6. KAPITEL

Am Freitag saß Nat im Hort mit Julian und einem anderen Jungen auf der Matte. Sie versuchte, eine Freundschaft zwischen den beiden zu fördern. Henry war ein netter Junge, der schon eine ganze Weile versuchte, sich mit Julian anzufreunden. Allerdings ohne großen Erfolg.

Zwar mochte Julian ihn, aber er war anderen Kindern gegenüber immer noch sehr schüchtern und zog es vor, allein zu sein oder in der Nähe von Nat. Er spielte und sprach gerne mit Henry, solange Nat dabei war.

Heute hatte Henry Fotos von seinem Familienurlaub in Neuseeland mitgebracht, die sie sich gemeinsam anschauten. Es war ein sehr schönes Foto von Henry und seiner Mutter darunter. Vor dem Hintergrund eines mächtigen Berges saß er bei ihr auf dem Schoß, während sie ihn umarmte. Sie sahen einander an, und Henry lachte.

Ehrfürchtig betrachtete Julian das Bild, das er ganz vorsichtig nur am Rand anfasste. „Ist das deine Mummy?“

Er konnte seinen Blick gar nicht mehr losreißen, und der Ausdruck in seinem kleinen Gesicht brach Nat das Herz. Auf einmal wurde ihr klar, dass es im Haus der Lombardis überhaupt keine Fotos von Julians Mutter gab.

Im Gegensatz dazu hatte ihre Mutter praktisch einen Schrein für Nats Vater errichtet, obwohl er sie verlassen hatte. Doch wegen Nat wollte sie unbedingt den Kontakt zu ihm aufrechterhalten. Nur schade, dass ihr Vater kein großes Interesse daran gehabt hatte.

Aber für Julian gab es nicht mal ein gerahmtes Foto, das er sich auf den Nachttisch stellen konnte. Keine Familienporträts an den Wänden. Auch Alessandro hatte weder in seinem Arbeitszimmer noch im Schlafzimmer Bilder von seiner Frau, um die er doch offensichtlich immer noch sehr trauerte.

Nat beschloss, ihn heute Abend danach zu fragen. Falls Julian jemals über seinen schweren Verlust hinwegkommen sollte, musste er auch offen trauern dürfen. Und dafür war es nötig, die Existenz seiner Mutter anzuerkennen.

„Und dann wanderten Grandma Poss und Hush weiter nach …“

„Hobart!“

Alessandro lachte und blätterte die Seite in dem Buch um. „Weil?“

„Sie Lamington-Kuchen essen wollten!“

Julian kriegte einfach nicht genug von diesem Opossum-Buch. Beim Vorlesen schien er alles um sich herum zu vergessen.

Im Augenblick saß Alessandro an das Kopfende von Julians Bett gelehnt, die Beine lang ausgestreckt, und Julian lag an ihn gekuschelt.

Nat hatte recht, es war eine besonders schöne Tageszeit. Doch so sehr Alessandro sich darüber freute, bedauerte er es doch zutiefst, zugelassen zu haben, dass Camilla einen Keil zwischen ihn und Julian getrieben hatte. Da er aus völlig falschen Gründen geheiratet hatte, glaubte er, das gespannte Verhältnis zu Julian wäre eben die logische Folge davon. Aber er hatte niemals damit gerechnet, dass er einmal allein für seinen Sohn sorgen würde, weil dieser seine Mutter verloren hatte. Sie waren einander so fremd.

„Gestern hat Nat mir einen Lamington-Kuchen gekauft.“

Abwesend rieb Alessandro sein Kinn an Julians weichem Lockenschopf. Er genoss diese Zeit mit ihm. Vor drei Tagen hatte Nat darauf bestanden, dass Gutenachtgeschichten Sache eines Vaters waren, und hatte ihm das Buch vor die Brust gedrückt.

Julian hatte geschmollt und gebettelt, dass sie ihm vorlas. Aber sie hatte ihnen nur zugelächelt, Julian einen Gutenachtkuss gegeben und war gegangen. Und jetzt fühlten sich beide wohl mit ihrem abendlichen Ritual.

„Tatsächlich?“, meinte Alessandro. „Bist du dadurch unsichtbar geworden?“

Julian kicherte. „Nee. Aber er hat lecker geschmeckt.“

Alessandro lächelte in sich hinein, da er an die leckere Nat mit ihrer Napolitano-Sauce denken musste. Keine Frau hatte je so süß geschmeckt.

Aber egal, ob sie nach Zuckerwatte, Zimt-Doughnuts oder dunklem Schokoladeneis schmeckte, sie war auf jeden Fall tabu.

Nat hörte die Stimmen der beiden, als sie ihren Schlafanzug unter dem Kopfkissen hervorholte. Sie freute sich über diese kleinen Fortschritte. Leise schlich sie den Flur entlang und riskierte einen schnellen Blick in Julians Zimmer. Der Anblick war wirklich rührend. Vater und Sohn nebeneinander auf dem Bett, so wie überall auf der Welt.

Alessandro trug noch seine Arbeitskleidung, hatte jedoch seine Krawatte abgenommen und die zwei obersten Hemdknöpfe aufgemacht. Und er hatte noch Socken an. Zur Abwechslung sah er mal entspannt aus. Jungenhaft und liebevoll. Aber auch attraktiv, sexy und männlich. Einfach fantastisch.

Auf Zehenspitzen ging Nat davon. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Allmählich entwickelten sich die Dinge zum Guten, und sie hatte ihren Teil dazu beigetragen.

Eine Stunde später klopfte Nat an die Tür des Arbeitszimmers. Diese war zwar nur angelehnt, aber sie wollte nicht unaufgefordert hereinplatzen. Jeden Abend, nachdem Julian zu Bett gegangen war, zog Alessandro sich hierher zurück.

Sie hörte ein leises „Avanti!“ und zögerte kurz. Eins hatte sie schnell gelernt. Nämlich dass er sein Privatleben möglichst für sich behielt. Er sprach nie von seiner Frau, er hatte noch nicht einmal ihren Namen erwähnt. Aber um Julians willen musste Nat das Thema anschneiden. Entschlossen trat sie ein.

Alessandro saß in seinem schwarzen, italienischen Designer-Chefsessel vor seinem Computer. Aufgeschlagene Bücher und medizinische Fachzeitschriften lagen auf dem Schreibtisch und um ihn herum auf dem Boden.

Der Rest des Zimmers war noch immer kahl und weiß. Nat beschloss, sich die entsprechenden Kartons am Wochenende vorzunehmen. Bestimmt wollte Alessandro doch auch vertraute Dinge um sich haben. Vielleicht ein Bild seiner Frau auf dem Schreibtisch?

Mittlerweile hatte er sich umgezogen und trug nun eng anliegende Boxershorts sowie ein weißes T-Shirt. Glücklicherweise vermied er es jetzt, in Nats Gegenwart nur halb bekleidet herumzulaufen, wofür sie ausgesprochen dankbar war.

Sein Haar war feucht, als hätte er vor Kurzem geduscht. Im Schein der Schreibtischlampe wirkten seine Züge besonders markant. Er sah dunkel und gefährlich aus, und umwerfend attraktiv.

Nats erster Impuls war, sich umzudrehen und wegzulaufen.

Alessandro hob die Brauen. „Wollen Sie etwas Bestimmtes?“

Oh ja, dachte sie. Allerdings. Sie wollte ihn, wie sie noch nie einen Mann gewollt hatte. Nicht einmal Rob. Ein Bild, wie sie beide auf diesem großen Sessel übereinander herfielen, schoss ihr durch den Kopf, und sie schloss flüchtig die Augen.

Nein, das durfte nicht sein.

Als sie die Augen wieder öffnete, hielt sein Blick sie gefangen. Es war, als könnte er ihre Gedanken lesen.

Alessandro musste seine bloßen Füße in den Teppichboden stemmen, um nicht aufzuspringen und Nat an sich zu reißen. Bei dem Ausdruck in ihren Augen war ihm plötzlich heiß geworden. Er zwang sich dazu, ihr ins Gesicht zu schauen, obwohl sein Blick beinahe unwiderstehlich von ihrem Ausschnitt und ihren langen bloßen Beinen angezogen wurde.

Verdammt. Das war doch verrückt. „Nat?“

Sein stählerner Ton riss Nat aus ihren Fantasien. „Ich wollte mit Ihnen sprechen.“ Sie schluckte.

Alessandro sah auf ihren Mund. „Gut, dann tun Sie das.“

Sie nickte. „Ich habe mich gefragt …“ Da er ihren Mund anstarrte, konnte sie sich kaum konzentrieren. „Ob Sie irgendwelche Fotos von Ihrer Frau haben.“

Er erstarrte. „Wozu?“

Obwohl Nat seine Abwehr genau spürte, nahm sie all ihren Mut zusammen. „Ich dachte, es wäre schön für Julian, ein Bild von ihr auf seinem Nachttisch zu haben. Vielleicht eins mit beiden zusammen?“

Alles in ihm sträubte sich dagegen. Diese Woche hatten er und Julian große Fortschritte gemacht, und er hätte es nicht ertragen, wenn sein Sohn sich wieder in den stummen kleinen Jungen verwandeln würde wie in den Tagen und Wochen nach Camillas Tod. „Ich glaube, das würde ihn wieder schrecklich traurig machen.“

Nat holte tief Luft. „Seine Mutter ist tot. Er darf darüber traurig sein.“

Alessandro schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht mit ansehen.“

Seine gequälte Stimme schmerzte sie. Aber sie wusste, dass er mit dieser Einstellung seinem Sohn keinen Gefallen tat. „Sie können ihn nicht davor schützen. Es ist eine gesunde Reaktion, traurig zu sein, zu weinen, zu trauern. Sie können den Prozess nicht beschleunigen, indem Sie so tun, als hätte Julians Mutter nie existiert.“

Er fuhr hoch. „Das tue ich nicht!“, widersprach er kalt. Ein harter Ausdruck trat in seine dunklen Augen.

„Im ganzen Haus gibt es kein einziges Bild von ihr, Alessandro“, beharrte Nat sanft. „Sie haben Ihre Frau geliebt. Sie war die Mutter Ihres Kindes. Ich verstehe, dass es schwer für Sie ist, an sie erinnert zu werden …“

Er schnaubte verächtlich. „Sie haben ja keine Ahnung.“

Etwas verblüfft über seinen geringschätzigen Ton, fuhr sie tapfer fort: „Julian ist vier. Sie wissen, dass ich recht habe. Denken Sie für einen Moment mal nicht als Vater und Ehemann, sondern wie ein Arzt. Sie sind ein guter Arzt, und Sie wissen, dass das die beste Art ist, Trauer zu verarbeiten.“

Alessandro verwünschte sie dafür, dass sie recht hatte. „Und was ist, wenn ich es nicht aushalte, ihr Bild anzusehen?“, fragte er herausfordernd.

Wie lange war es her, dass er Camillas Gesicht vor sich gesehen hatte? Es war ihm ein solches Bedürfnis gewesen, die Jahre mit ihr zu vergessen, dass er sich standhaft geweigert hatte, sie sich überhaupt vorzustellen.

Natürlich musste er nicht weit schauen, um an sie erinnert zu werden. Seltsamerweise fiel ihm die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Nat und Camilla gar nicht mehr auf. Sie waren vom Wesen her so verschieden, dass man sie überhaupt nicht miteinander verwechseln konnte.

Nat spürte seine Qual, und es tat ihr unendlich leid, ihn weiter zu drängen. „Ich verlange ja nicht von Ihnen, dass Sie ein zwei Meter hohes Porträt in Auftrag geben, um es an einer dieser grauenvollen Wände aufzuhängen. Bloß ein Foto für Julians Nachttisch. Damit er weiß, dass sie da war und ihn geliebt hat, und dass sie auf ihn aufpasst.“

Alessandro wünschte, es wäre so einfach. Könnte er ein solches Foto jedes Mal ansehen, wenn er ins Zimmer seines Sohnes kam? Aber wenn es Julian half, seine Trauer zu bewältigen. Seufzend sagte er: „In einem der Kartons sind ein paar gerahmte Bilder.“

Eigentlich hatte er diese selbst herausholen wollen. In ihrem Haus in London hatte es überall Fotos von Camilla und von der ganzen Familie gegeben. Nach ihrem Tod war es so schwer gewesen, die Bilder zu ertragen. Die damit verbundene Heuchelei hatte Alessandro geradezu als Folter empfunden, und im Grunde war er froh, diesen emotionalen Ballast endlich los zu sein.

Nat war bedrückt, einerseits wegen seines niedergeschlagenen Tonfalls, aber auch bei der Vorstellung, den ganzen Berg der übrigen Umzugskisten durchsuchen zu müssen. Die Speditionspacker hatten miserable Arbeit geleistet. Die meisten Kartons waren lediglich mit „Verschiedenes“ beschriftet. Die Bilder konnten also in jedem davon sein.

Aber es war immerhin ein Anfang. Jetzt, da Alessandro zugestimmt hatte, bestand ja keine große Eile. An einem der nächsten Wochenenden würden sie die Fotos schon finden. Sie bemerkte, wie müde er aussah, unterdrückte jedoch ihren natürlichen weiblichen Instinkt, zu ihm zu gehen und den Arm um ihn zu legen. Denn sie wusste, dass es ein Fehler wäre.

„Danke. Es ist der richtige Weg, Alessandro.“

Nat strahlte Sicherheit und Zuversicht aus. Er dagegen fühlte sich oft schrecklich überfordert. Da stand sie in ihrem T-Shirt und den Shorts an der Tür, so ruhig und ausgeglichen. Er wünschte, sie würde näherkommen, damit er seinen Kopf an ihren Bauch lehnen könnte, um etwas von ihrer Ruhe in sich aufzunehmen. „Das hoffe ich“, meinte er leise.

Nat war wie gebannt von der überwältigenden Sehnsucht in seinen Augen.

Als er seinen Blick über sie gleiten ließ, schien es ihr, als würde ihre Haut verbrennen. Nat wollte etwas sagen, doch in diesem Moment drehte Alessandro sich mit dem Stuhl wieder zu seinem Computer um.

Sekundenlang blieb sie noch an der Tür stehen, starrte auf seinen Rücken und versuchte, wieder tief durchzuatmen. Es war besser so. Wenn zwischen ihnen etwas passierte, wäre das eine große Dummheit. Schlimmer als bei Rob. Im Grunde tat Alessandro ihnen beiden einen Gefallen. Eines Tages würde Nat ihm sicher dankbar sein. Aber jetzt hatte sie eine lange, einsame Nacht vor sich.

In den frühen Morgenstunden wurde Nat von dem leisen Maunzen und Stupsen ihrer Katze geweckt. Regen trommelte aufs Dach. Kein Wunder, denn der Tag war sehr schwül gewesen. Sie streichelte Flo, während sie dalag und es genoss, hier in ihrem trockenen Bett zu sein. Doch Flo stupste sie weiter ungeduldig an, sodass Nat schließlich widerstrebend aufstand.

„Schon gut, du kleiner Tyrann. Ich weiß ja, wie gern du im Regen rumspringst, du Verrückte.“ Sie nahm die schnurrende Katze auf den Arm. „Komm mit.“

Da sie sich inzwischen im Haus auskannte, tappte Nat im Dunkeln nach unten, um Flo durch die Tür des Waschraums rauszulassen. Sie schaute der Katze nach, als diese durch den Regen lief, und lächelte belustigt. Verdrehtes Tier. Da gab sie ihr warmes, trockenes Bett bei einem kleinen Jungen auf, um stattdessen hinter Regentropfen herzujagen.

Nat schloss die Tür, da sie wusste, dass Flo bestimmt stundenlang draußen ihren Spaß haben würde. In der Küche trank sie noch einen Schluck Wasser, ehe sie wieder zur Treppe ging. Dabei fiel ihr der Lichtschein unter der Tür des Arbeitszimmers auf. War Alessandro etwa immer noch auf?

Sie klopfte leicht an die Tür und wartete auf sein brummiges „Avanti“, aber da kam nichts. Langsam machte sie die Tür auf und erwartete, dass er sich ärgerlich zu ihr umdrehen würde. Stattdessen lag er mit nach vorne gebeugtem Oberkörper halb auf dem Schreibtisch, sein Kopf zwischen den Büchern, die Augen geschlossen.

„Alessandro?“, flüsterte Nat. Behutsam näherte sie sich ihm.

Er rührte sich nicht, und einen Moment lang stand sie nur da und betrachtete ihn. Das schwarze Haar fiel ihm in die Stirn, was ihm einen unschuldigen Ausdruck verlieh, so wie bei Julian, wenn er schlief. Der dunkle Bartschatten und die leicht geöffneten Lippen waren jedoch hundertprozentig erwachsen.

Es tat Nat leid, ihn zu wecken, da er immer so müde aussah. Selbst im Schlaf wirkte er noch total erschöpft. Aber wenn er die ganze Nacht in dieser Position blieb, hatte er morgen früh garantiert einen steifen Nacken.

„Alessandro“, rief sie daher leise und schüttelte ihn leicht an der Schulter.

Er fuhr hoch, holte Luft und setzte sich kerzengerade auf, während er mühsam seine schläfrige Benommenheit abschüttelte. Mechanisch rieb er sich den schmerzenden Nacken.

Nat stand dicht neben ihm, in einem Sleepshirt und ohne BH.

„Tut mir leid“, murmelte Alessandro. „Ich muss wohl eingeschlafen sein.“

Er hatte einen roten Fleck auf der Wange, wo er auf einem Buch gelegen hatte, und Nat juckte es in den Fingern, diese Stelle zu berühren. „Was tun Sie hier noch so spät?“, fragte sie erstaunt.

Achselzuckend erwiderte er: „Ich habe an der Einsatzbereitschaft des St. Auburn für den Pandemie-Status gearbeitet, falls das gefürchtete Sumpffieber uns erreichen sollte.“

„Es ist halb drei Uhr morgens“, meinte sie tadelnd. „Das Sumpffieber kann warten. Gehen Sie zu Bett und sehen Sie zu, dass Sie ein bisschen Schlaf kriegen.“

Alessandro ließ die Hand sinken. „Ich kann nicht schlafen.“

Nat spürte seine Müdigkeit, seine innere Qual. Er sah so elend aus, dass tiefes Mitleid sie erfüllte. „Oh, Alessandro“, flüsterte sie.

Ohne nachzudenken kam sie zu ihm, legte ihm eine Hand in den Nacken, die andere aufs Haar, und drückte seinen Kopf an sich.

Alessandro umfasste ihre Taille, zog Nat noch dichter heran und presste sein Gesicht in ihr Nachthemd. Sie roch nach Seife, Regen und Blumen. Und er wollte sie. „Ich bin müde. Ich bin so furchtbar müde.“

„Schsch.“ Sanft strich sie ihm über den Kopf. „Ich weiß.“

Er drückte ihr einen Kuss auf den Bauch und schaute zu ihr hoch. Sie war so schön. Er wollte mit ihr in ein großes warmes Bett kriechen und für immer dort bleiben. „Nathalie.“

Abwehrend schüttelte sie den Kopf. Sie wusste, was sein Blick bedeutete. „Nennen Sie mich nicht so.“ Ihre Stimme klang heiser.

Alessandro rieb sein Kinn an ihrem Bauch. „Warum nicht? Es passt zu Ihnen.“

Unter seinen rauen Bartstoppeln zogen sich die Muskeln in ihrem Unterleib zusammen. Sie ließ ihre Hand von seinem Haar zu seiner Wange gleiten und fuhr mit dem Handrücken leicht über den geröteten Fleck. „Weil es mir zu gut gefällt.“

Einen langen Moment sahen sie sich nur an. Das Einzige, was man hören konnte, war der Regen auf dem Dach und das stoßweise Atmen von ihnen beiden. Schließlich zog Alessandro Nat auf seinen Schoß herunter.

Sie protestierte nicht, wie gebannt von dem Verlangen, das sie in seinen Augen erkannte. Eigentlich sollte sie gar nicht hier sein, aber sie war nicht imstande, irgendwelchen Widerstand zu leisten. Sie wollte es, und die Erregung vibrierte in ihrem ganzen Körper.

Alessandro umfasste ihren Nacken und strich mit dem Daumen an ihrem Kiefer entlang, sodass ihr Mund seinem immer näherkam.

„Bella“, murmelte er. All die Gründe, weshalb es keine gute Idee war, Nat zu küssen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie gleich hier und jetzt zu besitzen, waren ihm egal. Er wusste nur, dass bei den vielen negativen Dingen in seinem Leben sich dies hier einfach total richtig anfühlte.

Auf einmal war er so wach und lebendig wie schon lange nicht mehr.

Seine Hand glitt hinunter zu dem tiefen Ausschnitt ihres Sleepshirts. Nat schloss die Augen, während ihre Brustwarzen sich hart aufrichteten. Alessandro neigte den Kopf und küsste sie da, wo neulich die Tomatensauce gelandet war. Seine Lippen schienen auf ihrer Haut zu brennen, und unwillkürlich bog sie sich ihm entgegen.

„Nathalie.“ Leicht streifte er mit seinem Mund ihre Lippen.

Kaum hörbar seufzte sie: „Alessandro.“ Gleichzeitig schlang sie ihm die Arme um den Hals, und ihre Lippen trafen sich erneut. Nicht sanft und leicht, sondern leidenschaftlich, intensiv. Sein Stöhnen war erregend und verführerisch. Ihr wurde schwindelig, als der Kuss außer Kontrolle geriet. Keuchend und nach Atem ringend löste sie sich von Alessandro. Mit seinen Blicken schien er sie zu verschlingen, und sie wollte mehr.

Er ließ den Daumen über ihre geschwollenen Lippen gleiten, und wieder nahm er Besitz von ihrem Mund. Er wollte sie schmecken, spüren. „Du bist so süß“, flüsterte er.

„Du auch“, murmelte sie, ehe sie ihren Mund wieder auf seinen presste.

Alessandro vergrub die Finger in ihrem Haar. Durch seine Baumwoll-Boxershorts fühlte sie sein hartes Glied. Nat bewegte sich, um ihn noch intensiver zu spüren. Ohne den Kuss zu unterbrechen, veränderte sie ihre Position, bis sie schließlich rittlings auf Alessandros Schoß saß. Dabei rutschte das Nachthemd über ihre Schenkel hinauf.

Der große Ledersessel bot genügend Platz, sodass Nat sich an Alessandro reiben konnte, voller Verlangen nach der Lust, die nur er stillen konnte.

Stöhnend löste er seine Lippen von ihr, sein keuchender Atem lauter als das Prasseln des Regens. „Nathalie.“ Sie war wunderschön. Und trotz ihrer Leidenschaftlichkeit schaute sie ihn mit so großen Augen an, dass es beinahe unschuldig wirkte. „Ich will dich ganz sehen.“

Hastig zerrte er ihr das Nachthemd über den Kopf. Bis auf einen kleinen Spitzen-Slip war sie vollkommen nackt. Ihre Brüste lagen frei vor ihm, so herrlich, wie er sie sich immer vorgestellt hatte. Üppig und fest, die Brustwarzen mokkabraun. Alessandro fuhr mit den Händen von ihrer Taille hinauf, um die Brüste zu umschließen. Sie waren schwer, und die steifen Spitzen hinterließen eine erotische Spur auf seinen sensiblen Handflächen. „Ich will dich schmecken!“

Er zog sie an sich, umspielte mit der Zunge eine ihrer Brustwarzen, ehe er intensiv daran saugte. Nat schrie auf und packte seine Schultern, denn alles um sie herum schien sich plötzlich zu drehen.

Gerade als sie glaubte, sie könnte es nicht mehr ertragen, löste Alessandro sich von ihr, sodass sie fast auf ihn fiel. Doch er hielt sie fest und umschloss mit den Lippen die andere Brustwarze.

„Alessandro!“ Nat wusste nicht, ob sie ihn anflehte aufzuhören, oder ihn weiter antrieb. Von einem heftigen Strudel erfasst, fühlte sie sich wie ein Blatt im Wind, und dabei waren sie noch gar nicht richtig zur Sache gekommen.

Er gab ihre Knospe frei, die sich feucht und hart emporreckte. „Ich will dich.“

Nur drei kleine Worte. Zwar nicht diejenigen, die die meisten Frauen gerne hören würden, aber das war Nat egal. Sie brauchte es.

„Kondome?“, stieß sie atemlos hervor.

Alessandro schüttelte den Kopf. „Nimmst du die Pille?“

Sie spürte die harte Wölbung seiner Erektion zwischen ihren Beinen und wollte sie unbedingt in sich fühlen. „Natürlich. Aber dabei geht es doch um mehr.“

Er presste sie an sich. „In den letzten fünf Jahren hatte ich nur mit einer einzigen Frau Sex.“

Nat blickte ihm in die Augen. Darin sah sie dieselbe Sehnsucht und Verzweiflung wie vorhin. Er begehrte sie. Aber er versicherte ihr auch, dass sie bei ihm sicher war. Und wenn sie diesen Raum heute Nacht unbefriedigt verließ, dann würde sie sterben. „Bei mir war es dasselbe.“

„Gut.“ Wieder widmete Alessandro sich ausgiebig ihren Brüsten, und Nat grub ihre Finger tief in die Muskeln seiner Schultern.

Sie konnte kaum noch klar denken. Alessandro stöhnte an ihrem Mund. Sobald Nat sein Glied aus der Enge seiner Boxer­shorts befreit hatte und endlich nackte Haut berührte, wich Alessandro zurück.

„Nathalie.“ Keuchend lehnte er seine Stirn an ihre Brust. „Wenn du mich so anfasst, werde ich nicht lange durchhalten.“ Er schaute auf. „Es ist schon lange her.“

Sie genoss das Gefühl, mit ihren Fingern die samtige Haut seiner Männlichkeit zu umschließen. Alessandro schnappte nach Luft und stieß sie stöhnend wieder aus. Nat lächelte auf ihn herunter. „Gut. Langsam können wir es später noch angehen.“

Als sie den Kopf senkte und Alessandro mit der Zunge in das Innere ihres Mundes eindrang, spürte sie, wie er in ihrer Hand noch größer wurde. Er hielt ihren Po gepackt, um sie näher an sich heranzuziehen, und Nat rieb sich an seinem nackten, harten Glied.

Sie rückte kurz hoch, um ihren Slip beiseitezuschieben. Sobald sie seine Spitze an ihrer intimsten Stelle spürte, ließ sie sich darauf sinken, wobei Alessandro sich gleichzeitig instinktiv nach oben bewegte.

Nat schrie auf, als er sie so komplett ausfüllte, wie sie es noch nie erlebt hatte. Das Pulsieren in ihrem Blut wurde übermächtig, und sie verfiel in einen Rhythmus, der so alt war wie die Menschheit.

Stöhnend presste Alessandro sie an sich, bedeckte ihre Lippen und ihren Hals mit Küssen, nahm erneut eine ihrer Brustwarzen in den Mund, während er sich in demselben leidenschaftlichen Rhythmus bewegte. Schneller, hitziger und in immer größerer Ekstase.

„Alessandro!“

Er hörte sie kaum, denn das Blut rauschte laut in seinen Ohren. Immer heftiger drang er in sie ein.

Nats Erregung steigerte sich bis ins Unermessliche. „Alessandro …!“

„Nathalie!“ Er warf den Kopf zurück, wobei er ihre Hüften fest umklammert hielt. Ein letztes Mal stieß er in sie hinein, ehe Nat stöhnend erbebte. Ihre Fingernägel bohrten sich in seine Schultern, als sie von ihrer Lust überwältigt wurde.

Auf dem Höhepunkt seines Orgasmus stöhnte Alessandro auf, noch immer getrieben von dem berauschenden Pulsieren in seinem Blut. Wieder und wieder bäumte Nat sich auf in diesem zügellosen Ritt.

Als es schließlich vorbei war, sank sie zusammen. Alessandro zog sie eng an sich. Jetzt wusste er ohne jeden Zweifel: Nat Davies einziehen zu lassen, war das Beste, was er je getan hatte.