Alessandro und Julian halfen Nat, ihre wenigen Habseligkeiten vom Auto in ihr Zimmer zu tragen. Danach zog Alessandro sich sofort in sein Arbeitszimmer zurück. Seltsamerweise fühlte Nat sich erleichtert. Seine Anwesenheit in ihrem Zimmer war einfach zu dominant, und einmal mehr zweifelte sie an ihrem gesunden Menschenverstand.
Während sie auspackte, blieb Julian immer in der Nähe und ergriff jede Chance, ihr dabei zu helfen, hübsche kleine Dinge im Raum zu verteilen. Dann kam Flo herein, und er setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden, streichelte die Katze in seinem Schoß und sah Nat dabei zu, wie sie ihr Zimmer noch wohnlicher machte.
Eine Lavalampe tauchte den kahlen Raum in freundliches Licht, und die orange- und rostfarbene Bettwäsche war wie ein Farbtupfer vor dem vorherrschenden Weiß. Der türkische Teppich bedeckte den größten Teil des weißen Teppichbodens, und einige impressionistische Drucke sowie ihre geliebten venezianischen Masken belebten den Raum noch mehr. Schließlich hängte sie ein großes Stück purpurnen Transparentstoff, den sie in China gekauft hatte, lose über die Vorhangstange und drapierte ihn quer übers Fenster.
Danach stellte Nat sich hin und begutachtete ihr Werk. Gar nicht schlecht für eine Stunde Arbeit. Wenigstens sah das Zimmer jetzt nicht mehr aus wie ein Iglu.
„Wie findest du’s?“, fragte sie Julian.
Strahlend blickte er zu ihr auf und hob die Katze, um ihr mit dem Kinn über das Köpfchen zu streichen. „Es ist … wunderschön“, flüsterte er ehrfürchtig.
Nat lachte. Sie freute sich, dass es ihm gefiel.
„Meinst du, du kannst das auch in meinem Zimmer machen? Damit es so aussieht wie früher? Bevor Mummy gestorben ist?“, fragte er.
Sein sachlicher Tonfall berührte sie. Prüfend schaute sie ihn an, ob er Anzeichen von Kummer zeigte. Aber das war nicht der Fall. Stattdessen schaute er sie an, als wäre sie Mary Poppins und hätte das alles hier wie durch Zauberhand geschaffen.
„Na klar“, antwortete sie. „Morgen gehen wir mal die Kartons durch und schauen, ob wir deine Sachen alle finden.“
Nat hörte Flos Protestmiauen, als Julian aufsprang und sie dabei ein bisschen zu sehr drückte. Mit seinen funkelnden Augen sah er aus wie ein ganz normaler Vierjähriger, der sich freute.
In diesem Augenblick wusste sie, dass es richtig gewesen war, in Alessandros Haus zu kommen.
„Okay. Also, ich hab einen Riesenhunger.“ Sie sah auf die schmale rotgoldene Uhr an ihrem Handgelenk. Mittagszeit. Aus dem Augenwinkel bemerkte Nat, wie Julian gähnte und ihm kurz die Augen zufielen, während er weiter sein Kinn an Flos Köpfchen rieb. Bei all dem Trubel hatte Nat ganz vergessen, dass der Kleine ja auch seinen Mittagsschlaf brauchte. „Hey, schon so spät! Jetzt müssen wir aber dringend mal was essen.“
Julian folgte ihr die Treppe hinunter, Flo noch immer auf dem Arm. Sie schnurrte wie eine Dampfmaschine, denn sie fühlte sich wie im siebten Katzenhimmel. Unten zeigte Julian Nat den Weg zur Küche, wobei sie sich innerlich dagegen wappnete, Alessandro wieder gegenüberzutreten.
Er saß an seinem Laptop am Esstisch, der durch einen Bogen rechts von der hochelegant in Weiß und Edelstahl gehaltenen Küche getrennt war.
Alessandro schaute von den neuesten Gesundheitswarnungen der australischen Regierung im Internet auf, die die Ausbreitung eines tödlichen Tropenfiebers betrafen. Über internationale Flüge konnte es Australien womöglich schnell erreichen. Falls er solche Fälle demnächst in der Notaufnahme behandeln musste, wollte er darauf vorbereitet sein.
Julian strahlte, und Nats Wangen wirkten frisch und rosig.
„Ich nehme an, Sie haben sich inzwischen häuslich eingerichtet?“, meinte Alessandro.
Sie nickte, hielt ihren Blick jedoch geflissentlich auf seine breiten Schultern gerichtet. „Ja, danke. Morgen werden Julian und ich uns sein Zimmer vornehmen.“
„Wie Sie wollen. Ich werde seine Kartons heraussuchen und sie morgen früh hochbringen.“
„Vielen Dank.“
Sein intensiver Blick bohrte sich in ihre Augen, und Nat stockte plötzlich der Atem. Eine Haarlocke hing ihm in die Stirn, und es juckte ihr in den Fingern, sie wieder zurückzustreichen.
Entschlossen schaute sie weg und suchte nervös nach einer Ablenkung. Der stählerne Kühlschrank stand gleich neben ihr, sodass sie erleichtert dessen Tür öffnete. „Ich wollte für Julian und mich was zu essen machen, bevor er sich zu seinem Mittagsschlaf hinlegt.“
Einen Moment lang starrte sie in den Kühlschrank, ohne wirklich etwas zu erkennen. Denn es dauerte ein paar Sekunden, bis sich ihr Pulsschlag wieder beruhigte. „Möchten Sie auch was?“, flötete sie.
„Ich fürchte, da drin werden Sie nicht viel finden“, gab Alessandro zurück. „Ich muss dringend einkaufen gehen.“
Verblüfft betrachtete Nat den leeren Kühlschrank. Das war ja wohl die Untertreibung des Jahres! Sie drehte sich um. „Wovon ernährt ihr Jungs euch überhaupt?“
Alessandro zuckte die Achseln. Er hasste es einzukaufen. Darum hatte Camilla sich immer gekümmert. Nichts lief mehr richtig, seit sie nicht mehr da war. „Normalerweise besorge ich etwa jeden zweiten Tag nach der Arbeit ein paar Kleinigkeiten.“
Missbilligend presste Nat den Mund zusammen. „Hmm.“ Sie schloss den Kühlschrank und warf einen Blick in die Speisekammer, die ebenso gähnend leer war. Offenbar lebten die beiden nur von Tag zu Tag. Wusste Alessandro denn nicht, dass Kinder das Gefühl brauchten, umsorgt zu sein? Vor allem, wenn ihre Welt gerade aus den Fugen geraten war?
„Sieht so aus, als würden wir nachher einkaufen gehen“, sagte sie zu Julian.
Er strahlte. „Darf ich im Einkaufswagen fahren? Mummy hat das immer mit mir gemacht.“
Alessandro wurde sichtlich blass, und sein Gesicht verdüsterte sich. Wahrscheinlich nahm er immer nur einen Korb für seine wenigen Einkäufe, was einem Vierjährigen sicher ziemlich langweilig vorkam.
„Ja, klar darfst du im Wagen sitzen. Vielleicht hat dein Papa ja auch Lust, mitzukommen?“
Sofort wirkten beide, Vater und Sohn, äußerst angespannt. Hoffnungsvoll sah Julian zu Nat, ehe er wegschaute. Dabei streichelte er weiterhin Flos Köpfchen, und Nat hätte ihn am liebsten in die Arme genommen.
Niedergeschlagen merkte Alessandro, wie sein Sohn verstummte und seine schmalen Schultern sich versteiften. Er hatte gehofft, wenn er ihn nicht drängte und ihm genügend Raum gab, dass Julian sich eines Tages ihm zuwenden würde. Doch als er das Wort „Mummy“ hörte, traf es Alessandro wie ein Schlag in die Magengrube. Vielleicht würde sein Sohn ihn niemals an sich heranlassen. Vielleicht gab er ihm ja auch die Schuld an Camillas Tod.
„Ich muss noch diese Fachartikel durcharbeiten“, erklärte Alessandro daher und wandte sich wieder seinem Laptop zu.
Nat blickte von einem gebeugten Kopf zum andern. Beide einander so ähnlich und doch so weit voneinander entfernt. Diese zwei brauchten Hilfe, und offenbar hatte das Universum beschlossen, dass Nat dafür zuständig war. Sie wollte, dass Julian eine Bindung zu seinem Vater entwickelte. Der Kleine sollte nicht mit dem Gefühl aufwachsen, nicht gut genug zu sein, so wie sie es erlebt hatte.
Aber keiner von ihnen würde es ihr leicht machen, dessen war sie sich bewusst. Da stand ihr noch einiges an Arbeit bevor.
Gegen fünf folgte Alessandro seiner Nase in die Küche, wo fröhliches Treiben herrschte. Der Duft nach Knoblauch und Basilikum, die Gerüche seiner Kindheit, und Julians Gelächter zogen ihn unwiderstehlich an.
Nat und Julian kochten zusammen. Der Junge saß auf dem Küchenschrank neben dem Herd, einen langen Kochlöffel in der Hand, und rührte in einem Topf. Gleichzeitig stellte er Nat tausend Fragen. Alessandro sah ihre langen Beine, die Umrisse ihres sehr hübschen Pos und das Wippen ihres Pferdeschwanzes, während sie Kräuter klein hackte und ihren Finger in die Sauce steckte, um sie zu probieren.
„Mehr Salz, Julian.“
Der Kleine nahm die Salzmühle, mit der er für einen Vierjährigen recht gut umgehen konnte. Er gab sich große Mühe, die rosa Zunge zwischen den Zähnen eingeklemmt. Aber die Mühle ließ sich schwer drehen und rutschte ihm aus der Hand.
Doch Nat fing sie geistesgegenwärtig auf und verhinderte, dass sie in den Topf fiel. „Super, Giuliano.“
Alessandro lag es auf der Zunge, sie dafür zu tadeln, dass sie die italienische Form des Namens verwendete. Doch er musste zugeben, dass es ihm guttat, den Namen seines Sohnes in der Sprache seiner Vorfahren zu hören.
Lachend ließ Julian die Beine über den Schrank baumeln. Es machte ihm offensichtlich großen Spaß, und sein Vater brachte es nicht übers Herz, ihm diese Freude zu verderben.
„Irgendetwas riecht hier sehr lecker.“
Als sie Alessandros Kommentar hörte, zuckte Nat leicht zusammen. Jede ihrer Zellen schien auf einmal hellwach zu sein, und ihre Brustwarzen verhärteten sich instinktiv unter ihrem Spitzen-BH. Julian hörte sofort auf zu reden und mit den Beinen zu baumeln.
Obwohl Alessandro dies ebenfalls bemerkte, ignorierte er es und kam in die Küche. „Was kochst du denn da, Julian?“, erkundigte er sich.
Achselzuckend erwiderte Julian: „Spaghetti. Die richtige Art, aus Milano.“
Alessandro blieb fast das Herz stehen, als er hörte, wie perfekt die italienische Aussprache seines Sohnes war. Er hatte immer gehofft, dass seine Kinder zweisprachig aufwachsen würden, aber Camilla war eisern geblieben.
„Ah“, meinte er leichthin. „Die richtige Art schmeckt am besten.“
Camilla war keine gute Köchin gewesen. Meistens hatte sie irgendwelche Fertiggerichte in exklusiven Delikatessenläden gekauft. Und für Gäste hatte sie immer etwas von einem Partyservice kommen lassen.
Nat hingegen hatte innerhalb eines halben Tages nicht nur den Kühlschrank und die Speisekammer gefüllt, sondern durch die Küche zog auch ein köstliches Aroma. Da sein Magen knurrte, stellte Alessandro abwesend fest, dass er hungrig war. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt nicht nur zur reinen Nahrungsaufnahme gegessen hatte, sondern tatsächlich aus Appetit.
Als er Nat heute Nachmittag seine Kreditkarte zum Einkaufen gegeben hatte, dachte er, sie würde genug Lebensmittel für eine Woche besorgen. Aber sie war weit darüber hinausgegangen. Alessandro hatte beim Auspacken geholfen und war erstaunt gewesen über die vielen Dinge, die Nat für nötig gehalten hatte.
Sie hatte sich überschwänglich dafür entschuldigt, einen so großen Betrag ausgegeben zu haben. Doch das hatte er rasch abgetan. Geld war kein Problem. Außerdem, wenn man so viel verloren hatte wie er, bedeutete es wirklich nichts.
Alessandro lehnte sich mit der Hüfte an den Küchenschrank, nicht weit von Nat entfernt. Die fröhliche häusliche Atmosphäre hatte sich schlagartig verflüchtigt. Julian wirkte angespannt, was Nat schrecklich leidtat.
In diesem Augenblick kam Flo herbei und strich ihr mit einem durchdringenden Miauen um die Beine. Die Gute.
„Julian, Schätzchen, hast du Lust, Flo zu füttern?“, fragte Nat.
Seine Miene hellte sich sofort auf. „Darf ich?“
„Na klar. Du weißt ja, wo ihr Napf im Waschraum steht. Und auch, wo die kleinen Futterbeutel sind, die wir heute gekauft haben. Vielleicht kann dein Papa dir helfen, einen aufzureißen, okay?“
Irgendwo mussten die beiden ja mal einen Anfang machen.
Alessandro sah Nat an. Ein paar feine Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und umrahmten ihr Gesicht fast wie bei einem Engel. „Gute Idee“, meinte er.
Dann ging er an ihr vorbei, hob Julian vom Küchenschrank und stellte ihn auf den Fußboden. „Also, wo ist das Katzenfutter?“
Nat rührte weiter in ihrer Sauce, da sie sich nicht einmischen wollte. Sie war erleichtert, als Julian nach Flo rief und mit seinem Vater hinausging.
Fünf Minuten später war Alessandro wieder zurück.
„Das ging aber schnell“, sagte Nat überrascht.
„Er schien sich mehr für die Katze zu interessieren.“ Er stellte sich mit dem Rücken zum Schrank, damit er ihr hübsches Gesicht mit dem perfekten Mund sehen konnte. „Das duftet köstlich.“
„Danke. Ich dachte, in diesem Haus kann ich mit Pasta und Sauce nicht viel falsch machen.“
Lächelnd drehte er sich seitlich zum Herd. „Darf ich mal probieren?“
Sie nickte und trat einen Schritt zurück, als Alessandro den Zeigefinger in die Sauce steckte. Völlig gebannt beobachtete sie, wie er ihn in den Mund steckte und sauber ableckte.
„Mmm.“ Genüsslich leckte er sich die Lippen, wobei er Nats Blick festhielt. „Sie haben das anscheinend schon öfters gemacht.“
„Meine Gastmutter in Milano hat mir das geheime Familienrezept für Napolitano-Sauce beigebracht.“ Dass ihre Stimme so rau klang, ärgerte sie.
„Aber Sie müssen nicht kochen, das wissen Sie. Und auch nicht putzen oder Kartons auspacken.“
„Ich weiß. Aber ich tue es gern. Es macht keinen großen Spaß, nur für einen zu kochen. Für mich allein gebe ich mir meistens nicht so viel Mühe.“
Aber eigentlich vermisste Nat das Kochen. Genau wie all die anderen häuslichen Dinge, die zum Pärchen-Dasein gehörten.
Alessandros eindringlicher Blick beunruhigte sie. Deshalb wandte sie sich wieder der Spaghetti-Sauce zu. „Irgendwas fehlt noch.“ Sie nahm einen Löffel voll heraus, blies zum Abkühlen darauf und nippte daran. Doch sie schmeckte rein gar nichts. Alessandro sah sie noch immer an, was sie total nervös machte. Ihre Hand zitterte, sodass ein bisschen von der warmen Sauce heruntertropfte, direkt auf den leicht gewölbten Brustansatz oberhalb ihres V-Ausschnitts.
Erschrocken schaute sie auf. Alessandro verfolgte mit den Augen, wie die Sauce langsam weiter hinunterlief. Er befeuchtete sich die Lippen, und unter seinem glühenden Blick fühlte Nat sich wie benommen. Sofort versteiften sich ihre Brustwarzen wieder.
„Ich kenne mich mit Zutaten gut aus. Lassen Sie mich probieren“, meinte er gedehnt.
Von seiner erotischen Stimme völlig in den Bann gezogen, schloss Nat einfach die Augen, als er den Kopf senkte und mit der Zunge die Sauce von ihrem Ausschnitt leckte.
Jemand stöhnte. War sie es oder er? Nat verspürte ein geradezu unwiderstehliches Verlangen, ihre Finger in seinem Haar zu vergraben.
Alessandro hatte das Gefühl, dass die Dinge außer Kontrolle zu geraten drohten, während er seine Zunge mehrmals über die verführerische Wölbung ihrer Brüste gleiten ließ. Der Geschmack ihrer Haut war süß und würzig. Berauschend.
„Nat, ist es okay, wenn Flo nach draußen geht?“
Als Julian vom Flur her rief, fuhr Alessandro hoch und wich mehrere Schritte zurück. Was war bloß los mit ihm? Er hatte seinen Kopf in den Ausschnitt einer Frau gesteckt, die er kaum kannte, und dabei war seine eigene Frau noch nicht mal ein Jahr tot.
„Ja, sicher“, rief Nat zurück. Erschrocken stand sie wieder am Herd und versuchte krampfhaft zu ignorieren, wie sehr ihre Haut noch immer an der Stelle prickelte, wo Alessandros Mund gewesen war.
Mit Flo auf dem Arm kam Julian in die Küche, ohne zu bemerken, dass die beiden Erwachsenen nach Atem rangen. „Sie hat das ganze Futter aufgefressen und die Milch ausgetrunken. Ich glaube, jetzt möchte sie spielen.“
Nat drehte sich zu ihm um und zwang sich dabei zu einem Lächeln. „Na klar will sie das. Sie ist gerne draußen.“
„Aber nicht zu lange, Julian“, sagte Alessandro knapp, verärgert über seine eigene Dummheit. „Es gibt bald Abendessen.“
Verwirrt über den schroffen Ton seines Vaters biss Julian sich auf die Lippen.
„Es ist okay“, meinte Nat liebevoll. „Ich ruf dich, wenn es so weit ist.“
Julian nickte. Er wirkte ernüchtert und ging mit hängenden Schultern davon. Nat wollte mit Alessandro über seine unsensible Reaktion schimpfen – Julian war immerhin noch ein kleiner Junge – aber Alessandro war verschwunden.
Zu aufgedreht, um zu schlafen, schaute Nat an diesem Abend lange fern. Julian war längst im Bett, und Alessandro hatte sich nach dem Essen gleich in sein kahles Arbeitszimmer zurückgezogen.
Das, was vorhin zwischen ihnen passiert war, durfte nie wieder passieren. Darüber war Nat sich im Klaren. Es hatte keinen Sinn, Luftschlösser in Bezug auf einen Mann zu bauen, der offenbar noch immer sehr unter dem Tod seiner Frau litt.
Egal, wie sehr er ihre weiblichen Instinkte ansprach, es wurde höchste Zeit, sich auf andere Instinkte zu verlassen. Nämlich ihren Selbsterhaltungstrieb.
Sobald der Film vorbei war, ging sie widerstrebend nach oben. Die Tür zu Alessandros Schlafzimmer am Ende des Flurs stand offen. Nat schaute nach Julian, wobei sie eigentlich damit rechnete, Flo auf seinem Bett vorzufinden. Aber da war nur eine warme Stelle, wo sie bis vor Kurzem gelegen haben musste. Nachdem Nat den Jungen wieder richtig zugedeckt hatte, knipste sie die Nachttischlampe aus und ging in ihr eigenes Zimmer. Doch auch hier war die Katze nirgendwo zu sehen.
„Flo“, rief Nat leise in den dunklen Flur hinaus. Da hörte sie ein leises Maunzen, das aus der Richtung der offenen Tür kam. Flo hatte sich also Alessandros Zimmer ausgesucht.
Nat musste sie dort schnellstmöglich wieder rausholen. Auf Zehenspitzen schlich sie den Flur entlang, obwohl der dicke Teppichboden ohnehin jedes Geräusch verschluckte.
Vor der Tür blieb sie stehen und flüsterte wieder: „Flo!“
Die Katze ließ ein zufriedenes Miauen hören. Vorsichtig schaute Nat in den Raum hinein, der von einer kleinen Lampe ein wenig erhellt wurde. Flo saß mitten auf Alessandros Bett und putzte sich ausgiebig.
„Flo!“, flüsterte Nat etwas lauter. Sie betrat das Zimmer, war jedoch zu nervös, um zu bemerken, wie minimalistisch auch dieses eingerichtet war. „Komm sofort her! Alessandro findet das gar nicht gut.“
Die Katze unterbrach ihre Tätigkeit einen Moment lang und sah Nat aus halb geschlossenen Augen an, ehe sie ihr Hinterbein in die Luft streckte und es mit langen Strichen ihrer hübschen rosa Zunge zu putzen begann.
Nat seufzte entnervt. Sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als jetzt auf das große Bett zu steigen, um ihre widerspenstige Katze herunterzuholen.
Sie war noch zwei Schritte von dem Bett entfernt, als sich links davon eine Tür öffnete und Alessandro halbnackt herauskam. Sein Haar war feucht, und er trug nichts außer einem Handtuch um die Hüften.
Zwar wollte Nat ihn nicht anstarren, aber sie konnte ihre Augen einfach nicht abwenden. Der sanfte Schein der Lampe verlieh seinem Körper einen herrlichen bronzefarbenen Schimmer, und durch das Licht aus dem Bad hinter ihm wirkte sein Gesicht dunkler und gefährlicher denn je.
Nats Mund wurde trocken. „Oh, äh … Entschuldigen Sie, ich wusste nicht, dass Sie … Flo ist hier.“ Sie zeigte auf die Katze, die behaglich schnurrte. „Ich wollte sie gerade holen.“
Schon lange war keine Frau mehr in Alessandros Schlafzimmer gewesen. Noch dazu eine, von der er erst vor ein paar Stunden Tomatensauce abgeleckt hatte. Die Erinnerung daran traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Der Geschmack ihrer Haut, das leise Stöhnen, der keuchende Atem.
Alessandro stemmte die Hände in die Hüften, um die lustvolle Erregung zu unterdrücken, die ihn durchzuckte. Vermutlich merkte Nat gar nichts, doch ihr Blick löste bei ihm eine entsprechende Reaktion unter dem Handtuch aus.
„Ich möchte mich bei Ihnen für heute Nachmittag entschuldigen“, sagte er.
Abwehrend schüttelte sie den Kopf. Sie wollte lieber nicht daran denken, wenn er nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihr stand.
„Ich hatte Ihnen ja versprochen, dass Ihre Tugend hier sicher wäre.“
„Schon gut“, brachte sie mühsam hervor.
Diesmal schüttelte er den Kopf. „Nein. Ich darf nicht … Ich kann nicht … Meine Frau … Ich denke, am besten vergessen wir das Ganze. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Mit den Fingern fuhr er sich durch das feuchte Haar. Es ärgerte ihn, wie abgehackt er klang. Doch sie nickte energisch, und er war froh, dass sie Verständnis hatte.
„Sie haben mein Wort, Nathalie.“
In diesem Augenblick sprang Flo mit einem lauten Miauen vom Bett und rieb sich an den Beinen ihres Frauchens. Wie gut, dass es Kinder und Katzen gab.
„Natürlich. Es war nur …“ Nat streichelte Flo, während sie nach dem passenden Begriff suchte. „Etwas impulsiv.“ Sie hob Flo hoch und drückte sie an sich. „Sie haben recht. Es wird nicht wieder passieren.“ Langsam trat sie den Rückzug an. „Sorry wegen …“ Mit einer unbestimmten Handbewegung wies sie auf seinen nackten Oberkörper. „Na ja …“
Dann drehte sie sich um und flüchtete.