8. KAPITEL

Am nächsten Morgen stand Neena früh auf, mischte für Albert genug Milch für einen ganzen Tag an und ging hinaus zu den Ställen, um seine Flasche zu füllen. Sie führte das kleine Kamel herum und redete mit ihm, während sie an Mak dachte. War es wirklich Liebe, die sie fühlte, oder nur eine übertriebene Reaktion auf romantische Küsse in einer nachtdunklen Gasse?

Wie auch immer, ihr Herz klopfte schon bei dem Gedanken daran, ihn wiederzusehen. Aber sie konnte sich nicht länger davor drücken, ins Haus zurückzugehen, zu duschen, zu frühstücken und sich ihren Pflichten zu widmen. Das Leben ging weiter, egal, wie es im Herzen eines Menschen aussah.

Ungewohnt unentschlossen stand sie vor ihrem Kleiderschrank, und anstatt einfach wie immer Rock und Baumwolltop herauszunehmen, überlegte sie doch allen Ernstes, das weiße Kleid anzuziehen, das sie sich vor einiger Zeit in Baranock gekauft hatte. Das Mieder war aus feiner Spitze, und auch wenn der Stoff locker um ihren Körper fiel, so fand sie es doch recht sexy.

Doch zur Arbeit konnte sie es nun wirklich nicht anziehen! Aber vielleicht am Freitag, wenn sie nach Baranock fuhren, und vielleicht könnte sie noch einmal in der kleinen Boutique vorbeischauen. Vielleicht fand sie dort etwas Festliches für Weihnachten – oder etwas Hautenges, Verführerisches …

Hauteng und verführerisch? Während sie im sechsten Monat schwanger war?

Beschämt über ihre Gedanken griff sie nach einem Jeansrock und einem ärmellosen hellblauen T-Shirt und zog sich hastig an. Was war nur mit ihr los, dass sie sich plötzlich intensive Gedanken über ihre Garderobe machte?

„Guten Morgen.“

Der Grund dafür saß in ihrer Küche.

Mak wirkte entspannt und freundlich. Anscheinend hatte es ihm nichts ausgemacht, dass sie ihn praktisch mitten in einem Kuss stehen gelassen hatte und fluchtartig aus dem Zimmer gestürmt war.

„Guten Morgen“, erwiderte sie und warf ihm einen verstohlenen Blick zu.

Er merkte es, aber seine Miene verriet nichts. Kurz nur hielt er ihren Blick fest, dann ging er zur Kaffeemaschine und stellte sie an.

Neena nahm sich eine Schüssel, füllte sie mit Müsli, Milch, einem Löffel Joghurt und gab ein paar Mangoscheiben dazu.

„Hast du das Obst aufgeschnitten?“, fragte sie. Auf der Servierplatte lagen nicht nur Mangoscheiben, sondern auch Spalten von Honigmelonen, Orangen und Birnen.

Da lächelte er, ein Lächeln, bei dem seine Augen aufleuchteten, sodass in ihrem Bauch Schmetterlinge tanzten. Hätte ich bloß nicht gefragt, dachte sie.

„Ich hatte dir doch erzählt, dass ich mich in der Küche auskenne.“ Er grinste.

„Das hast du“, brachte sie heraus und aß mit gesenktem Blick ihr Müsli.

„Was steht heute Aufregendes an?“, fragte er, und da musste sie ihn wieder ansehen.

„Das Gleiche wie immer. Ich würde dir gern sagen, dass der Donnerstag hier bei uns Abwechslung bietet, aber wie du selbst erkannt haben wirst, gibt es nur dann Abwechslung, wenn Notfälle eintreten, und davon hätte ich gern so wenig wie möglich.“

„In dem Fall mache ich heute keine Sprechstunde, sondern besuche die Ambulanzstation und fahre danach zur Baustelle. Ist das für dich in Ordnung?“

Nein, wollte sie protestieren und wunderte sich über sich selbst. Vorhin hatte ihr noch davor gegraut, in Maks Nähe sein zu müssen, und jetzt fand sie es viel schlimmer, ihn den ganzen Tag nicht zu sehen!

„Natürlich“, antwortete sie mit Verzögerung und hoffte, er würde sich nichts dabei denken.

Schweigend frühstückte sie zu Ende, stellte Becher und Teller in die Spülmaschine und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen und etwas Lippenstift aufzulegen, ehe sie in die Praxis fuhr.

„Also, ich gehe jetzt“, rief sie vom Flur aus.

„Mach das“, sagte er nur. Die lässige Antwort traf sie wie ein Pfeil ins Herz.

Die Vertrautheit war verschwunden, hatte sich aufgelöst wie Wolkenfetzen in der Mittagshitze. Wie Theo war es Mak also nur darum gegangen, sie ins Bett zu bekommen. Tiefe Niedergeschlagenheit erfüllte sie plötzlich, doch dann fiel ihr Blick auf die weihnachtlich geschmückte Veranda, und sie schob die düstere Stimmung beiseite. Sie war eine starke, unabhängige Frau, auch wenn sie sich kurz hatte verleiten lassen, von Zweisamkeit und Nähe zu träumen. Weil ein Mann sie mit Küssen verführt hatte, so sinnlich, dass ihr bei dem Gedanken daran warm wurde.

Oder lag es an der Sommersonne, die auf ihrer Haut brannte und den Boden unter ihren Füßen erhitzte? Wenn ich mich beeile, kann ich noch im Krankenhaus vorbeischauen, bevor ich die Praxis öffne, dachte Neena, um sich abzulenken.

Als sie den Eingang erreichte, kam ihr eine Schwester aus Richtung des Seniorenheims entgegen. In dem Rollstuhl, den sie zur Notaufnahme schob, saß Maisie.

„Ich hatte bei Ihnen angerufen, aber nur Dr. Stavrou erreicht. Er meinte, Sie wären schon aus dem Haus, und da dachte ich mir, dass Sie vorbeikommen würden“, erklärte die Schwester.

Neena beugte sich bereits über Maisie und sprach ruhig mit ihr, während sie ihren Puls prüfte. Der alten Dame fiel das Atmen hörbar schwer.

„Darf ich dir wenigstens Sauerstoff geben?“, fragte Neena, und Maisie nickte schwach.

Sie brachten die alte Dame ins Krankenhaus und auf ein Zimmer, wo eine zweite Schwester half, Maisie ins Bett zu heben.

„Es ist Zeit für mich zu gehen, Neena“, flüsterte Maisie.

Neena drängte die aufsteigenden Tränen zurück. „Unsinn! Doch nicht vor Weihnachten, du würdest allen das Fest verderben. Und mein Baby … das musst du doch noch sehen.“

Maisie lächelte, schloss aber die Augen, und auch als Neena ihr einen Nasenschlauch legte, atmete sie zwar ein wenig freier, öffnete die Augen aber nicht wieder. Sie schien in den Schlaf zu gleiten, vielleicht war es auch ein leichtes Koma.

„Ich rufe Ned an, er ist draußen bei Wilf Harris“, sagte Neena. Sie strich sanft über Maisies Arm und verließ das Zimmer. Sosehr sie sich danach sehnte, ihr in den letzten Stunden die Hand zu halten, so hatte sie doch ihre Pflichten.

Ned versicherte ihr, so schnell wie möglich zu kommen. Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte wieder das Telefon.

„Dr. Stavrou für dich“, sagte Lauren und reichte ihr den Hörer.

„Neena?“ Es klang vorsichtig. „Lauren hat mir von Maisie erzählt.“ Seine tiefe Stimme kam so klar durch die Leitung, als ob er neben ihr stehen würde. Sofort fing ihre Haut an zu prickeln. „Du möchtest bestimmt bei ihr bleiben. Ich übernehme die Sprechstunde. Zur Baustelle und zu den Sanitätern kann ich auch später noch.“

Ihr Hals war wie zugeschnürt, und es dauerte einen Moment, bis sie sprechen konnte. „Danke.“

„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte er in sachlichem Ton, sodass sie sich fragte, ob sein Angebot ihm nicht die willkommene Gelegenheit bot, ihr aus dem Weg zu gehen.

Sie kehrte zu Maisie zurück, setzte sich an ihr Bett und nahm ihre Hand. Dann redete sie mit ihr, erzählte von früher, von gemeinsamen Erlebnissen und schönen Momenten. Die ganze Zeit ließ sie Maisies Hand nicht los. Sie ahnte, dass die alte Frau sie wahrscheinlich gar nicht mehr hörte. Aber sie würde fühlen, dass sie bei ihr war.

„Du weißt, dass sie nicht will, dass du weinst.“ Ned hatte das Zimmer betreten.

Erst jetzt bemerkte Neena, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.

„Maisie hat mich immer weinen lassen. Das vertreibt den Schmerz, hat sie gesagt.“

Ned nickte nur, setzte sich an die andere Bettseite, gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und sagte ihr auf seine knurrige Art, dass er da sei. Bald veränderte sich Maisies Atmung, und schließlich tat sie ihren letzten Atemzug.

„Sie war eine gute Frau, die beste“, sagte Ned leise und blickte Neena an. „Alles in Ordnung?“

Sie holte tief Luft und nickte. „Ich komme klar.“ Es war wie ein Versprechen, das sie sich selbst gab – und Maisie. Ihr Leben war ein bisschen aus der Spur geraten, es wurde Zeit, dass sie wieder Ordnung hineinbrachte. Maisie würde das auch so sehen. Sie hatte Neena schließlich gelehrt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

„Ich kümmere mich um die Formalitäten“, ertönte eine vertraute männliche Stimme hinter ihr.

Neena fuhr herum und sah Mak an der Tür stehen. „Was machst du denn hier?“

„Ich hatte Lauren gebeten, mich zu informieren, wenn es so weit ist. Und keine Sorge, es ist Mittag, ich muss dafür keine Patienten warten lassen.“

Überwältigt vor Dankbarkeit brachte Neena keinen Ton heraus.

„Danke, Mak“, sagte Ned. „Komm, kleines Mädchen, ich bringe dich nach Hause.“

Diesmal schaffte Neena es, schwach zu lächeln. „So hast du mich schon lange nicht mehr genannt, Ned.“ Wieder liefen ihr die Tränen übers Gesicht. „Wenn ich mich richtig erinnere, hieß es in letzter Zeit eher dumme Frau.“

„Was auch stimmte“, erinnerte er sie und legte den Arm um sie, um sie wegzuführen. „Doch selbst Mum war der Meinung, dass jeder das Recht auf ein paar Dummheiten hat. So, nun komm.“

Zu Hause besprachen sie Maisies Wünsche. Sie wollte keine Beerdigung, keine Totenfeier, sondern nur eingeäschert werden, und ihre Asche sollte auf dem Hügel mit den Statuen verstreut werden.

„Wir werden dort Abschied von ihr nehmen“, erklärte Ned.

Und sie dachten an Maisie, redeten von ihr, der Frau, die sie beide großgezogen hatte. Als es dämmerte und die Schatten im Raum länger wurden, erinnerte Ned Neena daran, dass er Wilfs Tiere noch versorgen musste.

„Fahr nur.“

Der alte Mann zögerte und wirkte auf einmal seltsam unsicher. „Dieser Mak … Der stört dich doch nicht, oder?“

Fast hätte Neena laut gelacht. Stören? Als würde das auch nur annähernd beschreiben, was Mak mit ihr anstellte. Oh, er mochte sie necken, sie verführen, sie frustrieren und ihr Leben auf den Kopf stellen, aber stören?

„Nein, ganz bestimmt nicht“, antwortete sie.

Der Mann, der sie nicht störte, kam nach Hause, als Neena die letzte silberweiße Kugel in den Tannenbaum hängte, der, von der Straße gut sichtbar, im Erkerfenster des Wohnzimmers stand. Dort hatte Maisie ihn immer aufgestellt, und Neena setzte diese Tradition fort.

„Ich habe Pizza mitgebracht“, erklärte Mak. Ein verlockender Duft nach geschmolzenem Käse stieg Neena in die Nase. „Man hat mir versichert, dass du die mit Anchovis am liebsten magst.“

„Danke“, sagte sie leise. „Fürs Essen, für heute im Krankenhaus, und auch dafür, dass du meine Arbeit mit übernommen hast.“

„Keine Ursache“, wehrte er ab. „Dafür bin ich doch hier. Aber die Stadt braucht wirklich noch einen zweiten Arzt, selbst ohne die zusätzlichen Arbeiter auf der Baustelle. Was ist, wenn du mal Urlaub machen willst? Steht dann eine Praxisvertretung zur Verfügung? Oder übernimmt das jemand von den Fliegenden Ärzten?“

Er schien sich immer mehr aufzuregen, während er seine Fragen abschoss, aber Neena konnte nur mit dem Kopf schütteln.

„Können wir essen, während ich antworte?“

Einen Moment lang wirkte er verblüfft, fing sich jedoch schnell wieder. „Entschuldige, aber auch wenn es heute keinen einzigen Notfall gegeben hat, so wurde mir erst jetzt richtig bewusst, wie aufreibend es für dich sein muss, die Praxis allein zu führen. Und sobald das Baby da ist, wird es unmöglich werden.“

Aha! Ihm war wieder eingefallen, warum er wirklich hier war – wegen dem Baby. Neena folgte ihm in die Küche, ihr war schon flau vor Hunger. Sie musste etwas essen, ein Streit würde ihr nur den Appetit verderben.

„Ich habe eine Praxisvertretung für den Mutterschaftsurlaub, und ich hoffe, es gefällt ihr oder ihm hier so gut, dass sie oder er für immer bleibt.“

„Du weißt nicht, ob es ein Mann oder eine Frau ist?“ Mak stellte das Geschirr so heftig auf den Tisch, dass es klirrte.

„Ich habe die Vertretung über eine Agentur gebucht“, erklärte Neena, während sie zusah, wie zwei Stücke Pizza schwungvoll auf ihrem Teller landeten. Sie fragte sich, ob sie mit dem Essen anfangen durfte, bevor Mak am Tisch saß.

Er schnappte sich die Küchenrolle und knallte sie auf den Tisch, dann setzte er sich endlich. Bevor sie allerdings einen Bissen essen konnte, überschüttete er sie mit weiteren Fragen.

„Und den Leuten hier macht es nichts aus, dass ein fremder Arzt herkommt, den du überhaupt nicht kennst?“

Neena blickte begehrlich auf die Pizza und seufzte. Sie würde erst etwas zu essen bekommen, wenn sie herausgefunden hatte, worüber sich Mak so aufregte. Die Praxisvertretung konnte es eigentlich nicht sein.

„Die Stadt ist Vertretungen gewohnt. Nach dem Tod meines Vaters gab es hier gar keinen Arzt, danach eine Reihe von Vertretungen, einige gut, andere weniger. Und seitdem ich hier praktiziere, war ich mehrmals zur Fortbildung. Ja, ich weiß, dass wir einen zweiten Arzt brauchen, und ich habe es einige Male versucht, aber das ist nicht so einfach!“ Sie starrte ihn ärgerlich an. „Zufrieden? Darf ich jetzt essen?“

„Iss nur“, sagte Mak, aber sie kannte immer noch nicht den wahren Grund für seine Gereiztheit. Sie biss ein Stück Pizza ab, das weich und salzig schmeckte. Von ihren Tränen?

„Verdammt!“ Mak sprang auf, eilte um den Tisch herum, hob sie vom Stuhl und setzte sich mit ihr zusammen wieder hin, sodass sie auf seinem Knie saß. „Verzeih mir bitte, gerade heute sollte ich dich nicht so aufregen. Du musst essen. Lauren hat mir gesagt, dass du den ganzen Tag nichts gegessen hast. Komm, lass mich die Tränen abwischen.“

Er riss ein Blatt von der Küchenrolle ab und betupfte damit sanft ihre Wangen. Dann nahm er ein Stück Pizza und hielt es ihr an die Lippen. „Iss“, befahl er, und sie biss ab, kaute und schluckte gehorsam.

Steif saß sie da und wagte es nicht, sich zu entspannen, um nicht wieder unerwünschte Gefühle zu wecken.

Aber es half nichts. Mak hatte eine Hand auf ihre Hüfte gelegt, sie spürte seinen warmen, starken Körper, und schon breitete sich Hitze in ihr aus.

„Es tut mir leid, dass ich dich angefahren habe. Ausgerechnet heute. Aber als ich deinen Job übernommen habe, habe ich erst gemerkt, wie anstrengend jeder Arbeitstag für dich sein muss. Für einen Arzt allein kaum zu schaffen.“

Unruhig verlagerte Neena ihr Gewicht – nicht, dass sie ihm zu schwer wurde. Aber aufstehen mochte sie auch nicht, dazu gefiel es ihr zu gut.

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht“, widersprach sie mit vollem Mund. „Wir schaffen es alle, ich und die anderen Landärzte im Outback.“

„Um die anderen mache ich mir keine Sorgen, sondern um dich.“

Er streichelte ihr den Rücken, und am liebsten hätte sie sich zurückgelehnt und alles andere vergessen, so wundervoll fühlte sie sich. Aber dieser Mann war Mak Stavrou. Mit seiner Familie hatte sie bisher keine guten Erfahrungen gemacht.

„Um mich oder um das Baby?“

Kaum waren die Worte heraus, bedauerte sie sie auch schon, aber sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen.

Mak fing an zu fluchen. Glaubte sie jedenfalls, denn sie verstand kein Griechisch. Viel schlimmer war, dass er aufgehört hatte, sie zu streicheln.

Ich sollte aufstehen.

Aber sie blieb, wo sie war.

„Lass das Baby aus dem Spiel“, sagte er schließlich. „Jetzt reden wir nur über uns.“

„Oh, Mak, wozu?“ Neena seufzte leise. „Es gibt kein uns, niemals.“

„Wegen dieses Idioten, den du damals eingestellt hattest, oder wegen meines Neffen, der in der Stadt anscheinend nur unter dem Namen Die Ratte bekannt ist?“ Mak zog sie dichter an sich, legte eine Hand auf ihren Bauch, und sie wusste, dass er fühlen musste, wie sich ihr Kind bewegte.

„Nein, weil wir in verschiedenen Welten leben.“ Es war eine lahme Erklärung, aber eine bessere fiel ihr nicht ein.

„Dann werden wir also nicht ausprobieren, wie weit unsere gegenseitige Anziehung geht? Und leugne nicht, dass es sie gibt, Neena. Wenn du dich gestern Abend nicht an diesen unverschämten Kollegen erinnert hättest, wären wir im Bett gelandet.“

Sie wirbelte auf seinem Schoß herum und funkelte ihn an. „Darum geht es dir nur? Auszuprobieren, wie weit die Anziehung reicht? Um im Bett zu landen?“

Wieder fluchte er, aber er ließ sie nicht los. „Natürlich nicht.“ Seine Stimme klang gedämpft, weil er die Lippen an ihr Haar presste. „Ich möchte mehr von dir wissen … Zum Beispiel, ob du Anchovis auf deiner Pizza magst, warum du dein Haar wachsen lässt und es nie abgeschnitten hast. Oder was dich so stark an diesen Ort und seine Menschen bindet, dass sie diesen besonderen Platz in deinem Herzen haben. Wichtiges und Kleinigkeiten, und ja, ich möchte mit dir schlafen, weil ich dich begehre und weil es dazugehört, um dich besser kennenzulernen. Aber es geht mir nicht nur um Sex.“

Nach einer Pause fügte er hinzu: „Und auch nicht um das Baby, sondern um dich und mich. Vielleicht stellt sich heraus, dass es nichts weiter als körperliche Anziehung ist. Aber wenn es mehr sein sollte, wenn tiefere Gefühle dahinterstecken, dann werden wir einen Weg finden, unsere Welten zusammenzubringen … gemeinsam.“

Neena kamen wieder die Tränen, und sie zwinkerte sie rasch fort. Sie war nicht in der Lage, auf das zu antworten, was er gesagt hatte – bis auf einen Punkt, und das zumindest würde keine Folgen haben. „Mein Vater mochte meine langen Haare. Meine Mutter hat langes Haar gehabt, deswegen wohl.“

Mak lachte, und das Lachen, tief und voll, ließ seine breite Brust erbeben, sodass sie das Gefühl hatte, es auch in ihrem Körper zu spüren. Und nicht nur das … auch seine kraftvollen Beinmuskeln, seine Wärme, sein Verlangen …

Verlangen!

„Und es geht doch um das Baby“, flüsterte sie traurig. „Aber nicht so, wie du denkst. Die Schwangerschaft, das war meine Schuld. Am Anfang, da ging es zuerst auch nur um die Anziehung, die Neugier …“

Mak hob die Hand und legte ihr den Finger auf die Lippen. „Es gehören immer zwei dazu, ein Kind zu zeugen, und ich will es nicht wissen.“

Als könnte sie Mak von der Nacht mit Theo erzählen … Nee­na stand auf, holte sich ein Glas Wasser und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber.

„Ich hätte dich nie für feige gehalten“, sagte Mak, als sie sich noch ein Stück Pizza nahm.

Sie legte es zurück auf den Teller, ihr war der Appetit vergangen. „Feige?“

Intensiv sah er ihr in die Augen. „Wie würdest du es nennen? Du verkriechst dich vor dem richtigen Leben, weil du ein Mal schlechte Erfahrungen mit einem Mann gemacht hast. Du gehst im Leben anderer auf, weil du Angst hast, dein eigenes zu führen. Oh, verstehen kann ich es schon, schließlich hast du sehr früh deine Eltern verloren. Du mochtest niemanden an dich heranlassen, aus Furcht, auch ihn wieder zu verlieren. War es mit Theo genauso? Hast du ihm deshalb den Laufpass gegeben? Oder hat er dich verlassen, nachdem du dich in ihn verliebt hattest … Zugetraut hätte ich es ihm. Hast du dann beschlossen, dich nie wieder an einen Mann zu binden? Weil tiefe Gefühle immer mit Verlust enden?“

„Ich dachte, du wolltest es nicht wissen?“, fuhr sie auf, ärgerlich, weil er in vielem recht hatte. „Was soll ich dir antworten? Dass du mit deiner Psychoanalyse richtigliegst? Mag ja sein, ich habe auch daran gedacht. Und was deinen geliebten Neffen betrifft, es stimmt, ich habe ausprobiert, wie weit die Anziehung ging. Bis mir klar wurde, nicht weit genug. Ich sagte im letzten Moment Nein. Da hatte ich das Spiel aber schon mitgespielt.“ Sie atmete einmal tief durch, versuchte, sich wieder zu beruhigen, aber Zorn und Bitterkeit loderten in ihr auf wie weiß glühende Flammen. „Theo dachte, ich mache Spaß, wir haben ein bisschen gekämpft, er verlor wohl das Kondom … und ich den Kampf. Was geschehen ist, ist geschehen. Das Baby gehört mir, nicht deiner Familie. Gute Nacht!“

Bevor sie sich ganz zum Narren machte und in Tränen ausbrach, rannte sie aus der Küche.

Mak blieb allein zurück, fluchend und voller Wut. Was hatte Neena durchgemacht? Bestimmt hatte sie niemandem erzählt, was passiert war. Ned oder Maisie hätte sie das nicht zugemutet. Also machte sie alles mit sich allein ab, ohne Hilfe.

Und dann musste sie feststellen, dass sie schwanger war!

Mak wollte nur eins: Neena in die Arme nehmen und ihr zeigen, dass sie nicht allein war, dass er für sie da war. Aber sie würde sich nicht trösten lassen, vor allem nicht von ihm.

Frustriert räumte er die Küche auf und verließ das Haus. Ein Spaziergang würde ihm vielleicht helfen, seine innere Anspannung und seinen Ärger abzubauen. Als er durch die dunkle Gasse marschierte, klingelte sein Handy.

„Hast du mit ihr gesprochen? Überträgt sie mir ihr Stimmrecht?“, drang die Stimme seiner Schwester durch die Leitung.

„Nein.“

„Aber deswegen bist du doch hingeflogen!“ Helen hörte sich gestresst an. „Unsere Cousins haben für den dritten Januar eine außerordentliche Sitzung einberufen. Die Frau müsste ein entsprechendes Schreiben des Notars erhalten haben. Nach Dads Tod muss ein neuer Vorstandsvorsitzender gewählt werden, und wenn einer der Cousins diesen Platz einnimmt, wird sich Hellenic Enterprises in eine völlig neue Richtung entwickeln. Sie reden zwar von Fusion und mehr Wettbewerbsfähigkeit, aber im Grunde wollen sie nur verschleiern, dass sie unsere Firma an einen großen Energiekonzern verkaufen wollen. Das können wir nicht zulassen, Mak, das sind wir Dad schuldig … ich, und du auch!“

„Ich rede mit ihr“, versicherte Mak seiner Schwester, auch wenn ihm nicht klar war, wie er sein Versprechen einlösen sollte.

Als wären diese Stimmrechte wichtig angesichts dessen, was Neena erlebt hatte …