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Depression im Alter |
„Tempora mutantur, et nos mutamur in illis.“
Ovid, Metamorphosen
Eine alte Frau oder ein alter Mann fühlen sich alt aufgrund der Anderen, ohne subjektiv entscheidende Veränderungen erfahren zu haben (die Wechseljahre sind für die Frau eine physische Erfahrung, treten aber lange vor dem Alter auf).
Unsere Nächsten, schreibt Simone de Beauvoir in dem Buch Das Alter (La Viellesse), werden als „alterslos“ betrachtet. Die Entdeckung, dass sie alt sind, versetzt uns einen Schlag. Als Beispiel führt sie den Schock an, den der Dichter Marcel Proust beschreibt, als er unvermittelt in ein Zimmer trat und dort anstelle seiner Großmutter, die für ihn kein Alter besaß, eine uralte Frau gewahrte.
Innerlich sind alte Menschen nicht einverstanden mit dem Etikett, mit dem man sie versehen hat. Es besteht also eine Asymmetrie zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild. Der tiefere Grund für diese Asymmetrie ist im Unbewussten zu suchen. Das Unbewusste ist zeitlos, es unterscheidet nicht Wahres und Falsches, es ist eine Gesamtstruktur von Trieben, die wir im bewussten Denken als Wünsche wahrnehmen, es ist unreflektiert. Aber es kann, wie wir wissen, zum Hindernis für die Reflexion werden, muss es allerdings nicht.
Der Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter wird durch das Unbewusste nicht gestört; vielmehr ist die Sexualität des Erwachsenen in der des jungen Menschen, ja sogar in der des Kindes bereits vorweggenommen. Das Erwachsensein scheint im Allgemeinen als wünschenswert, weil es Selbstbestimmung (Autonomie) und die Befriedigung der Triebe verspricht. Im Gegensatz dazu assoziiert der Erwachsene das hohe Alter mit Vorstellungen von Verlust und Einschränkungen. Unser Unbewusstes weiß nichts vom Alter. Es nährt die Illusion von einer ewigen Jugend. Wenn diese Illusion zerstört wird, entsteht bei vielen Menschen ein von Selbstverliebtheit (Narzissmus) geprägtes Trauma, das zu einer schweren Depression führen kann.
Alte Menschen sind gezwungen, mit ihren Kräften hauszuhalten, ein übermäßiger Kräfteverbrauch könnte einen Herzschlag zur Folge haben, eine Krankheit könnte endgültig schwächen, ein Unfall würde bedeuten, ans Bett gefesselt zu sein, etc. Jeder Augenblick kann Probleme bringen und ein Irrtum muss teuer bezahlt werden. Für die Ausübung der körperlichen Funktionen bedarf man künstlicher Hilfsmittel: Prothesen, Brillen, Hörgeräte, Gehstöcke, Windeln …
Es ist beklagenswert, dass die meisten Alten zu arm sind, um sich gute Brillen und teure Hörgeräte zu kaufen. Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse den alten Menschen unter mehreren Möglichkeiten die Wahl lassen, hängt die Art der Reaktion auf die Unannehmlichkeiten des Alters von früheren Einstellungen ab. Dasselbe gilt ja auch für die Reaktion auf die Menopause, von der WHO als ‚Funktionsloser Eierstock‘ definiert, wie im Kapitel Frauen und Depression behandelt wird.
Geistiges und Körperliches sind eng miteinander verbunden. Die Anpassungsleistung eines durch Krankheit und Behinderung beeinträchtigten Organismus an die Umwelt ist dann eher zu bewältigen, wenn man sich die Lust am Leben bewahrt hat. Umgekehrt begünstigt eine gute Gesundheit das Fortbestehen geistiger und seelischer Anteilnahme.
Die Moralisten, die das Alter aus politischen oder ideologischen Gründen verteidigen, behaupten, es befreie den Menschen von seinem Körper. Durch eine Art Ausgleich gewinne der Geist, was der Körper verliere. Derartiges wird von vielen alten Menschen in Anbetracht der wirklichen Situation der meisten alten Menschen als taktlose, spiritualistische Albernheit empfunden. Hunger, Kälte, Krankheit haben schwerlich einen moralischen Gewinn im Gefolge. Die Läuterung, von der die Moralisten sprechen, liegt für sie vor allem im Erlöschen des sexuellen Verlangens. Sexuelles Verlangen besteht im Alter weiter, wenn auch mit anderer Intensität und oft verleugnet, weil es als beschämend empfunden wird. Schließlich wird Sexualität fälschlich von vielen immer noch mit Jugend und Schönheit assoziiert.
Frauen und Männer, die ein glückliches Sexualleben hatten, mögen Gründe haben, es nicht verlängern zu wollen. Einer der Gründe ist ein vom Narzissmus bestimmtes Verhältnis zu sich selbst. Der Ekel vor dem eigenen Körper nimmt bei Mann und Frau verschiedene Formen an, das Alter kann beiden dieses Gefühl einflößen, sodass sie sich weigern, diesen Körper noch für einen anderen existieren zu lassen. Leider werden von vielen Menschen altersbedingte Veränderungen mit Krankheit gleichgesetzt. Dafür mitverantwortlich ist das Fehlen von umfassenden wissenschaftlichen Erhebungen vor Ort: in Privatwohnungen, in Altenheimen, zur Lebenssituation alter Menschen. Daher gibt es nach wie vor Forschungsdefizite hinsichtlich gesundheitlicher Befindlichkeit von alten und älteren Menschen – das trifft besonders auf psychische Erkrankungen und hier wiederum vorrangig auf depressive Zustandsbilder zu. Ein besonderes Interesse besteht derzeit an Demenzerkrankungen – teils auch aus volkswirtschaftlichem Interesse. Unser nach wie vor geringes Wissen steht in krassem Gegensatz zu der zunehmenden Anzahl von alten Menschen in unserer Gesellschaft.
Von Personen welchen Alters sprechen wir, wenn es um ‚Depression im Alter‘ geht? Ab welchem Lebensalter wird die Bezeichnung ‚alt‘ für angebracht befunden?
Für die Beantwortung der Frage, mit welchem Lebensjahr der Beginn des ‚Alters‘ zu datieren sei, wann wir von ‚älteren Menschen‘, wann von ‚alten Menschen‘ sprechen können oder sollen, stehen zwei mögliche Einteilungen zur Verfügung. Die gerontopsychologische Einteilung unterscheidet das fortgeschrittene Lebensalter wie folgt:
Menschen im dritten Lebensalter, ohne zeitliche Eingrenzungen hinsichtlich des Alter, werden dieser Einteilung nach als ‚junge Alte‘ bezeichnet. Damit sind Menschen nach Erreichung der Pension gemeint. Die Einteilung scheint verwirrend, da erstens Frauen eher früher als Männer in Pension gehen und Frühpensionisten damit wohl auch nicht gemeint sein können. Die Gerontopsychologen sprechen von dieser Lebensphase auch als von einer ‚belle epoque‘, in Anspielung an die Bezeichnung eines Lebensstils um 1900 – was sich offensichtlich nur auf Personen mit höheren Pensionen und einem dementsprechenden Lebensstandard beziehen kann und von Medienberichten und trivialen Fernsehserien genährt wird. Mindestrentner können mit dieser Anspielung wohl nicht gemeint sein.
Menschen im vierten Lebensalter, das mit dem 85. Lebensjahr beginnend angesetzt wird, werden als ‚Hochbetagte‘ bezeichnet. Diese Menschen seien zunehmend biologisch-organischen Risiken ausgesetzt und leiden eher als Jüngere unter zahlreichen Erkrankungen (Multimorbidität).
Die demographische Einteilung unterscheidet nach Lebensjahren:
junge Alte |
–bis 75. Lebensjahr |
mittelalte Alte |
–75.–85. Lebensjahr |
Hochbetagte |
–über 85. Lebensjahr |
Die Frage nach der Häufigkeit des Auftretens (Prävalenz) von Depression im Alter scheint nicht leicht zu beantworten, da die Angaben von mehreren Faktoren abhängen, nämlich davon, welche Störungsbilder
• anhand welcher Kriterien (dimensionale v. kategoriale Erfassung),
• für welchen Zeitraum (Punktprävalenz, Periodenprävalenz),
• durch wen (Psychiater mit/ohne Psychotherapieausbildung, Psychotherapeuten, Laien …),
• mit welchen Instrumenten (klinisches Interview, strukturiertes Interview, Selbstbeurteilungsskalen),
• in welchem Setting (Arztpraxen, stationäre Einrichtungen, Altenheime) erfasst werden.
Die Krankheitszeichen (Symptome) einer depressiven Verstimmung sind die gleichen wie bei Jüngeren. Das Problem ist eher die Abgrenzung einer klinischen Depression von nachvollziehbaren altersbedingten resignativen und unglücklichen seelischen Zuständen. Diese Abgrenzung erfordert einen diagnostischen zeitlichen Aufwand, welcher pflegerisches und ärztliches Zuwendungsverhalten häufig zu überfordern scheint. Die subjektive Wahrnehmung alter Menschen von Einsamkeit, von Sich-verlassen-Fühlen, wird oft vom sozialen Umfeld verleugnet oder als ‚normal‘ abgetan, auch wenn vieles dafür spricht, dass die besonders schwarzseherische (pessimistische) Einschätzung der Wirklichkeit durch den betreffenden alten Menschen ein depressives Symptom sein kann. Die Abgrenzung depressionsbedingter Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen oder eines langsamen Gedanken- und Sprachflusses von dementiellen Erkrankungen wirft differenzialdiagnostische Probleme auf und ist oft zeitaufwändig. Auch die Anwendung der Geriatrischen Depressionsskala (GDS), einer Fragebogenuntersuchung, die vom Arzt durchgeführt wird, ist in vielen Fällen nicht hilfreich. Beobachtungen Angehöriger – so diese verfügbar sind – oder aufmerksamer Pflegender können durchaus verwertbare Hinweise liefern.
Das Erstellen der Diagnose ‚Depression‘, das Einschätzen des Schweregrades und die damit im Zusammenhang stehenden Indikationsfragen, d. h. welche Behandlung für diesen Patienten in dieser Situation angemessen ist, unterscheidet sich nicht von dem Vorgehen, wie im Abschnitt zur Psychotherapie beschrieben worden ist.
Im Rahmen der Berliner Altersstudie (2000) wurde der Behandlungsbedarf bei psychiatrischen Symptomen – Depression im Zusammenhang mit Angstsymptomen, Schlafstörungen und milder Demenz – zu erfassen versucht. Nach dieser Studie wurden
• bei 23,3 Prozent der untersuchten Population subklinische Symptome ohne Behandlungsbedarf,
• bei 18,0 % milde Symptome mit Behandlungsbedarf,
• bei 26,9 % mittelschwere Symptome mit definitivem Behandlungsbedarf und
• bei 4,5 % schwere Fälle, die stationäre Behandlung erfordern, gefunden.
Diese Zahlen müssen aber, den Autoren der Studie zufolge, stark relativiert werden, da es für ältere und alte Menschen klare Barrieren im Versorgungssystem gibt. Dies ist umso bedauerlicher, da die depressive Symptomatik im Alter nicht grundsätzlich von jener anderer Lebensphasen abweicht; die Symptome sind jedoch durch Lebenserfahrungen unterschiedlichster Art modifiziert und oft durch andere begleitende Erkrankungen (Komorbidität), wie etwa durch Schmerzen verursachte, chronische körperliche Leiden (z.B. des rheumatischen Formenkreises) verzerrt. Dieses psychiatrische und psychotherapeutische Versorgungsdefizit alte Menschen betreffend, ist umso bedauerlicher, als aktuelle Studien zeigen konnten, dass auch bei älteren und alten Menschen Psychotherapie wirkt und subjektiv Lebensqualität gewonnen werden kann.
Was die Diagnostik betrifft, scheint ein Haupthindernis die Schwierigkeit des Erkennens psychischer Störungen bei Alten zu sein. Die Abgrenzung zwischen Misslichkeiten der Lebenssituation der Patienten, welche zu Traurigkeit und Resignation führen kann, und klinisch manifester Depression ist sicher oft schwierig und auch von individuellen Erfahrungen der Diagnostizierenden beeinflusst.
Auch die zwei wichtigsten Behandlungsschienen, Psychopharmakabehandlung und Psychotherapie, bergen Probleme. Bei der Behandlung mit Psychopharmaka kann die Frage der Einwilligungsfähigkeit alter Menschen ein ethisches Thema sein.
Fragen der Dosierung der Psychopharmaka bei alten Menschen sind in Diskussion. Ein zweites Problem stellen die Interaktionen mit anderen Medikamenten dar – viele alte Menschen benötigen Blutdruck senkende Medikamente, Antirheumamittel, etc. Hier ist Spezialwissen erforderlich, das nicht immer verfügbar ist, sei es in ländlichen Bereichen oder in Pflegeheimen.
Die Psychotherapie betreffend scheint es, abgesehen von der Verfügbarkeit, zwei Barrieren zu geben: Eine Barriere scheint die Einstellung jener zu sein, welche diese Indikation stellen können. Es wird immer noch irrtümlich angenommen, dass auf Grund des Alters der Patienten keine Veränderung mehr erzielbar sei. Alte Menschen seien starr, unbeweglich und daher sei Psychotherapie nicht indiziert. Alte Tiere betreffend scheint es diese Meinung nicht zu geben: Die „Bremer Stadtmusikanten“ im Märchen sind alte Tiere, die initiativ und ideenreich dargestellt werden. Zum anderen fühlen sich die Behandelnden aus dem gleichen Vorurteil heraus oft nicht kompetent – was sich ebenso als irrig herausstellen kann.
Schließlich bestehen massive, gesundheitspolitisch ungelöste Hindernisse: die Erreichbarkeit von Psychiatern und Psychotherapeuten im ländlichen Raum und die Kosten von Psychotherapie. In vielen Regionen scheinen adäquat ausgebildete ärztliche Gerontologen, Gerontopsychiater und Psychotherapeuten zu fehlen – besonders in Institutionen. Psychotherapeutische Behandlung bei niedergelassenen Therapeuten ist in Österreich überwiegend nur bei Vorfinanzierung durch die Patienten und bei nachträglicher Einreichung um Rückerstattung des vorgesehenen Teilbetrages durch die Krankenkasse möglich. Dieser Aufwand ist von vielen alten, alleinlebenden Menschen finanziell und was die alltäglichen Mühen betrifft unmöglich zu leisten.
Die Einflüsse des sozialen Netzes, sogenannte kohortenspezifische Sozialisationseinflüsse, spielen eine Rolle. Wir hören z.B. von depressiven alten Menschen Sätze wie: „Es ist eine Frage des Willens und der Charakterstärke, mit Problemen fertig zu werden“. Das Aufsuchen einer psychiatrischen Ordination wird oft als beschämend erlebt; die Inanspruchnahme von Psychotherapie wird als ein Zeichen von Schwäche gesehen. Das gilt vor allem für die Kriegsund Nachkriegsgeneration, die mit „ganz anderen“ Problemen fertig werden musste.
Über Psychotherapie als relativ neue Behandlungsmethode ist oft das Wissen nicht vorhanden, oder es überwiegen Fehlinformationen. Die Angst vieler alter Menschen, bei dem Bemühen um Hilfe beschämt zu werden, hat durchaus realistische Hintergründe. Ein häufiges Problem älterer und alter Frauen ist die Harninkontinenz: Deswegen abgeurteilt zu werden, als übel riechend, ungepflegt hingestellt zu werden, ist nicht so unwahrscheinlich. Eine weitere Quelle für Schamgefühle ist das Tempo beim An- und Ausziehen, die Befürchtung, durch die Langsamkeit die Ordination zu blockieren, oder die Angst, etwas zu vergessen oder nicht schnell genug oder „richtig“ auf Fragen antworten zu können. Dadurch werden Geduld und Zeitplan der Behandelnden auf die Probe gestellt. Bei den Patienten mobilisiert dies Schuldgefühle und die Angst, die Zeit des Arztes über Gebühr zu beanspruchen.
• Die Aktualisierung alter psychischer Konflikte durch die derzeitige Lebenssituation: Das können z.B. Rivalitäten mit Geschwistern aus der Jugend sein, die jetzt – unbewusst – mit Mitbewohnern in einem Pflegeheim ausgetragen werden. Ein vorsichtiges Herstellen eines solchen möglichen Zusammenhanges hilft, mit den Heimbewohnern besser auskommen zu können.
• Das Bemühen, Verluste und Kränkungen mit normaler Trauer zu bearbeiten, um Depressivität einzugrenzen.
• Der Umgang mit der Sexualität: Sexuelle Bedürfnisse bestehen weiter im Alter, das vorsichtige, enttabuisierende Ansprechen dieses Themas hilft den betroffenen alten Menschen, Schuldgefühle abzubauen, die durch Wünsche nach einer neuen Beziehung ausgelöst werden oder die die Masturbation betreffen können.
• Das Management aktueller Krisen: Einsamkeit, soziale Isolation, Krankheit, Behinderung. Dabei ist die Erinnerung an vorhandene Ressourcen und die Unterstützung bei ihrer Nutzung wichtig, um möglichst viele autonome Bereiche zu erhalten: emotionale wie kognitive Ressourcen. Die Ermutigung, möglichst viele der alltäglichen Bedürfnisse alleine zu regeln, hilft, Depressionen einzugrenzen.
• Die Bedrohung durch Siechtum, Sterben und Tod.
• Die Beendigung der Therapie von Beginn an im Auge behalten. Sie muss mit den Patienten vorbesprochen und geplant sein, um allen Fantasien vorzubeugen, dass die Beendigung der therapeutischen Beziehung den Tod bedeuten könnte.
• Bedingungen/Schwierigkeiten von Seiten der Behandelnden.
Eine wichtige Bedingung auf Seiten der Behandelnden sind historische Sensibilität und Interessiertheit, um Lebenszusammenhänge zu verstehen. Die Kriegs- und/oder Nachkriegszeit hat unzählige Menschen traumatisiert: sei es durch Kriegshandlungen direkt, durch politische Verfolgung oder Vertreibung; das Überleben von Vernichtungslagern, das Wissen um die Ermordung, um Tötung oder Kriegsgefangenschaft von Angehörigen. Überlebende haben oft heftige, irrationale Schuldgefühle. All das erfährt im Alter oft eine schreckliche Aktualisierung, z.B. durch Berichte in den Medien über Kriegsgeschehen, Verfolgungen, etc.
Ärzte/Ärztinnen, Therapeuten/Therapeutinnen sind oft wesentlich jünger. Patienten und Patientinnen werden als Mütter/Väter/Großeltern erlebt, damit können auf beiden Seiten auch Schamgrenzen mobilisiert werden. Das einer Depression inhärente Zweifeln, das Infragestellen der Kompetenz eines jüngeren Arztes muss vor diesem Hintergrund verstanden und nicht nur als Abwertung interpretiert werden. Sehr schwer scheint es für jüngere Behandelnde zu sein, Sexualität im Alter als Thema zu verstehen und zu akzeptieren und es nicht „nicht wahrhaben zu wollen“ bzw. es zu verleugnen.
Ärzte und Psychotherapeuten können sich durch das Erleben von Verfallserscheinungen auf Seiten der Patienten massiv bedroht fühlen. Ekelreaktionen über die Folgen des Verlustes von körperlichen Funktionen (Stuhlinkontinenz) können Schuldgefühle auf Seiten der Behandelnden wecken. Offensichtlicher körperlicher Verfall, besonders in Kombination mit depressiven Symptomen, provoziert bei den Behandelnden die Vorstellung und Angst, selbst so alt und krank zu werden. Damit werden Fragen der eigenen Sterblichkeit und des menschenwürdigen Sterbens aufgeworfen.