22. Kapitel

An diesem Nachmittag machten sie und Flynn sich auf den Weg zu New Thought. Eva ließ Flynn fahren. Vor Chertsey standen sie zehn Minuten in einem Stau an einer Baustelle. Eva sah zu, wie der mechanische Arm eines Baggers einen zackigen Klumpen aus der Straße herausriss und ihn auf einem Haufen dunkler Trümmer fallen ließ. Wie tranchiertes Fleisch. Dabei musste sie daran denken, wie Irina Stepanows Haut aufgeplatzt war, als Wren ihren Arm mit dem Skalpell aufgeschnitten hatte, um die leeren Venen und Arterien freizulegen. Sie sah durchtrennte Röhren entlang des Grabens, die Ränder schartig. Hätten Stepanows Blutgefäße von Nahem so ausgesehen?, fragte sie sich.

Als Flynn sich zu Wort meldete, riss sie Eva aus ihrem morbiden Tagtraum. »Was haben Sie damit gemeint, als Sie gesagt haben, Sie hätten Lynch kaltmachen lassen?«

Eva hatte diesen Ausrutscher sofort bereut, denn ihr war klar gewesen, dass er Flynn nicht entgangen war. Und sie würde es auch nicht gut sein lassen. Es erschien ihr am sichersten, ihre Frage zu beantworten, so gut sie konnte.

»Nach ein paar Monaten konnte ich wieder zur Arbeit. Bei den Ermittlungen gegen Lynch durfte ich nicht mitmachen, der war verschwunden, nachdem er Dom umgebracht und versucht hatte, auch mich umzubringen. Nicht weiter überraschend, aber das hieß, dass es kaum Informationen über ihn gab, bis ein Gerücht von einer bevorstehenden Opiumlieferung aus Afghanistan aufgetaucht ist. Eine große, aber Lynch hat auch nur im großen Stil gehandelt. Ich habe den Hintergrund besser gekannt als jeder andere, also durfte ich vorübergehend wieder dabei sein.« Sie verstummte eine Zeit lang.

Flynn wartete geduldig.

»Ich wollte den Dreckskerl einfach nur drankriegen«, gestand Eva. »Inzwischen habe ich gewusst, wie er arbeitet. Wir haben ihre Route ›Black Alpha‹ genannt, weil wir wussten, dass sie übers Schwarze Meer zum Balkan führt. Von da aus dürfte sie durch Norditalien verlaufen sein und schließlich in die Niederlande, wo das Zeug dann in einem Container in irgendeinen Hafen im UK verschifft worden wäre. Ich habe Opium gesagt, aber eigentlich meine ich die Morphinbase, die man daraus gewinnt. Die endgültige Heroinherstellung wäre hier bei uns erfolgt, unter Lynchs Kontrolle. Er hatte einen Chemiker, der hätte das Zeug hergestellt und es dann verschnitten, fertig für den Vertrieb. Diese Lieferung war ein Riesending, sogar für Lynch, und ich wusste, er würde bestimmt sicher sein wollen, dass all seine Leute am richtigen Ort sind.«

»Und was ist schiefgegangen?«

Eva zuckte die Achseln. »In der Ukraine gibt es einen Mann namens Semjon Razin. Razin ist heute einer der einflussreichsten Kriminellen der Welt, er ist als ›der Boss der Bosse‹ der russischen Mafia bekannt. Seine Organisation ist wie eine multinationale Kapitalgesellschaft, mit verschiedenen Sparten und Franchise-Unternehmen. Wir wussten, dass Razins Leute im UK Colin Lynch nicht leiden konnten. Soweit es die betraf, war Lynch ein Konkurrent. Ich war dafür zuständig, Informationen über das Treffen von Lynch und seinen Leuten zusammenzutragen und sie an diejenigen weiterzuleiten, die darüber Bescheid wissen mussten. Irgendwie ist Razins Organisation an diese Infos rangekommen.«

Die Baustellenampel sprang um. Flynn fuhr an. »Ich verstehe nicht, wieso das Ihre Schuld sein soll. Wenn man erst mal anfängt, Informationen rauszugeben, besteht doch immer die Möglichkeit, dass irgendwas durchsickert. Und was dann? Ist jemand aufgetaucht und hat Lynch abgeknallt?«

Eva schaute in die Ferne. »Es gab da ein Gehöft namens Winter’s Gate Farm, am Rand vom New Forest. Ein Bauernhaus aus dem 15. Jahrhundert, das von irgendeinem Bauunternehmer restauriert worden war. Das hat Lynch manchmal für seine Treffen benutzt. Da hat er damals auch unser Auto in den Graben gerammt, als wir ihn observiert haben. Irgendjemand hat rausgefunden, dass Lynch und seine Leute an einem Abend wieder da aufschlagen wollten.«

Flynn wartete darauf, dass sie zu Ende erzählte. Schließlich musste sie nachhaken. »Und?«

»Die Winter’s Gate Farm gibt es nicht mehr. Irgendwer hatte Sprengstoff aus einem Steinbruch in der Nähe in eine alte Kohleschütte hinten am Haus gepackt und den Zünder mit dem Lichtschalter verdrahtet. Als Lynch das Licht angemacht hat, ist das Zeug hochgegangen und das Bauernhaus gleich mit. Es war im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr davon übrig, außer einem Krater von dreißig Metern Durchmesser. Wir haben genug von Colin Lynch gefunden, um sicher zu sein, dass er seinen Tod nicht vorgetäuscht hat. Kleine Stücke«, meinte Eva und sah aus dem Fenster. »Sehr kleine Stücke.«

»Und Lynchs Leute geben Ihnen die Schuld daran?«

»Ich weiß es nicht«, log Eva. Dann sagte sie die Wahrheit. »Und es ist mir auch wirklich egal.«

Die Tür von New Thought stand offen. Sie hatte gewusst, dass es so sein würde. Außerdem wusste sie, was Flynn sagen würde, wenn sie das Fresko erblickte. »Verdammte Axt.« Eva sah zu, wie sie auf die Wand zuging. »Das ist ja voll der Scheißhammer.«

»Freut mich, dass es Ihnen gefällt.«

Mathew Harred erschien oben auf einem Gerüstturm und kam eine Leiter heruntergeklettert. Er trug ein T-Shirt, und sein Bizeps wölbte sich, als er sich auf den Boden herunterließ. Eva sah Flynns Gesichtsausdruck. Ihr Mund stand ein wenig offen, also stupste Eva sie diskret an.

»Schön, Sie wiederzusehen, Eva«, sagte Harred. »Und freut mich, Sie kennenzulernen«, fuhr er fort und streckte Flynn die Hand entgegen.

»Das ist DS Rebecca Flynn«, sagte Eva.

Harred lächelte sein freundlichstes Lächeln. Flynn war rot geworden.

»Worum geht’s in dem Bild?«, fragte Flynn unbeholfen.

Harred zuckte die Schultern. »Um Ihre Träume. Um die guten«, setzte er rasch hinzu. »Ich nehme mal an, als Polizistin kriegen Sie Dinge zu sehen, die Ihnen böse Träume bescheren. Es ist eine Vorstellung von unserem wahren Selbst. Von dem, was wir wirklich sind, nicht von dem, was uns diese traurigen kleinen Gefilde aufzwingen, in denen wir alle gegenwärtig existieren. Von einem Reich, in dem wir Helden und Legenden sein können. Einem viel besseren Ort, obwohl die Interpretation dieser Dinge natürlich oft im Auge des Betrachters liegt«, erklärte er ihnen. Dann sah er Eva an. »Aber das wissen Sie ja schon, nicht wahr?«

Eva hatte keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. Sie war sich nicht sicher, ob Harred das ehrlich meinte oder sie verunsichern wollte. »Ich habe einen ersten Entwurf von Ihnen in das Bild gemalt«, sagte er zu ihr. »Wollen Sie’s sehen?«

Plötzlich stumm, konnte Eva nur nicken. Sie hatte keinerlei Kontrolle darüber, wie Harred sie darstellte; er konnte tun, was er wollte. Jäh stieg unerwartete Furcht in ihr auf. Was hatte er getan? Sie konnte ihr Unbehagen nicht verbergen. Jetzt war es an Flynn, sie anzustarren.

Harred lächelte, sagte jedoch nichts. Er ging ihnen zu einem anderen Gerüstturm voraus, der hinter den Plastikplanen stand, die den unvollendeten Teil des Freskos verbargen. Sie mussten eine lange, schräge Metallleiter hinaufsteigen, doch das war nicht weiter schwer.

Dann standen Eva, Flynn und Harred auf Holzplanken, die an dem Metallgerüst festgeschraubt waren.

Flynn schnappte nach Luft, als sie sah, was Harred ihnen hatte zeigen wollen. »Mann, Boss, das ist ja unglaublich! Das sind tatsächlich Sie.«

Eva konnte nicht widersprechen. Auf dem Hang eines Hügels erkannte sie sich selbst, auf einer Welt, die unter etwas schwebte, das wie ein gigantischer Gasplanet aussah. Jedenfalls erkannte sie ihr Gesicht. Sie trug ein klassisches Gewand und hielt einen Speer in der Hand. Auf der anderen Hand hockte eine Eule.

Harred musterte sie, während sie das Bild anstarrte. »Ich war so frei, Sie mir als Pallas Athene vorzustellen«, erklärte er. »Die griechische Göttin der Weisheit und der Kriegskunst.«

Er hatte ein Foto von ihrem Gesicht gemacht, daher überraschte es sie nicht, wie akkurat er sie getroffen hatte. Was sie eher verstörte, war ihre Figur. Ihr Körper.

Auch den hatte er vollendet wiedergegeben; sogar durch das dünne Gewand konnte sie das erkennen. Es war, als hätte er durch sie hindurchgeblickt, um die Struktur der Muskeln und Knochen zu sehen, aus denen sie bestand. Das Abbild fühlte sich an wie sie. Er hatte ihre Haltung genau getroffen.

»In der Ilias und der Odyssee «, meinte Harred, »hat Homer Athene oft den Beinamen ›Glaukopis‹ gegeben. Das heißt ›strahlenäugig‹ oder ›mit leuchtenden Augen‹. Ich fand das angemessen. Sie nicht?«

Sie drehte sich um und sah ihn an. Machte er sich über sie lustig? »Was haben Sie mit ›Zerstörerin‹ gemeint?«

»Ich glaube, das wissen Sie«, erwiderte Harred. »Ich vertraue fest darauf, dass Sie denjenigen finden, der diese Leute umbringt. Das glaube ich wirklich, Eva. Und wenn Sie ihn finden, werden Sie sein Ende sein.«

Wieder wusste sie nicht, was sie antworten sollte. »Auf jeden Fall werde ich ihn ins Gefängnis bringen«, sagte sie nach kurzem Zögern.

»Na, das ist doch ein Ende, nicht wahr? Für den, der die Frauen tötet, wäre eine Haftstrafe genug, um ihn zu vernichten.«

Das hatte er nicht gemeint. Sie sah ihm unverwandt in die Augen und war sich verdammt sicher, dass er das ganz und gar nicht gemeint hatte. Als Harred ihr Misstrauen bemerkte und die Stirn runzelte, konnte Eva seine Enttäuschung sehen.

»Vielleicht war Athene ja doch nicht die richtige Wahl«, sagte er. »Vielleicht hätte ich es mit einem Racheengel versuchen sollen.«

Es war möglich, dass hier einfach nur das Ego des Künstlers sprach, das Anerkennung für sein Werk suchte. Sie hatte sich ja nicht gerade vor Begeisterung überschlagen. Das war wahrscheinlich nicht fair, beschloss sie. »Mathew, es ist toll. Geradezu erschreckend gut. Es ist einfach nur ein Schock, sich selbst derart realistisch abgebildet zu sehen. Ich fühle mich geschmeichelt«, versicherte sie ihm. »Wirklich.«

Seine Erleichterung war fast mit Händen zu greifen. »Es freut mich, dass es Ihnen gefällt, Eva. Ich fand Sie gut getroffen, sowohl Ihr Äußeres als auch Ihren Geist.« Eine Weile standen sie da und schwiegen verlegen.

»Und wo sind Sie?« Unverhofft platzte Flynn in diese seltsame Stimmung hinein. Harred und Eva drehten sich zu ihr um. »Hier sind Hunderte von Menschen, und die sehen alle toll aus«, sagte Flynn, »aber wo sind Sie? Malen Sie sich denn nicht selbst in das Gemälde hinein? Das sollten Sie wirklich tun.«

Harred lächelte sie an wie ein Vater, der Nachsicht mit seinem Kind hat. »Das möchte ich auch«, gab er zu, »aber ich weiß noch nicht, wo. Aber ich habe ja wohl noch eine Weile Zeit, mich zu entscheiden. Ich weiß nicht einmal, als was ich mich selbst porträtieren soll.«

Flynn verzog spöttisch das Gesicht. »Warum nicht als Sie selbst? So wie jetzt, in Jeans und T-Shirt und mit einem Pinsel. Sie brauchen doch gar nichts an sich zu ändern. Das Gemälde ist toll. Sie müssen die Leute nur wissen lassen, dass Sie der Typ sind, der es gemalt hat.«

Sie hatte ihn überrumpelt, das konnte Eva sehen. Er suchte mühsam nach einer Antwort.

»Mathew? Eigentlich sind wir gekommen, um mit Fredrick Huss zu sprechen. Ist er da?«

Harred riss den Blick von Flynn los und sah Eva an. »Nein. Er ist verreist. Ich glaube, in Kirchenangelegenheiten. Amerika«, fügte er hinzu. »In ein, zwei Tagen ist er wieder da.«

»Können wir ihn irgendwie kontaktieren? Wir müssen wirklich mit ihm reden.«

»Ich weiß es nicht.« In einer Geste der Entschuldigung streckte er die Hände zur Seite aus. »Fredrick verreist oft wegen Kirchengeschäften. Verschwindet für eine Woche oder so. Er findet, New Thought kann sehr fordernd sein, das hat er mehrmals zu mir gesagt. Das ist wohl mit jedem Job so«, fügte Harred hinzu und zuckte die Achseln. »Sogar als Maler. Wenigstens hat Fredrick etwas, wobei er ganz sicher abschalten kann.«

Eva bemerkte einen Unterton in seiner Stimme. »Und das wäre?«

»Er ist Fotograf«, antwortete Harred. »Er nimmt seine Kamera überallhin mit.«

Als DCI Corrine Sutton sich das nächste Mal sehen ließ, ging sie nicht mehr am Stock. Eva schielte rasch auf ihren Fuß und sah, dass auch der Gips weg war. Sutton ging fast völlig normal, auch wenn sie den Fuß noch ein wenig schonte. Sie kam in Evas Büro, schloss die Tür und nahm vor ihrem Schreibtisch Platz, ohne zu fragen, ob es ihr passte. »Wie ich höre, sind Sie bei Flynn eingezogen«, sagte sie.

»Nur bis auf Weiteres.« Eva klappte ihren Laptop zu. »Die von der Versicherung sind ziemlich umgänglich, ich sollte mir bald was Neues suchen können.«

»Noch mehr Stress, den Sie nicht brauchen können«, stellte Sutton fest. Sie betrachtete Evas Gesicht, und dieser ging auf, dass Sutton anscheinend nicht gerade allerbester Laune war. »Warum versuchen Colin Lynchs Leute immer noch, Sie umzubringen?«

Es war genug Zeit gewesen, sich eine Lüge auszudenken. »Die haben wohl noch eine Rechnung offen. Vielleicht hat ja jemand Lynchs Tod persönlich genommen, ich weiß es nicht. Ich denke, irgendwann geben sie’s auf.«

»Oder sie haben Erfolg«, sagte Sutton. »Für den Fall ist das nicht gerade hilfreich, nicht wahr?«

»Für die Fälle«, insistierte Eva.

Sutton zog eine Braue hoch, beharrte jedoch nicht auf ihrem Standpunkt. Sie versuchte es immer noch, das konnte Eva sehen, auch wenn die Argumente, die für einen einzigen Täter sprachen, sich inzwischen fast gänzlich in Luft aufgelöst hatten.

»Und Sie glauben, Sie haben einen Verdächtigen? Fredrick Huss, den Pastor, oder wie auch immer sie so was bei New Thought nennen.«

»Huss hatte Kontakt zu allen vier Frauen. Wir wissen jetzt, dass Alicia Khan mindestens einmal in der Kirche war. Der Ausflug war von der Universität organisiert worden. Eigentlich, um Harreds Gemälde zu sehen, aber Huss war bestimmt auch da. Wir können also zumindest sagen, dass Khan Kontakt mit New Thought hatte. Dass die Theorie darüber hinaus ein bisschen dünn wird, akzeptiere ich ja.«

Sutton sah aus, als würde sie dem nicht widersprechen wollen. Allmählich machte ihr Verhalten Eva Sorgen.

»Flynn ist an Huss dran?«

»Anscheinend ist er ein paar Tage in den Vereinigten Staaten. Die Stammkirche von New Thought ist in New York, und er muss mehrmals im Jahr dorthin. Wir sprechen mit ihm, wenn er zurückkommt.«

Sutton ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. »Und das Chatham Centre?«, fragte sie schließlich.

»Irgendjemand«, sagte Eva und klappte ihren Laptop wieder auf, »versucht definitiv, uns etwas zu sagen. Ich weiß aber nicht, ob es dabei direkt um die Morde geht.« Sie drehte den Bildschirm so, dass Sutton ihn sehen konnte. »Ich habe zwei Nachrichten bekommen; die eine mit dem Namen Robert Isherwood und die andere mit dem Namen Grau Laska.« Auf dem Bildschirm waren drei Dokumente geöffnet und überlappten einander teilweise. Eins war Isherwoods Autopsiebericht, das zweite waren Rajs Informationen über Laska und das dritte der Bericht von Jamie über Chathams Finanzen. »Das mit Isherwood verstehen wir nicht. Er ist bei einem ungeklärten Autounfall auf der M3 ums Leben gekommen. Das mit Grau Laska verstehen wir auch noch nicht, aber wir wissen, dass er ein Linsendesigner und von einiger Wichtigkeit für ProOptica ist. Das ist eine Firma, an die eine Beteiligungsgesellschaft vom Chatham Center signifikante Rechtsansprüche hat. Wir wissen auch, dass diese Beteiligungsgesellschaft Cashflow-Probleme hat, und haben den Verdacht, dass sie versucht, sich aufkaufen zu lassen. Da geht’s um sechzig Millionen. Das könnte ein Mordmotiv sein.«

Jäh knallte Sutton die flache Hand auf den Schreibtisch. »Für Mord, ja, für Verstümmelungen nicht.«

Eva gab sich alle Mühe, nicht zurückzuzucken. Ihr dämmerte, dass Sutton nicht einfach nur unzufrieden mit ihren Fortschritten war. Von wegen dämmern, dachte Eva, während sie sich für das wappnete, was unweigerlich als Nächstes kommen würde. Die Erkenntnis brach über sie herein wie ein einstürzendes Gebäude.

»Sie haben keinerlei Verbindung zwischen einer mutmaßlichen angespannten finanziellen Situation und vier Menschen, denen die Augen rausgeschnitten worden sind, und Sie haben keinerlei Verbindung zwischen einem Foto, das Fredrick Huss angeblich gemacht hat, und vier Frauen, deren Haut in Streifen geschnitten worden ist wie Frühstücksspeck.«

Die Wut in Suttons Stimme war ein Schock für Eva. Einen Moment lang wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte.

»Ich weiß, ich war sehr oft nicht verfügbar«, fuhr Sutton fort, »aber das wird jetzt anders. Ich brauche Fortschritte, Detective Inspector Harris. Es muss sich etwas tun. Ich wusste, dass Sie ein Risiko darstellen, als ich Sie in meiner Dienststelle aufgenommen habe, aber ganz ehrlich, damals ist mir gar nicht viel anderes übrig geblieben.« Sie hob die Hand, als Eva versuchte, sie zu unterbrechen. »Es ist kein Totalausfall, das sage ich ja gar nicht. Aber das Ganze geht nicht einmal annähernd schnell genug, und außerdem, noch einmal ganz ehrlich, habe ich nicht mit all dem persönlichen Gepäck gerechnet, das Sie mitgebracht haben. Ich sage Ihnen hier und jetzt, Harris«, schloss Sutton, während sie aufstand und sich zum Gehen wandte, »entweder sorgen Sie dafür, dass bei dieser Ermittlung einen Gang hochgeschaltet wird, oder ich suche mir jemanden, der das hinkriegt.«