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Xanadu stand nackt vor dem Himmelbett, so nahe, dass der sitzende Francis sie berührten konnte, wenn er wollte. Doch seine Hände blieben unten, nur der Blick glitt wie sehnsüchtig über ihren Körper.

»Wie schön du bist«, sagte er bewundernd.

Sie trat noch etwas näher. Nach dem Bad fühlte sie sich warm und weich. »Du kannst mich haben, wenn du möchtest.«

Er antwortete nicht. Xanadu hielt das für ein ermutigendes Zeichen, beugte sich vor und legte ihm die Hände auf die Wangen. Vielleicht war es jetzt so weit.

»Nein«, sagte er leise, und Xanadu glaubte, dass es ein wenig traurig klang. »Nicht hier, nicht heute. Irgendwann vielleicht.« Und wie es das Ritual verlangte, fügte er hinzu: »Ich bin noch jung, erst fünfundfünfzig.«

Xanadu blieb stehen, mit den Händen auf seinen Schultern, und sah, dass er keine Erektion hatte. Sie fragte nicht: »Bist du sicher, dass dich Frauen interessieren?« Es hätte vorwurfsvoll geklungen, für so etwas gab es in ihrer besonderen Beziehung keinen Platz. War Francis impotent? Sie hätte ihm helfen können, an Geduld mangelte es ihr nicht. Oder lag es an einer latenten Homosexualität, gegen die er sich mit ihrer kleinen Zeremonie zur Wehr setzte?

Francis Forsythe war ein hochintelligenter, tiefsinniger Mann mit zahlreichen Nuancen, von denen Xanadu in den vergangenen Jahren einige kennengelernt hatte. Sie respektierte und mochte ihn, vielleicht liebte sie ihn sogar, auf ihre eigene Art und Weise. Gleichzeitig wusste sie: Was auch immer sie beide verband, es basierte vor allem auf wechselseitigem Nutzen. Das durfte sie nicht vergessen, durfte nicht in die Rolle einer Therapeutin schlüpfen. Das erwartete Francis auch nicht von ihr, und vielleicht hätte es nicht mehr Nähe, sondern mehr Distanz geschaffen. Was schädlich für ihre eigenen Pläne gewesen wäre.

Xanadu zog die Hände zurück, ging zur anderen Seite des Himmelbetts und kroch dort unter die Decke. Sie rückte näher an Francis heran, drehte sich auf die Seite und legte ihm die Hand auf die Brust.

»Können wir Pauline irgendwie helfen?«, fragte sie.

»Das dürfte sehr, sehr schwer werden«, lautete die Antwort. »Ich habe versucht, das eine oder andere in die Wege zu leiten, aber ich befürchte, dass es nichts nützt.«

»Wenn sie spricht, wenn sie unsere Namen und Einzelheiten des Plans preisgibt …«

»Unsere Namen sind vielleicht schon bekannt.« Francis schaltete die kleine Nachttischlampe aus, und plötzlich lag das Schlafzimmer im Dunkeln.

Von draußen war das gedämpfte Raunen des Winds zu vernehmen, und ein wenig Mondschein fiel durch eine Lücke zwischen den Vorhängen, gerade genug für Xanadu, um das Profil des Mannes neben ihr zu erkennen.

»Die Frage lautet: Wie reagieren wir darauf?« Francis sprach leise, seine Stimme war nur wenig mehr als ein Flüstern. »Jeder von uns hat zwei sichere Orte, so sieht es der Plan vor. Noch sind wir verwundbar, noch sind die alten Mächte einflussreich genug. Es kann drei, vier weitere Wochen dauern, bis sich die Kräfteverhältnisse endgültig verschieben.«

Xanadu hörte zu und begriff, dass er zu sich selbst sprach, dem Echo der eigenen Gedanken lauschte.

»Was meinst du?«, fragte er schließlich und drehte den Kopf. Sein Gesicht blieb im Dunkeln, sie konnte seine Augen nicht sehen. »Sollen wir uns an unsere sicheren Orten zurückziehen? Soll ich den anderen eine entsprechende Empfehlung schicken?«

»Es würde unseren Handlungsspielraum eingrenzen«, gab Xanadu zu bedenken. »Gewisse Dinge könnten außer Kontrolle geraten.« Ein Rückzug zum gegenwärtigen Zeitpunkt hätte auch ihre persönlichen Pläne bedroht.

»Also nur eine Warnung?«, fragte Francis.

»Warte bis morgen«, riet ihm Xanadu. »Bis nach dem Treffen mit dem Bundeskanzler und der Staatspräsidentin. Warte ab, was sie dir zu sagen haben, und entscheide dann.«

Francis schwieg, und Xanadu blieb ebenfalls still. Sie hörte, wie sich sein Atmen veränderte, und nach einer Weile nahm sie die Hand von seiner Brust.

Eine Zeitlang lauschte sie dem Flüstern des Winds draußen in der Nacht. Schließlich schlief auch sie ein.

Vier Stunden später, um kurz vor fünf, erwachte sie. Es war noch immer dunkel, der Tag war noch nicht angebrochen, doch durch die Lücke zwischen den Vorhängen fiel kein Mondschein mehr. Eine ganze Minute lang blieb sie ruhig liegen und lauschte Francis’ regelmäßigen Atemzügen. Dann zog sie die Decke beiseite und stand auf, leise wie ein Schatten.

Sie nahm ihre Sachen und verließ das Schlafzimmer, ohne ein Geräusch zu verursachen. Er würde kaum überrascht sein, sie nicht vorzufinden –, sie hatte ihn oft am frühen Morgen verlassen, bevor er erwachte.

Im Flur drückte sie eine Taste ihres Handys und sendete eine vorbereitete Nachricht. Sie brauchte nicht lange im Bad, doch als sie die Treppe zum Erdgeschoss hinunterging, kam Butler Anthony mit einem Tablett aus der Küche.

»Tee für Sie, Madam«, sagte er höflich.

Sie schenkte ihm ein erstauntes Lächeln und nahm die dampfende Tasse entgegen. »Schlafen Sie nie, Anthony?«

Er deutete eine Verbeugung an. »Nicht wenn ich mich nützlich machen kann.«

Xanadu trank einen Schluck und hörte, wie draußen ein Wagen vorfuhr. Scheinwerferlicht strich kurz über die Fenster.

Sie stellte die Tasse aufs Tablett zurück. »Danke, Anthony. Bitte richten Sie Francis einen lieben Gruß aus, wir sehen uns heute Nachmittag.«

Der Butler deutete eine Verbeugung an. »Wie Sie wünschen, Madam.«

Xanadu streifte ihre Jacke über, verließ das schlossartige Haus und stieg in den Fond der wartenden Limousine. Einer der beiden Leibwächter, die sie mit der Gulfstream nach Europa begleitet hatten, saß am Steuer. Er hatte sie erwartet, hatte am Tag zuvor entsprechende Anweisungen von ihr erhalten.

»Zurück nach London, Eric«, sagte sie und sah auf die Uhr. »Lassen Sie es ruhig angehen, uns bleibt noch Zeit genug.«

Der Mann am Steuer nickte. »Sehr wohl.«

In der Stadt wartete ein wichtiger Termin auf Xanadu. Es ging dabei um einen gewissen Martin Freeman.

Im ersten Stock des Landhauses stand Francis Forsythe am Fenster und beobachtete, wie die Limousine über die Zufahrt rollte und hinter den Bäumen verschwand. Erneut hatte ihn Xanadu noch vor Morgengrauen verlassen, wie schon einige Male zuvor.

Sie war ein schönes Rätsel, ein Geheimnis voller Eleganz, aber ihr Inneres blieb ihm verborgen. Es gelang ihm nicht, ihre Gedanken zu erraten, und das beunruhigte ihn manchmal. Sie war wie eine Variable in einer komplexen Gleichung, die zu einem völlig unerwarteten Ergebnis führen konnte, und das missfiel ihm.