Mak rutschte neben Neena auf den Sitz und warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, um ihre Stimmung zu erraten – er wollte sich entschuldigen, aber wie?
Neenas Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Sie verließ das Klinikgelände, bog dann aber links ab, weg von der Straße, auf der sie gekommen waren. Diese Richtung kannte Mak noch nicht.
Bald tauchte in der flachen Landschaft unerwartet ein rauer, felsiger Hügel auf. Die Straße führte in mehreren Windungen hoch zu einem kleinen Plateau.
Neena hielt an und stieg aus, entschlossen, die Dinge zwischen ihnen hier und jetzt zu klären. Zum Wohl der Stadt musste sie mit Mak zusammenarbeiten, deswegen war es das Beste, für klare Verhältnisse zu sorgen.
„Dies hier ist der beliebteste Aussichtspunkt der Gegend, mit einem kleinen See dort unten. Er wird von einer Quelle gespeist“, erklärte sie. „Vor ein paar Jahren spendete jemand der Stadt Geld für Kunst. Damit wurde ein Künstlerworkshop finanziert. So entstanden die Skulpturen dort weiter hinten.“
Sie liebte diesen Platz. Wenn sie hier oben saß, mit freiem Blick über das weite Land, das sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte, fühlte sie sich immer von wohltuender Ruhe und Frieden erfüllt.
Langsam gingen sie zu den mannshohen Skulpturen hinüber, die aus dem roten Sandstein des Hügels gehauen waren: The Working Man, The Rainbow Serpent, The Shearer und The Drover. Ganz am Ende stand die sehr frei gestaltete Figur einer Mutter mit ihrem Kind. Sie hieß Serenity – Gelassenheit. Aber das behielt Neena lieber für sich.
Mit einer Handbewegung lud sie Mak ein, sich auf die Bank neben sie zu setzen.
„Ich habe mich gefragt …“, begann sie mit heftig klopfendem Herzen. „Mak Stavrou, das ist ein griechischer Name, und Hellenic Enterprises ist eine Firma mit griechischem Namen … Besteht da eine Verbindung?“
Als er nicht sofort antwortete, fragte sie sich, ob er sie belügen würde. Würde sie es überhaupt bemerken?
Wahrscheinlich nicht, aber sie wollte nicht mehr so tun, als würde sie ihm seine Geschichte abnehmen, wenn sie doch so große Zweifel hatte. Insgeheim wünschte sie sich, dass sie unbegründet waren …
„Theo war mein Neffe.“
„Hat seine Mutter Sie geschickt?“
„Nein! Okay, sie hat zwar ihre Finger im Spiel, was meinen Job betrifft, aber die Firma möchte der Stadt helfen, und ich habe die nötige Qualifikation dafür. Und was den Rest betrifft … Nun, das Kind wird zur Familie gehören, es wird das Enkelkind meiner Schwester sein, der Urenkel unserer Mutter.“
„Geht es wirklich nur um die Familie oder darum, dass Theo dem Kind Firmenanteile vermacht hat? Weswegen sind Sie wirklich hier?“
„Wir sind Griechen, die Familie kommt für uns an erster Stelle, Neena, das war der Hauptgrund für mich, herzukommen. Ich möchte, dass das Kind seine Familie kennenlernt und in dem Bewusstsein aufwächst, dass wir alle immer für es da sein werden. Und für Sie natürlich auch.“
„Ich höre noch ein Aber“, sagte sie herausfordernd.
Wieder zögerte er. „Ja“, gab er dann zu. „Diese Firmenanteile erschweren die Situation. Was wissen Sie darüber?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bekam einen Brief von einem Notar, in dem er schrieb, dass Theo bei einem Autounfall ums Leben gekommen wäre und dem ungeborenen Kind Firmenanteile hinterlassen hätte. Sein Tod war ein Schock für mich, Theo war viel zu jung, um so sinnlos zu sterben. Ich habe den Brief irgendwo abgeheftet, aber nie weiter über diese Anteile nachgedacht.“
Er war viel zu jung, um so sinnlos zu sterben … Das hörte sich nicht danach an, als wäre sie zutiefst verzweifelt, weil sie ihn geliebt hatte. Erneut beschlichen Mak Zweifel. Verfolgte sie mit dieser Schwangerschaft doch ein bestimmtes Ziel?
„Sie haben nur diesen einen Brief erhalten?“, fragte er.
Neena wirkte eindeutig beunruhigt. „Nein. Ich glaube, es folgten noch einige, aber ich habe sie nicht gelesen, weil ich keine Zeit hatte, mich damit zu befassen. Ich wollte sie mir irgendwann einmal ansehen, denn schließlich ist das Baby noch nicht auf der Welt. Es dürfte keine Rolle spielen, ob es Anteile hat oder nicht.“
Wie sollte er es ihr erklären? Mak holte tief Luft. „Für das Kind vielleicht nicht, aber für die Zukunft der Firma ist es von enormer Bedeutung. Kompliziert wurde die ganze Geschichte, weil zuerst mein Vater als Leiter des Unternehmens starb und dann kurz darauf Theo. Auch wenn die Söhne meiner Tanten väterlicherseits schon immer Anteile besaßen, so stand bereits fest, dass Theo der Nachfolger meines Vaters werden sollte.“
Mak zögerte. Wie würde sie seine nächsten Worte aufnehmen? Wenn sie auf Geld aus war, würde sie sich freuen, es aber wohl nicht zeigen. Dazu war sie zu klug.
„Ihr ungeborenes Kind hält nun die Mehrheit der Aktien von Hellenic Enterprises.“
Neena starrte ihn an und sagte erst einmal gar nichts. Dann stand sie auf und marschierte hin und her. „Was das bedeutet, kann ich nicht einmal ansatzweise ermessen, aber jetzt verstehe ich die seltsamen Vorschläge, die Theos Mutter mir geschickt hat.“ Neena verschränkte die Arme vor der Brust, und ihre dunklen Augen sprühten Blitze. „Sie hat versucht, mich – meine Stimmen – zu kaufen, und ich dachte, es ginge ihr allein um das Baby!“
„Das Kind ist ihr Enkelkind. Es ist alles, was ihr von ihrem Sohn geblieben ist. Das Kind wird immer Teil der Familie sein.“
„Nicht unbedingt“, fuhr Neena auf, hatte sich aber gleich wieder unter Kontrolle. „Mir gefällt das alles nicht“, sagte sie etwas ruhiger. „Ich kann im Moment nicht klar denken, ich werde mir später darüber Gedanken machen.“
Sie blickte auf den kleinen See weit unter ihnen. Die Vorstellung, dass dem Kind in ihrem Bauch wirklich die Hauptanteile einer Firma gehörten, kam ihr absurd vor. Aber ihr Misstrauen dem Mann gegenüber, der unerwartet in ihr Leben getreten war, hatte sich noch verstärkt.
Derselbe Mann, nach dessen Küssen sie sich sehnte.
Hatte sie den Verstand verloren?
Zum ersten Mal fand sie an diesem Ort nicht die Ruhe und Gelassenheit wie sonst. Schuld daran war Mak Stavrou. Als wären ihre Sinne allein auf ihn ausgerichtet, spürte sie seine Nähe … Sie spürte ein feines Prickeln im Nacken, eine Hitze, die ihren Körper durchströmte, obwohl die Sonne bereits hinter den Horizont sank und eine kühle Brise über den See strich.
Sie durfte sich nicht zu diesem Mann hingezogen fühlen. Ihr Verstand riet ihr, ihn wegzuschicken, weit weg!
Jetzt, da sie wusste, wer er war, konnte sie von ihm verlangen, wieder zu gehen.
Aber die Stadt brauchte ihn. Falls er wirklich hier war, um zu helfen, durfte sie ihn nicht davon abhalten.
Falls …
Mak war verunsichert. Wenn er auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand besäße, würde er die Stadt auf der Stelle verlassen. Aber es war das Letzte, was er wollte.
Der Grund dafür hing weniger mit den Anteilen, Helen oder seiner Mutter zusammen, sondern vielmehr mit der Frau neben ihm. Sie war schön, aber nicht nur deswegen faszinierte sie ihn. Er spürte eine Stärke und Entschlossenheit an ihr, eine Hingabe bei allem, was sie tat … All das machte sie zu einer ganz besonderen Frau.
„Die Sonne geht unter.“ Neena ging um die Skulpturen herum, und er folgte ihr.
Ein Kaleidoskop brillanter, strahlender Farben empfing ihn: Purpur und Zinnoberrot, durchzogen von leuchtenden orangegelben Streifen.
„Fantastisch“, murmelte er, während das grandiose Farbspiel in Malvenlila und zartem Rosa verblasste.
„Ja, unsere Sonnenuntergänge sind einmalig“, sagte Neena. Sie stand ganz still und rührte sich nicht, so als könnte die kleinste Bewegung den magischen Moment zerstören.
Der nächste Tag begann ruhig. Ned servierte Mak ein gehaltvolles Frühstück mit gebratenem Schinken, Eiern und Würstchen, als hätte er von Cholesterin noch nie etwas gehört. Nach einem kurzen Abstecher zu Albert, der sie auf staksigen Beinen begrüßte, begleitete Mak Neena in die Praxis.
Die drei Leichtverletzten von der Bohrstelle waren seine ersten Patienten. Ihre Wunden heilten schnell. Nachdem er sie sich angesehen hatte, wurden sie neu verbunden.
Mittags wurde eine Pause gemacht. Es gab Sandwichs, Obst und Joghurt, gebracht von einer fröhlichen jungen Frau aus dem nahen Café.
„Wenn Sie etwas Warmes essen möchten, sagen Sie nur Bescheid“, sagte sie zu Mak.
„Wir lassen unser Essen immer von dort kommen“, erklärte Mildred, eine der Sprechstundenhilfen. „Ihre Familie betreibt das Café seit Jahren, und Keira wird es eines Tages von ihren Eltern übernehmen. Die Brüder haben kein Interesse. Sie sind im Rodeo-Geschäft.“
Mak musste lächeln. „Stellen Sie sich vor, sie wachsen in einer Gegend auf, in der man sein Geld mit Rodeos verdienen kann“, sagte er zu Neena, die gerade in den Aufenthaltsraum kam.
„Oder als Cowboy im Hubschrauber“, erwiderte sie. „Sind Sie fertig mit Essen?“
Während er bejahte, wickelte sie zwei Sandwichs in eine Papierserviette, schob sie in eine Kühltasche, legte einen Becher Joghurt und eine Flasche Wasser dazu und machte sich auf den Weg zur Tür. „Kommen Sie“, sagte sie über die Schulter gewandt. „Wenn Sie fahren, kann ich essen.“
„Und die Nachmittagspatienten?“
„Die werden sich ein bisschen gedulden müssen. Sie wissen, dass ich sie nur warten lasse, wenn ich zu einem Notfall gerufen werde. Da beschwert sich niemand, schließlich kann jeder mal in die Situation kommen.“
Mak folgte ihr aus dem Raum. Cowboy im Hubschrauber? War ein Hubschrauber abgestürzt?
Auf dem Weg zum Wagen fragte er nach. Neena drückte ihm die Autoschlüssel in die Hand.
„Nein, ein Gyrokopter“, erläuterte sie. „Ein kleiner, leichter Einsitzer. Oft genug Marke Eigenbau, was die Wahrscheinlichkeit, damit vom Himmel zu fallen, erhöht, wenn Sie mich fragen. Die Kollegen des Verunglückten glauben nicht, dass er schwer verletzt ist, wissen aber, dass sie ihn nicht bewegen sollen. Wir fahren hinaus, sehen ihn uns an und verständigen gegebenenfalls die Fliegenden Ärzte. Nach genau zwölf Kilometern müssen wir rechts abbiegen, von dort aus sollten wir die Herde sehen.“
Neena hoffte, dass Mak nicht noch weitere Fragen stellte. Seine tiefe männliche Stimme verfolgte sie bis in ihre Träume und ließ auch jetzt ihr Herz schneller schlagen.
Oder lag es daran, dass sie auf engem Raum so dicht neben ihm saß? Sie sehnte sich so heftig nach seiner Berührung, dass sie sich dafür schämte. Es musste mit den Schwangerschaftshormonen zu tun haben.
Hastig trank sie einen Schluck Wasser und biss in ihr Sandwich. Vorhin hatte ihr der Magen geknurrt, sie musste etwas essen. Aber seit sie neben Mak im Auto saß, verspürte sie einen ganz anderen Hunger …
Nach dem, was er ihr gestern Abend eingestanden hatte, war er jedoch der Allerletzte, mit dem sie etwas anfangen sollte.
„Sehen wir sie von hier aus?“, fragte er, als er endlich abbog.
„Halten Sie nach einer Staubwolke Ausschau. Die Männer treiben die Rinder in unsere Richtung, wir müssen durch sie hindurchfahren. Halten Sie Schritttempo, dann gibt es keine Probleme.“
Mak warf ihr einen ungläubigen Seitenblick zu. „Wir fahren mitten durch eine Rinderherde und müssen damit rechnen, dass wir dabei eins der Tiere verletzen? Und dann?“
„Werden wir es schlachten und essen.“ Neena musste lachen.
Die steile Falte auf seiner Stirn vertiefte sich. „Sie machen Witze, nicht wahr?“
„Eigentlich nicht. Es sind wohlgenährte fette Bullen auf dem Weg zum Schlachthof. Sehen Sie, da kommen sie.“
Sie deutete nach vorn, und Mak sah zuerst die Staubwolke, die den blauen Himmel verschleierte. Davor, wie ein träger rotbrauner Fluss, schob sich langsam die Rinderherde voran.
„Langsam fahren“, erinnerte Neena ihn, aber das war nicht nötig. Je näher sie den mächtigen Tieren kamen, desto beeindruckender wirkten sie, und die Vorstellung, mitten hindurchzufahren, schien Mak eine echte Herausforderung zu sein.
Auf einem knatternden Motorrad kam ein staubbedeckter Cowboy auf sie zu, und Mak kurbelte das Seitenfenster herunter.
„Wir haben Tom dort gelassen, wo er runtergekommen ist“, erklärte der Mann. „Er liegt im Schatten und hat Wasser, ungefähr einen Kilometer von hier.“
Neena dankte ihm und versprach, sich zu melden, sobald sie den Verunglückten untersucht hatten.
„Schaffen Sie es, durch die Herde zu fahren?“, erkundigte sich der Cowboy bei Mak.
„Ich schätze schon“, erwiderte er.
Der Cowboy fuhr wieder los, machte einen weiten Bogen um die Tiere, und Mak fuhr ebenfalls weiter, erstaunt, dass die Rinder den Weg meist freiwillig räumten.
„Heutzutage sind die Tiere Motorräder und andere Fahrzeuge gewohnt“, klärte Neena ihn auf, als sie die Mitte der Herde erreichten und von einem wogenden Meer massiger zotteliger Leiber umgeben waren.
„Hätte ich bloß meine Kamera mitgenommen.“
„Sie werden es auch so nicht vergessen“, sagte Neena mit einem warmen Lächeln, das ihm zu Kopf stieg wie schwerer süßer Wein. „Es gibt Bilder, die sich für immer einprägen.“
„Wie der herrliche Sonnenuntergang gestern Abend“, entfuhr es ihm, doch er bereute es sofort.
Neenas Lächeln verblasste. Dachte sie an ihr Gespräch? Hatte sie sich erinnert, dass er – ihrer Meinung nach – der Feind war? Was war zwischen ihr und Theo vorgefallen, abgesehen von der Schwangerschaft, dass sie eine solche Abneigung gegen ihn und seine Familie hegte? Hatte Theo ihr irgendwelche Versprechungen gemacht? Hatte er sie so verletzt, dass sie ihm nicht vergeben konnte?
Aber dann würde sie doch das Kind nicht behalten, oder?
„Gleich haben wir es geschafft“, riss Neena ihn aus seinen Gedanken. „Noch ungefähr einen Kilometer. Fahren Sie langsam, es kann sein, dass er jenseits des Zauns auf der Weide liegt. Ich beobachte meine Seite, passen Sie auf die andere auf.“
„Da ist er“, rief Mak wenige Minuten später und hielt im Schatten eines Eukalyptusbaums. Der Mann und seine Maschine lagen auf der anderen Zaunseite unter dem einzigen Baum, der dort stand. Mak blickte sich suchend nach einem Zugang zur Weide um.
„Wir steigen durch den Draht, sehen uns den Patienten an, und falls wir dichter heranfahren müssen, schneiden wir den Zaun durch. Nick hat Draht und Drahtspanner bestimmt aus meinem Wagen in diesen umgeladen.“
Mak hatte keine Ahnung, was ein Drahtspanner war. Und er kannte auch keine Frau, die das wusste, geschweige denn, damit umgehen konnte. Neena überraschte ihn jeden Tag aufs Neue.
Immerhin kannte er Stacheldraht und wusste, wie man ihn überwand. Er stellte einen Fuß auf den untersten Draht und hob den nächsten so weit an, dass Neena zuerst ihre Arzttasche auf die andere Seite stellen und danach selbst hindurchklettern konnte. Dann war er an der Reihe, aber manche Dinge waren nicht so einfach, wie sie aussahen. Sein Hemd verfing sich im Stacheldraht, und Neena musste sich vorbeugen und ihn befreien. Dabei stieg ihm schwach der Duft ihrer Haut in die Nase, und sofort regte sich in ihm ein Verlangen, das er jetzt nicht gebrauchen konnte.
Energisch packte Mak die Arzttasche und marschierte auf den Verunglückten zu, der einen ganz munteren Eindruck machte.
„Es hat wohl wieder mein Knie erwischt“, meinte der hagere Mann. „Mein Rückgrat ist okay, denn ich kann mit den Zehen wackeln, meine Finger bewegen, und mir tut auch der Nacken nicht weh. Aber das verdammte Ding rauschte so schnell zu Boden, dass ich instinktiv den Fuß ausgestreckt und mir das Bein lädiert hab.“
„Ach, Tom“, sagte Neena, bevor sie die Männer einander vorstellte und erklärte: „Vor gut einem Jahr hat Tom sich das linke Knie verletzt, als er von seinem Quad flog. In Brisbane hat man ihn dann wieder zusammengeflickt, und es ist besser gelungen, als wir alle vermutet hatten. Aber glaub mir, Tom, ich bin nicht sonderlich froh, dich jetzt schon wiederzusehen.“
Mak untersuchte das verletzte Gelenk. „Ich denke, es ist nur eine Zerrung“, meinte er schließlich. „Aber um sicher zu sein, sollte es geröntgt werden. Ultraschall wäre noch besser. Haben Sie ein Ultraschallgerät, Neena?“
„Ja, gestiftet von Hellenic Enterprises. Vor einiger Zeit kam jemand aus der Firma vorbei, erkundigte sich, was wir so bräuchten, und brachte uns dann das Ultraschallgerät.“
„Schaffen wir ihn in den Wagen und bringen ihn zurück in die Stadt?“, erkundigte Mak sich.
„Ja. Im Wagen liegt noch eine HWS-Schiene, die wir ihm vorsichtshalber anlegen sollten. Ich hole sie.“
Neena war froh, für ein paar Minuten wegzukommen. Als sie Mak vom Stacheldraht befreite, hatte sie seinen Körper berühren müssen, und ihr Herz hatte wie wahnsinnig gepocht. Sich mit Theo einzulassen, war ein großer Fehler gewesen. Ein noch größerer wäre es, sich in seinen Onkel zu verlieben.
Sie hielt Ausschau nach einem Zugang im Zaun, entdeckte aber keinen. Da sie wusste, dass er sich über eine Länge von rund fünf Kilometern erstreckte, musste sie den Draht durchschneiden.
Als sie mit dem Wagen zurückkam, hatte Mak bereits das verletzte Knie verbunden und mit einem Ast geschient.
„Heben wir ihn zusammen an“, schlug sie vor.
„Kommt nicht infrage.“ Mak beugte sich vor und hob den schlaksigen Cowboy ohne Probleme hoch. „Öffnen Sie die Tür.“
Neena zögerte einen Moment, sie war es nicht gewohnt, Befehle entgegenzunehmen. Doch dann wurde ihr klar, dass Tom für Mak von Sekunde zu Sekunde schwerer wurde.
„Wir fahren zurück zur Straße und flicken den Zaun“, verkündete sie. „Du kannst versuchen, dich anzuschnallen, während wir reparieren, Tom.“
„Wir?“, fragte Mak nach.
„Zu zweit ist es einfacher“, erwiderte sie und unterdrückte ein Lächeln. Jetzt hatte sie wieder das Sagen. Vom Zaunflicken hatte er garantiert keine Ahnung.
Sie hielt neben dem Loch im Zaun, stieg aus und holte eine Rolle Draht aus dem Wagen, dazu dicke Lederhandschuhe, eine Zange und den Drahtspanner.
„Haben Sie das immer dabei?“, wollte Mak wissen.
Neena machte sich schon an die Arbeit. „Die Weiden hier sind riesig, da ist es manchmal praktischer, den Draht zu zerschneiden und hinterher wieder zu flicken, als erst nach einem Gattertor zu suchen.“
Mak zog sich ebenfalls Arbeitshandschuhe an. „Lassen Sie mich das machen“, sagte er, als er sah, wie sie sich damit abmühte, die Drähte zu verbinden. Ihre Lippen waren zusammengepresst, die fein geschwungenen dunklen Brauen zusammengezogen. Er griff nach dem Spanner.
„Nein, drehen Sie die Endstücke zusammen“, wehrte sie ab. „Dazu braucht man viel Kraft.“
Schließlich war der Zaun wieder dicht. „Sieht richtig gut aus“, meinte Mak nicht ohne Stolz.
„Stimmt. Ich wette, das hält noch, wenn dieses Kind selbst Kinder hat.“
Neena tätschelte ihren Bauch in einer rührenden Geste, und Mak verspürte den spontanen Wunsch, seine Hand zärtlich auf ihre zu legen.
Hast du den Verstand verloren?
„Soll ich fahren?“, bot er an, um sich abzulenken.
Neena lachte leise auf. „Wollen Sie Tom zeigen, wie gut Sie eine Rinderherde durchqueren können?“, neckte sie, und ihm wurde seltsam warm dabei. „Na schön, fahren Sie. Dann kann ich mein Sandwich aufessen.“
Glücklicherweise verwickelte Tom ihn in ein Gespräch, das Mak ein bisschen von der faszinierenden Frau neben sich ablenkte.
„Und Sie haben das Fluggerät selbst gebaut?“, fragte er, als Tom ihm von der Farmarbeit erzählte.
„Ja, ein sogenannter Tragschrauber. Es ist schon mein dritter, die anderen habe ich zu Bruch geflogen. Aber die meisten Teile waren noch in Ordnung, und ich konnte mir jedes Mal einen neuen basteln.“
„Warum tun Sie sich das an?“, fragte Mak.
Tom lachte. „Brettern Sie mal auf einem Motorrad hinter einer Herde her, dann wissen Sie, warum. Drei Meter über dem Erdboden atmen Sie nur halb so viel von dem verdammten Staub ein! Außerdem finden die Mädchen es cool, dass ich Hubschrauberpilot bin …“
„Ohne Pilotenschein“, erinnerte Neena ihn.
„Für diese Maschinen brauche ich keinen“, entgegnete Tom. „Aber das wissen die Mädchen nicht.“
Inzwischen hatten sie wieder die Staubwolke der langsam dahinziehenden Herde erreicht. Sie von hinten zu durchfahren, erwies sich als unerwartet schwierig. Mak warf Neena einen Blick zu, und ihr schelmischer Ausdruck verriet ihm, dass sie es genau gewusst hatte.
„Sie wenden mir alle ihr Hinterteil zu“, verteidigte er sich, ahnte aber, dass sie sich gerade deswegen amüsierte.
„Dann müssen Sie sie beiseiteschieben.“
Zu seiner Erleichterung tauchte wieder der Cowboy mit dem Motorrad am Seitenfenster auf, ehe er herausfinden konnte, wie man ein vierhundert Kilogramm schweres Rind mit einem Zwei-Tonnen-Gefährt aus dem Weg schob, ohne dem Tier zu schaden.
„Ich fahre vor, folgen Sie mir“, rief der Cowboy, und Mak blieb dicht hinter ihm.
„War das eine Art Test?“, fragte er Neena, als sie auf der schmalen Straße wieder freie Fahrt hatten.
Sie lächelte ihn an. „Nein, ich wollte wirklich mein Brot essen, aber einen Test hätten Sie mit Bravour bestanden.“ Sie drehte sich zu Tom um. „Für einen Stadtmenschen hat er sich doch gut geschlagen, oder?“
„Stimmt. Bleibt er hier?“
„Nein, er ist sozusagen auf der Durchreise“, erwiderte Neena.
Gegen seinen Willen war Mak enttäuscht. Ich könnte bleiben, wollte er sagen, unterdrückte aber den Impuls.
Andererseits, wenn die Firma einen zweiten Arzt bezahlte …
Und was ist mit deiner Karriere? Mit deiner Begeisterung für die Notfallmedizin? Für Forschung und Lehre?
Es musste an der Hitze liegen, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, obwohl die Klimaanlage im Auto auf vollen Touren lief.
„Wohin nun?“, fragte er, als sie die Stadt erreichten.
„Könnten Sie mich bitte an der Praxis absetzen und Tom in die Klinik fahren? Wenn es nur eine Zerrung ist, behalten wir ihn hier. Falls beim Ultraschall herauskommt, dass der Schaden größer ist, sollten Sie die Fliegenden Ärzte verständigen. Die schaffen ihn uns vom Hals.“
„He, ihr redet hier über mich!“, beschwerte sich Tom. „Wenn Mak sagt, dass es eine Zerrung ist, wird das schon stimmen.“
„Weil er ein Mann ist?“, stichelte Neena, und Mak musste lächeln.
„Weil er sich bestimmt auch schon mal was gezerrt hat“, erwiderte Tom und merkte gar nicht, dass er sich immer weiter hineinritt.
„Willst du damit sagen, dass Frauen sich nie etwas zerren?“
„Ups, war das jetzt eine Chauvi-Bemerkung?“ Tom grinste und tätschelte Neena die Schulter. „Du weißt doch, dass ich es nicht so meine. Alle wissen, dass du genauso gut bist wie ein Mann … Ach du Schande, ich mache es nur schlimmer …“ Er drückte ihr die Schulter, und Mak fand, dass Toms Hand schon viel zu lange da lag.
„Freunde?“, fragte der Cowboy.
Neena drehte sich um und lächelte ihn an. „Immer doch, Tom“, beruhigte sie ihn.
Mak hielt vor der Praxis, und noch ehe er die Handbremse anziehen konnte, war Neena aus dem Wagen gesprungen. Immerhin war sie damit nicht mehr in Toms Reichweite.
Da beugte sie sich durchs Fenster, und Mak sah den Ansatz ihrer festen vollen Brüste im V-Ausschnitt ihres T-Shirts. „Sie wissen, wie Sie zum Krankenhaus kommen?“, fragte Neena.
„Ich zeige ihm den Weg“, meinte Tom.
Mak hatte einen trockenen Mund und bekam keinen Ton heraus. Weil er ihr flüchtig in den Ausschnitt geschaut hatte? Sie war schwanger, natürlich hatte sie da volle Brüste!
Er fuhr rasch los. Er würde nur noch Tom absetzen und sich dann zu Maisie in den Orchideengarten flüchten, bis er wieder einen klaren Kopf hatte.
Und die Kontrolle über seinen Körper.
Neena rannte fast in die Praxis, maßlos erleichtert, endlich von Mak wegzukommen. Sie hatte gesehen, wie sein dunkler Blick zu ihrem Dekolleté geglitten war, einen Moment lang nur, aber das hatte genügt, um ein lustvolles Kribbeln an ihrem ganzen Körper auszulösen. Sie spürte das erregende Gefühl immer noch. Vielleicht war sie deshalb so aufgedreht, dass sie die Sprechstundenhilfen mit einem strahlenden Lächeln begrüßte.
Im Vergleich zu den älteren Kolleginnen vom Vormittag waren diese beiden blutjung. Trotzdem waren beide verheiratet und hatten Kinder.
„Na, ein neuer Mann in der Stadt, Neena?“, wurde sie von Louise begrüßt.
„Und was für ein gut aussehender.“ Lisa zwinkerte ihr zu.
„Okay, ihr zwei, es reicht, wenn eine es sagt. Also, wer ist der erste Patient?“
„Charlie Weeks“, informierte Lisa sie. „Nach deinem Anruf von unterwegs habe ich deine Patienten informiert, dass sie doch noch kommen könnten. Einige meinten, es sei nicht so wichtig, sie würden morgen vorbeischauen. Bleiben für heute nur drei übrig.“
„Wie schade“, bedauerte Louise. „Das bedeutet, dass wir Dr. Wonderful nicht zu Hilfe rufen müssen. Ist er wirklich hier, um herauszufinden, ob wir einen zweiten Arzt in der Stadt brauchen?“
Neena griff nach Charlies Patientenunterlagen und nickte.
„Und wenn er zu einem positiven Ergebnis kommt, wird er den Job gleich selbst übernehmen?“, fragte Lisa.
„Bestimmt nicht“, antwortete Neena. „Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Notfallmedizin. Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand wie er Lust hat, hier draußen im Busch zu arbeiten?“
Aber noch während sie das sagte, wurde sie seltsam traurig. Sie ärgerte sich darüber. Hatte sie nicht genug Lehrgeld bezahlt? Eine enttäuschende Beziehung genügte. Wenn sie es schaffen sollte, einen weiteren Arzt herzuholen, dann besser eine Frau!
„Komm herein, Charlie.“ Sie bat ihren Patienten ins Sprechzimmer, um mit ihm die jüngsten Laborergebnisse zu besprechen.
Der erhöhte PSA-Wert könnte auf Probleme mit der Prostata hindeuten, erklärte sie ihm, aber da der Wert seit einem halben Jahr nicht mehr gestiegen war, könnten sie auch einfach abwarten und müssten nichts unternehmen.
„Darüber haben wir doch schon gesprochen, als du den ganzen Ärger entdeckt hast“, erinnerte Charlie sie. „Und wir waren uns einig, dass ich mit vierundachtzig vielleicht noch zehn Jahre habe, und das wären gute zehn Jahre. Mit Operation und Chemotherapie würden es auch nicht viel mehr, aber ganz bestimmt keine schönen Jahre. Mir wäre ständig schlecht, und ich würde in Selbstmitleid versinken. Also …“ Er grinste. „Wenn es mich nicht beunruhigt, solltest du dir auch keine Gedanken darüber machen.“
Neena lächelte. Es kam gar nicht so selten vor, dass die Patienten sie trösteten, statt umgekehrt.
„Ich hab gehört, dass du ein junges Kamel aufgegabelt hast“, sagte Charlie dann. „Die Luzerne-Ernte ist reichlich ausgefallen, ich habe dir einen Ballen mitgebracht. Wenn das Tier so weit ist, dass es feste Nahrung fressen kann, hast du schon einen kleinen Vorrat. Ich würde den Ballen ja bei dir zu Hause abliefern, aber Ned quatscht gern eine Runde, und ich habe es eilig. Kann ich das Futter hierlassen?“
„Gern, vielen Dank. Ich komme mit nach draußen und hole es.“
Am Wagen machte sie ihm unmissverständlich klar, dass sie sehr wohl in der Lage war, einen Ballen Viehfutter zu tragen. Sie hievte ihn gerade aus Charlies Jeep, als Mak auftauchte. Er hielt vor der Praxis, sprang aus dem Wagen und war mit zwei Schritten bei ihr.
„Sie sind schwanger.“ Entschlossen nahm er ihr den Ballen ab. „Sie dürfen nichts Schweres heben.“
„Mein Reden“, fügte Charlie mit seiner brüchigen Stimme hinzu, aber Neena ignorierte beide Männer und öffnete die Hecktür ihres großen Wagens, sodass Mak den Ballen hineinwerfen konnte.
„Wie geht es Tom?“, erkundigte sie sich bei Mak, als Charlie davongefahren war.
„Es ist eine ziemlich üble Zerrung, aber keine Sehne gerissen und nichts gebrochen. Er flirtet schon mit jeder Schwester. Phyllis und Marnie sind entlassen worden, und Mr Temple hat gesagt, dass er heute nach Hause kann. Aber eine der Schwestern hat mir erzählt, das würde er bei allen versuchen, und man sollte ihm nicht glauben. Stimmt das?“
Mak sah ihr in die Augen, und obwohl es um Berufliches ging, wurde Neena heiß. Heißer als die vierzig Grad im Schatten, die hier draußen herrschten.
„Ja“, gab sie der Schwester recht und wandte sich rasch ab. „Lassen Sie uns reingehen.“
Aber als Mak ihr folgte, erkannte sie ihren Fehler, und sie drehte sich wieder zu ihm um. „Die meisten Patienten haben ihren Termin auf morgen verlegt. Ich habe nur noch zwei. Sie können ruhig nach Hause gehen.“
„Das ist ein ziemlich weiter Weg“, sagte er mit einem neckenden Lächeln, das sie noch mehr durcheinanderbrachte. „Wenn Sie nichts dagegen haben, unterhalte ich mich ein wenig mit Ihren Sprechstundenhilfen. Mich interessiert, wie sie die medizinische Versorgung hier einschätzen.“
„Louise und Lisa werden begeistert sein“, murmelte Neena, als sie auf den Eingang zugingen. Und bestimmt mit ihm flirten. Na, und, sagte sie sich. Sollen sie doch.
Trotzdem hatte sie Mühe, sich ihre Gereiztheit nicht anmerken zu lassen. Auch der seltsame Druck in der Brust blieb bis zum Feierabend, als sie als Letzte die Praxis verließ. Allein – Mak war schon bei Louise mitgefahren, die angeboten hatte, ihn beim Arzthaus abzusetzen.