, wohin er gegangen war. Tatsächlich verlangten seine Pläne sogar, dass sie es tun würde. Aber sie würde den Weg zu seinem Versteck auch nicht unbedingt leicht entdecken. Er war zunehmend paranoid geworden, seit er beim Maskierten gewesen war und verließ sich nicht mehr auf Menschen, die ihn beschützen sollten. Sobald sie das Netz von Fallen ausgelegt hatten, hatte er sie hingerichtet. Das war ein anderer Grund, warum er wusste, dass sie den Todesengel gefunden hatte. Es war einfach niemand mehr am Leben, der ansonsten wissen konnte, wo er sich aufhielt.
Der Stahldrache würde auf die Anlage kommen und das wäre ihr Untergang. Sie würde entweder wie ein Insekt in einem Netz gefangen werden oder würde, falls sie es irgendwie bis in die Tunnel schaffen sollte, in denen er wartete, durch seine Hand sterben.
Er wusste, dass er in diesem Fall nicht nur den Vorteil seiner jahrhundertelangen Erfahrung haben würde, sondern dass auch der Tod ihrer armseligen menschlichen Verbündeten auf ihr lasten würde.
Sebastian Shadowstorm war nicht dumm und hasste es, dass sie sich als Mensch sah, aber er akzeptierte es auch. Er konnte diese Schwäche zu seinem Vorteil nutzen. Sie hatte eine Art verräterischen Sinn für Loyalität gegenüber der geringeren Spezies und würde ihr Leben riskieren für die Menschen, die sie liebte.
Wenn sie ihn erreichen sollte – falls sie so weit käme – wäre sie entweder erschöpft vom Schutz ihrer Menschen oder betrauerte ihren Tod. So oder so wäre er in der Lage, das erbärmliche Abbild eines Drachen zu zerstören und die Stadt zurückzuerobern, die ihm der unverschämte kleine Welpe versehentlich aus den Händen gerissen hatte.
Shadowstorm hatte die erneute Begegnung mit dem Maskierten fast genossen. Er hatte ihm die sorgfältig aufgestellten Fallen erklärt und die Art und Weise, wie er Kristens Verbündete schnell und effizient erledigen würde und der mächtige Drache hatte nur gestarrt. Er selbst war alt, aber der Maskierte war definitiv uralt und würde die Gefahren dieser Dampftunnel nicht unterschätzen. Auch nicht die Kräfte, die die Menschen gewonnen und in ihre Maschinen gesteckt hatten, oder die schiere Masse an Müll, die Menschen produzierten.
Aber das würde mit der Zeit schon kommen. Zuerst musste er den Stahldrachen zerstören. Dann würde er feiern.