Martin Freeman

72

Der Brandgeruch wurde stärker, und mehr Rauch wallte in trügerisch trägen Schwaden die Treppe herunter. Weiter oben erklang ein dumpfes Rauschen, das nicht vom Wind stammte, sondern von den Flammen.

Martin stand reglos und lauschte.

»Wie bei Oma Myrte«, sagte Dakota. »Wie bei ihrem Hausboot, das in Flammen aufging.«

Lefèvre blickte zum Treppenaufgang. »Sie sind uns hierhergefolgt.«

»Wer sie? «, platzte es aus Martin hervor. »Gibt es noch etwas, das Sie uns nicht gesagt haben?« Da gab es bestimmt eine ganze Menge, war einer der Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen.

»Irene war nicht allein«, antwortete Lefèvre. »Hinter ihr stand und steht eine Gruppe, eine Organisation, die es darauf abgesehen hat.« Er deutete auf die vor Dakota auf dem Tisch liegenden Handyteile.

»Sehr schlau«, kommentierte Martin. »Ein Haus abfackeln, um ein altes Handy zu bekommen, von dem dann nur einige verkohlte Reste übrig bleiben.«

Grauer Rauch kroch wie Nebel in den Hauptraum.

Dakotas Finger wurden wieder flink. Rasch löste sie die Handykomponenten vom Interface und steckte sie ein. Lefèvre beobachtete sie dabei und schien Einwände erheben zu wollen, doch bevor er etwas sagen konnte, rief Martin: »Der Mäusetunnel!«

»Ja, genau!«, stimmte ihm Dakota zu. »Wenn es den Brandstiftern um uns geht, haben sie Pech gehabt.« Sie sprang auf und sah sich um. »Mir tut es um die Computer leid«, fügte sie traurig hinzu.

»Um uns täte es mir noch mehr leid.« Martin trat zur Treppe, wo der Rauch dichter wurde.

»Was Sie da eben eingesteckt haben …«, wandte sich Lefèvre hinter ihm an Dakota.

»Ist bei mir gut aufgehoben.«

Martin trat in den dunklen Tunnel. Schon nach wenigen Metern wurde es so finster, dass er überhaupt nichts mehr sah. Er holte das Ersatzhandy aus der Villa hervor, schaltete den Taschenlampenmodus ein, leuchtete und sah die Tür, auf der Pietro bestanden hatte. Sie war aus Metall, aus rostfreiem Aluminium, der Rahmen in einer gemauerten Verankerung. Er drückte die Klinke. Nichts geschah. Die Tür blieb zu.

»Das verdammte Ding ist abgeschlossen!« Er drehte sich um.

Dakota zwängte sich im engen Tunnel bereits an Lefèvre vorbei und eilte zum Hauptraum des Kellers zurück.

»Ich suche den Schlüssel!«, rief sie über die Schulter hinweg.

Vom Treppenaufgang kamen Hitze, Rauch und flackernder Flammenschein.

»Dafür haben wir keine Zeit«, sagte Lefèvre. »Wenn Sie gestatten, Monsieur Freeman …«

»Was haben Sie vor?«

»Ich breche die Tür auf.«

Martin machte sich so schmal wie möglich. Die Nähe des Geheimdienstmanns war ihm unangenehm – für einen Moment fühlte er sich im wahrsten Sinne des Wortes eingeengt, wie von ihm überwältigt.

Lefèvre schien das zu spüren, denn er verharrte für ein oder zwei Sekunden, und in der Dunkelheit suchte sein Blick Martins Augen. »Ich meine es gut mit Ihnen, Monsieur Freeman«, sagte er. »Mit Ihnen und Ihrer Freundin. Ich bin auf Ihrer Seite.«

»Sie zerquetschen mich fast!«

Lefèvre wich ein wenig zurück, holte tief Luft und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Es krachte, und die Tür erbebte, doch sie blieb geschlossen.

Im Licht der kleinen Handylampe sah Martin, wie sich Lefèvre die Schulter rieb. »Ich versuch es noch mal.«

»Es hat keinen Sinn. Sie holen sich nur zusätzliche blaue Flecken.«

»Ziemlich feste Tür, um ein paar Mäuse davon abzuhalten, den Keller zu erreichen«, brummte Lefèvre.

Dakota kehrte hustend durch den Rauch zurück.

»Ich hab ihn.« Sie zeigte den Schlüssel.

Martin und Lefèvre ließen sie passieren, und Dakota steckte den Schlüssel ins Schloss, doch er ließ sich nicht drehen.

Hinter ihnen zogen die ersten Rauchschwaden durch den Tunnel.

»Lassen Sie mich mal.«

Dakota wich beiseite und machte Platz für Lefèvre, der ebenfalls versuchte, den Schlüssel zu drehen. Martin hörte ein metallisches Knirschen.

»Wenn der Schlüssel abbricht, kriegen wir das Schloss nie auf«, gab er zu bedenken.

Im Licht seines Handys sah sich Dakota die Tür an. »Hier ist eine Beule. Etwas ist gegen die Tür gestoßen, und dadurch hat sie sich verzogen.«

»Ich weiß auch, was«, brummte Martin und warf Lefèvre einen Blick zu. »Lasst mich ran.«

Er nahm das Handy in die linke Hand, griff mit der rechten nach dem Schlüssel und bewegte ihn vorsichtig.

Hinter ihm hustete Dakota.

»Es wird langsam ungemütlich«, krächzte sie.

Schon nach wenigen Millimetern stieß der Schlüssel im Schloss auf ein Hindernis, das ihn blockierte. Martin drückte etwas stärker, ohne Erfolg. Das Knirschen, das er zuvor gehört hatte, wiederholte sich.

Hinter ihm wurde das dumpfe Rauschen der Flammen lauter. Es hallte den Treppenaufgang herunter und erreichte den Mäusetunnel zusammen mit dichter werdendem Rauch.

»Zurück können wir nicht.« Dakota atmete durch den Ärmel. »Das hier ist der einzige Weg.«

»Ich weiß, ich weiß.« Martin drehte den Schlüssel in die andere Richtung und versuchte es noch einmal. Ganz vorsichtig, sanft und mit Gefühl, darauf kam es an. Das Hindernis nicht mit roher Gewalt angehen, sondern es überlisten.

Er bewegte den Schlüssel Millimeter um Millimeter, die Hand leicht, nicht verkrampft. Der Widerstand kam nicht abrupt, sondern langsam.

»Vielleicht sollte jemand gegen die Tür drücken«, schlug Dakota vor. »Oder an ihr ziehen.«

Mit der linken Hand zog Martin an der Klinke, und mit der rechten versuchte er, den Schlüssel etwas weiterzudrehen. Das Licht der Handytaschenlampe tanzte über die Tunnelwand.

Der Schlüssel bewegte sich ein wenig.

»Der Rauch wird immer mehr.« Dakota hustete in den Ärmel.

Martin merkte es selbst. Das Atmen fiel ihm schwerer, der Hals brannte, und die Kopfschmerzen meldeten sich erneut – ein heißes Stechen zog sich von einer Schläfe zur anderen.

Dakota stand plötzlich neben ihm. »Lass mich an der Klinke ziehen. Dreh du den Schlüssel.«

Sie zog, mit beiden Händen, und Martin drehte den Schlüssel, wieder langsam und vorsichtig. Der Widerstand schien diesmal weniger stark, es knirschte und … klickte.

Dakota hörte es ebenfalls und drückte die Klinke. Die Tür schwang auf.