„Am Freitag fahre ich zu meiner Gynäkologin nach Baranock“, informierte Neena ihn, als sie vor der Praxis hielten. „Normalerweise schließe ich die Praxis in solchen Fällen morgens, aber wenn Sie wollen, können Sie gern arbeiten.“
Mak traute seinen Ohren nicht. Während er sich Gedanken gemacht hatte, dass das Vertrauen zwischen ihnen verloren gegangen war, dachte sie nur an die Sprechstunde.
„Sie können natürlich auch zur Baustelle fahren und mit den Vorarbeitern reden oder sich um Ihre Studien kümmern. Sie sind nicht verpflichtet, mich zu vertreten“, fügte sie steif hinzu.
„Heißt das, Sie fahren zwei Stunden nach Baranock und wieder zurück und machen anschließend bis abends Sprechstunde? Denken Sie gar nicht an die Folgen, wenn Sie sich überanstrengen?“
„Haben Sie Angst, ich könnte eine falsche Diagnose stellen?“, fragte sie scharf. „Hatten Sie als Assistenzarzt nie vierundzwanzig Stunden Dienst hintereinander? Waren Sie es nicht gewohnt, mit wenig Schlaf auszukommen?“
„Ich war aber nicht im sechsten Monat schwanger“, gab er zurück. „Außerdem habe ich an Ihre Gesundheit gedacht, nicht an die Gefahr einer Fehldiagnose.“ Spontan berührte er ihren Arm, um sie am Aussteigen zu hindern, und spürte ihre samtig weiche Haut unter den Fingern. „Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Ich fahre Sie nach Baranock und zurück. Auf der Fahrt können Sie ein wenig dösen, und später teilen wir uns dann die Patienten. Oder ich übernehme die meisten. Sie brauchen Ihre Kräfte. Ihr Baby hat nichts davon, wenn Sie sich die Gesundheit ruinieren, noch bevor es auf der Welt ist.“
Neena sah ihn einen Moment lang prüfend an, als überlegte sie, ob sie ihm trauen konnte. Dann öffneten sich ihre dunkelroten Lippen zu einem hinreißenden Lächeln. Maks Herzschlag setzte einen Moment aus, so wunderschön kam sie ihm vor.
„Können wir mit Ihrem Wagen fahren? Ich habe schon seit Jahren nicht mehr in einem anständigen Auto gesessen, immer nur in diesem zerbeulten Geländewagen. Ihr Auto hat Ledersitze. Es muss himmlisch sein!“
Sie verblüffte ihn immer wieder. Nie hätte er vermutet, dass diese Frau sich wie ein Kind auf eine Fahrt in einem schicken Auto freuen könnte.
„Gut, dann nehmen wir meinen Wagen“, versprach er.
Immer noch lächelnd stieg Neena aus und ging beschwingt zur Eingangstür.
Er hatte sie schon in vielen Launen und Stimmungen erlebt. Unwillkürlich fragte Mak sich, wie lange es dauern würde, um eine Frau wie Neena richtig kennenzulernen. Ein Leben lang?
Die Woche verlief vergleichsweise ruhig – zumindest im Vergleich mit Maks Einführung in den medizinischen Alltag von Wymaralong. Am Mittwochnachmittag wurden sie wieder zu einem Unfall auf einer Farm gerufen. Einer der Cowboys war von einem wild gewordenen Bullen gegen den Zaun gedrückt worden. Auch diesmal leisteten sie Erste Hilfe, bis der Verletzte ins nächste Krankenhaus geflogen werden konnte.
„Wäre ein zweiter Arzt bei so vielen Einsätzen außerhalb der Stadt nicht besser?“, fragte Mak, als sie zurückfuhren.
„Auf jeden Fall! Aber wer will hier schon arbeiten, als Landarzt im tiefsten Outback?“
„Haben Sie versucht, einen Partner zu finden?“
„Einmal, ja. Leider glaubte er, er könnte alles mit mir teilen … mein Haus, mein Leben und mein Bett. Hätte ich mich in ihn verliebt, wäre es wohl die ideale Lösung gewesen, aber das war nicht der Fall. Er war ein unangenehmer Mensch, was Ned übrigens auf den ersten Blick erkannt hatte.“
„Hat Ned dafür gesorgt, dass er wieder ging?“
Neenas Lächeln wirkte plötzlich seltsam gezwungen. „Es war nicht das erste Mal“, sagte sie. „Nach dem Tod meines Vaters – ich war fünfzehn – verlor ich irgendwie den Halt. Maisie war zu der Zeit schon Mitte achtzig und wurde mit mir nicht mehr fertig. Als ich es zu bunt trieb, ist Ned eingeschritten. Er las dem Jungen, den ich zu lieben glaubte, die Leviten und schaffte es, mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Er ließ sich jeden Tag meine Hausaufgaben zeigen und sprach mit meinen Lehrern. Ich glaube, er wollte mir zeigen, dass jemand für mich da war. Jemand, dem ich wichtig war.“
Der grantige alte Ned war der Einzige gewesen, der dem trauernden Mädchen gezeigt hatte, dass es nicht allein auf der Welt war. Mak hielt sich nicht für sentimental, aber das ging ihm doch an die Nieren. „Dann waren Sie mit fünfzehn Jahren Vollwaise?“
„Ja.“ Die Stadt kam in Sicht, und Neena warf einen Blick nach oben auf die quer über die Straße gespannte weihnachtliche Dekoration. „Ich muss das Haus noch schmücken“, sagte sie.
Mak wusste, dass die Unterhaltung beendet war. Bei Neena wurde er das Gefühl nicht los, dass sie sich hinter einem Vorhang verbarg, den sie nur ab und zu lüftete, um ihm einen Blick auf sie zu gestatten. Aber wer sie wirklich war, blieb ihr Geheimnis …
Neena bereute es, dass sie schon wieder ein Stückchen von sich preisgegeben hatte. Sie war froh, dass sie Mak für eine Weile aus dem Weg gehen konnte.
Vor der gemeinsamen Rückfahrt aber konnte sie sich nicht drücken.
„Wo haben Sie Ihre Weihnachtsdeko?“, fragte Mak, als sie wieder zu Hause waren. „Und sagen Sie nicht, dass Sie sie auch allein hertragen können. Ned würde das nie zulassen, und da er im Moment nicht hier ist, bin ich der Mann im Haus.“
Der Mann im Haus … Eine seltsame Unruhe erfasste Neena bei seinen Worten, doch sie ließ sich nichts anmerken.
„In alten Seemannskisten im Keller. Seien Sie vorsichtig, vielleicht hat sich da unten eine Schlange häuslich niedergelassen.“
„Großartig! Dann kommen Sie besser mit.“
„Um die Schlange zu vertreiben?“ Sie zeigte ihm den Weg.
„Nein, damit ich Sie wieder in die Arme nehmen kann, um Sie zu retten. Das letzte Mal ist mir in unvergesslicher Erinnerung geblieben.“
Neena wandte sich ihm zu, aber im dämmrigen Licht konnte sie nicht erkennen, ob Mak sie neckte oder …
„Flirten Sie mit mir?“
Das war ihr einfach herausgerutscht – wie so manches, seit Mak Stavrou in ihr Leben geplatzt war.
„Schon möglich.“ Aber er klang sehr ernst. „Hätten Sie etwas dagegen?“
„Ich glaube, ja.“ Neena öffnete die Tür zum Kellerraum. Sie schaltete das Licht an, trat einen Schritt zurück und schlug mit einem alten Krückstock auf den Boden und gegen die Wände, um unliebsame Bewohner zu verjagen. „Es ist nicht gerade eine meiner Stärken, und als ich es das letzte Mal versuchte, habe ich mir die Finger verbrannt. Und Sie kennen ja das Sprichwort vom gebrannten Kind. Also lassen Sie es besser.“
„Sicher? So ganz überzeugt hören Sie sich nicht an.“ Er nahm ihr den Stock ab und hieb damit gegen vergilbte Kartons und alte Holzschränke.
„Wieso nicht?“ Erstaunt blickte sie ihn an.
„Sie haben gesagt, Sie glauben, dass Sie etwas dagegen haben. Ein echtes Nein klingt anders.“
„Haarspaltereien. Ich will wirklich nicht flirten. Wozu auch, Sie sind sowieso bald wieder weg. Außerdem bin ich schon einmal auf einen flirtenden Griechen hereingefallen, ein zweites Mal passiert mir das nicht.“ Sie deutete auf zwei Kisten mit der Aufschrift Weihnachtsschmuck. „Tragen Sie mir die bitte nach oben? Sie können sie auf der Veranda abstellen. Ich werde schnell duschen, und hinterher gehen wir zum Abendessen in den Pub. Bisher haben Sie fast nur Kranke hier kennengelernt, jetzt stelle ich Ihnen die Gesunden vor.“
Nach einer halben Stunde im Pub wünschte sich Mak, er wäre nicht mitgegangen.
Das Essen war okay, saftige Steaks mit reichlich Pommes frites und frischem Salat. Das Lokal war gerammelt voll. Die Leute begrüßten ihn freundlich, auch wenn er spürte, dass sie es aus reiner Höflichkeit taten. Bei Neena verhielten sie sich anders, hier kam jedes Wort, jedes Lächeln von Herzen. Sie unterhielt sich mit den Kindern an den Tischen, an denen sie vorbeikamen, grüßte die Erwachsenen und erkundigte sich nach den Haustieren, sprach mit den Leuten an den Nebentischen …
Und dann kam’s!
„Sie hätten mich ruhig vorwarnen können, dass es ein Karaoke-Abend wird“, beschwerte sich Mak bei ihr, als der Diskjockey Musik auflegte. „Müssen wir unbedingt bleiben?“
„Und ob. Bleiben und mitmachen. Sie sind neu in der Stadt, da erwartet man von Ihnen, dass Sie ein Liedchen zum Besten geben. Wenn Sie das hinter sich gebracht haben, können wir nach einer halben Stunde wieder gehen. Sie haben wohl für Karaoke nicht viel übrig, was?“
„Mir ist absolut schleierhaft, wie überhaupt jemand Spaß daran haben kann“, brummte Mak. „Und ich werde auf keinen Fall singen!“
Aber er wurde gar nicht gefragt. Der DJ griff zum Mikrofon und verkündete, es sei ihm eine Ehre, den neuen Arzt in der Stadt begrüßen zu dürfen, und ob er ihnen nicht die Freude machen würde, ein Lied zu singen.
Mak wollte weder kleinlich noch unhöflich sein. Er schluckte seine Abwehr hinunter, stand auf und begab sich auf die kleine Bühne.
„Haben Sie einen Lieblingssong?“, erkundigte sich der DJ, während er durch die Titelliste auf dem Monitor scrollte.
„Wie wäre es mit Tie me kangaroo down, sport?“, schlug Mak vor.
Der DJ sah ihn überrascht an. „Das kennen Sie?“
„Nur in der Studentenversion, aber wenn ich den Originaltext auf dem Teleprompter ablesen kann, müssen Sie nicht befürchten, dass die Leute rote Ohren bekommen.“
„Nun, ja …“ Der junge Mann schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob ein Arzt einen solchen Song singen sollte.
Den Stammgästen musste es ähnlich gehen, denn es herrschte absolute Stille, als Mak loslegte. Er warf einen schnellen Blick zu Neena hinüber und sah, dass sie sich mühsam ein Lachen verkniff. Aber dann fielen die Gäste mit ein, und das Eis war gebrochen. Alle sangen laut mit. Die Leute johlten und klatschten begeistert, nachdem die letzten Töne verklungen waren, und Mak ging schnell zu Neena zurück. Jetzt war ihm der Auftritt doch ein bisschen peinlich.
„Ein Mann mit vielen Talenten“, begrüßte sie ihn lächelnd. „Mit dem Song haben Sie viele Herzen gewonnen, allein schon dadurch, dass Sie überhaupt auf die Bühne gegangen sind und gesungen haben. Andere hätten sich geweigert.“
„Der Kollege, von dem Sie vorhin gesprochen haben, auch?“
„Der hätte sich niemals dazu herabgelassen, in einem schlichten Pub zu essen, geschweige denn Karaoke zu singen“, meinte sie und stand auf.
Mak nickte den Leuten auf dem Weg zum Ausgang zu und folgte Neena ins Freie.
Draußen herrschte kaum Verkehr. Nur ab und an kam ein Auto vorbei. Sie waren den kurzen Weg vom Arzthaus zum Pub zu Fuß gelaufen, und zurück gingen sie durch eine Nebenstraße, dann durch eine schmale Gasse hinter den Hausgärten entlang.
„In vielen dieser Städtchen im Outback gibt es Gärten hinter den Häusern“, erzählte Neena ihm, während die warme Nachtluft sie umschmeichelte. „Früher hielt jeder Ziegen, um sich mit Milch und Fleisch zu versorgen. Tagsüber grasten sie auf der Gemeindewiese, und abends wurden sie von Hütejungen in die Gärten gebracht. Heute streunen im gesamten Westen Herden von wilden Ziegen herum, Nachkommen der Haustiere von damals.“
Mak versuchte sich vorzustellen, wie die Ziegenherde am Abend hier entlanggekommen war und immer zwei oder drei Tiere nacheinander in den Hausgärten verschwanden. Die großen alten Pfefferbäume, unter denen sie gerade spazierten, mussten damals noch Setzlinge gewesen sein, und die Straßenlaternen in der Hauptstraße waren vermutlich mit Gas gespeist worden. Falls es überhaupt schon Beleuchtung gegeben hatte.
„Sie leben gern hier, nicht?“, fragte er, auch wenn er die Antwort eigentlich schon kannte. Wenn Neena über die Stadt und ihre Einwohner sprach, hatte ihre Stimme immer einen besonders warmen Klang.
„Es ist meine Heimat.“
„Sie sind in die Großstadt gegangen, um zu studieren. Sind Sie nicht einmal in Versuchung geraten, dortzubleiben?“
Neena blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Mit all dem Lärm und Schmutz, den Autos und den Menschenmassen?“, fragte sie ungläubig. „Es waren die schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Ich habe die Stadt gehasst und sehnte mich nach zu Hause, aber ich musste bleiben, weil die Menschen hier auf mich gebaut haben. Sie hatten mir das Studium ermöglicht und vertrauten mir.“
„Aber Sie geben zu, dass Sie sich verpflichtet gefühlt haben. Das hat doch sicher Ihre Entscheidung, zurückzukommen, beeinflusst?“
„Nein. Ich habe von Anfang an gewusst, dass ein Leben in der Stadt nichts für mich ist. Die ganzen Jahre über wollte ich immer nur nach Hause.“
Mak hörte ihrer Stimme an, wie einsam sie damals gewesen sein musste. Spontan zog er sie in die Arme. „Arme heimwehkranke Neena“, flüsterte er.
Ihr warmer, duftender Körper weckte wieder das Verlangen, das er schon so oft unterdrückt hatte, und er presste sie unwillkürlich fester an sich, küsste sie zärtlich aufs Haar.
Da sie sich nicht losriss, wurde er mutiger, tupfte zarte Küsse auf ihre Stirn, ihre Schläfe, strich mit den Lippen über ihre Lider, die Wange bis zu ihren Lippen …
Lass es nicht zu, ermahnte Neena sich stumm. Geh weiter!
Aber ihre Beine wollten nicht gehorchen, ihr ganzer Körper sehnte sich danach, dass Mak sie berührte, überall. Seine warmen Lippen, sein männlicher Duft, die harten Muskeln, die sie an ihren Brüsten spürte, betörten ihre Sinne. Sehnsüchtig erwiderte sie seinen forschenden Kuss, während sie mit beiden Händen über seinen Rücken strich, tiefer zu den schlanken Hüften, dem festen Po.
„Ich könnte auf der Stelle mit dir schlafen“, flüsterte er, und eine heiße Welle der Lust durchströmte sie.
„Keine gute Idee“, murmelte sie an seinen Lippen, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Mak schob eine Hand zwischen ihre Körper und umfasste ihre Brust. Neena stöhnte leise auf, als köstlich erregende Schauer sie durchrieselten. Mak verwöhnte sie mit sinnlichen Liebkosungen, und sie wollte mehr davon. Hitze breitete sich in ihr aus, ihr Herz klopfte, als wollte es zerspringen, und ihr war schwindlig vor Lust.
Neena küsste seine Wange, sein Kinn, sie spürte die rauen Bartstoppeln unter ihren Lippen. Ihre Erregung wuchs, und sie ließ beide Hände unter Maks Hemd gleiten, fühlte harte Rückenmuskeln unter glatter Haut.
„Du bist wunderschön. Wenn ich nicht aufpasse, vergesse ich mich“, sagte er rau, als er sich von ihr löste. „Wir wissen beide, dass es unmöglich ist, was wir hier machen. Aber genauso unmöglich kann ich die Finger von dir lassen.“
Trotz der warmen Nachtluft fröstelte Neena plötzlich, und fast hätte sie ihn wieder an sich gezogen, um sich erneut in seinen Armen zu verlieren.
Aber Mak hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt, hielt sie dicht an sich gedrückt und ging weiter.
„Es geht nicht“, fuhr er fort. „Es wäre nicht mehr als eine kurze Affäre, oder? Außerdem könnte es kompliziert werden, wegen des Babys. Aber ich möchte dich schon wieder küssen, und ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.“
Als sie nichts sagte, schwieg auch er, nur um ein paar Minuten später zu fragen: „Hast du gar nichts dazu zu sagen?“
Die Gasse endete an einer Kreuzung, und das Arzthaus lag direkt vor ihnen. Mak nahm den Arm von ihrer Schulter, auch wenn Neena sicher war, dass niemand in der Nähe war, der sie sehen konnte.
Sofort fehlte ihr seine Wärme, und sie sehnte sich danach, wieder von ihm gehalten zu werden.
„Bestimmt nicht“, erwiderte sie ungewollt scharf. „Was kann jemand, der mit vierunddreißig noch Jungfrau war, schon sagen?“
Mak blieb unter der Straßenlaterne stehen und sah Neena an. Dann strich er ihr zart über die Wange. „Hat es dir viel ausgemacht … dass du in dem Alter noch Jungfrau warst?“
„Darüber habe ich nie nachgedacht“, sagte sie ehrlich. „Na ja, so gut wie nie. Jeder hat mal einen schlechten Tag, wenn er müde und kaputt ist. An solchen Tagen wünschte ich mir manchmal, jemanden zu haben, bei dem ich mich ausheulen könnte.“
Mak lachte laut auf. „Das ist der beste Grund, zu heiraten, den ich je gehört habe. Damit man jemanden hat, bei dem man sich ausweinen kann …“
„Aber mir war wirklich danach“, erwiderte sie bissig. „Was ist daran so lustig?“
„Wir sollten in die Gasse zurückgehen, damit ich dich in die Arme nehmen kann“, sagte er. „Ich habe dich nicht ausgelacht. Die meisten Menschen denken bei einer Ehe daran, Glück und Freude zu teilen, aber du hast recht … Jemanden zu haben, dem man seine Sorgen anvertrauen kann, das ist wirklich wichtig.“
Sie fühlte sich dadurch nicht besser. Im Gegenteil. Auf einmal war sie zutiefst traurig. Sie lief die Stufen zur Veranda hinauf, immer zwei auf einmal. Erst als sie oben stand, fiel ihr ein, dass sie noch nach Albert sehen musste. Sie drehte sich um und wollte wieder hinuntergehen, aber Mak hielt sie mit einer Handbewegung zurück.
„Ich kümmere mich um Albert“, sagte er, als wüsste er genau, was ihr durch den Kopf ging.
Neena kam ein verrückter Gedanke: Jemanden zu haben, der für sie nach Albert sah, wäre auch ein guter Grund, zu heiraten. Fast so gut wie der, dass man dann jemanden hätte, bei dem man sich jederzeit anlehnen konnte.
Aber das war nicht möglich, jedenfalls nicht mit Mak …
Das Problem war nur: Würde sie jemals mit einem anderen glücklich werden, jetzt, wo sie ihn kennengelernt hatte?
Um sich abzulenken, öffnete sie die Seemannskiste und inspizierte die Weihnachtsdekoration. Welche Farben hatte sie letztes Jahr genommen? Rot und Grün, oder? Sie entschied sich für Gold und Weiß, also Girlanden mit goldenen Glöckchen und weißen Blumen für die Veranda. Und morgen würde sie den Tannenbaum aufstellen und ihn mit weißen und goldenen Kugeln schmücken.
Mak kam zurück und vermeldete, dass Albert schlief und wahrscheinlich süße Babykamelträume träumte. Dann öffnete er die zweite Kiste.
„Wahnsinn“, stieß er bewundernd hervor. „Du feierst Weihnachten in großem Stil, wie?“
Mit der Begeisterung eines kleinen Jungen erforschte er den Inhalt der Truhe, zog eine Tüte mit scharlachroten Blüten hervor und hob den Deckel einer Pappschachtel, die glitzernde rote Kugeln enthielt.
„In diesem Jahr sind Weiß und Gold dran“, erklärte sie, als er eine filigrane rote Papierglocke entfaltete. „Alles, was rot ist, kannst du wieder wegpacken.“
„Kein Rot?“ Er schwenkte die Glocke vor ihrem Gesicht hin und her, und wieder verspürte Neena dieses sehnsüchtige Gefühl. Jemanden zu haben, mit dem man das Haus weihnachtlich schmücken konnte, wäre auch schön …
„Du kannst grüne Girlanden herausholen“, gestattete sie ihm. „Wir hängen sie kreuz und quer über die Veranda und befestigen goldene und weiße Kugeln und Glöckchen daran.“
Gut eine Stunde arbeiteten sie gemeinsam und dekorierten die vordere Veranda. So konnte jeder, der daran vorbeikam, sehen, dass in diesem Haus Weihnachtsstimmung eingezogen war.
„Den Rest machen wir morgen“, sagte Neena, als sie die traute Zweisamkeit nicht länger aushielt, weil sie sie nur noch wehmütiger machte.
„Einen Moment noch.“ Mak stieg auf die kleine Trittleiter, um den Engel über der Tür zurechtzurücken. Als er wieder herunterstieg, wollte Neena an ihm vorbeischlüpfen.
„Halt!“ Er fasste sie am Arm. „Da oben über dem Engel hängt ein Mistelzweig, und du weißt, was das bedeutet?“
Bevor sie protestieren konnte, küsste er sie. Schlimmer noch, sie erwiderte seinen Kuss! Schon wieder!
Ohne den Kuss zu unterbrechen oder sie loszulassen, drängte Mak sie sanft ins Haus, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Im Flur zog er sie noch dichter an sich, schürte ihr Verlangen mit leidenschaftlichen Küssen, bis Neena das Gefühl hatte, in Flammen zu stehen. Sie zitterte vor Erregung, ihre Beine drohten nachzugeben, eine süße Schwäche breitete sich in ihr aus.
Er wollte auch mein Bett mit mir teilen!
Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, und unwillkürlich murmelte sie sie halblaut vor sich hin. Als sie sich losriss, sah sie, dass Mak sie betroffen anstarrte. Eine steile Falte erschien zwischen seinen schwarzen Brauen.
Es war ihr egal. Neena flüchtete sich in ihr Schlafzimmer und warf sich aufs Bett, völlig durcheinander von dem Sturm der Gefühle, der in ihr tobte.
„Habe ich wirklich gesagt, eine Affäre kommt nicht infrage?“, flüsterte sie und strich über ihren Bauch. „Das war ganz schön dumm, oder?“
Aber sie wusste schon jetzt, dass sie leiden würde, wenn Mak wieder abreiste. Eine Affäre würde alles nur noch schlimmer machen. Also lieber ein bisschen Frust ertragen, statt später wochenlang im heulenden Elend zu versinken.
Das Problem war nur, dass es mehr war als ein bisschen Frust. Wenn sie Mak sah, wenn sie an ihn dachte, dann verspürte sie ein sehnsüchtiges Verlangen und zugleich eine tiefe Einsamkeit.
Dabei war sie Einsamkeit gewohnt. Warum machte sie ihr jetzt so sehr zu schaffen? Sie legte beide Hände auf ihren Babybauch und dachte darüber nach. Doch eigentlich wusste sie die Antwort längst. Sie hatte sich in Mak verliebt, einfach so. Was sie für körperliche Anziehung gehalten hatte, unerfahren, wie sie war, war in Wirklichkeit etwas anderes. Etwas Besonderes. Warum sonst sollte ihr das Herz aufgehen, wenn sie seine Stimme hörte, ihn lächeln sah, seine Nähe spürte?
Es musste Liebe sein!
Sie seufzte, und der Laut hallte von den Wänden wider, während sie Mak einfach nicht aus dem Kopf bekam …