Bei der Geburtstagsparty ging es hoch her. Lachen, schrille Begeisterungsschreie, Tränen und sogar gelegentlich ein Wutausbruch wechselten sich ab wie die Wetterkapriolen im April.
Das Haus der O’Haras war mit bunten Ballons und Luftschlangen geschmückt. Claires Mitstreiterinnen aus dem Granny-Club waren gekommen, einschließlich Rita, die ihre Enkelin Nicola Hallet und ihren Urenkel Colin mitgebracht hatte. Brianna mit ihren Zwillingstöchtern Aisling und Rhianna waren da und Anna und Luke mit Crash.
„Auf ausdrücklichen Wunsch der zweijährigen Gastgeber.“ Anna lachte. „Außerdem ist er unser Fellkind und passt in die Altersgruppe.“
Megan fiel der zärtliche Blick auf, den sich die Davenports zuwarfen. Ob da ein weiteres Kind unterwegs war? Leider bot sich ihr keine Gelegenheit, Anna zu fragen, ob sie ein süßes Geheimnis hütete.
Die Feier war in vollem Gange. Geschenkpapier türmte sich auf dem Boden, es wurden Spiele veranstaltet, und der Lärmpegel war beachtlich.
Megan hatte angeboten, in der Küche zu helfen, wo Claire und ihre Freundinnen mit Ausstechförmchen Minisandwichs in Form von Katzen, Pferden, Fröschen und anderen Tieren kreierten und kleine Pizzas und Chicken-Nuggets in den Ofen schoben. Aber Claire hatte sie zurück ins Wohnzimmer gescheucht, sie sollte sich lieber amüsieren und Spaß haben.
Auf dem Weg nach draußen kam sie an einer Platte mit mundgerecht geschnittenen Obststückchen und zwei Geburtstagskuchen vorbei. Der eine rosa, in Form eines Ponys mit glitzernder Mähne, und der andere ein neongrüner Dinosaurier mit gelben Schokolinsen verziert. Lächelnd gesellte Megan sich wieder zu den anderen Gästen.
In den letzten Tagen war sie sehr unruhig gewesen. Die Party stand ihr bevor und auch Charles’ Besuch. Charles erwartete sicher, dass sie erfolgreich gewesen war mit dem, was sie sich von ihrer Stippvisite in Penhally Bay versprochen hatte: Mit der Vergangenheit Frieden zu schließen, um voller Vertrauen in ihre neue Zukunft gehen zu können.
Aber nachdem sie erkannt hatte, dass sie an der ganzen traurigen Geschichte mit Josh genauso viel Schuld trug wie er, verstrickte sie sich nur noch tiefer in ein Netz von Erinnerungen und sehnsüchtigen Gefühlen. Kein Wunder, dass sie sich von ihrem ursprünglichen Ziel ablenken ließ und lieber an das Spendenprojekt für die Klinik dachte oder – zu ihrem Erstaunen – einfach Spaß hatte.
Das mulmige Gefühl, das sie seit ihrer Zusage zu dieser Party nicht mehr losgelassen hatte, verschwand in dem Moment, als sie das Haus der O’Haras betrat. Die Zwillinge hatten sie sofort entdeckt und rannten auf sie zu.
„Meggy!“, riefen zwei helle Stimmchen.
Brenna und Max warfen sich ihr in die Arme und schmiegten sich an sie, als wollten sie sie nie wieder loslassen. Die hübsch verpackten Geschenke beachteten sie kaum. Megan machte sie schließlich darauf aufmerksam, auch um wieder etwas Abstand zu gewinnen. Zu nahe kamen ihr die warmen Kinderärmchen, drohten ihr Herz festzuhalten, und das durfte sie nicht zulassen.
Josh tauchte neben ihr auf, ein stolzes Lächeln im Gesicht, als die Zwillinge sich artig für die Geschenke bedankten.
Und dann flitzten sie los, zurück zu ihren Spielkameraden, und auf einmal war Josh ihr zu nahe. Sie hatte sich noch nicht fangen können, war zutiefst berührt davon, wie die Kleinen sie begrüßt hatten. Kinder verschenkten ihre Liebe so unkompliziert, so bedingungslos …
„Gute Wahl“, sagte Josh immer noch lächelnd.
Megan senkte den Blick. Sein Lob, die Gefühle, die die Kinder in ihr geweckt hatten, das war fast zu viel für sie. „Dafür musst du der Verkäuferin im Spielzeuggeschäft danken. Sie meinte, Verkleidungen wären in diesem Alter der Renner.“
Deshalb trug Max nun einen knallgelben Bob-der-Baumeister-Helm, einen kleinen Werkzeuggürtel und die Miniaturausgabe einer leuchtenden Schutzweste. Brenna hatte ihr Tutu sofort übergezogen und sich das glitzernde Diadem auf die dunklen Locken gesetzt. In der Hand hielt sie den silbrigen, mit einem schimmernden Stern gekrönten Zauberstab und schwenkte ihn im Takt der Musik. Die anderen Kinder tanzten ausgelassen hinter ihr her.
Josh und alle anderen Erwachsenen sahen lächelnd zu, und Megan ertappte sich dabei, dass sie Josh betrachtete und ihr Herz sich dabei mit Zärtlichkeit füllte.
In den letzten Tagen hatte sich etwas verändert.
Etwas Wichtiges.
Der Zorn war verschwunden. Das Gefühl, dass Josh sie betrogen hatte, als er mit Rebecca schlief.
Und mit dem Zorn das Fundament, auf das sie ihre feste Überzeugung gegründet hatte, dass sie und Josh niemals zusammen sein würden. Es war einfach weggebrochen, in unzählige Bröckchen, die nichts mehr hielten.
Was bedeutete das für sie?
Dass sie frei war, frei für Josh, frei für die Gefühle, die er immer noch in ihr weckte wie kein anderer?
Nein. Sie musste an Charles denken. Und dann war da noch Afrika, das, woran ihr Herz hing.
Hier war es allgegenwärtig. Wenn sie mit jemandem ins Gespräch kam, ging es immer um Afrika. Wendy, die Großmutter des dreijährigen Shannon, erzählte ihr stolz von dem Kuchenverkauf, den sie und ihre Freundinnen für die nächste Woche planten.
„Wir wollen mindestens hundert Pfund einnehmen“, verkündete sie strahlend. „Und alles für Bücher, Hefte und Stifte ausgeben.“
Das hörte Margaret, die mit zwei Enkelkindern, dem vier Jahre alten Liam und seinem jüngeren Bruder Jackson, zur Geburtstagsfeier gekommen war. Sofort kam sie zu ihnen herüber. „Mr Prachett vom Buchladen will uns einen großen Preisnachlass gewähren. Er hat Bilderbücher herausgesucht, die ohne Text Geschichten erzählen. Und er möchte Papier und Buntstifte spenden.“
Eine dritte Großmutter, die sich als Miriam vorstellte, reichte Megan eine Tasse Tee. „Ich kümmere mich um die Kleiderspenden“, sagte sie. „In meinem Nähzimmer stehen zwei riesige Kisten. Ich wasche die Sachen, bügele sie und flicke die, wo es nötig ist, bevor wir alles verpacken. Wir hatten um leichte Kleidung gebeten, Baumwollkleider, Shorts und T-Shirts. Das ist doch richtig, oder?“
„Ja, wunderbar.“ Sie war ganz gerührt von der Großzügigkeit und der Begeisterung der älteren Damen. „Sie alle sind großartig.“
„Nein, Sie sind großartig, Megan“, antwortete Miriam. „Es macht uns viel Freude, Spenden zu sammeln, aber wir tun es aus einem sicheren Hafen heraus. Uns und unseren Familien geht es gut, wir leiden keine Not. Aber Sie, Sie waren bereit, ans Ende der Welt zu reisen und dort mit anzupacken, wo Hilfe gebraucht wird. Unter Bedingungen wahrscheinlich, die wir uns hier kaum vorstellen können.“
Josh, der mit den Kindern Riesenseifenblasen blies, hatte es gehört und sah zu ihnen herüber. „Megan ist ein Engel“, sagte er. „Fragt meine Mutter.“
Die Großmütter lächelten, nur Megan meinte einen besonderen Unterton in seiner Stimme wahrzunehmen. Und was sie in seinem Blick las, war weit von der Bewunderung der Frauen entfernt. Schließlich wusste er genauso wie sie, dass ihre Beweggründe, nach Afrika zu gehen, nicht so uneigennützig gewesen waren, wie es schien.
Hätte sie sich anders entschieden, wenn sie damals gewusst hätte, was ihr jetzt erst klar geworden war?
Zum Glück wandte sich Josh wieder dem Spiel mit den Kindern zu, und die Fragen, die jetzt kamen, waren leicht zu beantworten.
„Wie war es dort?“, wollte Wendy wissen. „Im Flüchtlingslager?“
Megan dachte an die unerträgliche Hitze, den Schmutz, das Leiden so vieler Menschen. „Es ist riesig, wie eine Stadt. Im Lager selbst leben hundertunddreißigtausend Flüchtlinge und an den Rändern noch einmal um die dreißigtausend.“
„Bestimmt kein leichtes Leben.“
„Nein. Es ist heiß und schmutzig, Gewalttaten sind an der Tagesordnung. Aber das Schlimmste sind die Krankheiten. An die achttausend Kinder sind unterernährt, viele haben ihre Eltern verloren, die an Aids erkrankt waren. Wir haben mit Diarrhö, Malaria und Denguefieber zu kämpfen.“ Megan schwieg. Eine Geburtstagsparty war kaum der Ort, um weiter in die traurigen Einzelheiten zu gehen. Sie würde bei anderer Gelegenheit davon berichten, vielleicht bei einer Spendenveranstaltung.
Doch die Frauen hingen buchstäblich an ihren Lippen und hatten noch mehr Fragen. „Was ist das für eine Klinik? Ist es mehr ein medizinisches Zentrum oder ein richtiges Krankenhaus? Haben Sie dort auch OP-Säle und Entbindungsstationen?“
„Ja, aber mit dem St. Piran lässt es sich nicht vergleichen.“
Megan wurde abgelenkt, als ihr Blick an Margaret vorbei auf Brenna fiel. Die Kleine schaffte es nicht, den Ring so vor die Lippen zu halten, dass sie eine Seifenblase pusten konnte, und war den Tränen nahe. Josh ging neben ihr in die Hocke, umschloss ihre kleine Hand mit seiner großen, tunkte den Ring in die Seifenlauge, führte ihn an Brennas Mund und machte ihr vor, wie sie pusten sollte.
Das Mädchen holte tief Luft und blies so gewaltig, dass eine Wolke schillernder Bläschen aufstieg. Brenna quietschte vor Lachen, ihre Augen strahlten. Josh lächelte seine Tochter voller Liebe an, und Megan wurde warm ums Herz.
„Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“, fragte sie, weil sie Wendys Frage nicht ganz mitbekommen hatte.
„In der Zeitung habe ich gelesen, dass die Krankenhäuser in der Umgebung genau wie das St. Piran Instrumente und Medikamente spenden wollen. Ist das nicht toll?“
„Auf jeden Fall.“
„Denguefieber …“ Miriam runzelte die Stirn. „Das hatten Sie doch auch, oder?“
„Mir geht es schon viel besser.“
„Das sieht man. Es liegt sicher an unserer herrlichen Seeluft.“
Aber Megan dachte nicht an ihre Gesundheit, sie war in Gedanken bei Josh. Schon einmal hatte sie diesen wundervollen Ausdruck von Liebe in seinen Augen gesehen. Lange, bevor Brenna geboren wurde, lange, bevor überhaupt auch nur ein Gedanke an sie existierte.
In einem schwach beleuchteten Dienstzimmer im St. Piran, als sie in Joshs Armen lag und er sie anblickte wie das Liebste, das er auf der Welt hatte.
Und wie in einem Spiegel hatte er ihre Liebe zu ihm in ihren Augen gelesen.
Diese Liebe glühte noch immer in ihr, so stark, dass ihr heiß wurde. Megan zog den kirschroten Cardigan aus, den sie zu Jeans und einer weißen Bluse trug.
Auf einmal stand Josh neben ihr, streckte die Hand aus. Hatte er gemerkt, was in ihr vorging? „Komm, ich nehme dir das ab und hänge es an die Garderobe.“
„Ja …“ Wendy nickte zufrieden. „Sie haben wirklich ganz rosige Wangen, meine Liebe.“
Das Blut war ihr ins Gesicht gestiegen, als Joshs Hand ihre streifte. Sie konnte ihn nicht ansehen, doch dann fiel ihr Blick auf seine schlanken sonnengebräunten Finger, die ihre Jacke hielten. Megans Fantasie gaukelte ihr erotische Bilder vor, von anderen Kleidungsstücken, zart, aus hauchdünner Spitze, die er ihr auszog …
„Ich sehe mal nach, ob deine Mutter in der Küche Hilfe braucht“, murmelte sie und setzte zur Flucht an.
„Seht ihr?“ Er lächelte charmant in die Runde. „Habe ich nicht gesagt, sie ist ein Engel? Du musst hier nicht arbeiten, Megan. Amüsier dich ruhig.“
Sie schüttelte den Kopf, brachte mühsam ein Lächeln zustande. Bald gab es Essen, Claire brauchte bestimmt Unterstützung. Außerdem musste sie weg von Josh. Sie war ganz durcheinander von den Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen, die er in ihr weckte.
Es hatte sich etwas verändert. Und es erschütterte alles, worauf sie in den letzten zwei Jahren gebaut hatte.
Aber das war nur eine Seite der Medaille.
Josh hatte sich auch ein Fundament gebaut, in dem das Hindernis, das ihn und Megan für immer trennte, fest verankert wurde. Der Zement war an dem Tag gegossen worden, als Josh ihr sagte, dass Rebecca von ihm schwanger war. Megan hatte wahrscheinlich ein paar verstärkende Stahlgitter hinzugefügt, indem sie sich davongemacht hatte, ohne wenigstens aus Anstand an Rebeccas Beerdigung teilzunehmen.
Das musste Josh sehr getroffen haben. Seine Bemerkung vorhin mit dem Engel verriet, dass der Ärger darüber immer noch unter der Oberfläche schwelte. Und das war nicht alles. Sie hatte ihm vorgeworfen, sie belogen zu haben, als er ihr erzählte, dass seine Ehe am Ende sei.
Würde er ihr das jemals vergeben?
Er hatte gesagt, er hasse sie nicht. Dass er sie nie hassen könnte.
Und während er das sagte, hatte er sie angesehen, als wollte er sie küssen. Leidenschaftlich und innig, bis sie alles um sich herum vergaß.
Zwischen ihnen knisterte es noch immer, die Gefühle waren da, und sie waren stark.
Aber waren sie auch stark genug? Konnte sie sich darauf verlassen? Wollte sie es überhaupt herausfinden? Wenn sie nun wieder enttäuscht wurde, wie schon einmal bei Josh O’Hara?
Genauer gesagt, zweimal.
Auf Dauer ertrug es kein Mensch, immer und immer wieder verletzt zu werden, ohne daran zugrunde zu gehen.
Sollte sie also die Beine in die Hand nehmen und laufen, so weit sie konnte? Das wäre sicher am vernünftigsten!
Josh blickte Megan nach, als sie in der Küche verschwand. Das Zimmer wirkte ohne sie plötzlich leer, was natürlich albern war, weil es hier von quirligen Kindern und Erwachsenen nur so wimmelte.
Und mittendrin ein Hund, groß wie ein Kalb. Crash bewies eine Engelsgeduld mit den kleinen Rackern, die in seinem Fell wühlten, seine Nase streichelten oder versuchten, auf seinen Rücken zu klettern. Doch Luke war immer in der Nähe und passte auf, dass sie ihn nicht als Reittier benutzten.
„Wir ziehen mal los“, meinte er grinsend zu Josh. „Ich schätze, wir Davenports brauchen alle ein bisschen frische Luft und Auslauf am Strand. Wenn wir noch länger bleiben, füttern sie Crash noch mit Süßigkeiten, und die Folgen wünscht sich keiner.“
Josh lachte auf. „Du hast recht. Aber schön, dass du ihn mitgebracht hast.“
Der Geräuschpegel stieg, als Shannon einen Trotzanfall bekam. Der kleine Junge lag flach auf dem Rücken und trommelte wütend mit den Fersen auf den Boden. Josh sah Luke bedeutungsvoll an. „Kann ich verstehen, dass du verschwinden willst“, murmelte er. „Das treibt einem jeden Kinderwunsch aus, was?“
„Zu spät“, antwortete Luke, aber er lächelte. Ziemlich glücklich, sogar.
Josh wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was, weil ihm die Worte fehlten, und dann war die Gelegenheit verpasst. Kleine Hände zupften an seinen Hosenbeinen.
„Daddy … Arm!“
Claire erschien an der Tür, als er Brenna gerade hochgehoben hatte. „Wer hat Hunger?“, rief sie, um den Lärm zu übertönen. „Und wer möchte Saft?“
Shannon hörte auf zu brüllen, aber es wurde nicht leiser, weil nun alle Kinder juchzend in die Küche stürmten. Luke und Anna nutzten ihre Chance, unauffällig mit Crash zu verschwinden, und Josh sah ihnen nach, in Gedanken bei den unerwarteten Neuigkeiten der beiden.
„Hier …“ Claire drückte ihm ein Glas Sekt in die Hand. „Gib das Megan.“
„Ich weiß nicht, ob sie noch lange bleiben wird.“
Seine Mutter gab einen Laut von sich, den er noch aus der Kindheit kannte. Tu, was ich dir sage, hieß das. Josh fügte sich und machte sich mit dem Glas auf den Weg zu Megan. Er war überzeugt, dass sie ablehnen und die Gelegenheit nutzen würde, sich zu verabschieden. Sie hatte nicht zu dieser Party kommen wollen, was er ihr nicht verdenken konnte. Im Grunde hatte er erwartet, dass sie einen kurzen Anstandsbesuch machen würde, um nicht unhöflich zu sein, eine Tasse Tee trank und schnell wieder verschwand.
Aber er hatte sich getäuscht. Lächelnd nahm Megan das Glas entgegen. „Was für eine nette Idee. Danke, Josh.“
„Gern geschehen.“ Seine Haut prickelte leicht, dort, wo sich ihre Hände flüchtig berührt hatten. Hatte Megan es auch gespürt?
Josh wusste es nicht, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass Megan ihn heute anders ansah. Und wie sie ihn anlächelte … offener, wärmer als sonst.
Seit ihrer Unterhaltung in der Kantine hatte er sie nicht mehr gesehen. Josh fragte sich wieder einmal, ob er sie geküsst hätte, wenn Brianna und ihre Kolleginnen nicht plötzlich aufgetaucht wären.
Gedankenvoll betrachtete er sie. Sie lächelte wieder, diesmal seiner Mutter zu, und hob ihr Glas an die Lippen. Als sie getrunken hatte, schimmerte ein Tropfen Sekt an ihrer Unterlippe, und sie leckte ihn ab. Josh starrte auf ihre rosige Zungenspitze und spürte, wie sich tief in ihm Verlangen regte. Fast hätte er laut aufgestöhnt.
Wie gebannt sah er auf ihren Mund, wollte diese weichen Lippen küssen. Es war wie ein Sog, dem er sich nicht entziehen konnte, gefährlich und verlockend zugleich.
Da sah Megan ihn plötzlich an, so als hätte sie gespürt, was in ihm vorging. Und er konnte ihrem Blick nicht ausweichen, ließ es zu, dass sie Lust und Begehren in seinen Augen las.
Neben ihm kletterte Brenna auf einen Stuhl, ein Chickennugget halb zerquetscht in ihrer kleinen Faust. „Für dich, Daddy“, verkündete sie stolz.
„Hm …“, antwortete er vage, rührte sich aber nicht. Er sah seine Tochter nicht einmal an. Schaffte es nicht, den Blick von Megan abzuwenden.
Sanfte Röte überzog ihre Wangen, ihre Lippen öffneten sich leicht. Der Raum war voller Menschen, doch der Trubel drang nur gedämpft an sein Ohr. Wie vor ein paar Tagen in der Kantine hatte er das Gefühl, dass er allein auf der Welt war, nur Megan war bei ihm, und alles andere zählte nicht.
„Daddy!“, ertönte ein ungeduldiges Stimmchen.
Josh bückte sich und öffnete gehorsam den Mund. Seine Tochter steckte ihm das knusprige Stückchen Huhn zwischen die Lippen, lachte zufrieden, und der magische Moment war endgültig gebrochen.
Der rosige Schimmer auf Megans Wangen jedoch blieb. Lag es am Sekt? Oder daran, dass Claire sie mit Lob überschüttete?
„Sie hat mir das Leben gerettet. Glaubt mir, wenn sie nicht gewesen wäre, könnte ich heute nicht mit euch den Geburtstag meiner Enkel feiern. Megan ist mein Schutzengel, ja, wirklich. Wo ist meine Kamera? Ich möchte ein Foto von ihr und mir.“
Rita war gern bereit, die beiden Frauen abzulichten, wie sie Seite an Seite in die Kamera lächelten.
Und dann wollte Claire Megan mit den Zwillingen fotografieren. „Sie hat sich gleich nach der Geburt um sie gekümmert. Ohne sie hätten sie es vielleicht nicht geschafft.“ Claire wischte sich eine Träne von der Wange. „Unser Engel …“
Josh hielt sich abseits, während seine Mutter Megan zu einem Stuhl dirigierte. Brenna setzte sich gern auf Megans Knie, aber bei Max musste Claire all ihre Überredungskünste einsetzen. Sein Sohn fand es viel interessanter, mit seinem Plastikhammer Chickennuggets flach zu klopfen. Erst als seine Großmutter ihm versprach, dass er gleich alle Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auspusten dürfe, ließ er von seiner Beschäftigung ab. Gleich darauf saßen die Kinder auf Megans Schoß.
Es war ein Anblick, bei dem Josh das Weiteratmen schwerfiel. Brenna hob ihr Händchen und schien nicht widerstehen zu können, mit Megans weichen Locken zu spielen. Doch dann überlegte sie es sich anders und berührte ungewöhnlich zärtlich für so ein kleines Kind Megans Wange.
Claire tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen ab, als Rita ein paar Mal hintereinander den Auslöser betätigte.
Mum hat recht, dachte Josh. Ohne Megan hätte diese Geburtstagsfeier vielleicht nie stattgefunden. Sie war da gewesen, hatte für sie gesorgt, als sie ihre ersten Atemzüge taten.
Er stellte sich die angespannte Atmosphäre im Kreißsaal vor, das helle Neonlicht, das Zischen der Beatmungsgeräte, die Alarmsignale der Monitore. Wie schwer musste die Situation für Megan gewesen sein, während er draußen im Flur rastlos hin- und herging, zwischen Hoffnung und Verzweiflung auf Nachrichten wartete?
Sicher schwer zu ertragen. Er hatte sie gebeten, seine Kinder zu retten. Unvorstellbar, dass er auch diese Babys verlor … Aber es war Megans Baby gewesen, das damals gestorben war, obwohl er alles versucht hatte, um es am Leben zu erhalten. Stephen … so hatte sie ihren – und seinen Sohn – genannt.
Und dann wiederholte sich die Geschichte, nur dass durch eine grausame Ironie des Schicksals das Leben seiner Kinder von Megan abhing. Kein Wunder, dass sie nicht bis zu Rebeccas Beerdigung geblieben war. Die emotionale Belastung musste zu groß gewesen sein, und Megan hatte schon mehr getan, als man von ihr verlangen konnte.
Ihr verdankte er, dass er jeden Tag von Neuem das Glück erleben durfte, das sein Sohn und seine Tochter ihm schenkten.
Und dass seine Mutter noch bei ihnen war.
Seine Brust fühlte sich an wie in einen Schraubstock gezwängt, seine Kehle war wie zugeschnürt. Wie selbstsüchtig war er nur gewesen! Wie hatte er Megan übelnehmen können, dass sie alles hinter sich lassen wollte und weit weg gegangen war? Oder dass sie ihm nicht glaubte, als er ihr erklärte, es hätte nichts zu bedeuten, dass er noch einmal mit Rebecca geschlafen hatte? Josh fiel es wie Schuppen von den Augen. Sein Verhalten war an Überheblichkeit nicht zu überbieten. Wie sollte Megan ihm denn vertrauen, wenn er sie schon einmal im Stich gelassen hatte, damals, nach ihrer ersten Liebesnacht?
Und beim zweiten Mal, als es ihm nicht gelungen war, ihr Kind zu retten?
Was hatte sie noch gesagt? Dass sie ihm von ihrer Verlobung nichts erzählt hatte, weil sie nicht wollte, dass er sie hasste?
Als könnte seine Liebe zu ihr jemals in Hass umschlagen …
Gerade jetzt, als er sie in seinem Haus sah, zusammen mit seinen Kindern, da liebte er sie mehr als je zuvor. Der Zauber jener ersten Nacht kam zurück, wirbelte seine Gefühle durcheinander, bis ihm schwindlig zu werden drohte.
Was in diesem Augenblick mit ihm passierte, war so machtvoll und intensiv, dass ihm plötzlich seltsame Gedanken kamen: Megan als Mutter seiner Kinder … das Bild, das er vor Augen hatte, erschien ihm richtig und gut.
Was sollte er tun? War es nicht längst zu spät, den Faden dort wieder anzuknüpfen, wo er damals zerrissen war, an jenem Abend in ihrem Cottage, als er endgültig mit ihr Schluss machte?
Megan hatte sich ein neues Leben aufgebaut, jemanden kennengelernt, den sie heiraten wollte.
Sie war nicht mehr zu haben, egal, wie richtig es sich anfühlte, dass sie nicht mit diesem Charles, sondern mit ihm zusammen war.
Du musst loslassen, dachte er. Dich für sie freuen, dass sie glücklich ist. Ohne dich.
Aber … sie war heute so anders. Wie sie ihn angelächelt hatte …
Die Verwirrung, die Josh empfand, schien ansteckend zu sein. Für Max war die aufregende Party auf einmal zu viel. Er schlug mit dem Plastikhammer nach seiner Schwester, die daraufhin aufheulte und herzzerreißend zu schluchzen anfing.
Claire versuchte, ihren Gast von den kleinen Streithähnen zu befreien, doch Brenna klammerte sich an Megan und brüllte noch lauter. Dabei strampelte sie mit den Beinchen, sodass ihr Bruder von Megans Schoß fiel. Max verzog das Gesicht und brach ebenfalls in Tränen aus.
Josh hob ihn auf, drückte ihn an sich und sprach beruhigend auf ihn ein. Im Moment wäre es zwecklos, ihm erklären zu wollen, wie er seinen neuen Hammer einsetzen durfte und wie nicht. Das musste warten, bis Max solchen Ermahnungen zugänglich war.
„Wir sollten das Kuchenessen verschieben“, meinte Claire, und die anderen Erwachsenen nickten zustimmend. Max und Brenna waren nicht die einzigen Kleinen, denen der Trubel zu viel geworden war.
Megan war auch aufgestanden. Sie hielt Brenna in den Armen, wiegte sie und sprach leise mit ihr.
„Saft, Daddy …“ Sein Sohn hatte sich anscheinend beruhigt.
„Ich hole ihm etwas“, sagte Claire. „Kannst du inzwischen die Tütchen verteilen?“ Jeder Gast bekam noch eine bunte Tüte mit Süßigkeiten und Spielzeug mit.
„Klar.“ Josh blickte kurz über die Schulter, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte, wo der Korb mit den Abschiedsgeschenken stand. Brenna war an Megans Schulter eingeschlafen, Daumen im Mund, ein Ärmchen um Megans Hals geschlungen.
Als er in die Küche zurückkehrte, waren nur noch zwei Gäste da, und Max saß am Tisch, aß Pizza und blickte sehnsüchtig auf seinen grünen Dinokuchen.
„Später“, vertröstete ihn seine Großmutter. „Du bekommst ein Stück als Nachtisch zum Abendessen.“
Megan war nirgends zu sehen.
„Sie bringt Brenna ins Bett“, erklärte Claire. „Kannst du mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist?“
„Natürlich.“ Doch Josh erwiderte das Lächeln seiner Mutter nicht. Arme Megan. Sie war nicht nur zu einer Geburtstagsfeier gegangen, an der sie eigentlich nicht teilnehmen wollte, sondern unverhofft in die Mutterrolle gedrängt worden.
Wie kam sie damit zurecht?
Megan war zutiefst erleichtert gewesen, als Brennas Schluchzen verstummte und ihr kleiner Körper sich spürbar entspannte. Es war ein süßes Gefühl, das schlafende Mädchen im Arm zu halten. Megan wollte nicht riskieren, es aufzuwecken, als Claire ihr Brenna abnehmen wollte. Also bot sie an, die Kleine selbst hinzulegen.
Und nun kniete sie neben dem Bett und betrachtete sie. Kleiner Engel, dachte sie. Im Schlaf sahen Kinder so unschuldig aus, mit ihren runden Wangen, dem Rosenknospenmund und der glatten weichen Haut.
Kostbare Wesen.
Und so verletzlich.
Das Gefühl, das sie erfüllte, war so stark, dass es ihr für einen Moment die Luft nahm. Megan schloss die Augen.
Wie hatte das passieren können?
Warum hatte sie es nicht kommen sehen und sich besser davor geschützt?
Aber es war zu spät, sie hatte Brenna tief in ihr Herz geschlossen.
Joshs Tochter.
Megan nahm eine Bewegung hinter sich wahr. Oder vielleicht hatte sie Joshs Nähe gespürt, als er leise das Zimmer betrat. Immer noch auf Knien wandte sie sich um, wusste, dass er die Tränen in ihren Augen schimmern sehen, ihr anmerken würde, wie aufgewühlt sie war. Sie liebte ein Kind, das nie zu ihr gehören würde. Und jetzt sah sie den Mann an, den sie liebte – und der auch nie ihr gehören konnte.
Er murmelte etwas, so leise, dass sie die Worte nicht verstand, doch seine Stimme klang besänftigend, wie Streicheln auf der Haut. Josh streckte die Hand aus, um Megan aufzuhelfen, ließ sie aber dann nicht los. Stattdessen zog er sie in die Arme und drückte sie fest an sich.
Es fühlte sich gut und richtig an. Der Schmerz, der die letzten Jahre bestimmt hatte, zog sich zurück, während Megan Joshs warme, starke Arme spürte, seinen männlichen Duft wahrnahm. In diesem Moment wollte sie nicht mehr gegen ihre Gefühle ankämpfen, einmal nicht verleugnen, wie sehr sie diesen Mann immer noch liebte.
Megan hob den Kopf und sah Josh an. Ihre Blicke verfingen sich, konnten nicht mehr loslassen.
Langsam, so langsam, dass sie zurückweichen könnte, wenn sie gewollt hätte, senkte Josh den Kopf. Aber Megan wollte nicht, sehnte sich unglaublich danach, seine warmen Lippen auf ihren zu spüren.
Und dann berührte Josh ihren Mund, so sanft und zärtlich, so voll inniger Liebe, dass sie diesen Augenblick nie wieder vergessen würde.
Tief in ihr entzündete er ein Feuer, wie ein Funke, der lange schwelende Glut zu einer verzehrenden Flamme entfachte. Verlangen prickelte durch ihren Körper. Megan öffnete die Lippen, drängte sich an Josh, hörte jemanden seufzen, bis sie begriff, dass sie selbst es war, die diesen sehnsüchtigen Laut ausgestoßen hatte.
Wie im Rausch küssten sie sich, gaben der Leidenschaft nach, die sie immer wieder zueinandertrieb.
Ein Geräusch brach den Zauber.
Keine Schritte, weil jemand die Treppe heraufkam. Auch Brenna schlief fest. Es war Megans Handy, das ihr eine SMS meldete. Etwas benommen von dem, was gerade passiert war, löste sie sich aus Joshs Armen und zog das Gerät aus der Hosentasche.
Während sie die Nachricht aufrief, spürte sie Joshs Blick. In ihrem Kopf schlug eine Alarmglocke, und der Gedanke, der sie vorhin beschäftigt hatte, drängte sich wieder in den Vordergrund.
Es hatte sich etwas verändert, und die Gefahr wuchs, dass sie wieder verletzt wurde – wie schon so oft, wenn Josh im Spiel war. Sie durfte sich nicht wieder mit ihm einlassen, das war noch nie gut ausgegangen!
„Von Charles“, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. „Er wartet am Cottage auf mich.“
Geladene Stille erfüllte den Raum.
„Dann solltest du besser gehen.“ Seine Worte klangen genauso tonlos wie ihre.
Megan konnte ihn immer noch nicht ansehen. „Ja“, brachte sie endlich mühsam hervor.
Er blickte ihr nicht nach. Regungslos stand Josh da und betrachtete seine schlafende Tochter.